B12 307734-3/2008/17E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Rohrböck als Einzelrichter über die Beschwerde des Herrn H.S., geb. am 00.00.1988, StA. Afghanistan, vertreten durch Mag. Harald QUINZ, CARITAS-Flüchtlingshilfe, 6800 Feldkirch, Wichnergasse 22, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23. Jänner 2007, Zl. 06 10.856-BAI, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19. Juni 2008 und am 28. Oktober 2008 zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde des Herrn H.S. gegen Bescheid des Bundesasylamtes vom 23. Jänner 2007, Zl. 06 10.856-BAI, wird gem. § 3 Abs. 1 AsylG stattgegeben und Herrn H.S. der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gem. § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass Herrn H.S. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
III. Die Spruchpunkte II und III des Bescheides des Bundesasylamts vom 23. Jänner 2007, Zl. 06 10.856-BAI, werden ersatzlos aufgehoben.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer hat am 10. Oktober 2006 beim Bundesasylamt einen Antrag auf internationalen Schutz eingebracht. Er gab dabei an, den Namen H.S. zu führen, Staatsangehöriger von Afghanistan und am 00.00.1988 geboren zu sein. Bei der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 8. November 2006 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes an:
"Frage: Sind Ihre bisherigen Angaben die Sie in Österreich, im Besonderen die Angaben, welche sie am 12.10.2006 vor der Polizei St GEORGEN/ EASt West gemacht haben richtig und halten Sie diese Angaben auch aufrecht?
Antwort: Zum größten Teil habe ich die Wahrheit gesagt, ich habe über meine Fluchtgründe alles richtig gesagt nur mein Fluchtweg war nicht richtig. Ich war einige Zeit in der Slowakei. Ich habe über zwei Monate im Flüchtlingslager gelebt, kein einziger Flüchtling hat dort eine Antwort bekommen ich auch nicht. Mein älterer Bruder wohnt in D. und arbeitet dort, er ist mein Vertreter. Bei uns ist es üblich wenn der Vater nicht da ist, dann ist der älteste Bruder der Vertreter. Als ich in Pakistan war haben wir miteinander gewohnt und ich möchte jetzt bei ihm in D. leben, er arbeitet und er hat eine Wohnung er kann mich finanziell unterstützen und ich kann bei ihm wohnen.
Frage: Wann hatten Sie zu ihrem Bruder zuletzt Kontakt?
Antwort: Vorgestern habe ich mit ihm telefoniert.
Frage: Haben Sie von ihrem Bruder Unterstützung erhalten?
Antwort: Vor 5 Tagen habe ich von ihm 30 Euro bekommen.
Frage: Wann wurden Sie erstmals vom Bruder unterstützt?
Antwort: Er gibt mir ständig 20, 30 od. 50,-- Euro, erstmals als ich nach Österreich kam
Frage: Erhalten Sie sonst noch Unterstützung?
Antwort: Nein, sonst nicht
Frage: Welche Dokumente haben Sie nach Österreich mitgenommen?
Antwort: Keine.
Frage: Besitzen Sie Dokumente und wo befinden sich diese?
Antwort: Ich habe keine
Frage: Haben Sie im Bereich der EU, in Norwegen oder in Island Verwandte, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis bzw. eine besonders enge Beziehung besteht?
Antwort: Einen Bruder in D. sonst niemanden.
Frage: Haben Sie Ihr Heimatland vor der jetzigen Reise jemals verlassen?
Antwort: Nein
Frage: Stellten Sie oder Ihre Familienangehörigen je in Österreich oder einem anderen Land einen Asylantrag?
Antwort: Nein.
Frage: Verließen Sie Ihr Heimatland legal?
Antwort: Illegal.
Frage: Sind Sie über ein EU- Land kommend nach Österreich eingereist?
Antwort: Über die Slowakei. Aus Pakistan in den Iran und dann nach Moskau und dann in die Slowakei nach Österreich bin ich gereist, das ist mein Reiseweg.
Aufforderung: Schildern Sie die Reisebewegung ab dem Wohnsitz des Heimatlandes bis Österreich bzw entsprechen Ihre Angaben diesbezüglich vor der Polizei der Wahrheit?
Antwort: Ja, meine Angaben bei der Polizei hinsichtlich der Reiseroute stimmen.
Frage: Reisten Sie schlepperunterstützt?
Antwort: Ja.
Frage: Warum verließen Sie Ihr Heimatland? Erzählen Sie unter Anführung von Fakten, Daten und Ihnen wichtig scheinenden Ereignissen bzw entsprechen Ihre Angaben diesbezüglich vor der Polizei der Wahrheit?
Antwort: Ja, ich habe das bei der Polizei richtig beschrieben
Frage: Haben Sie noch weitere Gründe?
Antwort: Nein.
Frage: Wurde Ihnen ausreichend Zeit eingeräumt, ihre Probleme zu schildern.
Antwort: Ja.
Frage: Haben Sie alles verstanden was Sie gefragt wurden, sowohl von der Sprache als auch vom Verständnis her?
Antwort: Ja.
Entscheidung: Für die Prüfung Ihres in Österreich gestellten Asylantrages gemäß der Dublin II Verordnung der Europäischen Union ist die Slowakei zuständig ist. Eurodac-Treffer: Antrag am 22.05.2006 in S.. Zu Einzelheiten der Dublin II Verordnung sind Sie bereits in dem Ihnen anlässlich der Fingerabdrucknahme ausgefolgten Merkblatt informiert worden. Aufgrund der bereits vorliegenden Zustimmung der Slowakei wird Ihr Asylantrag in Österreich als unzulässig zurückgewiesen und Ihre sofort durchsetzbare Ausweisung in diesen Staat veranlasst. Dazu wird Ihnen mitgeteilt, dass sie eine Mitteilung gem § 29 Abs AsylG 2005 über ihre Ausweisung in die Slowakei am 17.10.2006 erhalten haben.
Frage: Wollen Sie nun konkrete Gründe nennen, die dem entgegenstehen?
Antwort: Wie ich bereits mitgeteilt habe, in Wirklichkeit bekommen die Asylwerber in der Slowakei kein Asyl sie werden wie Tiere behandelt und haben keine Rechte. Andererseits habe ich hier einen Bruder der mich unterstützen kann, ich möchte bei ihm leben.
Frage: Wann erfolgte die Einreise in die Slowakei?
Antwort: Am 20.5.2006, am selben Tag als ich dort befragt wurde, ich sagte damals gleich nach Österreich zu meinen Bruder reisen zu wollen.
Frage: An welchem Datum haben sie die Slowakei wieder verlassen?
Antwort: Das weiß ich nicht aber es war vor ca. 2 Monaten
Frage: Aus welchem Grund haben Sie die Slowakei verlassen?
Antwort: Weil ich zu meinem Bruder weiterreisen wollte, bei uns ist es üblich dass sich der ältere Bruder um den jüngeren kümmert. Unser Vater wurde umgebracht
Frage: Gab es sonst noch einen Grund warum Sie die Slowakei verlassen haben?
Antwort: Nein
Die RB hat folgende Fragen: Wer hat nach der Ermordung des Vaters das Familienoberhaupt eingenommen?
Antwort: Der Bruder der in D. wohnt
Frage: Erklären sie warum?
Antwort: Weil er der ältere ist.
Frage: Haben Sie mit dem Bruder in gemeinsamen Haushalt gelebt
Antwort: Ja in einem Haushalt , in einem Zimmer. Bis zuletzt. Ich habe immer mit meinem jetzigen zusammen gelebt
Frage: Wie lautet die Zusage ihres Bruders hier in Österreich sie zu unterstützen?
Antwort: Er sagte er arbeitet, er hat eine Wohnung er sagte er kann es sich leisten mich zu unterstützen bis ich selbständig werde
Frage: Haben Sie seit sie in Schubhaft sind telefonischen Kontakt mit dem Bruder?
Antwort: Seit ich hier bin reden wir einmal bis zweimal in der Woche.
(...)"
Der Niederschrift einer weiteren niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt - Außenstelle Innsbruck am 19. Jänner 2007 ist im Wesentlichen Folgendes zu entnehmen:
Frage: Haben Sie sich mittlerweile irgendwelche Dokumente besorgt?
Antwort: Nein ich habe keine Dokumente weder hier noch in meiner Heimat.
Erklärung: Sie haben am 10.10.2006 beim Bundesasylamt um Asyl ersucht. Sie wurden am 12.10.2006 und am 08.11.2006 in der EAST West bereits zu Ihrem Asylverfahren, d.h. zu Ihrem Reiseweg und den Gründen Ihrer Ausreise, befragt. Waren Ihre damals gemachten Angaben vollständig und stimmen diese?
Antwort: Meine Angaben zu meinen Fluchtgründen entsprechen der Wahrheit. Ich habe jedoch falsche Angaben zu meinem Fluchtweg gemacht.
Frage: Können Sie nochmals angeben, über welche Reiseroute Sie nach Österreich gekommen sind?
Antwort: Ich habe Pakistan schlepperunterstützt in einem PKW verlassen und bin in den Iran gereist. Dort bin ich zwei Tage lang geblieben. Mit einem gefälschten Reisepass bin ich anschließend nach Dubai geflogen. Dort hielt ich mich ca. 3 Stunden auf und flog dann weiter nach Moskau. In Moskau wurde mir der gefälschte Reisepass abgenommen. In Moskau blieb ich 10 Monate dann reiste ich schlepperunterstützt in einem PKW in die Slowakei. In der Slowakei wurde ich von der Polizei aufgegriffen. Nach fünf Monaten reiste ich dann weiter nach Österreich. Ich weiß nicht genau wann ich Pakistan verlassen habe, ich weiß nur, dass die Reise insgesamt 17 Monate gedauert hat.
Vorhalt: Warum haben Sie im Zuge Ihrer ersten niederschriftlichen Einvernahme Ihren Fluchtweg grundlegend anders geschildert?
Antwort: Ich wollte hier bleiben, weil mein Bruder auch hier ist und ich wollte nicht in die Slowakei zurückgeschoben werden.
Frage: Möchten Sie zum Fluchtweg noch etwas angeben, was Ihnen wichtig ist?
Antwort: Nein ich habe alles gesagt.
Frage: Unter welchen Lebensumständen haben Sie gelebt?
Antwort: Ich wurde am 00.00.1988 in Kabul in Afghanistan geboren. Als ich vier Jahre alt war ist meine gesamte Familie nach Pakistan gezogen. Ich bin bei meinen Eltern in Pakistan aufgewachsen. Ich habe drei Brüder und eine Schwester. Ein Bruder lebt in Österreich als Asylwerber, eine Schwester in Afghanistan und die zwei anderen Brüder leben in Pakistan. Ich habe drei Jahre die Grundschule und fünf Jahre die Koranschule besucht. Ich habe bis zu meiner Ausreise immer in Pakistan gelebt. Mein Vater ist Ende 2001 verstorben. Mein Vater war ein Mullah er hat Gebete aufgeschrieben und verkauft. Davon hat er unser Leben finanziert. Mein Vater hatte drei Frauen die alle in Pakistan gelebt haben. Wir haben allerdings nicht miteinander gelebt. Nach dem Tod meines Vaters hat mein Bruder, der in Österreich lebt, seine Stelle angenommen. Er hatte jedoch dann Probleme und ist nach Österreich geflüchtet. Dann hat mein ältester Bruder den Platz meines Vaters eingenommen. Er hat die gleiche Arbeit wie mein Vater verrichtet und damit unser Leben finanziert. Als mein Vater noch am Leben war lebten wir unter sehr guten wirtschaftlichen Verhältnissen. Wir lebten in einem großen Miethaus. Als er jedoch umgebracht wurde mussten wir in ein kleineres Haus umziehen und die Lebensumstände waren nicht mehr so gut. Ich gehöre zur Volksgruppe der Tadschiken und bin Sunnite.
Frage: Können Sie nochmals die Gründe schildern, die Sie dazu veranlassten, Ihre Heimat zu verlassen (freie Erzählung)?
Antwort: Mein Vater war Mitglied der kommunistischen Partei in Afghanistan. Nachdem die Mujaheddin gekommen sind und die Macht übernommen haben sind wir nach Pakistan geflüchtet. In Pakistan hat mein Vater dann die Geschäfte seines Vaters übernommen und ist Mullah geworden. Als die Taliban Regierung gestürzt wurde ist meine gesamte Familie wieder nach Afghanistan zurückgekehrt. Nach drei Tagen ist mein Vater in einer Moschee umgebracht worden. Meine Familie ist dann noch ein Jahr in Afghanistan geblieben. Sechs Monate nachdem mein Vater verstorben ist wurde auf meinen ältesten Bruder geschossen. Er war verletzt und wurde in einer Klinik behandelt. Ca. 1,5 Monate nach diesem Vorfall ist auf meinen Bruder, der in Österreich lebt, geschossen worden. Er wurde nicht schwer verletzt. Nach ein paar Monaten ist dann meine gesamte Familie wieder nach Pakistan geflüchtet. Insgesamt waren wir dann ein Jahr in Afghanistan. Mein Vater war wie gesagt Mitglied einer kommunistischen Partei. Ich weiß nicht welche Funktion mein Vater hatte ich weiß auch nicht was er gemacht hat. Ich weiß nur, dass er aufgrund dessen Feinde hatte und auch deswegen umgebracht wurde. Mein Vater wurde umgebracht, zwei meiner Brüder wurden angeschossen und das Leben in Afghanistan war nicht sicher. In Pakistan ist man als Ausländer benachteiligt. Außerdem gibt es auch dort keine Menschenrechte. Wir hatten auch in Pakistan große Angst vor den Feinden meines Vaters. Ich durfte das Haus nicht mehr verlassen und ich konnte auch nicht zur Schule gehen. Das war kein Leben mehr deshalb habe ich dann Pakistan verlassen. In Pakistan sind fünf Monate bevor ich ausgereist bin zwei Mal bewaffnete Männer gekommen. Wir haben die Türe jedoch nicht geöffnet. Deswegen sind wir dann auch woanders hingezogen. In Afghanistan wird die Vergeltung immer aufrecht bleiben.
Frage: Entsprechen Ihre bisher gemachten Angaben der Wahrheit und sind diese vollständig?
Antwort: Ja meine bisher gemachten Angaben entsprechen der Wahrheit und sind vollständig.
Frage: Wer hat Ihren Vater umgebracht?
Antwort: Das weiß ich nicht. Es war ein Unbekannter.
Frage: Weiß jemand aus Ihrer Familie wer Ihren Vater umgebracht hat?
Antwort: Nein es weiß keiner wer meinen Vater umgebracht hat.
Vorhalt: Sie haben heute angegeben, dass Sie und ihre Familie von 1992 bis 2001 in Pakistan gelebt hätten. Ihr Bruder hat im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme angegeben, dass er von 1992 bis 2000 in Kabul die Grundschule besucht hätte. Was sagen Sie dazu?
Antwort: Ich kann mich gut erinnern als ich zur Schule ging, damals war ich sieben und mein Bruder war auch in Pakistan.
Vorhalt: Sie haben heute angegeben, dass Ihr Vater 2001 umgebracht worden wäre. Ihr Bruder hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme angegeben, dass Ihr Vater 2002 umgebracht worden wäre. Was sagen Sie dazu?
Antwort: Ich habe gesagt Ende 2001 anfangs 2002.
Vorhalt: Ihr Bruder hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme angegeben, dass er Afghanistan ca. im Juni 2003 verlassen hat. Ihr Bruder hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme mit keinem Wort erwähnt, dass er und Ihre Familie jemals in Pakistan gelebt hätten. Was sagen Sie dazu?
Antwort: Wir waren in Pakistan ich habe Urdu und Englisch in Pakistan gelernt. Es sind auch jetzt meine Mutter und meine zwei Brüder in Pakistan. Mehr kann ich nicht sagen.
Vorhalt: Ihr Bruder hat im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme angegeben, dass Ihr Halbbruder Ihren Vater erschossen hätte. Sie haben heute im krassen Widerspruch dazu behauptet, dass weder Sie noch jemand aus Ihrer Familie wüsste, wer Ihren Vater umgebracht hat. Was sagen Sie dazu?
Antwort: Niemand hat es gesehen wer meinen Vater umgebracht hat. Es hat jedoch immer wieder Streit in unseren Familien gegeben, weil mein Vater drei Frauen hatte. Es sind nach seinem Tod die Gerüchte umgegangen, dass ein Sohn ihn getötet hätte. Aber es hat niemand gesehen.
Vorhalt: Sie haben heute angegeben, dass Ihre Familie Probleme gehabt hätte, weil Ihr Vater Mitglied der kommunistischen Partei gewesen wäre. Ihr Vater wäre aufgrund dessen auch ermordet worden. Ihre Angaben stehen immer wieder im krassen Widerspruch zu den Angaben Ihres Bruders. Was sagen Sie dazu?
Antwort: Mein Bruder hat nicht gelogen. Er hat das gesagt, weil die Gerüchte umgegangen sind. Ich bin jedoch der Meinung, dass kein Sohn seinen Vater umbringen würde.
Vorhalt: Ihr Bruder hat im Zuge seiner Einvernahme mehrmals ganz konkret angegeben, dass sein Halbbruder seinen Vater ermordet hätte. Weiters hat Ihr Bruder noch angegeben, dass sein Halbbruder auch auf ihn geschossen hätte. Ihr Bruder hat mit keinem Wort erwähnt, dass Ihr Vater bei einer kommunistischen Partei gewesen wäre und Ihre Familie deswegen Probleme gehabt hätte. Was sagen Sie dazu?
Antwort: Ich habe Beweise, dass mein Vater bei der kommunistischen Partei war.
Frage: Welche Beweismittel haben Sie?
Vermerk: Der Antragsteller legt eine Kopie eines Ausweises von seinem Vater vor. Lt. Übersetzung handelt es sich dabei um einen Art Ausweis vom Innenministerium für Ordnung und Sicherheit. Er legt weiters eine Kopie eines Dankesschreibens der Regierung vor. Außerdem legt er noch eine Bestätigung von einer Medaillenverleihung vor.
Frage: Was wollen Sie mit diesen Beweismitteln beweisen?
Antwort: Ich möchte damit beweisen, dass mein Vater bei der kommunistischen Partei war, dass er Beamter war und bei der Regierung tätig war. Ich bin mir sicher, dass mein Vater wegen seiner Tätigkeiten umgebracht worden ist. In Afghanistan gilt die Vergeltung und die ganze Familie muss dafür büßen und deshalb sind alle Familienmitglieder in Gefahr.
Vorhalt: Ihr Bruder hat im Zuge seiner niederschriftlichen
Einvernahme Folgendes angegeben: Am Tag bevor mein Vater getötet wurde, waren wir bei meinem Großvater. Dort hat ein Halbbruder von mir mit einer Pistole vom Dach aus auf meinen Vater geschossen. Er hat meinen Vater nicht getroffen und ist geflüchtet. Am nächsten Tag hat es dieser Halbbruder geschafft, meinen Vater während des Gebets in der Moschee zu erschießen. Was sagen Sie dazu?
Antwort: Wie bereits gesagt gab es in unseren Familien schon immer Streit. Aber kein Sohn kann seinen Vater umbringen. Außerdem hätte dieser auch gewusst wo der Vater wohnt. Sie würden nie einen aus der Familie umbringen.
Vorhalt: Sie haben angegeben, dass Ihre gesamte Familie in Gefahr sei. Trotzdem ist Ihre Familie nach der Ermordung Ihres Vaters noch ein Jahr in Afghanistan geblieben. Außerdem sind Sie auch erst nach fünf Jahren geflüchtet. Weiters befindet sich sogar Ihre Schwester noch in Afghanistan. Ihre gesamten Angaben sind absolut nicht plausibel und nachvollziehbar! Was sagen Sie dazu?
Antwort: Wir musste ein Jahr in Afghanistan bleiben, weil wir kein Geld hatten um vorher zu flüchten. In den fünf Jahren in Pakistan gingen meine zwei Brüder zur Arbeit. Sie haben auch immer ihren Arbeitsplatz gewechselt. Ich und die Frauen durften das Haus nicht verlassen. Die Schwester war sehr jung als sie geheiratet hat und sie sind woanders hingezogen.
Frage: Gab es jemals irgendwelche Übergriffe auf Sie persönlich?
Antwort: Nein, weil ich die Wohnung nie verlassen durfte.
Frage: Sie haben heute angegeben, dass die zwei anderen Frauen Ihres Vaters auch in Pakistan leben würden. Hat Ihre Familie noch Kontakt mit ihnen?
Antwort: Nein wir haben keinen Kontakt mehr seit mein Vater tot ist. Ich weiß auch nicht wo sie sich aufhalten.
Frage: Hat die Polizei wegen dem Tod Ihres Vaters ermittelt?
Antwort: Ja der Bruder war bei der Polizei und die Polizei hat gesagt sie werden ihn finden. Aber ich weiß nicht ob der Täter gefunden wurde.
Frage: Haben Sie - außer dem bisher vorgebrachten Sachverhalt - weitere Gründe Ihrer Flucht vorzubringen?
Antwort: Ich habe alles gesagt.
Frage: Sind Sie in Ihrem Heimatland vorbestraft?
Antwort: Nein.
Frage: Wurden Sie in Ihrer Heimat jemals festgenommen oder verhaftet?
Antwort: Nein.
Frage: Haben Sie in Ihrem Heimatland strafbare Handlungen begangen?
Antwort: Nein.
Frage: Sind oder waren Sie jemals Mitglied einer politischen Partei?
Antwort: Nein.
Frage: Waren Sie - außerhalb einer politischen Partei - in Ihrem Heimatland jemals politisch aktiv tätig?
Antwort: Nein.
Frage: Hatten Sie in Ihrem Heimatland jemals Probleme mit der Polizei, einem Gericht oder einer anderen staatlichen Behörde?
Antwort: Nein, weder noch.
Frage: Wurden Sie in Ihrem Heimatland von staatlicher Seite jemals wegen Ihrer Religion, Ihrer Volksgruppe oder Rasse verfolgt?
Antwort: Nein, weder noch.
Frage: Wurden Sie in Ihrer Heimat von staatlicher Seite wegen Ihrer politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe jemals verfolgt?
Antwort: Nein, weder noch.
Frage: Was konkret befürchten Sie für den Fall Ihrer Rückkehr in Ihr Heimatland?
Antwort: Ich bin mir sicher, dass ich umgebracht werde.
Frage: Von wem und warum sollten Sie umgebracht werden?
Antwort: Wir werden wegen meinem Vater umgebracht. Mein Vater hat gegen diese Gruppierungen gearbeitet die jetzt an der Macht sind. Ich würde von den Feinden meines Vaters umgebracht werden.
Frage: Hätten Sie Probleme mit der Polizei oder anderen Behörden im Falle Ihrer Rückkehr?
Antwort: Ja.
Frage: Von welchen finanziellen Mitteln leben Sie hier in Österreich?
Antwort: Von der Sozialhilfe.
Frage: Leben Sie in einem gemeinsamen Haushalt mit Ihrem Bruder?
Antwort: Ja ich lebe mit meinem Bruder gemeinsam in einer privaten Wohnung.
Frage: Seit wann leben Sie mit Ihrem Bruder in einem Haushalt?
Antwort: Ich lebe seit ungefähr einem Monat bei meinem Bruder. Ich bin direkt von Thalham zu meinem Bruder gefahren.
Frage: Arbeitet Ihr Bruder?
Antwort: Nein. Er bekommt auch Sozialhilfe.
Frage: Werden Sie von Ihrem Bruder unterstützt?
Antwort: Nein. Wir bekommen beide Sozialhilfe und jeder hat sein eigenes Geld.
Frage: Haben Sie in Österreich nahe Angehörige, wenn ja, in welchem Verwandtschaftsgrad stehen Sie zu dieser/diesen Person/Personen?
Antwort: Ich habe meinen Bruder hier in Österreich. Sonst habe ich niemanden.
Erklärung: Wenn Sie möchten, werden Ihnen die gesamten Feststellungen des Bundesasylamtes zur allgemeinen Lage in Ihrer Heimat zur Kenntnis gebracht. Sie haben die Möglichkeit dazu im Rahmen des Parteiengehörs Stellung zu nehmen.
Antwort: Ja ich bitte darum.
Feststellung:
Politischer Prozess/Sicherheitslage
Auf der Verfassungsgebenden Großen Ratsversammlung, die vom 14. Dezember 2003 bis 4. Januar 2004 in Kabul zusammenkam, wurde nach dreiwöchiger Beratung eine neue Verfassung verabschiedet. Die Verfassung sieht ein Präsidialsystem vor; die wichtigsten Grundrechte sind gewährleistet, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen wurde festgeschrieben. Afghanistan erhielt damit eine auch im regionalen Kontext moderne und demokratische Verfassung. Auf der internationalen Afghanistan-Konferenz in Berlin am 31. März/1. April 2004 hat die internationale Gemeinschaft ihr Afghanistan-Engagement auch für die kommenden Jahre bekräftigt. Am 24.12.2004 wurde eine 28 Mitglieder (darunter 3 Frauen) umfassende Regierung der Islamischen Republik Afghanistan vereidigt. In Afghanistan wurde erstmalig in der Geschichte des Landes am 09.10.2004 das Staatsoberhaupt in allgemeiner, freier und geheimer Wahl gewählt. Der Wahlprozess lief unter überwältigender Beteiligung der Bevölkerung geordneter als erwartet und vor allem ohne eklatante sicherheitsrelevante Zwischenfälle ab. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 80% der Wahlberechtigten (insgesamt 8,12 Mio. Wähler, davon ca. 40% Frauen). Bedenkt man die in Afghanistan gegebene Ausgangslage nach fast einem Vierteljahrhundert Krieg und Bürgerkrieg, ist dies eine bemerkenswerte Leistung. In allen Teilen des Landes hat sich die Bevölkerung dankbar für die Entwicklung und die internationale Unterstützung gezeigt. Die afghanische Wahlbehörde (Joint Electoral Management Body, JEMB) verkündete nach Abschluss der Stimmauszählung das amtliche Endergebnis am 03.11.2004. Danach hat Präsident Karzai mit 55,4% der abgegebenen gültigen Stimmen die Wahl eindeutig für sich entschieden. Auf dem zweiten und dritten Platz folgen der ehemalige Erziehungsminister Qanooni und der Hazaraführer und ehemalige Planungsminister Mohaqqeq mit 16,3% bzw. 11,7% der Stimmen. General Dostum erreichte mit 10,0% der abgegebenen Stimmen Platz 4. Zur Wahl gestellt hatten sich 18 Präsidentschaftskandidaten, darunter eine Frau. 2 Kandidaten hatten ihre Kandidatur ca. 1 Woche vor der Wahl zurückgezogen. Die Sicherheitslage war sehr angespannt, da es in den der Wahl vorausgehenden Wochen verschiedentlich zu Anschlägen gekommen war. Es war ein großer Erfolg, dass es den Taliban entgegen ihrer Ankündigung nicht gelungen ist, den Wahlprozess zu unterbrechen. Am Wahltag selbst blieben sicherheitsrelevante Zwischenfälle im Wesentlichen aus. Allseits Anerkennung dafür wurde den Sicherheitskräften gezollt: Im Rahmen des so genannten Electoral Security Operations Centre (ESOC) war ein präzises, zwischen VN, JEMB, afghanischer Polizei, afghanischem Militär, ISAF, OEF und privaten Sicherheitsdiensten etc. abgestimmtes Sicherheitskonzept ausgearbeitet worden. (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, 07.2006)
Am 18.09.2005 fanden in Afghanistan die ersten Parlamentswahlen für die Dschirga und den 34 Provinzräten statt. Für die 249 Sitze des Parlaments (68 per Quote für Frauen) gab es 2.800 Kandidaten (330 Frauen), für die Provinzräte über 3.000. Trotz Anschlagsdrohungen ließen sich 12,7 der 28 Millionen Afghanen registrieren. Zur Wahl gingen schließlich 6,8 Millionen, was einer Wahlbeteiligung von etwa 54% entspricht. Die Wahl wurde international als Erfolg gewertet und bildet damit den Abschluss des Bonner Prozesses. (Konrad Adenauer Stiftung, Wahlen in Afghanistan, 09.2005) Am Wahltag kam es - ähnlich wie bei den Präsidentschaftswahlen - kaum zu sicherheitsrelevanten Vorfällen. Die Wahlbeteiligung lag bei über 50 %. Auf Provinzebene wurde der Gang zur Wahlurne z. T. erheblich manipuliert. Unregelmäßigkeiten wurden auch während des Auszählprozesses - vor allem in den Süd- und Ostprovinzen festgestellt (in Paktika wurden daher 13,7% der Wahlurnen annulliert, in Kandahar 6,9%).
(Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage,07.2006)
Die Sicherheitslage stellt sich regional sehr unterschiedlich dar. Sie variiert von Distrikt zu Distrikt. Während terroristische Aktivitäten im Süden und Osten des Landes aus zumeist ideologischen Motiven direkt gegen die Zentralregierung bzw. die internationale Gemeinschaft gerichtet sind, kann die Sicherheitslage im Norden und Westen durch rivalisierende lokale Machthaber und Milizenführer, die häufig in Drogenhandel und andere kriminelle Machenschaften verstrickt sind, beeinträchtigt sein.
(Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, 07.2006)
Im Vergleich hierzu weist Kabul eine relativ stabile Sicherheitslage auf, die zwar weiterhin fragil, aber aufgrund der ISAF-Präsenz im regionalen Vergleich zufrieden stellend ist. Sie wurde vom United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) seit Mitte 2002 für freiwillige Rückkehrer als "ausreichend sicher" bezeichnet. (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, 07.2006) Insbesondere ISAF ist in der Lage in Kabul einen bedeutenden Beitrag zur Sicherheitslage zu leisten, auch wenn Anschläge und regional begrenzte Sicherheitsprobleme in der Hauptstadt nicht ausgeschlossen werden können.
(UK Home Office, Country Report 2006, 04.2006)
In den paschtunischen Provinzen im Süden und Südosten des Landes kommt es regelmäßig zu Kampfhandlungen, in die auch internationale Truppen involviert sind. (Zuletzt massive Kämpfe Ende April 2006, sowie jüngst im Juni/Juli 2006 mit zahlreichen Toten). Die Lage verschärft sich insbesondere durch die mittlerweile wieder sehr gut organisierten Taliban Kämpfer, sowie das fehlende Machtmonopol der Zentralregierung. In der Region um Herat ist die Lage insofern besser als es zu keinen systematischen Kampfhandlungen mehr kommt. Die Lage bleibt jedoch sehr angespannt, auch wenn Berichte über Menschenrechtsverletzungen seit der Ablösung von Ismail Khan als Provinzgouverneur zurückgegangen sind. Trotz aller Probleme ist die Regierung bemüht staatliche Strukturen wie Justiz und Exekutive aufzubauen. Dennoch sind die augenblicklich verfügbaren Strukturen z. B. des Justiz- oder des Polizeiapparates nicht ausreichend, um von einer funktionierenden Verwaltung oder Justiz sprechen zu können. In Afghanistan wird der Aufbau entsprechender Strukturen neben der anhaltend schlechten Sicherheitslage, insbesondere dadurch erschwert, dass das grundsätzliche Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Strukturen völlig fehlt und man z.B. bei der Rechtssprechung außerhalb der Ballungszentren nach wie vor auf traditionelle Streitschlichtungsmechanismen setzt.
(siehe UK Home Office, Country Report Afghansiatn, 04.2006; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, 07.2006)
Ende April 2006 kam es das erste Mal seit langer Zeit wieder zu einem Aufflammen der Kampfhandlungen zwischen amerikanischen und afghanischen Sicherheitskräften auf der einen und Taliban Kämpfern auf der anderen Seite. Die Kämpfe forderten zahlreiche Todesopfer auf Seiten der Talibangruppen.
(UK Home Office, Country Report Afghanistan, 04.2006; Die Welt, Heftige Kämpfe in Afghanistan, 26.04.2006)
Schutzfähigkeit der Behörden
In verschiedenen Landesteilen herrschen große wie kleine lokale Kriegsfürsten und Kommandanten, die sich teilweise ihre eigenen staatsähnlichen Institutionen geschaffen haben. Der ausgeprägten Stammesmentalität entsprechend, wähnt sich jeder von ihnen als souveräner Herr über sein Territorium, gleich ob dies eine Stadt oder eine ganze Provinz umfasst. Traditionell bedeutet dies, dass ein solcher Herrscher sowohl eigene Krieger unterhält als auch für die praktische Umsetzung des Rechts und die Einhaltung der öffentlichen Ordnung verantwortlich ist; mithin also eine eigene Armee unterhält und in seinem eigenen Gebiet auch Polizeiaufgaben wahrnimmt und Gefängnisse unterhält. Das 'Gewaltmonopol' liegt also nach traditioneller Auffassung in den Händen des jeweiligen Lokalherrschers. In den 34 Provinzen außerhalb Kabuls haben staatliche Organe wie Polizei und Regierung noch wenig sichtbaren Einfluss und kaum Legitimität. In verschiedenen Landesteilen herrschen lokale Kriegsfürsten und Kommandanten, die sich teilweise ihre eigenen staatsähnlichen Institutionen geschaffen haben. Afghanistan besitzt seit Jänner 2004 eine neue Verfassung, aber in vielen Landesteilen gibt es weiterhin noch kein funktionierendes Justizsystem. Der Zugang zu Gerichten (Oberster Gerichtshof, Appellationsgerichte und Gerichte auf unterer Ebene) ist begrenzt. Außerhalb Kabuls werden etwa 70 Prozent aller zivilrechtlichen und strafrechtlichen Fälle gewohnheitsrechtlich vor der Dorf-Shura (Rat lokaler islamischer Gelehrter) verhandelt. Tribale Strukturen und Sitten, vermischt mit islamischer Tradition, bestimmen nach wie vor weitaus stärker das öffentliche Leben als die "Projekte" militärischer oder ziviler Helfer aus dem Ausland.
(Michael Kirschner, SFH Länderanalyse vom 03.02.2006, U.K. Home Office Country of Origin Information Service - Afghanistan, 04.2006;, BAMF - THB Afghanistan, November 2005)
Der Aufbau des Justizsystems in Afghanistan ist in jedem Fall noch im Aufbau begriffen und vielfach sind die Strukturen und die praktische Bedeutung der Justiz im täglichen Leben noch unzureichend. Dies liegt einerseits am mangelnden Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz als auch an der Unerfahrenheit des Personals und unzureichenden Strukturen.
(US Department of State, Country Report Afghanistan, 03.2006)
Daher kann ebenso wie es an funktionierenden Verwaltungsstrukturen fehlt, nicht von einem funktionierenden Justizwesen gesprochen werden. Es besteht keine Einigkeit über die Gültigkeit und damit Anwendbarkeit von Rechtssätzen. Zudem fehlt es an einer Ausstattung mit Sachmitteln und geeignetem und ausgebildetem Personal sowie in Einzelfällen am Willen, den theoretisch vorgegebenen Rechtsweg einzuhalten. Eine Strafverfolgung lokaler Machthaber außerhalb Kabuls wegen Übergriffen ist praktisch nicht möglich. Auf dem Land wird die Richterfunktion in der Regel von lokalen Räten (Shuras) übernommen.
(Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage,07.2006)
Im Jahr 2010 soll Afghanistan über eine Armee (Afghan National Army) von 140.000 Mann verfügen, bereits Ende 2006 über 70.000. Im März 2005 waren 22 000 Mann unter Waffen. Aufgabe ist es, die "Enduring Freedom-Kräfte" zu unterstützen, aber auch, die regionalen Machthaber zu entwaffnen. Anfänge werden mit den illegalen Milizen gemacht. Dabei wird versucht, öffentliche Strukturen zu schaffen, in welche die Milizionäre eingebunden werden sollen. Über 60.000 Milizionäre wurden bereits entwaffnet. Laut UN Angaben sind bis jetzt 53.400 Männer und Frauen zu Polizisten/innen ausgebildet worden, darunter rund 17.700 Polizeioffiziere. Zu den Aufgaben des Aufbaus gehört auch, korrupte und staatsfeindliche Personen aufzuspüren und auszuschalten. Der Polizeiapparat kann die Sicherheit im gesamten öffentlichen Raum noch nicht gewährleisten, wenngleich erhebliche Fortschritte gemacht wurden. Nicht zuletzt hängt das mit der Korruption zusammen, die das gesamte öffentliche Leben durchsetzt.
(Michael Kirschner, SFH Länderanalyse vom 03.02.2006, Informationsverbund Asyl e.V. und Stiftung Pro Asyl, vom Juni 2005)
Anlässlich der Doha- Konferenz vom 18./19. Mai 2004 über die regionale Polizeizusammenarbeit und den Wiederaufbau der afghanischen Polizei haben die Teilnehmerstaaten (darunter die Nachbarstaaten Afghanistans, die Staaten des Golf-Kooperationsrates, die EU sowie die lead nations USA, Großbritannien, Italien und Japan) die "Doha Declaration on Regional Police Cooperation" beschlossen. Zugleich haben die Geberstaaten als Ergebnis der Einwerbung während der Konferenz für die Jahre 2004 - 2007 eine Gesamtsumme von ca. 350 Millionen US-Dollar für den Polizeiaufbau in Aussicht gestellt. Im Februar 2006 fand unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen die Doha II-Konferenz zur Stabilisierung Afghanistans statt. Gegenstand der Konferenz waren der gemeinsame Polizeiaufbau in Afghanistan und die Einrichtung eines modernen Grenzmanagements unter Mitwirkung der Anrainerstaaten Afghanistans. Zum weiteren Auf- und Ausbau der afghanischen Polizei wurden von den Teilnehmerstaaten wichtige Entscheidungen für die Modernisierung der Strukturen der afghanischen Grenz-, Kriminal-, Anti-Terrorismussowie Fernstraßen- und uniformierten Polizeieinheiten getroffen.
(Bundesministerium des Innern , Stabilisierung Afghanistans durch Doha II erheblich vorangekommen, Dezember 2005)
Der Militär-, Polizei- und Justizapparat befindet sich im Aufbau. Kabul wird von der Regierung mit Hilfe der ISAF kontrolliert, und die Regierung in Kabul ist innerhalb ihres Einflussgebietes willens und - unter Berücksichtigung, dass die Forderung nach einem lückenlosen Schutz an einer wirklichkeitsnahen Einschätzung der Effizienz staatlicher Schutzmöglichkeiten vorbeiginge - grundsätzlich auch in der Lage, Schutz vor allfälligen Verfolgungshandlungen zu bieten. Dies betrifft weitgehend auch das Justizsystem. (Michael Kirschner, SFH Länderanalyse vom 03.02.2006, U.K. Home Office Country of Origin Information Service - Afghanistan, 04.2006; BAMF - THB Afghanistan, November 2005)
Innerstaatliche Fluchtmöglichkeiten in Afghanistan
Viele Frauen und Männer können die per Verfassung garantierte Bewegungsfreiheit auch in der Praxis ausüben. Afghanen siedeln vom ländlichen Bereich in größere Städte, um dort Arbeit und Wohnungen zu finden. In den meisten Städten besteht die Population aus einem Mix verschiedener ethnischer Gruppen. In manchen Provinzen ist die Bewegungsfreiheit allerdings eingeschränkt, vor allem für Frauen. So ist es Frauen vor allem in ländlichen Regionen verboten ohne männliche Begleitung zu reisen, in manchen Gebieten dürfen sie nicht einmal das Haus alleine verlassen. Für die Ausstellung eines Reisepasses ist den Frauen per Gesetz eine Zustimmung/Bewilligung eines männlichen Familienmitglieds vorgeschrieben. Darüber hinaus besteht ein Gesetz wonach Frauen nicht alleine außerhalb des Landes ohne männliche Begleitung reisen dürfen.
(US Department of State, Country Reports 2005, 03.2006)
Die Möglichkeit sich bei Zuzug aus einem anderen Teil Afghanistans sich in Kabul eine wirtschaftliche Existenzgrundlage zu schaffen ist in der Regel immer dann möglich, wenn die betroffene Person bereits über bestimmte persönliche Kontakte in Kabul verfügt. Wie weit interne Fluchtmöglichkeiten für verfolgte Personen grundsätzlich gegeben sind, hängt daher auch von deren Verbindungen in die Verwaltung, dem Einfluss des familiären Netzwerks, von familienübergreifenden Kontakten sowie von Kontakten innerhalb bestimmter Gemeinschaften ab. (Michael Kirschner, SFH Länderanalyse vom 03.02.2006; U.K. Home Office Country of Origin Information Service - Afghanistan, 04.2006;, Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) - Bericht über die Lage von Binnenvertriebenen, vom Dezember 2005; BAMF - THB Afghanistan, November 2005)
Ehemalige Kommunisten
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die afghanische Übergangsregierung unter Präsident Karzai ehemalige Kommunisten verfolgt. Eine Gefährdung - auch an Leib und Leben - hochrangiger früherer Repräsentanten der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA, mit Parcham- wie Khalq-Flügel) bzw. herausragender Militärs und Polizeirepräsentanten sowie des Geheimdienstes Khad der kommunistischen Zeit durch Teile der Bevölkerung kann allerdings als mögliche Reaktion auf frühere Menschenrechtsverletzungen nicht ausgeschlossen werden. (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, 07.2006)
Einzelne Personen, die mit der People's Democratic Party of Afghanistan (PDPA) in Zusammenhang gebracht werden, können auch heute noch einer Gefährdung unterliegen. Das Gefährdungsrisiko hängt ab von den individuellen Umständen, dem familiären Hintergrund, dem beruflichen Profil, persönlichen Verbindungen und den Menschenrechtsverletzungen des kommunistischen Regimes zwischen 1979 und 1992. Akzeptiert von Stammesangehörigen, kehrten vor den Wahlen zahlreiche Ex-Kommunisten zurück, die während der Sowjet-Besatzung hohe Posten in der Regierung oder den Sicherheitsdiensten innehatten. Viele frühere Mitglieder der PDPA genießen heute Schutz und haben Verbindungen zu heute starken Fraktionen oder Individuen. Einfachen Mitgliedern der DVPA (Demokratische Volkspartei Afghanistans) oder Anhängern des Nadjibullah-Regimes, die sich nicht in einer herausgehobenen Position befanden, drohen in Afghanistan allein auf Grund ihrer früheren Betätigung für Partei oder Regierung grundsätzlich keine Verfolgungsmaßnahmen seitens der Regierung oder Racheakte von dritter Seite. Eine Gefahr besteht für hochrangige Kommunisten nur dann, wenn sie als Mitglieder des Zentralkomitees, von Stadt- oder Distriktkomitees der DVPA oder als Vorsitzende oder hochrangige Mitglieder von Organisationen der DVPA (z.B. Jugend-, Frauenorganisation) auf Landes-, Provinz-, Stadt- oder Distriktebene bekannt sind oder wenn sie mit Menschenrechtsverletzungen während des kommunistischen Regimes in Zusammenhang gebracht werden können. Das Gleiche gilt für Mitglieder der früheren Streitkräfte, der Polizei oder des Geheimdienstes. Schweizerische Flüchtlingshilfe
(erstellt von Michael Kirschner, SFH Länderanalyse vom 03.02.2006) / BAMF - THB Afghanistan, vom November 2005, UK Home Office, Operational Guidance Note, 01.2006)
Frage: Was sagen Sie dazu?
Antwort: Ja es gibt ein Gesetz und einen Präsidenten in Afghanistan aber in Wahrheit funktioniert das Ganze nicht so wie es sollte. Es sind auch einige die während der Taliban bei der Regierung waren in der jetzigen Regierung vertreten. Es herrscht Korruption. Ich bin auch nicht der Meinung, dass in Kabul derart große Sicherheit herrscht. Mein Vater wurde ermordet und meine Brüder angeschossen. Die Kommunisten werden nicht direkt vom Staat verfolgt das stimmt sie haben private Feinde.
Frage: Die Befragung wird hiermit beendet. Wollen Sie zu Ihrem Asylverfahren sonst noch etwas vorbringen, was Ihnen von Bedeutung erscheint?
Antwort: Mein Bruder ist seit 3,5 Jahren hier und durfte nur 52 Stunden arbeiten. Ich bitte darum, dass ich hier bleiben darf, Arbeit bekomme und ein geregeltes Leben führen kann."
Mit Bescheid vom 23. Jänner 2007, Zl. 06 10.856-BAI, hat das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers vom 10. Oktober 2007 gemäß § 3 Absatz 1 Asylgesetz 2005 abgewiesen und ihm den Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I), ihm weiters gemäß § 8 Absatz 1 Ziffer 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zuerkannt (Spruchpunkt II) und zudem Herrn H.S. gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan ausgewiesen (Spruchpunkt III). Diesen Bescheid hat das Bundesasylamt wie folgt begründet:
"Im Verfahren brachte der ASt. die im Akt ersichtlichen Beweismittel in Vorlage.
Zu Afghanistan wird Folgendes festgestellt:
(Staatendokumentation Stand 02.08.2006)
Politischer Prozess/Sicherheitslage
Auf der Verfassungsgebenden Großen Ratsversammlung, die vom 14. Dezember 2003 bis 4. Januar 2004 in Kabul zusammenkam, wurde nach dreiwöchiger Beratung eine neue Verfassung verabschiedet. Die Verfassung sieht ein Präsidialsystem vor; die wichtigsten Grundrechte sind gewährleistet, die Gleichberechtigung von Männern und Frauen wurde festgeschrieben. Afghanistan erhielt damit eine auch im regionalen Kontext moderne und demokratische Verfassung. Auf der internationalen Afghanistan-Konferenz in Berlin am 31. März/1. April 2004 hat die internationale Gemeinschaft ihr Afghanistan-Engagement auch für die kommenden Jahre bekräftigt. Am 24.12.2004 wurde eine 28 Mitglieder (darunter 3 Frauen) umfassende Regierung der Islamischen Republik Afghanistan vereidigt.
In Afghanistan wurde erstmalig in der Geschichte des Landes am 09.10.2004 das Staatsoberhaupt in allgemeiner, freier und geheimer Wahl gewählt. Der Wahlprozess lief unter überwältigender Beteiligung der Bevölkerung geordneter als erwartet und vor allem ohne eklatante sicherheitsrelevante Zwischenfälle ab. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 80% der Wahlberechtigten (insgesamt 8,12 Mio. Wähler, davon ca. 40% Frauen). Bedenkt man die in Afghanistan gegebene Ausgangslage nach fast einem Vierteljahrhundert Krieg und Bürgerkrieg, ist dies eine bemerkenswerte Leistung. In allen Teilen des Landes hat sich die Bevölkerung dankbar für die Entwicklung und die internationale Unterstützung gezeigt.
Die afghanische Wahlbehörde (Joint Electoral Management Body, JEMB) verkündete nach Abschluss der Stimmauszählung das amtliche Endergebnis am 03.11.2004. Danach hat Präsident Karzai mit 55,4% der abgegebenen gültigen Stimmen die Wahl eindeutig für sich entschieden. Auf dem zweiten und dritten Platz folgen der ehemalige Erziehungsminister Qanooni und der Hazaraführer und ehemalige Planungsminister Mohaqqeq mit 16,3% bzw. 11,7% der Stimmen. General Dostum erreichte mit 10,0% der abgegebenen Stimmen Platz 4. Zur Wahl gestellt hatten sich 18 Präsidentschaftskandidaten, darunter eine Frau. 2 Kandidaten hatten ihre Kandidatur ca. 1 Woche vor der Wahl zurückgezogen.
Die Sicherheitslage war sehr angespannt, da es in den der Wahl vorausgehenden Wochen verschiedentlich zu Anschlägen gekommen war. Es war ein großer Erfolg, dass es den Taliban entgegen ihrer Ankündigung nicht gelungen ist, den Wahlprozess zu unterbrechen. Am Wahltag selbst blieben sicherheitsrelevante Zwischenfälle im Wesentlichen aus. Allseits Anerkennung dafür wurde den Sicherheitskräften gezollt: Im Rahmen des so genannten Electoral Security Operations Centre (ESOC) war ein präzises, zwischen VN, JEMB, afghanischer Polizei, afghanischem Militär, ISAF, OEF und privaten Sicherheitsdiensten etc. abgestimmtes Sicherheitskonzept ausgearbeitet worden.
(Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, 07.2006)
Am 18.09.2005 fanden in Afghanistan die ersten Parlamentswahlen für die Dschirga und den 34 Provinzräten statt. Für die 249 Sitze des Parlaments (68 per Quote für Frauen) gab es 2.800 Kandidaten (330 Frauen), für die Provinzräte über 3.000. Trotz Anschlagsdrohungen ließen sich 12,7 der 28 Millionen Afghanen registrieren. Zur Wahl gingen schließlich 6,8 Millionen, was einer Wahlbeteiligung von etwa 54% entspricht. Die Wahl wurde international als Erfolg gewertet und bildet damit den Abschluss des Bonner Prozesses.
(Konrad Adenauer Stiftung, Wahlen in Afghanistan, 09.2005)
Am Wahltag kam es - ähnlich wie bei den Präsidentschaftswahlen - kaum zu sicherheitsrelevanten Vorfällen. Die Wahlbeteiligung lag bei über 50 %. Auf Provinzebene wurde der Gang zur Wahlurne z. T. erheblich manipuliert. Unregelmäßigkeiten wurden auch während des Auszählprozesses - vor allem in den Süd- und Ostprovinzen festgestellt (in Paktika wurden daher 13,7% der Wahlurnen annulliert, in Kandahar 6,9%).
(Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage,07.2006)
Die Sicherheitslage stellt sich regional sehr unterschiedlich dar. Sie variiert von Distrikt zu Distrikt. Während terroristische Aktivitäten im Süden und Osten des Landes aus zumeist ideologischen Motiven direkt gegen die Zentralregierung bzw. die internationale Gemeinschaft gerichtet sind, kann die Sicherheitslage im Norden und Westen durch rivalisierende lokale Machthaber und Milizenführer, die häufig in Drogenhandel und andere kriminelle Machenschaften verstrickt sind, beeinträchtigt sein.
(Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, 07.2006)
Im Vergleich hierzu weist Kabul eine relativ stabile Sicherheitslage auf, die zwar weiterhin fragil, aber aufgrund der ISAF-Präsenz im regionalen Vergleich zufrieden stellend ist. Sie wurde vom United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) seit Mitte 2002 für freiwillige Rückkehrer als "ausreichend sicher" bezeichnet.
(Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, 07.2006)
Insbesondere ISAF ist in der Lage in Kabul einen bedeutenden Beitrag zur Sicherheitslage zu leisten, auch wenn Anschläge und regional begrenzte Sicherheitsprobleme in der Hauptstadt nicht ausgeschlossen werden können.
(UK Home Office, Country Report 2006, 04.2006)
In den paschtunischen Provinzen im Süden und Südosten des Landes kommt es regelmäßig zu Kampfhandlungen, in die auch internationale Truppen involviert sind. (Zuletzt massive Kämpfe Ende April 2006, sowie jüngst im Juni/Juli 2006 mit zahlreichen Toten). Die Lage verschärft sich insbesondere durch die mittlerweile wieder sehr gut organisierten Taliban Kämpfer, sowie das fehlende Machtmonopol der Zentralregierung.
In der Region um Herat ist die Lage insofern besser als es zu keinen systematischen Kampfhandlungen mehr kommt. Die Lage bleibt jedoch sehr angespannt, auch wenn Berichte über Menschenrechtsverletzungen seit der Ablösung von Ismail Khan als Provinzgouverneur zurückgegangen sind.
Trotz aller Probleme ist die Regierung bemüht staatliche Strukturen wie Justiz und Exekutive aufzubauen. Dennoch sind die augenblicklich verfügbaren Strukturen z.B. des Justiz- oder des Polizeiapparates nicht ausreichend, um von einer funktionierenden Verwaltung oder Justiz sprechen zu können. In Afghanistan wird der Aufbau entsprechender Strukturen neben der anhaltend schlechten Sicherheitslage, insbesondere dadurch erschwert, dass das grundsätzliche Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Strukturen völlig fehlt und man z.B. bei der Rechtssprechung außerhalb der Ballungszentren nach wie vor auf traditionelle Streitschlichtungsmechanismen setzt.
(siehe UK Home Office, Country Report Afghansiatn, 04.2006; Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevanten Lage, 07.2006)
Ende April 2006 kam es das erste Mal seit langer Zeit wieder zu einem Aufflammen der Kampfhandlungen zwischen amerikanischen und afghanischen Sicherheitskräften auf der einen und Taliban Kämpfern auf der anderen Seite. Die Kämpfe forderten zahlreiche Todesopfer auf Seiten der Talibangruppen.
(UK Home Office, Country Report Afghanistan, 04.2006; Die Welt, Heftige Kämpfe in Afghanistan, 26.04.2006)
Schutzfähigkeit der Behörden
In verschiedenen Landesteilen herrschen große wie kleine lokale Kriegsfürsten und Kommandanten, die sich teilweise ihre eigenen staatsähnlichen Institutionen geschaffen haben. Der ausgeprägten Stammesmentalität entsprechend, wähnt sich jeder von ihnen als souveräner Herr über sein Territorium, gleich ob dies eine Stadt oder eine ganze Provinz umfasst. Traditionell bedeutet dies, dass ein solcher Herrscher sowohl eigene Krieger unterhält als auch für die praktische Umsetzung des Rechts und die Einhaltung der öffentlichen Ordnung verantwortlich ist; mithin also eine eigene Armee unterhält und in seinem eigenen Gebiet auch Polizeiaufgaben wahrnimmt und Gefängnisse unterhält. Das 'Gewaltmonopol' liegt also nach traditioneller Auffassung in den Händen des jeweiligen Lokalherrschers.
In den 34 Provinzen außerhalb Kabuls haben staatliche Organe wie Polizei und Regierung noch wenig sichtbaren Einfluss und kaum Legitimität. In verschiedenen Landesteilen herrschen lokale Kriegsfürsten und Kommandanten, die sich teilweise ihre eigenen staatsähnlichen Institutionen geschaffen haben.
Afghanistan besitzt seit Jänner 2004 eine neue Verfassung, aber in vielen Landesteilen gibt es weiterhin noch kein funktionierendes Justizsystem.
Der Zugang zu Gerichten (Oberster Gerichtshof, Appellationsgerichte und Gerichte auf unterer Ebene) ist begrenzt. Außerhalb Kabuls werden etwa 70 Prozent aller zivilrechtlichen und strafrechtlichen Fälle gewohnheitsrechtlich vor der Dorf-Shura (Rat lokaler islamischer Gelehrter) verhandelt. Tribale Strukturen und Sitten, vermischt mit islamischer Tradition, bestimmen nach wie vor weitaus stärker das öffentliche Leben als die "Projekte" militärischer oder ziviler Helfer aus dem Ausland.
(Michael Kirschner, SFH Länderanalyse vom 03.02.2006, U.K. Home Office Country of Origin Information Service - Afghanistan, 04.2006;, BAMF - THB Afghanistan, November 2005)
Der Aufbau des Justizsystems in Afghanistan ist in jedem Fall noch im Aufbau begriffen und vielfach sind die Strukturen und die praktische Bedeutung der Justiz im täglichen Leben noch unzureichend. Dies liegt einerseits am mangelnden Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz als auch an der Unerfahrenheit des Personals und unzureichenden Strukturen.