A3 251.819-0/2008/7E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Vorsitzende und den Richter Mag. Günther LAMMER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin WILHELM über die Beschwerde der M.T., geb. 00.00.1983, StA. Äthiopien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.07.2004, FZ. 04 07.626-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. 1. Die (nunmehrige) Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Äthiopiens, reiste am 15.04.2004 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte in weiterer Folge am darauf folgenden Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Sie wurde hiezu am 10.05.2004 niederschriftlich einvernommen.
2. Zur Begründung ihres Asylantrages brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, aufgrund familiärer Probleme das Land verlassen zu haben. Konkret wäre sie bereits im Alter von sechs Jahren einem älteren Mann versprochen worden, habe sich jedoch in späteren Jahren in einen äthiopischen Juden namens "F." verliebt. Als die Familie der im Betreff Genannten von dieser Beziehung erfahren hätte, habe sie Letztgenannten mit Waffen bedroht und beschimpft. Im April 2003 wären die Antragstellerin und ihr Geliebter jedoch in einem Park überrascht worden und "wurde dabei auf meinen Freund geschossen (Seite 49 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes)." Obwohl massiver Druck auf die Beschwerdeführerin seitens ihrer Angehörigen ausgeübt worden sei, habe diese sich weiterhin mit ihrem Geliebten getroffen. Ihre Brüder hätten daraufhin das Geschäft ihres Auserwählten niedergebrannt und sei dem Paar kein anderer Ausweg mehr offengestanden, als das Land mit Unterstützung der Eltern ihres Freundes endgültig zu verlassen. Im Falle ihrer Rückkehr nach Äthiopien befürchte die im Betreff Genannte von ihren Verwandten ermordet zu werden.
3. Das Bundesasylamt wies in weiterer Folge den Asylantrag mit dem angefochtenen Bescheid vom 19.07.2004 in Spruchteil I. unter Berufung auf § 7 AsylG idF BGBl. I Nr. 126/2002 ab; in Spruchteil
II. stellte es fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Äthiopien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG idF BGBl. I Nr. 101/2003 zulässig sei und wies unter einem in Spruchteil III. die Antragstellerin gemäß § 8 Abs. 2 leg. cit. aus dem Bundesgebiet aus.
4. Gegen diesen Bescheid erhob die im Betreff Genannte Vertreter fristgerecht Berufung (nunmehr Beschwerde).
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG 2005 (Art. 2 BG BGBl. I 100/2005) sind "[A]lle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des AsylG 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."
Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997 (in der Folge: AsylG) i. d. F. der AsylG-Nov. 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die ab dem 01.05.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG in der jeweils geltenden Fassung, di. nunmehr die Fassung der AsylG - Nov. 2003, zu führen.
Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter (1.) über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und (2.) Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
Soweit sich aus dem B-VG, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, sind gemäß § 22 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
2. Gemäß § 23 Abs. 1 AsylG i. d. F. der AsylG - Nov. 2003 ist auf Verfahren nach dem AsylG, soweit nicht anderes bestimmt ist, das AVG anzuwenden (vgl. auch Art. II Abs. 2 lit. D Z 43 a EGVG). Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein Verfahren vor dem Bundesasylamt mit nachgeordneter Kontrolle durch den Asylgerichtshof eingerichtet. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es ist gemäß § 19 Abs. 2 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren vor dem Bundesasylamt unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor den Asylgerichtshof verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es das Kontrollorgan ist, das erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass es die umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Dies spricht auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens dafür, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen. Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem in ständiger Rechtsprechung, etwa in den Erkenntnissen vom 21.11.2002, Zahlen 2000/20/0084 und 2002/20/0315 Kriterien für die Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG im Asylberufungsverfahren vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat aufgestellt, wonach die verfassungsrechtliche Funktion des damaligen Unabhängigen Bundesasylsenats als einer obersten Berufungsbehörde ausgehöhlt würde und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert würde, "wenn sich das Asylverfahren einem erstinstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf das Verfahren einzuführen."
Gleiches muss für den nunmehr als Nachfolgebehörde des Unabhängigen Bundesasylsenates eingerichteten Asylgerichtshof gelten, der über Bescheide der Verwaltungsbehörden in Asylsachen erkennt und somit eine überprüfende Funktion einnimmt.
3. Im vorliegenden Fall hat es das Bundesasylamt nicht für erforderlich erachtet, sich über die aktuelle Lage im Herkunftsland der Beschwerdeführerin in einem ausreichenden Maße sowie die Situation von Anhängern des jüdischen Glaubens und gemischtkonfessionellen Paaren zu informieren. Um die Situation der Antragstellerin korrekt zu beurteilen, müssen nicht nur detaillierte Feststellungen über die gegenwärtigen Verhältnisse in Äthiopien eingeführt, sondern darüber hinaus auch die ins Treffen geführten Behauptungen einer eingehenden Prüfung, allenfalls durch geeignete Ermittlungen der Österreichischen Botschaft vor Ort, unterzogen werden. Die daraus resultierenden Ergebnisse werden einer neuerlichen inhaltlichen Auseinandersetzung seitens der erstinstanzlichen Behörde zugrundezulegen sein.
Es ist zudem nicht möglich, die Situation der Beschwerdeführerin korrekt zu beurteilen, wenn nicht in ausreichendem Maße Feststellungen über ihre Möglichkeit, sich anderwärtig in Äthiopien niederzulassen, ins Verfahren eingeführt werden. Das Bundesasylamt ist - ebenso wie der Asylgerichtshof - als Spezialbehörde verpflichtet, sich über die Situation und die Entwicklungen in Äthiopien Kenntnis zu verschaffen und im Einzelfall entsprechende Feststellungen zu treffen. Nur anhand solcher Feststellungen ist es möglich zu beurteilen, ob die im Betreff Genannte - aus Gründen, die in der GFK genannt sind - verfolgt wird. Diese Feststellungen wären mit der Beschwerdeführerin zu erörtern; daraus könnte sich die Notwendigkeit ergeben, sie neuerlich zu seinen persönlichen Umständen einzuvernehmen. Damit liegt aber eine der Voraussetzungen vor, die § 66 Abs. 2 AVG normiert: dass nämlich die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheine; denn ob es sich um eine kontradiktorische Verhandlung oder um eine bloße Einvernahme handelt, macht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keinen Unterschied (VwGH
v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084 mwN; VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315; VwGH v. 11.12.2003, Zl. 2003/07/0079).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung (VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315; ähnlich auch VwGH v. 12.12.2002, Zl. 2000/20/0236; VwGH v. 30.09.2004, Zl. 2001/20/0135) ausgeführt hat, ist in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet; dabei kommt dem Asylgerichtshof - einer unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens - die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zu (Art. 129 c Abs. 1 B-VG i. d. F. vor Art. 1 Z 5 BG BGBl. I 100/2005). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln, und es ist gem. § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Beschwerdeführer dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen würden aber unterlaufen, wenn ein Ermittlungsverfahren in erster Instanz unterbliebe und somit nahezu das gesamte Verfahren vor den Asylgerichtshof verlagert würde, sodass die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen zur bloßen Formsache degradiert würde. Das wäre etwa der Fall, wenn es das Bundesasylamt ablehnte, auf das Vorbringen des Beschwerdeführers sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen. Es liegt nicht im Sinne des Gesetzes, wenn es die Berufungsbehörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und beurteilt, sodass sie ihre umfassende Kontrollbefugnis nicht wahrnehmen kann. Dies spricht auch bei Bedachtnahme auf eine mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens dafür, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.
Das Bundesasylamt hat es unterlassen, sowohl "brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Situation im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen" (VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; vgl. auch VwGH v. 30.09.2004, Zl. 2001/20/0135), als auch geeignete Ermittlungen vor Ort einzuleiten. Hätte es das getan und diese Ergebnisse mit dem Beschwerdeführer erörtert, so hätte es ihn unter Umständen neuerlich vernehmen müssen, um den Sachverhalt weiter aufzuhellen. Die Vernehmung durch die Erstbehörde würde dezentral stattfinden; auch dies ist unter dem Gesichtspunkt der Kostenersparnis zu berücksichtigen (VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084; VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315). Der Asylgerichtshof kommt daher zu dem Ergebnis, dass eine Vielzahl von Umständen dafür spricht, nach § 66 Abs. 2 AVG vorzugehen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.