S10 402761-1/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde der minderjährigen M.S., geboren am 00.00.1997, StA. Russische Föderation, gesetzliche Vertreterin deren Mutter I.Z., geboren am 00.00.1979, diese vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, 1090 Wien, Pulverturmgasse 4/2/R1, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 23.10.2008, Zahl: 08 08.741-EAST Ost, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 und 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
1. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1.1. Die minderjährige Beschwerdeführerin (in der Folge BF) ist Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehört der tschetschenischen Volksgruppe an. Sie reiste gemeinsam mit ihrem Vater M.A., geboren am 00.00.1974, ihrer Mutter I.Z., geboren am 00.00.1979, ihrer Schwester M.Z., geboren am 00.00.2000 und ihrem Bruder M.D., geboren am 00.00.2006, am 17.09.2008 illegal mit einem polnischen Taxilenker in Österreich ein, wurde von der Grenzpolizeiinspektion Laa aufgegriffen und festgenommen und stellte hier am 18.09.2008, vertreten durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin, einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Im Zuge der niederschriftlichen Befragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Grenzpolizeiinspektion Laa am 18.09.2008 gaben der Vater und die Mutter der BF übereinstimmend im Wesentlichen Folgendes an:
Sie hätten ihren Heimatort G.per Zug über U. am 13.09.2008 nach Moskau verlassen, seien von dort nach Minsk und Brest nach Weißrussland und von dort am 16.09.2008 nach Polen gefahren, wo sie bei der Passkontrolle um Asyl angesucht hätten. Sie hätten in Polen Landsleute kennengelernt, die ihnen den Rat gegeben hätten, gleich mit dem Taxi nach Österreich weiterzufahren. Sie hätten Verwandte in Österreich. Der Vater der BF wäre zuckerkrank.
Als Fluchtgrund wurde angegeben, dass das Militär in Tschetschenien den Vater der BF aufgrund seines Onkels mehrmals mitgenommen, verhört und bedroht habe. Sie hätten Angst vor dem Militär.
1.2. Ein AFIS-Abgleich ergab, dass der Vater der BF bereits am 16.09.2008 in Lublin (Polen) im Zuge der Stellung eines Asylantrages erkennungsdienstlich behandelt worden war. Ein Eurodac-Ergebnis für die Mutter der BF konnte nicht erzielt werden, da die Qualität der Fingerabdrucke für eine Übermittlung unzureichend waren. Da aber nach eigenen Angaben beide Personen (die Mutter der BF zusätzlich als gesetzliche Vertreterin für ihre 3 Kinder) in Lublin bereits einen Asylantrag gestellt hatten, wurde am 23.09.2008 ein Wiederaufnahmeersuchen gemäß der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates (in der Folge Dublin II VO) an Polen betreffend alle 5 Personen gerichtet. Da die erstinstanzliche Behörde ein Vorgehen nach § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 (in der Folge AsylG) beabsichtigte, wurde der Mutter der BF als gesetzlicher Vertreterin mit Schreiben vom 25.09.2008, übernommen am 26.09.2008 mitgeteilt, dass seit 23.09.2008 Konsultationen mit Polen gemäß Dublin II VO geführt würden und somit die 20-Tages-Frist gemäß § 28 Abs. 2 AsylG für Verfahrenszulassungen nicht mehr gelte.
Mit Erklärung vom 25.09.2009 erklärten sich die polnischen Behörden gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO zur Führung des gegenständlichen Asylverfahrens der BF und ihrer Familie als zuständig und zur Wiederaufnahme bereit.
1.3. Nach einer ärztlichen Untersuchung der Mutter der BF am 03.10.2008 durch Frau Dr. I.H., Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, stellte diese in ihrer gutachtlichen Stellungnahme fest, dass aus aktueller Sicht zwar eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege, einer Überstellung nach Polen aber keine schweren psychischen Störungen entgegenstünden, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden.
Nach Angabe der Mutter der BF sei im Herkunftsstaat ein Sohn gestorben, da sie zu spät ins Krankenhaus gekommen sei. Die Kinder hätten "keine sichtbaren" Probleme, nur die älteste sei schüchtern.
Die Sachverständige erstellte den Befund, dass bei der Mutter der BF zur Zeit eine Anpassungsstörung, F. 43.21, längere depressive Reaktion, im Sinne einer verlängerten Trauerreaktion, vermutlich größtenteils wegen Verlust des Kindes, bestehe. Es bestünden keine Hinweise auf Vernachlässigung der eigenen Interessen, keine die Vitalfunktionen gefährdenden Symptome und keine Selbstgefährdung.
1.4. Die Untersuchung des Vaters der BF am selben Tag durch dieselbe Sachverständige ergab bei diesem ebenfalls, dass aus aktueller Sicht zwar eine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung vorliege, einer Überstellung nach Polen aber keine schweren psychischen Störungen entgegenstünden, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würden.
Den Ablauf beim Tod seines damals 1 1/2-jährigen Sohnes schilderte der Vater der BF etwas anders als die Mutter der BF (laut Mutter sei er nicht wegen der Abholung des Vaters gestorben, sondern sei damals bereits krank gewesen und habe gefiebert). Der Vater der BF gab an, an insulinpflichtiger Diabetes Mellitus (Zuckerkrankheit) zu leiden. Er müsse seit ca. 13 Jahren Insulin spritzen. Die Sachverständige hielt fest, dass der Vater der BF einige Tage vor der Untersuchung von den KollegInnen ins Krankenhaus zur Einstellung und Einschulung überwiesen worden sei, da der Verdacht auf mangelhafte Blutzucker-Einstellung bestehe. Er sei bisher nicht dorthin gefahren, daher werde er vom praktischen Arzt heute neuerlich ins Krankenhaus Baden geschickt.
Laut Angabe des Vaters der BF esse er sehr viel und schlafe nur etappenweise 2 bis 3 Stunden täglich. Er habe gelegentlich Kreislaufbeschwerden sowie Zittern der Beine beim Hinlegen.
Die Sachverständige kam zum Befund, dass beim Vater der BF eine Schlafstörung, wahrscheinlich nicht organischer Ursache, bestehe, dadurch Tagesmüdigkeit, F.51 nach ICD-10. Es bestünden keine Hinweise auf Vernachlässigung der eigenen Interessen, keine die Vitalfunktionen gefährdenden Symptome, keine Selbstgefährdung. Sie empfehle bei Anhalten der Schlafstörungen eventuell schlafanstoßendes Antidepressivum. Im Vordergrund stünde derzeit die ausreichend gute Blutzuckereinstellung, die Maßnahmen seien eingeleitet worden.
1.5. Am 00.00.2008 wurde der Vater der BF im Landesklinikum Baden, Abteilung Innere Medizin, zur Blutzuckereinstellung stationär aufgenommen und am 00.00.2008 wieder entlassen. Regelmäßige Kontrollen wurden empfohlen.
1.6. Bei ihrer Einvernahme am 22.10.2008 in der Erstaufnahmestelle Ost zur Wahrung des Parteiengehörs (im Beisein eines Rechtsberaters und eines Dolmetsch für die russische Sprache) brachte die Mutter der BF im Wesentlichen Folgendes vor:
In Österreich würden auch ihr Bruder, eine Tante, zwei Onkel und die Großmutter leben. Der Bruder sei schon über ein Jahr hier. Es bestehe kein regelmäßiger Kontakt zwischen ihr und ihrem Bruder, im Herkunftsland hätten sie sich damals bereits mehrere Jahre nicht gesehen. Auch zu ihren anderen hier lebenden Verwandten hätte sie kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis, sie sei 1996 nach ihrer Heirat zu ihrem Mann gezogen. Sie lebe gemeinsam mit ihrem Mann und ihren 3 Kindern. Die Verwandten seien alle schon seit etwa fünf Jahren in Österreich. Sie stünden sich nahe.
Vor einer Überstellung nach Polen hätte sie Angst, sie hätten viel gehört. Es sei das Gleiche, ob sie in Polen seien oder zu Hause.
Der Vater der BF brachte bei seiner Einvernahme am 22.10.2008 in der Erstaufnahmestelle Ost zur Wahrung des Parteiengehörs (im Beisein eines Rechtsberaters und eines Dolmetsch für die russische Sprache) im Wesentlichen Folgendes vor:
Seine Frau habe Verwandte in Österreich, einen Bruder und eine Tante. Der Bruder sei seit etwa zwei Jahren hier. Er lebe gemeinsam mit seiner Frau und den Kindern. Er wisse sei 1993, das er an Diabetes leide, sei in Behandlung, gebe sich selbst Spritzen und gehe regelmäßig zur Kontrolle.
Vor einer Überstellung nach Polen hätte er Angst um seine Familie, vor allem vor den Leuten des Kadirov, sie hätten freien Zugang in Polen. Das hätte er von anderen Leuten gehört. Sie würden Leute nach Russland zurückbringen, konkrete Beispiele könne er nicht nennen. In Polen seien sie nicht ins Lager gefahren.
1.7. Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 23.10.2008, Zahl: 08 08.741-EAST Ost, zugestellt am 29.10.2008, den Antrag der BF auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und gleichzeitig ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung nach Polen zulässig sei.
Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zur Person der BF, zur Begründung des Dublin-Tatbestandes, zu ihrem Privat- und Familienleben, zum polnischen Asylverfahren im Allgemeinen, zur Rechtslage und -praxis in Polen, zum Tschetschenen-Refoulement, zur Anerkennungsquote sowie zur allgemeinen und medizinischen Versorgung von Asylwerbern in Polen.
Festgestellt wurde weiters, dass die Ausweisung der BF weder einen Eingriff in Art. 3 noch Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (in der Folge EMRK) darstelle.
Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass die gesundheitlichen Feststellungen auf den angegebenen ärztlichen Gutachten und Erhebungen, und die Feststellungen zum Dublin-Wiederaufnahmestaat Polen auf unbedenklichen seriösen Quellen beruhten. Diesen stünden nach eigenen Angaben des Vaters und der Mutter der BF als gesetzlicher Vertreterin lediglich Bedenken entgegen, die sie von anderen nicht genannten Personen gehört hätten. Die Feststellungen bezüglich der Asylantragstellung in Polen und des Privat- und Familienlebens gründeten sich auf den unbedenklichen Akteninhalt.
1.8. Gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhoben der Vater und die Mutter der BF, bezüglich ihrer Kinder als gesetzliche Vertreterin, mit Schreiben ohne Datum, eingebracht am 12.11.2008 per Post, bei der Erstbehörde eingelangt am 14.11.2008, fristgerecht gleichlautende Beschwerde in allen 5 Verfahren wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger und rechtswidriger Entscheidung aufgrund von mangelhafter Verfahrensführung und beantragten, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
In der Begründung dazu wurde behauptet, dass Polen ungeeignet sei zur Bearbeitung der Asylanträge. Des Weiteren sei der Familienvater an Diabetes erkrankt und hätte in Polen keine geeignete Behandlung erhalten können. Die BeschwerdeführerInnen hätten persönliche Gründe vorgebracht, die jedenfalls den Gebrauch des Selbsteintrittsrechts Österreichs auslösen müssten. Schließlich sei die Situation der tschetschenischen Flüchtlinge in Polen generell schlecht, weshalb - wie aktuelle Berichte bestätigen würden - eine Abschiebung dorthin aus Gründen des Art. 3 EMRK unzulässig wäre. Die Behörde hätte offenbar überhaupt keine konkreten Erhebungen angestellt, die Länderfeststellungen seien nicht genügend ausgeglichen sondern tendenziös, die Behörde habe keine Experten herangezogen und die aus Art. 8 EMRK resultierenden Schutzbereiche seien nicht sämtlich und ausreichend überprüft worden.
Beigelegt wurden ACCORD-Anfragebeantwortungen an das österreichische Rote Kreuz betreffend den russischen Geheimdienst in Polen sowie die Versorgungslage von AsylwerberInnen und die Situation tschetschenischer AsylwerberInnen in Polen.
1.9. Die Beschwerde langte am 19.11.2008 beim Asylgerichtshof ein.
2. Rechtliche Beurteilung und Beweiswürdigung:
Rechtlich ergibt sich Folgendes:
2.1. Mit 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 4/2008) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.
Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.
Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG gilt der Antrag eines Familienangehörigen eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 4 AsylG Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.
Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben, gilt diese gemäß § 36 Abs. 3 AsylG auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.
Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.
Aus der Wendung in § 34 Abs. 4 zweiter Satz AsylG, Familienverfahren seien "unter einem" zu führen, ist abzuleiten, dass diese - jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation - von derselben Behörde zu führen sind. Demgemäß gehen die Materialien zum AsylG 2005 davon aus, dass Ziel der Bestimmungen des § 34 AsylG sei, Familienangehörigen den gleichen Schutz zu gewähren, ohne ihnen ein Verfahren im Einzelfall zu verwehren. Wenn einem Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, solle "dieser allen anderen Familienmitgliedern - im Falle von offenen Verfahren zur gleichen Zeit von der gleichen Behörde - zuerkannt werden" (Erläuterungen zur RV, 952 BlgNR XXII. GP; vgl. zu § 10 Abs. 5 AsylG 1997 - bezogen auf die Frage der Zulassung - auch VwGH 18.10.2005, Zl. 2005/01/0402).
Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das Grundprinzip ist, dass Drittstaatsangehörigen das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren in einem Mitgliedstaat zukommt, jedoch nur in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.
Gemäß Art. 14 lit. a Dublin II VO ist für den Fall, dass mehrere Mitglieder einer Familie in demselben Mitgliedstaat gleichzeitig einen Asylantrag stellen, für die Prüfung der Asylanträge sämtlicher Familienmitglieder der Mitgliedstaat zuständig, der nach den Kriterien für die Aufnahme des größten Teils der Familienmitglieder zuständig ist.
Gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO ist der Mitgliedstaat, der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist, gehalten, einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 wiederaufzunehmen.
2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und 15 Dublin II VO bzw. dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.
2.1.1.1. Das aufgrund des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II VO eingeleitete Aufnahmeersuchen an Polen erfolgte innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Antrages auf internationalen Schutz durch die BF (Art. 17 Abs. 1 Dublin II VO).
Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt zutreffend festgestellt, dass eine Zuständigkeit Polens gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO besteht. Polen hat mit Schreiben vom 25.09.2008 ausdrücklich der Wiederaufnahme der BF zugestimmt. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.
Der Sachverhalt wurde von der Erstbehörde genau festgestellt. Die Unterstellung desselben unter den Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II VO ist ohne komplizierte Überlegungen möglich und ist durch die im Bescheid der Erstbehörde vorgenommene Bezugnahme eindeutig und ohne Schwierigkeiten nachvollziehbar. Es liegt daher auch diesbezüglich kein Verfahrensmangel vor.
Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, dass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl. auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006,
Zl. 2005/20/0444).
2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher - wie auch in der Beschwerde geltend gemacht - noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.
Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.
Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK (Verbot der Folter) widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl. 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl. auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0449).
Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung, ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen worden ist (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13 zu Art. 19 Dublin II VO).
Weiters hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:
Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.
Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.
Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung von einem in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen. Diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebotes (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren, verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K8-K13 zu Art. 19).
Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).
Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der EU als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten, wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.
2.1.2.1. Polnisches Asylverfahren, mögliche Verletzung des Art. 3
EMRK
Im gegenständlichen Fall kann nicht gesagt werden, dass die gesetzliche Vertreterin der BF ausreichend substantiiert und glaubhaft dargelegt hätte, dass der BF auf Grund der persönlichen Situation ausnahmsweise durch eine Rückverbringung nach Polen entgegen der Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG die - über eine bloße Möglichkeit hinausgehende - Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung drohen würde (sog. "real risk"). Die gesetzliche Vertreterin der BF beschränkte sich im Wesentlichen darauf vorzubringen, dass sie vor einer Überstellung nach Polen Angst hätten, sie hätten viel gehört.
Zu diesem Vorbringen hat die gesetzliche Vertreterin der BF keine konkreten Beweise oder Belege vorgelegt. Die in der Beschwerde vorgelegten Anfragebeantwortungen vermögen die unbedenklichen und aus seriösen Quellen stammenden, der Mutter der BF zur Kenntnis gebrachten Feststellungen über die Situation von Asylwerbern in Polen, wonach finanzielle und medizinische Grundversorgung sowie Sicherheit gewährleistet sind, nicht zu entkräften und hat sie die Erstbehörde daher zu Recht ihrer Entscheidung zugrundegelegt.
Dem Vorbringen, der Vater des BF hätte in Polen keine geeignete Behandlung seiner Diabetes erhalten können, steht entgegen, dass er dies auch gar nicht versucht hat. Die Familie ist im Gegenteil sofort nach Österreich weitergereist.
Die Widerlegung der in § 5 Abs. 3 AsylG normierten Rechtsvermutung ist der BF damit nicht gelungen.
2.1.2.2. Medizinische Aspekte
Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (in der Folge EGMR) zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn dort wegen fehlender Behandlung schwerer Krankheiten eine existenzbedrohende Situation drohen und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO auszuüben wäre.
In diesem Zusammenhang ist vorerst auf die jüngste diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR zur Frage einer ausreichenden medizinischen Behandlung in Zusammenhang mit Art. 3 EMRK zu verweisen:
GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06
AYEGH gg. Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05
PARAMASOTHY gg. NIEDERLANDE, 10.11.2005, Rs 14492/03
RAMADAN & AHJREDINI gg. Niederlande, 10.11.2005, Rs 35989/03
HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05
OVDIENKO gg. Finnland, 31.05.2005, Rs 1383/04
AMEGNIGAN gg. Niederlande, 25.11.2004, Rs 25629/04
NDANGOYA gg. Schweden, 22.06.2004, Rs 17868/03
Aus dieser Rechtsprechung ergeben sich folgende Judikaturlinien:
Der Umstand, dass die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielland schlechter sind als im Aufenthaltsland und allfälligerweise "erhebliche Kosten" verursachen, ist nicht ausschlaggebend. In der Entscheidung HUKIC gg. Schweden, 27.09.2005, Rs 17416/05 wurde die Abschiebung des am Down-Syndrom leidenden Beschwerdeführers nach Bosnien-Herzegowina für zulässig erklärt und wurde ausgeführt, dass die Möglichkeit der medizinischen Versorgung in Bosnien-Herzegowina gegeben sei. Dass die Behandlung in Bosnien-Herzegowina nicht den gleichen Standard wie in Schweden aufweise und unter Umständen auch kostenintensiver sei, sei nicht relevant. Notwendige Behandlungsmöglichkeiten wären gegeben und dies sei jedenfalls ausreichend. Im Übrigen hielt der Gerichtshof fest, dass ungeachtet der Ernsthaftigkeit eines Down-Syndroms diese Erkrankung nicht mit den letzten Stadien einer tödlich verlaufenden Krankheit zu vergleichen sei.
Dass sich der Gesundheitszustand durch die Abschiebung verschlechtert ("mentaler Stress" ist nicht entscheidend), ist vom Antragsteller konkret nachzuweisen, bloße Spekulationen über die Möglichkeit sind nicht ausreichend. In der Beschwerdesache OVDIENKO gg. Finnland vom 31.05.2005, Nr. 1383/04, wurde die Abschiebung des Beschwerdeführers, der seit 2002 in psychiatrischer Behandlung war und der selbstmordgefährdet ist, für zulässig erklärt; mentaler Stress durch eine Abschiebungsdrohung in die Ukraine ist kein ausreichendes "real risk".
Auch Abschiebungen psychisch kranker Personen nach mehreren Jahren des Aufenthalts im Aufenthaltsstaat können in Einzelfällen aus öffentlichen Interessen zulässig sein (vgl. PARAMSOTHY gg. Niederlande, 10.11.2005, Rs 14492/05; mit diesem Judikat des EGMR wurde präzisiert, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach neunjährigem Aufenthalt in den Niederlanden, welcher unter posttraumatischem Stresssyndrom leidet und bereits einen Selbstmordversuch hinter sich hat, zulässig ist, da spezielle Programme für Behandlungen von traumatisierten Personen und verschiedene therapeutische Medizin in Sri Lanka verfügbar sind, auch wenn sie nicht den selben Standard haben sollten wie in den Niederlanden).
In besonderem Maße instruktiv für die Frage, ob eine posttraumatische Belastungsstörung oder andere schwere psychische Erkrankungen einer Abschiebung in den Herkunftsstaat entgegenstehen, sind die beiden erst jüngst ergangenen Entscheidungen AYEGH gg. Schweden, 07.11.2006, Rs 4701/05 und GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06.
Im ersteren Fall ging es um eine iranische Asylwerberin, bei der von zwei psychiatrischen Gutachtern unabhängig von einander schwere psychische Störungen in Gestalt von schweren Depressionen, akuten Selbstmordgedanken und ein multikausales Trauma infolge diverser Erlebnisse diagnostiziert worden waren. Ein Gutachter war zu dem Ergebnis gekommen, dass für die Beschwerdeführerin im Falle einer Abschiebung in den Iran ein reales Risiko eines Selbstmordes bestand [...] Die gegen die Abschiebung der Beschwerdeführerin in deren Herkunftsstaat Iran erhobene Beschwerde mit der Begründung eine solche verstoße infolge des schlechten Gesundheitszustandes der BW gegen Art. 3 EMRK, wies der EGMR ab. [...]
Der Entscheidung GONCHAROVA & ALEKSEYTSEV gg. Schweden, 03.05.2007, Rs 31246/06 lag ua. der Fall zugrunde, dass der Zweitbeschwerdeführer - ein russischer Asylwerber, der drei (!) Selbstmordversuche begangen bzw. mehrere Aufenthalte in der Psychiatrie hinter sich hatte und dem von Gutachern einhellig eine schwere psychische Erkrankung ua. in Gestalt einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie eine akute Selbstmordgefährdung bescheinigt worden war - seine Abschiebung nach Russland mit dem Hinweis auf seinen schlechten und infolge aktueller Suizidgefahr lebensbedrohlichen Gesundheitszustand in Beschwerde zog. Auch diese Beschwerde wies der EGMR mit einer über weite Strecken identen Begründung wie in der Entscheidung AYEGH gg. Schweden ab. [...]
Die dargestellten Entscheidungen zeigen deutlich, dass bei Vorliegen von Erkrankungen im Allgemeinen nur solche relevant sind, die bekanntermaßen zu einem lebensbedrohlichen Zustand führen und grundsätzlich keine Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bestehen (siehe dazu nunmehr auch VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9).
Aus diesen Judikaturlinien des EGMR leitet sich der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab ab. Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK-Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.
Nach den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid leiden weder die BF, noch die Mutter, der Vater oder die Geschwister der BF an einer schweren körperlichen oder ansteckenden Krankheit oder an einer schweren psychischen Störung, welche bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würde (dies steht auch im Einklang mit den unter Punkt 1.3. und 1.4. angeführten gutachtlichen Stellungnahmen vom 03.10.2008 sowie zu den Ausführungen unter Punkt 1.5.). Derartiges wurde von der Mutter und vom Vater der BF selbst auch nicht behauptet.
2.1.2.3. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK
Im konkreten Fall sind auch der Bruder der Mutter der BF sowie nach ihrer Angabe weitere Verwandte in Österreich aufhältig. Zu diesem Bruder (wie auch zu den anderen Verwandten) besteht aber nach Angabe der Mutter der BF kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis, zumal die Mutter der BF seit ihrer Heirat im Jahr 1996 gemeinsam mit ihrem Mann und ihren Kindern (siehe oben Punkt 1.1.) zusammenlebt. Deren Anträge auf internationalen Schutz werden ebenfalls - wie auch jener der BF - zurückgewiesen.
Bei der vorzunehmenden Interessensabwägung stehen daher den nicht ausgeprägten Interessen der BF an einem Verbleib in Österreich - auch in Hinblick auf die sehr kurze Aufenthaltszeit in Österreich von unter einem halben Jahr - überwiegende gegenteilige Interessen gegenüber. Auch aufgrund der illegalen Einreise der BF und ihrer Familie in das österreichische Bundesgebiet überwiegt im vorliegenden Fall vielmehr das öffentliche Interesse am Vollzug eines geordneten Fremdenwesens, und ist die BF bei einer Überstellung nach Polen in ihrem durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nicht verletzt.
2.1.2.4. Im Ergebnis stellt daher eine Überstellung der BF und ihrer Familie nach Polen weder eine Verletzung des Art. 3 EMRK noch des Art. 8 EMRK dar und besteht somit auch kein Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II VO.
2.1.3. Spruchpunkt I. der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.
2.2. Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II. waren ebenfalls zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind - wie schon zu Spruchpunkt I. ausgeführt - keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Polen in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erscheinen ließen. Die Ausweisung erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.
2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.