TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/26 C9 314917-1/2008

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Veröffentlicht am 26.11.2008
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Spruch

C9 314917-1/2008/7E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Dr. René BRUCKNER als Vorsitzenden und den Richter Mag. Daniel LEITNER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Tanja ANTOVIC über die Beschwerde der G. H., geb. 00.00.1969, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.09.2007, FZ. 06 03.781-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.11.2008 zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird s t a t t g e g e b e n und G. H. gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten z u e r k a n n t.

 

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass G. H. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

 

I.1. Verfahrensgang

 

1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge: Bf.) stellte bei der Österreichischen Botschaft in Islamabad (Pakistan) einen Antrag auf Gewährung desselben Schutzes wie für ihren in Österreich lebenden Ehegatten sowie einen Antrag auf Einreise in Österreich. Dieser Antrag langte am 04.04.2006 beim Bundesasylamt ein.

 

Die Bf. reiste am 20.03.2007 per Flugzeug legal mit einem vom Generalkonsulat der Islamischen Republik Afghanistan in Peshawar (Pakistan) am 00.00.2005 ausgestellten Reisepass und einem darin befindlichen, von der Österreichischen Botschaft in Islamabad (Pakistan) ausgestellten Visum D von Peshawar kommend über Doha (Katar) am Flughafen Wien-Schwechat in Österreich ein. Die Bf. brachte am 21.03.2007 beim Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen (in der Folge: EAST Ost), einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge: AsylG 2005), ein.

 

Am gleichen Tag fand in der EAST Ost vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung der Bf. statt.

 

Die Bf. wurde am 11.06.2007 nach Zulassung des Asylverfahrens vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Graz (in der Folge: BAG) niederschriftlich einvernommen.

 

Das BAG wies mit Bescheid vom 14.09.2007, AZ. 06 03.781-BAG, zugestellt am 18.09.2007, den Antrag auf internationalen Schutz der Bf. gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab und erkannte ihr den Status der Asylberechtigten nicht zu (Spruchpunkt I), erkannte der Bf. gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm. § 34 Abs. 3 AsylG 2005 den Status der subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II) und erteilte ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 09.02.2008 (Spruchpunkt III).

 

2. Gegen den og. Bescheid des BAG richtet sich die beim BAG am 20.09.2007 fristgerecht eingelangte Berufung an den Unabhängigen Bundesasylsenat (in der Folge: UBAS) vom 19.09.2007. Die Bf. beantragte, der Berufung gegen Spruchpunkt I gemäß § 3 AsylG 2005 Folge zu geben und ihr den Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen.

 

3. Der nunmehr zuständige Senat C9 des Asylgerichtshofes führte in der gegenständlichen Rechtssache am 11.11.2008 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die Bf. teilnahm. Ein Vertreter des Bundesasylamtes nahm an der Verhandlung nicht teil.

 

I.2. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens

 

I.2.1. Beweisaufnahme

 

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch:

 

Einsicht in den dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt des BAG (OZ 1), beinhaltend die Niederschriften der Erstbefragung vom 21.03.2007 und der Einvernahme vom 11.06.2007 sowie die Berufung der Bf. vom 19.09.2007.

 

Einvernahme der Bf. im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof (OZ 6Z), Einsicht in die von der Bf. in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Dokumente sowie Einsicht in die als Anlagen zum Akt genommenen Kopien von Bestätigungen über den Besuch mehrerer Deutschkurse (Anlage ./A) und einer Schulbesuchsbestätigung des mj. Sohnes O. J. der Bf. (Anlage ./B).

 

mündliches Gutachten des Sachverständigen Dr. S. R. in der mündlichen Verhandlung vom 11.11.2008 (OZ 6Z).

 

Einsicht in folgende, in der mündlichen Verhandlung eingebrachte Dokumentationsquellen betreffend den Herkunftsstaat der Bf.:

 

Deutsches Auswärtiges Amt, "Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand: Februar 2008)" vom 07.03.2008 (in der Folge: DAA, Bericht 2008).

 

UK Home Office - UK Border Agency, "Country of Origin Information Report Afghanistan" vom 02.04.2008 (in der Folge: UKHO, Afghanistan 2008).

 

US Department of State, "Country Reports on Human Rights Practices - 2007, Afghanistan" vom 11.03.2008 (in der Folge: USDS, Afghanistan 2007).

 

UNHCR, "Die Sicherheitslage in Afghanistan mit Blick auf die Gewährung ergänzenden Schutzes", UNHCR Kabul vom 18.06.2008 (in der Folge: UNHCR, Sicherheitslage 2008).

 

UNHCR, "UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender", Jänner 2008 (in der Folge: UNHCR, Richtlinien afghanischer Asylsuchender 2008).

 

UNHCR, "UNHCR Country Briefing Folder on Afghanistan" vom März 2007 (in der Folge: UNHCR, Afghanistan 2007).

 

South Asia Human Rights Index 2008.

 

Deutsches Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, "Islamistischer Extremismus und Terrorismus - Militante Organisationen und Strukturen", Band 3 Asien, Teil 1: Afghanistan, Bangladesch, Iran, Pakistan" vom September 2007 (in der Folge: BAMF, Islamistischer Extremismus und Terrorismus - Afghanistan 2007).

 

Bundesasylamt, "Feststellung Afghanistan - Staatsaufbau und Sicherheitslage" vom 19.04.2007 (in der Folge: BAA, Afghanistan - Staatsaufbau 2007).

 

Bundesasylamt, "Feststellung Afghanistan - Die Lage in Kabul" vom 19.04.2007 (in der Folge: BAA, Afghanistan - Die Lage in Kabul 2007).

 

Bundesasylamt, "Feststellung Afghanistan - Rückkehrfragen" vom 19.04.2007 (in der Folge: BAA, Afghanistan - Rückkehrfragen 2007).

 

Bundesasylamt, "Feststellung Afghanistan - Justiz und Menschenrechte" vom 19.04.2007 (in der Folge: BAA, Afghanistan - Justiz und Menschenrechte 2007).

 

Schweizerisches Bundesamt für Migration, "Focus Afghanistan - Zur aktuellen Sicherheitslage" vom 19.11.2007 (BFM, Focus Afghanistan 2007).

 

Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Afghanistan Update: Aktuelle Entwicklungen" von Corinne Troxler Gulzar vom 21.08.2008 (in der Folge: SFH, Afghanistan Update 2008).

 

Schweizerische Flüchtlingshilfe, "Afghanistan Update" von Corinne Troxler vom 11.12.2006 (in der Folge: SFH, Afghanistan Update 2006).

 

International Crisis Group, "Afghanistan: The Need For International Resolve", Asia Report Nr. 145 vom 06.02.2008 (in der Folge: ICG, Afghanistan 2008).

 

Afghanistan Independent Human Rights Commission, "Economic and Social Rights in Afghanistan II" vom August 2007 (in der Folge: AIHRC, Afghanistan 2007).

 

Amnesty international Deutschland, "ai Jahresbericht 2007 - Afghanistan" (Berichtszeitraum: 01.01. bis 31.12.2006) (in der Folge: ai, Jahresbericht 2007).

 

Gesellschaft für bedrohte Völker, "Zwei Jahre Afghanistan-Pakt:

Uneingelöste Versprechen: Menschenrechte und Wiederaufbau in Gefahr", Menschenrechtsreport 53, Juni 2008 (in der Folge: GfbV, Menschenrechtsreport 53, 2008).

 

Human Rights Watch, "Country Summary Afghanistan", Jänner 2008 (in der Folge: HRW, Afghanistan 2008).

 

Dr. Bernt Glatzer, Gutachterliche Stellungnahme an das OVG Rheinland-Pfalz vom 31.01.2008 zu AZ. 6 A 10748/07.OVG.

 

I.2.2. Ermittlungsergebnis (Sachverhalt)

 

Der Asylgerichtshof geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt aus:

 

a) Zur Person der Beschwerdeführerin:

 

1. Die Bf. führt den Namen G. H., ist am 00.00.1969 in Afghanistan geboren, Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan und zugehörig zur Volksgruppe der Paschtunen. Sie gehört der sunnitisch-muslimischen Religionsgemeinschaft an.

 

Die Bf. besuchte in Afghanistan die Schule und schloss an der Universität Kabul das Mathematikstudium erfolgreich ab. Während ihres Studiums war die Bf. als Lehrerin an einer Schule in Q. tätig und unterrichtete Buben und Mädchen in der 8. und 9. Klasse.

 

Die Bf. ist verheiratet und lebt gemeinsam mit ihrem Ehemann J. A. (auch: Ashoqullah), geb. 00.00.1959, und ihrem minderjährigen Sohn O. J., geb. 23.09.1992, beide afghanische Staatsangehörige, in Österreich. Ihrem Ehemann J. A. wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10.02.2004, AZ. 01 17.079-BAG, bzw. mit Bescheid des UBAS vom 23.06.2004, Zl. 249.075/0-XIV/16/04, der Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig zuerkannt.

 

Beim Asylgerichtshof ist zu GZ. C9 314.918-1/2008 die Beschwerde des mj. Sohnes der Bf., O. J., gegen Spruchpunkt I des Bescheides des Bundesasylamtes vom 14.09.2007, AZ. 06 03.783-BAG, anhängig, die mit der gegenständlichen Beschwerde der Bf. unter einem geführt werden. Die Bf. ist in diesem Verfahren die gesetzliche Vertreterin ihres mj. Sohnes. Die Bf. hält die von ihr in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 11.11.2008 getätigten Angaben auch hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens ihres mj. Sohnes aufrecht.

 

2. Die Bf. lebte mit ihrer Familie bis 1992 in Kabul und in weiterer Folge bis 1994 in G.. Ab 1994 lebte die Bf. mit ihrer Familie für ca. sechs Jahre in H.. Im Jahr 2000 ist die Bf. mit ihrer Familie wieder nach Kabul zurückgekehrt. Zuletzt lebte die Bf. nach der Flucht ihres Ehemannes aus Afghanistan alleine mit ihrem Sohn in einem Miethaus in Kabul im Stadtteil Q.für acht Monate. Anfang 2001 ging die Bf. mit ihrem mj. Sohn nach Pakistan, wo sie bis zur Ausreise nach Österreich im März 2007 gemeinsam mit ihrem mj. Sohn lebte.

 

3. Die Bf. ist am 19.03.2007 gemeinsam mit ihrem mj. Sohn O. J. mit dem Flugzeug von Peshawar aus Pakistan ausgereist und über Doha (Katar) am 20.03.2007 am Flughafen Wien-Schwechat mit einem am 06.03.2007 von der Österreichischen Botschaft in Islamabad ausgestellten Visum D (Gültigkeit 00.03.2007 bis 00.2007) rechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist.

 

4. Als Grund für die Ausreise aus Afghanistan und die Flucht nach Pakistan gab die Bf. an, dass sie in Kabul von den Taliban bedroht worden sei. Die Bf. hatte nach der Flucht ihres Mannes aus Afghanistan gegen Entgelt in ihrem Haus in Kabul Mädchen versteckt unterrichtet, um für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Eines Tages kamen Taliban in das Haus der Bf. und sahen die von der Bf. unterrichteten Mädchen. Die Bf. wurde daraufhin von den Taliban geschlagen; auch die Mädchen wurden geschlagen und beschimpft. Schließlich verließen die Taliban das Haus und kündigten an, wieder zu kommen. Die Bf. gab an, dass sie vermutete, dass die Taliban deswegen in ihr Haus kamen, weil diese auf der Suche nach ihrem Mann gewesen waren. Nachdem die Taliban gesagt hatten, dass sie wieder kommen würden, bekam die Bf. Angst und flüchtete mit ihrem mj. Sohn nach Pakistan, wo sie Anfang 2001 unrechtmäßig einreiste.

 

Weiters ist die Bf. aus Afghanistan geflüchtet, weil sie als alleinstehende Frau mit einem mj. Sohn dort allein auf sich gestellt gewesen war und Frauen in Afghanistan keine Rechte hatten. Sie hatte auch die Sorge, dass ihr Sohn von den Taliban in die Madrasa geschickt werde, wo seine Begabung für ihre Ziele und Zwecke missbraucht werden würde.

 

5. Grund für die Einreise nach Österreich war die Absicht der Bf., fortan gemeinsam mit ihrem mj. Sohn O. J. bei ihrem Ehemann J. A. in Österreich zu leben.

 

6. Die Bf. ist von ihrem äußeren Erscheinungsbild und ihrer Einstellung her eindeutig an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauenbild orientiert.

 

b) Zur Lage im Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin:

 

Der Asylgerichtshof trifft auf Grund der in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführten aktuellen Quellen folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat der Bf.:

 

1. Zur allgemeinen politischen Lage:

 

1.1. Afghanistan befindet sich nach 23 Jahren Bürgerkrieg und kriegerischer Auseinandersetzungen in einem langwierigen Wiederaufbauprozess. Weitere Anstrengungen sind nötig, um die bisherigen Stabilisierungserfolge zu sichern und die Zukunftsperspektiven der afghanischen Bevölkerung nachhaltig zu verbessern.

 

1.2. Die Sicherheitslage stellt sich regional sehr unterschiedlich dar. Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen Akteuren (staatliche Sicherheitskräfte und internationale Stabilisierungstruppe [ISAF], regierungsfeindliche Gruppen, rivalisierende Milizen, bewaffnete Stammesgruppen sowie organisierte Drogenbanden) dauern in etlichen Provinzen an oder können jederzeit wiederaufleben. Seit Frühjahr 2007 ist vor allem im Süden und Osten des Landes ein Anstieg gewaltsamer Übergriffe regruppierter Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte zu verzeichnen. Die Zahl der Selbstmordanschläge und Angriffe mit Sprengfallen von regierungsfeindlichen Kräften haben 2007 erheblich zugenommen.

 

1.3. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Welt. Die Wirtschaftslage ist weiterhin desolat, auch wenn ein bescheidener wirtschaftlicher Aufschwung in manchen Städten (zB Kabul, H.) eingesetzt hat. Erste Schritte zur Verbesserung der Rahmenbedingungen sind eingeleitet. Der strenge Winter 2007/2008 hat in weiten Landesteilen (vor allem im Westen und Norden) zu dramatischen Versorgungsengpässen geführt.

 

1.4. Ein funktionierendes Verwaltungs- und Justizwesen fehlt weitgehend. In der Gerichtsbarkeit besteht keine Einigkeit über die Anwendung der verschiedenen Rechtsquellen (staatliche Gesetze, Scharia oder Gewohnheitsrecht). Rechtsstaatliche Verfahrensprinzipien werden häufig nicht eingehalten.

 

1.5. Die Menschenrechtssituation verbessert sich nur langsam. Dies gilt auch für die Lage der Frauen in Afghanistan, selbst wenn die gegen sie gerichteten Verbote aus der Taliban-Zeit formal aufgehoben sind. Die größte Bedrohung der Menschenrechte geht von lokalen Machthabern und Kommandeuren ("warlords") aus. Die Zentralregierung kann diese Täter nur begrenzt kontrollieren bzw. ihre Taten untersuchen und sie vor Gericht bringen. Entscheidend ist es daher, die angestrebte Ausdehnung des Machtbereichs der Zentralregierung auf das gesamte Land zügig voranzutreiben. Noch verfügt die Zentralregierung nicht über das Machtmonopol, um die Bürger ausreichend zu schützen.

 

1.6. Die humanitäre Situation stellt das Land vor allem mit Blick auf die mehr als 4,5 Millionen - meist aus Pakistan zurückgekehrten - Flüchtlinge vor große Herausforderungen. Knapp 3,4 Millionen afghanische Flüchtlinge halten sich noch im Iran und in Pakistan auf. Die Bemühungen des UNHCR bei der Rückführung von Flüchtlingen werden durch die schlechte Sicherheitslage, die weitgehend fehlenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zum Aufbau einer Existenz sowie die schwache Verwaltungsstruktur der afghanischen Behörden beeinträchtigt.

 

1.7. Rückkehrer können auf Schwierigkeiten stoßen, wenn sie außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im (westlich geprägten) Ausland zurückkehren und ihnen ein soziales oder familiäres Netzwerk sowie Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse fehlen. (DAA, Bericht 2008, 5).

 

2. Zur Situation der Frauen in Afghanistan:

 

2.1. Frauenrechte in der Rechtsordnung:

 

Die Menschenrechtslage afghanischer Frauen war bereits vor dem Taliban-Regime durch orthodoxe Scharia-Auslegungen und archaisch-patriarchalische Ehrenkodizes geprägt. Diese Prägung wirkt immer noch nach. Während Frauenrechte in der Verfassung und teilweise im staatlichen Recht gestärkt werden konnten, liegt deren Verwirklichung für den größten Teil der afghanischen Frauen noch in weiter Ferne.

 

Zwar unterscheidet sich die Lage der Frauen je nach regionalem und sozialem Hintergrund stark. Auch die unbefriedigende Sicherheitslage in weiten Landesteilen erlaubt es den Frauen nicht, die mit Überwindung der Taliban und ihrer frauenverachtenden Vorschriften erwarteten Freiheiten wahrzunehmen. Die meisten Frauen sind sich ihrer in der Verfassung garantierten Rechte nicht bewusst. Eine Verteidigung ihrer Rechte ist in einem Land, in dem die Justiz stark konservativ-traditionell geprägt und überwiegend von männlichen Richtern bestimmt wird sowie kaum qualifizierte Anwälte zur Verfügung stehen, in den seltensten Fällen möglich. Staatliche Akteure aller drei Gewalten sind häufig nicht in der Lage - oder aufgrund konservativer Wertvorstellungen nicht gewillt -, Frauenrechte zu schützen (DAA, Bericht 2008, 18).

 

Frauen werden weiterhin in Familien-, Erb-, Zivilverfahren- sowie im Strafrecht benachteiligt. Dies gilt vor allem hinsichtlich des Straftatbestands "Ehebruch", wonach selbst Opfer von Vergewaltigungen bestraft werden können. Es gibt Berichte, dass Frauen wegen "Ehebruchs" von Ehemännern oder anderen Familienmitgliedern umgebracht werden (so genannte "Ehrenmorde", die besonders in den paschtunischen Landesteilen vorkommen können). Das durchschnittliche Heiratsalter von Mädchen liegt bei 15 Jahren, obwohl ein Mindestheiratsalter von 16 Jahren gesetzlich verankert ist. Zwangsheirat bereits im Kindesalter, "Austausch" weiblicher Familienangehöriger zur Beilegung von Stammesfehden sowie weit verbreitete häusliche Gewalt kennzeichnen die Situation der Frauen. Immer wieder gibt es Pressemeldungen über Gruppenvergewaltigungen. Opfer sexueller Gewalt sind dabei auch innerhalb der Familie stigmatisiert. Das Sexualdelikt wird in der Regel als "Entehrung" der gesamten Familie aufgefasst. Sexualverbrechen zur Anzeige zu bringen hat aufgrund des desolaten Zustands des Sicherheits- und Rechtssystems wenig Aussicht auf Erfolg. Der Versuch endet u.U. mit der Inhaftierung der Frau, sei es aufgrund unsachgemäßer Anwendung von Beweisvorschriften oder zum Schutz vor der eigenen Familie, die eher die Frau oder Tochter eingesperrt als ihr Ansehen beschädigt sehen will. Viele Frauen sind wegen so genannter Sexualdelikte inhaftiert, weil sie sich beispielsweise einer Zwangsheirat durch Flucht zu entziehen versuchten, vor einem gewalttätigen Ehemann flohen oder ihnen vorgeworfen wurde, ein uneheliches Kind geboren zu haben (DAA, Bericht 2008, 19).

 

Es gibt keine staatliche Vorschrift, die zum Tragen der Burka verpflichtet. Die meisten Afghaninnen tragen sie dennoch, auch aus Furcht vor Übergriffen. In Kabul ging der Gebrauch der Burka v.a. in akademisch geprägten Milieus und unter Oberschülerinnen zwar zurück, ist aber insgesamt auch hier nach wie vor verbreitet. Vielfach geben Frauen an, dass sie die Burka angesichts einer nach wie vor schwierigen Sicherheitslage wie einer außerordentlich patriarchalisch geprägten Gesellschaft auch nach dem Machtwechsel tragen, weil sie ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermittle. Sie war auch vor der Taliban-Herrschaft bei der weiblichen Bevölkerung auf dem Lande ein übliches Kleidungsstück. Der im Mai 2003 gegründete "Islamische Rat", dem Geistliche aus allen Landesteilen angehören, hat die Beachtung der "Hijab"- Kleidervorschriften (Schleier, langes Kleid), nicht jedoch der Burka gefordert (DAA, Bericht 2008, 19).

 

2.2. Gewalt gegen Frauen:

 

Die Situation afghanischer Frauen hat sich seit dem Sturz der Taliban-Herrschaft teilweise verschlechtert. Die Bewegungsfreiheit bleibt, mit regionalen Unterschieden, stark eingeschränkt. Die registrierten Fälle physischer Gewalt gegenüber Frauen sind seit März 2007 um rund 40 Prozent gestiegen: 2374 registrierte Übergriffe im Jahr 2007 (Januar bis November 2006: 1545 Fälle). Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. In diesem Zeitraum haben rund 626 Frauen einen Selbstmordversuch begangen. Erzwungene Heiraten, häusliche Gewalt, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen, Frauenhandel und Ehrenmorde gehören zu den gegen Frauen angewandten Gewaltformen. Die Täter sind meist männliche Familienmitglieder. Wenn Frauen Anzeige erstatten, werden sie oft genau den von ihnen angezeigten Männern ausgeliefert. Vieles deutet darauf hin, dass die staatlichen Akteure in

 

Afghanistan nicht in der Lage oder wegen konservativ-islamischen Wertevorstellungen nicht gewillt sind, Frauen zu schützen. Frauen bleiben meist ihrem Schicksal überlassen (SFH, Afghanistan Update 2008).

 

In der Region H. gelten weiterhin verschiedene Restriktionen aus der Taliban-Zeit. Mädchen und Frauen sind dort in ihrer Bewegungs- und Handlungsfreiheit aufgrund eines ausgeprägten traditionellen Verhaltenskodex stark eingeschränkt. In dieser Region wird - mit abnehmender Tendenz - eine erhebliche Zahl von Selbstverbrennungen von Frauen verzeichnet. Überwiegend handelt es sich dabei um aus dem Iran zurückgekehrte Flüchtlingsfrauen, von denen angenommen wird, dass sie sich vorwiegend aus Verzweiflung wegen Kinder- und Zwangsverheiratung selbst verbrannt haben. Verlässliche Statistiken liegen nicht vor (DAA, Bericht 2008, 19).

 

2.3. Frauen und Bildung:

 

Afghanische Frauen waren unter den Taliban seit 1996 von jeglicher Bildung ausgeschlossen. Die Analphabetenrate der Frauen liegt Schätzungen zufolge in der Größenordnung von 90 %. Für die wenigen hochqualifizierten Afghaninnen hat sich jedoch der Zugang zu adäquaten Tätigkeiten bei der Regierung verbessert. Die Entwicklungsmöglichkeiten für Mädchen und Frauen bleiben durch die strenge Ausrichtung an Traditionen und fehlender Schulbildung weiterhin wesentlich eingeschränkt. Nur fünf Prozent der Mädchen besuchten Höhere Schulen. (DAA, Bericht 2008, 19).

 

Der Zugang zu Bildung, Gesundheit und Arbeit steht jedoch vielen Frauen nur theoretisch offen, praktisch sind sie die am meisten von Armut, Diskriminierung und Rechtlosigkeit betroffene Bevölkerungsgruppe geblieben. In vielen Landesteilen sind sie vom öffentlichen Leben weiterhin weitgehend ausgeschlossen. Gezielte Übergriffe radikal-muslimischer Kräfte auf Frauen und Mädchen sind alltäglich. So soll der Schulbesuch von Mädchen verhindert werden (GfbV, Menschenrechtsreport 53, 2008, 21).

 

2.4. Zwangsverheiratungen:

 

Jedes Jahr töten sich mehrere hundert Frauen aus Verzweiflung über Entführungen, Zwangsheirat und Gewalt selbst. Sogar Mädchen im Alter von nur sechs Jahren werden zwangsweise verheiratet. Sie werden nicht nur durch ihre Männer sondern auch durch deren Familienangehörige mit Vergewaltigung und einem Leben in Sklaverei bedroht. Oft dürfen sie nach der Heirat ihre eigenen Eltern und andere Familienangehörige nicht mehr sehen und es wird ihnen der Schulbesuch verboten. Da viele dieser Mädchen ihre Rechte entweder gar nicht kennen oder zumindest nicht wissen, wie sie diese einfordern könnten, sehen sie als einzigen Ausweg allzu oft nur die Selbstverbrennung. Gemäß einer Studie der Organisation "Womankind" beklagen 87 Prozent der Frauen, Opfer von Gewalt in der Ehe oder im öffentlichen Leben geworden zu sein (Independent, 25.02.2008). Die Hälfte aller Übergriffe sei sexuell motiviert. Seit März 2007 hat nach UN-Angaben die Zahl der offiziell registrierten Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen um 40 Prozent zugenommen (IRIN; 08.03.2008). Diese erschreckenden Zahlen sind vermutlich auf eine gestiegene Bereitschaft bei Frauen zurückzuführen, Gewalttaten anzuzeigen, die zuvor in der hohen Dunkelziffer verschwanden. Mehr als 60 Prozent aller Eheschließungen erfolgten laut "Womankind" unter Zwang. 57 Prozent der Bräute seien jünger als 16 Jahre alt (GfbV, Menschenrechtsreport 53, 2008, 21 f).

 

Entsprechend den Berichten der Afghanistan Independet Human Rights Commission sind 68-80 % der Ehen in Afghanistan sog. "Zwangsehen" (South Asia Human Rights Index 2008).

 

2.5. Gesundheitliche Situation für Frauen:

 

Auch für werdende Mütter ist die gesundheitliche Situation noch immer katastrophal. Aufgrund mangelnder ärztlicher Versorgung stirbt eine von neun Müttern bei der Geburt ihres Kindes. Nur im westafrikanischen Staat Sierra Leone ist die Situation ebenso dramatisch. Alle 27 Minuten stirbt in Afghanistan eine Frau aufgrund von Komplikationen während der Schwangerschaft (Radio Free Asia, 10.05.2008). Nur 14 Prozent aller Frauen seien im Jahr 2006 während der Geburt von ausgebildetem medizinischem Personal begleitet worden. Aufgrund des Jahrzehnte langen Bürgerkrieges sind rund 1,5 Millionen Frauen zu Witwen geworden (IRIN, 30.01.2008). Ihre Lage ist besonders schlimm, da sie keine finanzielle Unterstützung erhalten und sich und ihre Kinder oft nur mit Betteln ernähren können. 94 Prozent von ihnen können weder lesen noch schreiben. Dabei sind sie noch jung, durchschnittlich 35 Jahre, und haben meist vier Kinder. In ihrer Not ernähren sich immer mehr junge Frauen durch Prostitution, die offiziell verboten ist. Mit Schmiergeldern werden korrupte Polizisten zum Stillhalten bewegt. Dringend muss der Schutz von Frauen verbessert werden; die internationale Gemeinschaft muss von der Regierung nachdrücklich eine Umsetzung der in der Verfassung und in Gesetzen verbrieften Frauenrechte fordern (GfbV, Menschenrechtsreport 53, 2008, 22).

 

Die durchschnittliche Lebenserwartung für Frauen in Afghanistan liegt bei ca. 44 bis 46 Jahren (South Asia Human Rights Index 2008; HRW, Afghanistan 2008).

 

2.6. Frauen mit bestimmten Profilen:

 

Afghanische Frauen müssen sich sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gegenden den konservativen und traditionellen Verhaltensnormen anpassen, um vor physischer und psychologischer Gewalt oder Missbrauch sicher zu sein. Einer erhöhten Gefährdung sind sowohl Frauen, die angeblich oder tatsächlich gegen die vorherrschenden sozialen Normen verstoßen, als auch ausländische Frauen afghanischer Männer, sowie Frauen ohne männlichen Schutz ausgesetzt.

 

Allein stehende Frauen ohne männlichen Schutz (Ehemann, Vater, Bruder oder entfernte Familienmitglieder) werden - angesichts der in vielen Gegenden bestehenden sozialen Einschränkung, sich nicht ohne männliche Begleitung in der Öffentlichkeit zu bewegen - sowohl Schwierigkeiten bei der Sicherung ihres Lebensunterhaltes als auch Probleme in Bezug auf ihren physischen Schutz haben. Frauen, die als Opfer von häuslicher Gewalt in der glücklichen Lage sind, eine Unterkunft in einer der wenigen Unterbringungseinrichtungen zu erhalten, ist es nicht möglich, sich an einem anderen Ort im Land zu integrieren. Ohne eine alternative dauerhafte Lösung kehren die meisten schließlich zu ihren Familien zurück, nachdem gewisse Zusagen über ihre Sicherheit ausgehandelt wurden. Diese Situation belegt, dass allein stehende Frauen ohne ein die traditionelle Schutzfunktion übernehmendes männliches Familienmitglied in Afghanistan nicht sicher leben können (UNHCR, Richtlinien afghanischer Asylsuchender 2008, 3 f).

 

2.7. Frauenrechtsorganisationen:

 

Im Jänner 2003 wurde die von UNIFEM (United Nations Development Fund for Women) finanziell unterstützte "Afghan Women Judges Association" gegründet, deren Ziel es ist, eine aktive Beteiligung von Richterinnen und Anwältinnen in der Justiz zu sichern und gleichzeitig juristischen Beistand für afghanische Frauen bei der Durchsetzung ihrer Rechte bereitzustellen. Außerdem engagieren sich zunehmend Nichtregierungsorganisationen für eine stärkere Beachtung der Frauenrechte. Insbesondere versuchen sie, Frauen in Strafprozessen zu unterstützen (so zB die deutsche Organisation medica mondiale).

 

Im Jänner 2006 wurde der "Interim National Action Plan for Women of Afghanistan" (i- NAPWA) vorgestellt, der mit Unterstützung von UNIFEM erarbeitet wurde, aber immer noch nicht in Kraft getreten ist. Der i-NAPWA soll helfen, die Situation der Frauen in Afghanistan zu verbessern, insbesondere ihre Diskriminierung abzuschaffen, die Entfaltung ihrer Fähigkeiten zu ermöglichen und ihnen volle und gleichberechtigte Beteiligung in allen Lebensbereichen zu gewähren. (DAA, Bericht 2008, 19 f).

 

3. Sachverständigengutachten

 

Zur relevanten Situation in Afghanistan im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit der von der Bf. vorgebrachten Gefährdungen im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan erstattete der nichtamtliche Sachverständige Dr. S. R. (SV) in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 11.11.2008 auf Befragen des vorsitzenden Richters (VR) und des Vertreters der Bf. (BFV) folgendes Gutachten, dessen Inhalt als Sachverhalt festgestellt wird (Auszug aus der Verhandlungsniederschrift; BF = Beschwerdeführerin):

 

"VR an SV: Inwiefern hat sich die Herrschaft der Taliban auf die Schulbildung der Mädchen bzw. Frauen ausgewirkt?

 

SV: Unter der Herrschaft der Taliban war es verboten, dass die Mädchen öffentliche Schulen besuchen, außer Krankenpflegerinnen und Ärztinnen, die unter bestimmten Auflagen im Beriech der Universitäten unter strenger Verschleierung diese besuchen durften. Deshalb haben die gebildeten Frauen bzw. ehemalige Lehrerinnen in ihren Häusern die Mädchen in ihren Vierteln zu Hause unterrichtet. Teilweise wurden diese "Homeschools" von den internationalen Organisationen finanziert und war mit den Taliban abgesprochen worden. Lehrerinnen, die illegal unterrichteten, wurden teilweise von den Taliban bestraft, oder wurde ihnen verboten, Kinder zu unterrichten.

 

In den öffentlichen Schulen, wo die Buben in die Schule gehen durften, durften Lehrerinnen nicht unterrichten. Die Frauen waren allgemein von der Öffentlichkeit verbannt. Sie konnten nur in Begleitung männlicher Verwandter und mit einer Burka, sowie in äußerster Not die Öffentlichkeit bzw. die Stadt betreten. Trotzdem wurden sie oft geschlagen, weil bei manchen die Schuhe den Taliban nicht gefiel, oder die Finger lackiert waren, oder die Kleidung, die unter der Burka getragen wurde, zu sehen war und dass sie den Taliban "neu" im Sinne von modisch vorgekommen seien.

 

Es ist vorgekommen, dass manchen Frauen die Finger abgehackt wurden, wenn diese lackiert waren und von den Taliban gesehen wurden.

 

Die Ausdrucksweise der BF deutet darauf hin, dass sie eine gebildete Person ist. Ich gehe davon aus, dass die BF daher auch als Lehrerin gearbeitet haben könnte.

 

BFV an SV: Ist die Schilderung der BF, dass sie bzw. einige ihrer Schülerinnen auch von den Taliban geschlagen wurden, weil diese illegal unterrichtet wurden, für Sie nachvollziehbar?

 

SV: Wenn die BF tatsächlich unter den Taliban eine Hausschule betrieben hat, dann ist es nachvollziehbar, dass die BF bzw. ihre Schülerinnen von den Taliban schikaniert wurden."

 

I.3. Beweiswürdigung

 

I.3.1.

 

Der Verfahrensgang ergibt sich aus den zur gegenständlichen Rechtssache vorliegenden Akten des BAG und des Asylgerichtshofes.

 

I.3.2.

 

1. Die Feststellungen zur Identität (Name und Alter), Staatsangehörigkeit und Herkunft der Bf. sowie ihrem persönlichen Umfeld und ihren Lebensbedingungen ergeben sich aus den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben im Verfahren vor dem BAG (OZ 1) und in der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof (OZ 6Z), in der die Bf. einen persönlich glaubhaften Eindruck erweckte, sowie der Kenntnis und Verwendung der Sprache Dari.

 

Die Angaben zu ihrem Namen und ihrem Alter werden zudem durch den von der Bf. vor der belangten Behörde und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Asylgerichtshof in Vorlage gebrachten afghanischen Reisepass (Akt des BAG, AS 5 bis 11) bestätigt, an dessen Echtheit und Richtigkeit insbesondere auf Grund der glaubwürdigen Angaben des Bf. kein Grund zu zweifeln bestand. Der in der mündlichen Verhandlung bestellte Sachverständige erhob nach Vorlage des Reisepasses keine Einwände hinsichtlich der Authentizität des Dokuments.

 

Die Feststellung zur bestehenden Ehe der Bf. mit J. A. und damit die Eigenschaft der Bf. als Familienangehörige iSd. § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu ihrem subsidiär schutzberechtigten Ehemann stützen sich auf die glaubhaften Angaben der Bf. und der bereits im Verfahren vor dem BAG und neuerlich in der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof vorgelegten Heiratsurkunde (Akt des BAG, AS 91 bis 101).

 

Die Feststellung betreffend die rechtskräftige Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an den Ehemann der Bf., J. A., entspricht dem Amtswissen des Asylgerichtshofes.

 

Die Feststellung betreffend das beim Asylgerichtshof ebenso anhängige Beschwerdeverfahren ihres mj. Sohnes O. J. entspricht dem Amtswissen des Asylgerichtshofes. Die Feststellung, dass die Bf. als gesetzliche Vertreterin ihres mj. Sohnes ihre in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 11.11.2008 getätigten Angaben auch hinsichtlich des Verfahrens ihres mj. Sohnes aufrecht erhält, ergibt sich aus einer entsprechender Erklärung der Bf. in der mündlichen Verhandlung (OZ 6Z).

 

2. Die Feststellungen zur Ausreise aus Afghanistan, dem Aufenthalt der Bf. in Pakistan und der rechtmäßigen Einreise in Österreich unter Verwendung eines gültigen Visums ergeben sich aus den glaubhaften Angaben der Bf. im gesamten Verfahren und den im vorgelegten afghanischen Reisepass angebrachten (Sicht-)Vermerken betreffend die Ausreise aus Pakistan am 19.03.2007 und die Einreise in Österreich am 20.03.2007.

 

3. Die Feststellungen zum Grund der Ausreise der Bf. aus Afghanistan und zur Flucht nach Pakistan (Verfolgung durch die Taliban auf Grund der geheimen Tätigkeit der Bf. als Lehrerin für Mädchen in ihrem Haus) ergeben sich aus den glaubhaften Angaben der Bf. im gesamten Verfahren sowie den gutachterlichen Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof, denen zu Folge die Angaben der Bf. im Hinblick auf die allgemeine Situation im Herkunftsstaat der Bf. als nachvollziehbar beurteilt werden konnten.

 

Hinsichtlich der Glaubhaftmachung der Fluchtgründe der Bf. war des Weiteren zu berücksichtigen, dass das BAG im angefochtenen Bescheid weder auf die behauptete Bedrohung der Bf. durch die Taliban als Lehrerin in einer geheimen Hausschule noch in irgendeiner Weise trotz allgemeiner Feststellungen zur aktuellen Lage in Afghanistan auf die Lage einer alleinstehenden Frau und alleinerziehenden Mutter, wie es die Bf. war, eingegangen ist, obwohl die Bf. derartige Angaben (fehlende Rechte als Frau bzw. Tätigkeit als Lehrerin) bereits in der Erstbefragung und in ihrer Einvernahme getätigt hatte. Das BAG hat es überhaupt unterlassen, den von der Bf. behaupteten Sachverhalt im Ermittlungsergebnis anzuführen und einer entsprechenden Beweiswürdigung zu unterziehen. Das BAG beschränkte sich auf die Feststellung der Zugehörigkeit der Bf. zur Kernfamilie ihres Ehemannes J. A.. In seiner rechtlichen Beurteilung hat das BAG lediglich in pauschaler Weise ohne jegliche Ausführungen in der Beweiswürdigung festgestellt, dass nicht festgestellt werden konnte, dass die Bf. in der Heimat von "derartigen Gefahren bedroht wäre". Das BAG hätte daher in der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides die Gründe darlegen müssen, warum es bei der Feststellung des seiner Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhaltes die Angaben der Bf. nicht berücksichtigt hatte bzw. ihnen keinen Glauben schenken konnte.

 

4. Hinsichtlich der von der Bf. im gegenständlichen Verfahren behaupteten Verfolgung ihres Ehemannes in Afghanistan und die von ihr diesbezüglich im Verfahren vor dem BAG geschilderten und in der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof wiederholten Ereignisse ist auf den in dem ihren Ehemann betreffenden Asylverfahren festgestellten und in Rechtskraft erwachsenen Sachverhalt zu verweisen.

 

Die vom nichtamtlichen Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung geäußerten Bedenken hinsichtlich der Echtheit und Richtigkeit einzelner von der Bf. vorgelegter und auf den Namen ihres Ehemannes lautender Dokumente (Dienstausweis des Verteidigungsministeriums und Mitgliedsausweis des Juristenverbandes der Demokratischen Republik Afghanistan) waren mangels unmittelbarer Entscheidungsrelevanz für das gegenständliche Verfahren der Bf. nicht weiter zu berücksichtigen. Hier war den Einwendungen des Vertreters der Bf. in der mündlichen Verhandlung beizupflichten, dass die Bf. sämtliche Dokumente von ihrem Ehemann erhalten hatte und die Bf. diese Dokumente nicht auf ihre inhaltliche Echtheit hin beurteilen könne.

 

5. Die Feststellung zu der als "westlich" zu bezeichnenden Orientierung der Bf. hinsichtlich ihres Frauenbildes ergibt sich aus dem persönlichen Eindruck und dem äußeren Erscheinungsbild der Bf. in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Asylgerichtshof. Sie trug offenes, unverschleiertes Haar, westliche Kleidung (Lederjacke, kurzärmliges Polo-Shirt mit Ausschnitt, Rock), war geschminkt, trug modischen Schmuck (Ohrringe, Ring, Halskette) und hatte farbig lackierte Fingernägel.

 

6. Im Übrigen ist im Verfahren nichts hervorgekommen, das an der Richtigkeit der Aussagen der Bf. zu ihrer Person Zweifel aufkommen ließ.

 

I.3.3.

 

1. Die getroffenen Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat der Bf. ergeben sich aus einer Gesamtschau der angeführten und in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingebrachten aktuellen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen.

 

Hierbei wurden Berichte verschiedener ausländischer Behörden, etwa die allgemein anerkannten Berichte des deutschen Auswärtigen Amtes, des schweizerischen Bundesamtes für Migration, des britischen UK Home Office (Border Agency) und des US Department of State, ebenso herangezogen, wie auch von internationalen Organisationen wie dem UNHCR oder allgemein anerkannten und unabhängigen Nichtregierungsorganisationen, wie der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, der Gesellschaft für bedrohte Völker, Human Rights Watch oder Amnesty International.

 

Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen darin, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

2. Die in der mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingebrachten Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat wurden den Parteien zur Akteneinsicht angeboten. Auf die der Bf. eingeräumte Möglichkeit zur Abgabe einer diesbezüglichen Stellungnahme wurde seitens des Vertreters der Bf. ausdrücklich verzichtet. Die Parteien sind weder den in das Verfahren eingeführten Quellen noch den auf diesen beruhenden und in der mündlichen Verhandlung erörterten Feststellungen substanziiert entgegengetreten.

 

3. Das in der mündlichen Beschwerdeverhandlung erstattete Gutachten des nichtamtlichen landeskundlichen Sachverständigen war vollständig, schlüssig und widerspruchsfrei. Die geäußerten Schlussfolgerungen des Sachverständigen deckten sich im Übrigen inhaltlich mit den vom Asylgerichtshof in das Verfahren eingebrachten aktuellen herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen.

 

An der Fachkenntnis, der Unparteilichkeit und der Unbefangenheit des vom Asylgerichtshof in der mündlichen Beschwerdeverhandlung bestellten landeskundlichen Sachverständigen sind im Verfahren keine Zweifel aufgekommen. Weder gegen die Person des Sachverständigen noch gegen das von ihm in der mündlichen Beschwerdeverhandlung erstattete Gutachten wurden seitens der Parteien Einwendungen erhoben.

 

4. Im Übrigen hat der Bf. im gesamten Verfahren keinerlei Gründe dargelegt, die an der Richtigkeit der Informationen zur Lage in seinem Herkunftsstaat Zweifel aufkommen ließen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1. Anzuwendendes Recht

 

1. In der gegenständlichen Rechtssache sind die Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der geltenden Fassung, anzuwenden, zumal der Asylantrag des Bf. am 21.03.2007 und damit nach dem Inkrafttreten des AsylG 2005 am 01.01.2006 gestellt und eingebracht wurde.

 

2. Weiters anzuwenden sind die Bestimmungen des Asylgerichtshofgesetzes (AsylGHG), BGBl. I Nr. 4/2008, und gemäß § 23 AsylGHG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, sowie die Bestimmungen des Zustellgesetzes (ZustG), BGBl. Nr. 200/1982, alle in der jeweils geltenden Fassung.

 

3. Der Asylgerichtshof hat gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 (WV) idF BGBl. I Nr. 2/2008, ab 01.07.2008 die beim UBAS anhängigen Verfahren weiterzuführen. An die Stelle des Begriffs "Berufung" tritt gemäß § 23 des Asylgerichtshofgesetzes (AsylGHG), BGBl. I Nr. 4/2008, mit Wirksamkeit ab 01.07.2008 der Begriff "Beschwerde". Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Bestimmungen über die Einrichtung des Asylgerichtshofes finden sich in den Art. 129c ff. B-VG.

 

4. Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 idF des Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetzes, BGBl. I Nr. 4/2008, sind am 01.07.2008 beim UBAS anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des UBAS, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des UBAS geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

5. Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.

 

6. Die gegenständliche Rechtssache wurde bis 30.06.2008 von einem zum Richter des Asylgerichtshofes ernannten Mitglied des UBAS geführt. Eine mündliche Verhandlung in der gegenständlichen Rechtssache fand bis 30.06.2008 nicht statt. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 idF des Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetzes war das Verfahren daher von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat C9 weiterzuführen, zumal kein Fall einer Einzelrichterzuständigkeit iSd. § 61 Abs. 3 AsylG 2005 vorgelegen ist.

 

7. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm. § 23 AsylGHG hat der Asylgerichtshof, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Der Asylgerichtshof ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener des Bundesasylamtes zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

8. Gemäß § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 hat der Asylwerber am Verfahren nach diesem Bundesgesetz mitzuwirken und insbesondere ohne unnötigen Aufschub seinen Antrag zu begründen und alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

 

9. Gemäß § 18 Abs. 1 AsylG 2005 haben das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für die Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

Gemäß § 18 Abs. 2 AsylG 2005 ist im Rahmen der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens eines Asylwerbers auf die Mitwirkung im Verfahren Bedacht zu nehmen.

 

II.2. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides

 

1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat (siehe § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005), soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

 

Als Flüchtling iSd. der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

2. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318;

09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN;

19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131;

25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

 

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

 

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

 

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH 21.01.1999, Zl. 98/20/0399; 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

 

3. Aus dem im Rahmen des Ermittlungsverfahrens festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass die Furcht der Bf. vor Verfolgung in ihrem Heimatstaat begründet ist:

 

3.1. Die Bf. ist eine gebildete Frau mit akademischer Ausbildung (Mathematikstudium), die bereits während ihres Studiums in einer Schule in Q. als Lehrerin tätig gewesen war. Die Bf. hat nach der Flucht ihres Ehemannes aus Afghanistan bis zu ihrer Flucht nach Pakistan Anfang 2001 in ihrem Haus auf geheime Weise Mädchen unterrichtet, weshalb sie von den Taliban geschlagen und bedroht wurde. Durch diese Tätigkeit hatte die Bf. aus der Sicht der Taliban gegen die von den Taliban für Frauen angeordneten Regeln einer ihren strengen politisch-religiösen Vorstellungen entsprechenden Gesellschaftsordnung verstoßen. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Taliban durch die Ausübung von Gewalt und die Vornahme von Drohungen der Bf. eine politisch-religiöse Gesinnung unterstellt haben, die im Widerspruch zu den zum Zeitpunkt der Flucht aus ihrem Heimatstaat herrschenden bizarren Regeln der Taliban standen. Der VwGH vertritt in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass eine Verfolgung aus Gründen der "politischen Gesinnung" im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK auch vorliegt, wenn dem Asylwerber eine politische Gesinnung bloß unterstellt wird, und ihm im Hinblick darauf Verfolgung droht (VwGH 01.08.2001, Zl. 2000/01/0087 mwN; 15.05.2003, Zl. 2002/01/0208).

 

Die Bf. gab an, dass sie die Tätigkeit als "Hauslehrerin" für Mädchen nur vorübergehend aus dem Grund ausgeübt hatte, um - auf Grund der Abwesenheit ihres Mannes - den notwendigen Lebensunterhalt für sich und ihren mj. Sohn zu sichern. Hinsichtlich der Aktualität der Verfolgung der Bf. kann davon ausgegangen werden, dass die Bf. im Falle der Rückkehr in ihren Heimatstaat nach wie vor nur die Möglichkeit hätte, sich ohne Unterstützung durch ihren Ehemann mit einer Tätigkeit als Lehrerin oder auch mit anderen (zusätzlichen) Tätigkeiten ihren Lebensunterhalt zu sichern. Dass ihr unter Annahme der Ausübung dieser Tätigkeit als Lehrerin in einer geheimen Hausschule weiterhin asylrelevante Verfolgung drohen würde, kann unter Berücksichtigung der speziellen Situation in Afghanistan für alleinstehende gebildete Frauen und der praktisch nicht vorhandenen Möglichkeit einer Ausbildung für Mädchen und Frauen nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.

 

3.2. Im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan wäre die Bf. jedoch als alleinstehende Frau ohne familiären Rückhalt - insbesondere mangels Schutzes durch männliche Familienmitglieder - nach wie vor massiven Einschränkungen ausgesetzt sowie auf Grund der für sie prekären Sicherheitslage mit einem erheblichen Risiko für ihre persönliche Sicherheit und physische Integrität konfrontiert. Das bedeutet, dass für sie ein erhöhtes Risiko besteht, Eingriffen in ihre physische Integrität und Sicherheit ausgesetzt zu sein. Den getroffenen Feststellungen zu Folge ist dieses Risiko sowohl als generelle, die afghanischen Frauen betreffende Gefährdung zu sehen (Risiko, Opfer einer Vergewaltigung oder eines sonstigen Übergriffs bzw. Verbrechens zu werden) als auch als spezifische Gefährdung, bei non-konformem Verhalten (d.h. bei Verstößen gegen gesellschaftliche Normen wie beispielsweise Bekleidungsvorschriften) einer "Bestrafung" ausgesetzt zu sein. Aus beiden Aspekten resultierend ist die Bf. im Fall ihrer Rückkehr nach Afghanistan mit einer Situation konfrontiert, in der sie in der Ausübung grundlegender Menschenrechte beeinträchtigt ist.

 

Für die Bf. wirkt sich die derzeitige Situation in Afghanistan so aus, dass sie im Fall einer Rückkehr einem Klima ständiger latenter Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen und durch das Bestehen dieser Situation einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt ist. Am Beispiel der die Frauen und Mädchen betreffenden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit wird anschaulich, dass afghanische Frauen de facto eine Verletzung in grundlegenden Rechten zu gewärtigen haben. Es bestehen nach wie vor gesellschaftliche Normen dahingehend, dass Frauen sich nur bei Vor

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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