TE AsylGH Erkenntnis 2008/11/26 S6 402834-1/2008

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Veröffentlicht am 26.11.2008
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Spruch

GZ. S6 402.834-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. SINGER als Einzelrichterin über die Beschwerde des mj. I.M., geb. 00.00.1999, StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Dr. Peter ZAWODSKY, Gumpendorfer Straße 71, 1060 Wien gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.10.2008, Zahl: 08 07.597 - EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG idF BGBL. I Nr. 100/2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Bescheiderlassung ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

Der Beschwerdeführer I.M., reiste am 22.08.2008 gemeinsam mit seiner Schwester I.Ma., geb. 00.00.1988 per LKW illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte er noch am selben Tag durch seine Schwester als gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Rahmen ihrer niederschriftlichen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt gab die Schwester des mj. Beschwerdeführers für sich und ihren Bruder an, deshalb aus der Heimat geflüchtet zu sein, da ihre Eltern verschollen seien und wäre ihre Großmutter zu alt und zu krank, um sie und den mj. Beschwerdeführer zu unterstützen. Ihr Vater sei von Soldaten verschleppt worden und wäre ihre Mutter eines Tages von Zuhause weggegangen um ihn zu suchen und sei sie nicht mehr zurückgekehrt. Nach Polen würden sie nicht wollen, da sie dort niemanden hätten. Kurz nach ihrer Einreise nach Polen seien sie wieder für drei Monate nach Tschetschenien zurückgekehrt und anschließend erneut über Polen nach Österreich eingereist. In Österreich lebe ihr Onkel mit seiner Familie.

 

Die erkennungsdienstlichen Behandlungen ergaben, dass der mj.

Beschwerdeführer am 13.05.2008 einen Asylantrag in Polen stellte.

 

Am 01.09.2008 richtete das Bundesasylamt ein Wiederaufnahmegesuch für den Beschwerdeführer an Polen, das sich auf Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates stützte.

 

Polen hat am 03.09.2008 seine Zustimmung zur Wiederaufnahme des mj. Beschwerdeführers gem. Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates erklärt.

 

Das Führen von Konsultationsverfahren mit Polen wurde der Schwester des Genannten als gesetzliche Vertreterin am 10.09.2008 mitgeteilt.

 

Mit Beschluss des BG Baden vom 16.10.2008, wurde die Obsorge für den mj. Beschwerdeführer seiner Schwester entzogen und an seinen Cousin I.U., geb. 00.00.1984, übertragen.

 

Das Bundesasylamt hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 22.10.2008, Zl. 08 07 597-EAST Ost, den Asylantrag des mj. Beschwerdeführers ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und gleichzeitig ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 13 iVm Art. 16 Abs 1 lit c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Polen zulässig sei.

 

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 18.11.2008 Beschwerde erhoben. Darin wird zunächst gerügt, dass die Zustellung des angefochtenen Bescheides nicht an den nunmehrigen gesetzlichen Vertreter des mj. Beschwerdeführers, nämlich seinen Cousin I.U. erging, und fehle es daher an der gesetzeskonformen Zustellung des angefochtenen Bescheides. Kritisiert wird zudem, dass dem Antrag, den mj. Beschwerdeführer als Partei zum Beweisthema "Rückkehr von Polen nach Tschetschenien" einzuvernehmen nicht nachgekommen sei. Auch wäre dem Beschwerdeführer keine Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden. Bereits während ihrer Einvernahmen habe die Schwester des mj. Beschwerdeführers für diesen angeführt, dass ihr ein schriftlicher Nachweis zugesandt werde, der beweisen könne, dass sich die Beiden von Mai bis August 2008 wiederum in Tschetschenien aufgehalten hätten. Diesen Umstand habe die belangte Behörde nicht berücksichtigt. Dieses Schriftstück wäre in Kopie der Beschwerde beigefügt. Sofern die Erstinstanz die Aussagen seiner Schwester für widersprüchlich hält sei ihr vorzuwerfen, die Widersprüche der Genannten nicht vorgehalten zu haben. In rechtlicher Hinsicht würde kein Dublin-Sachverhalt vorliegen, da der mj. Beschwerdeführer mit seiner Schwester von Tschetschenien nach Österreich eingereist sei, ohne sich im Zuge dessen in Polen aufgehalten zu haben. Für den mj. Beschwerdeführer stelle die Beziehung zur gesamten Familie des Onkels, welche bereits über Asyl verfüge, ein sehr enges Familienverhältnis dar, wobei auch eine persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit bestehe.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch die zuständige Richterin über die gegenständliche Beschwerde wie folgt erwogen:

 

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Gemäß §§ 73 Abs. 1 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge AsylG) iVm § 1 AsylG ist das oben angeführte Gesetz auf Anträge auf internationalen Schutz anzuwenden, die ab dem 01.01.2006 gestellt wurden. Daraus folgt, dass für das gegenständliche Verfahren das AsylG 2005 anzuwenden war.

 

Am 01. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde tritt.

 

§ 41 Abs. 3 AsylG besagt, dass in einem Verfahren über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden ist. Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesasylamtes im Zulassungsverfahren statt zu geben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch statt zu geben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Der Gesetzgeber hat einerseits für das Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide in Asylangelegenheiten sehr kurze Fristen vorgesehen (siehe §§ 41 Abs. 2 und 37 Abs. 3 AsylG), andererseits aber den Asylgerichtshof dazu verpflichtet, bei einem "mangelhaften Sachverhalt" der Beschwerde stattzugeben, ohne § 66 Abs. 2 AVG anzuwenden (vgl. § 41 Abs. 3 AsylG). Das Ermessen, das § 66 Abs. 3 AVG der Beschwerdebehörde einräumt, allenfalls selbst zu verhandeln und in der Sache zu entscheiden, besteht somit in einem solchen Verfahren nicht. Aus den Materialien (Erläuterungen zur RV, 952 BlgNR 22. GP, 66) geht hervor, dass "im Falle von Erhebungsmängeln die Entscheidung zu beheben, das Verfahren zuzulassen und an das Bundesasylamt zur Durchführung eines materiellen Verfahrens zurückzuweisen" ist. Diese Zulassung stehe einer späteren Zurückweisung nicht entgegen. Daraus und aus den erwähnten kurzen Entscheidungsfristen ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Beschwerdebehörde im Verfahren über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide von einer Ermittlungstätigkeit möglichst entlasten wollte. Die Formulierung des § 41 Abs. 3 AsylG ("wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint"), schließt somit nicht aus, dass eine Stattgabe ganz allgemein in Frage kommt, wenn der Beschwerdebehörde - auf Grund erforderlicher zusätzlicher Erhebungen - eine unverzügliche Erledigung der Beschwerde unmöglich ist.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach der Dublin II-VO ist als negative Prozessvoraussetzung hinsichtlich des Asylverfahrens in Österreich konstruiert. Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist somit die Frage der Zurückweisung des Asylantrages wegen Zuständigkeit eines anderen Staates.

 

Nach Art. 3 Abs. 1 Dublin II-VO wird ein Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates stellt, von jenem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III (Dublin II-VO) als zuständiger Staat bestimmt wird. Kapitel III enthält in den Artikeln 6 bis 13 Dublin II-VO die Zuständigkeitskriterien, die nach Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO "in der in diesem Kapitel genannten Reihenfolge" Anwendung finden.

 

Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw. 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

Um die etwaige Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates festzustellen, wurde der Beschwerdeführer im konkreten Fall erkennungsdienstlich behandelt und ergab diese Behandlung, dass der Genannte am 13.05.2008 einen Asylantrag in Polen stellte.

 

Der Behauptung der Schwester des mj. Beschwerdeführers, sie hätten Polen bzw. den Raum der EU für mehr als drei Monate verlassen und könne dies durch die Bestätigung eines Arztbesuches des Beschwerdeführers bewiesen werden, wurde von der Erstinstanz in nicht ausreichender Weise nachgegangen. Im fortgesetzten Verfahren wird sich die Erstinstanz (sofern eine neuerliche Erlassung einer Unzuständigkeitsentscheidung nach § 5 AsylG beabsichtigt ist), daher eingehend mit dem in der Beschwerdeschrift als Beweis angeführten Bestätigung einer am 00.00.2008 stattgefundenen Spitalsbehandlung in Grosny den mj. Beschwerdeführer betreffend auseinanderzusetzen haben. Dem Asylgerichtshof liegt diese angebliche Bestätigung lediglich in Faxqualität und in russischer Sprache vor. Es erscheint dringend notwendig, eine Übersetzung dieses Beweismittels zu veranlassen und es in weiterer Folge einer eingehenden Prüfung und Beweiswürdigung zu unterziehen.

 

Des Weiteren hat sich die belangte Behörde mit der Einverständniserklärung der Mutter des mj. Beschwerdeführers vom 21.04.2008, in der diese das Einverständnis für die Ausreise des Genannten erteilte und diese Urkunde unterschrieb, auseinanderzusetzen und die Schwester des mj. Beschwerdeführers damit zu konfrontieren, da sie selbst angab, ihre Mutter sei verschollen.

 

Bezüglich der in der Beschwerde geübten Kritik der mangelnden gesetzeskonformen Zustellung des angefochtenen Bescheides ist anzumerken, dass letztlich am 07.11.2008 eine Übernahme des Bescheides durch den nunmehrigen gesetzlichen Vertreter erfolgte, ein allfälliger Zustellmangel damit als geheilt zu betrachten ist.

 

Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte nunmehr angesichts des Spruchinhaltes entfallen

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
29.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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