TE AsylGH Erkenntnis 2008/12/02 S12 400518-2/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.12.2008
beobachten
merken
Spruch

S12 400.518-2/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Maurer-Kober als Einzelrichterin über die Beschwerde des T.M., geb. 00.00.1981, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.10.2008, FZ. 08 00.555-BAT, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 66 Abs 4 AVG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1.1 Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen, ist am 14.01.2008 in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

 

Bei der Erstbefragung am 14.01.2008 durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Tschetschenisch gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er habe Ende September 2006 gemeinsam mit seiner Ehegattin Gudermes mit einem Zug nach Moskau verlassen. Danach seien sie mit einem Zug nach Brest und von dort mit einem Zug nach Teresopol gefahren. Nach der Ankunft in Teresopol seien sie mit einem Taxi in das Flüchtlingslager Dembak gefahren, wo sie einen Asylantrag gestellt hätten, einvernommen und ihnen die Fingerabdrücke abgenommen worden seien. Nach zwei Tagen Aufenthalt in diesem Lager seien sie in das Lager Lomsch verlegt worden. Dort hätten sie sich circa zwei Monate aufgehalten. Danach hätte er gemeinsam mit seiner Ehegattin und der in Polen geborenen Tochter eine Privatwohnung bezogen. Da sie allerdings nach Österreich ausreisen wollen hätten, hätten sie versucht, über die Slowakei nach Österreich zu gelangen. Sie seien von den polnischen Behörden an der polnisch-slowakischen Grenze aufgegriffen und in das Lager Chervonijbor gebracht worden. Dieses Lager sei sehr weit von der nächsten Stadt entfernt gewesen, weshalb es keine Möglichkeit gegeben hätte, einkaufen zu gehen. Die medizinische Versorgung sei sehr schlecht gewesen. Nachdem sie in das Lager Lomsch zurückkehren hätten dürfen, hätten sie keine finanzielle Unterstützung erhalten, weil er den Versuch unternommen habe, Polen zu verlassen. Da sie beschlossen hätten, Polen zu verlassen, seien sie mit einem Bus nach Warschau und von dort mit einem Taxi nach Österreich gefahren. Sein Heimatland habe er verlassen, weil ihm von den russischen Behörden vorgeworfen worden sei, einen Menschen ermordet zu haben. Er sei von den russischen Behörden festgenommen und geschlagen worden.

 

Eine Eurodac-Abfrage vom selben Tag ergab, dass der Beschwerdeführer am 30.09.2006 in Lublin (Polen) einen Asylantrag gestellt hatte.

 

Am 15.01.2008 richtete das Bundesasylamt ein Wiederaufnahmeersuchen an die zuständige polnische Behörde.

 

Am 17.01.2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§§ 4, 5, 68 Abs. 1 AVG, §29 Abs.3 Z 4 AsylG), da Dublin Konsultationen mit Polen seit dem 15.01.2008 geführt werden (vgl. AS 61f).

 

Bei der ärztlichen Untersuchung am 31.01.2008 durch Dr. D., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer an einer dissoziativen Störung bzw. Konversionsstörung mit paranoider Symptomatik leide und eine weitere Abklärung durch einen Facharzt für Neurologie, gegebenenfalls mit medikamentöser Einstellung bzw. Therapie erforderlich sei. Die Störung würde den Beschwerdeführer hindern, seine Interessen im Verfahren wahrzunehmen. Im Falle einer Überstellung nach Polen bestehe die reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer aufgrund dieser psychischen Störung in einen lebensbedrohlichen Zustand gerate oder sich die Krankheit in lebensbedrohlichem Ausmaß verschlechtere.

 

Mit Schreiben vom 19.02.2008 ersuchte das Bundesasylamt das Bezirksgericht Baden gemäß § 11 AVG für den Beschwerdeführer einen Sachwalter zu bestellen. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Baden vom 00.00.2008 wurde das Verfahren mit der Begründung eingestellt, dass der Beschwerdeführer seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst besorgen könne. Ein weiteres Gutachten wurde seitens des Bezirksgerichtes Baden nicht eingeholt (AS 115).

 

Der Beschwerdeführer wurde am 13.06.2008 zu seinem Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Traiskirchen, niederschriftlich einvernommen und brachte auf Vorhalt des Bundesasylamtes, dass beabsichtigt sei, seine Ausweisung aus Österreich nach Polen zu veranlassen, vor, er habe sich in Polen ein Auto gekauft und sei mit diesem ohne Führerschein gefahren. Er habe einen Verkehrsunfall mit einem Polen gehabt. Er habe mit seinem Beifahrer, einem Bekannten, die Plätze getauscht, weil er keinen Führerschein gehabt habe. Der Pole habe den Tausch gesehen. Einige Zeit später, er sei gerade Billard spielen gewesen, seien die Polen, die am Verkehrsunfall beteiligt gewesen seien, gekommen, und es habe eine Schlägerei gegeben. Es sei ihm gelungen wegzulaufen. Diese Polen seien allerdings ins Lager Lomsch gekommen und hätten ihn bedroht. Er habe aufgrund der Bedrohung nicht mehr das Lager verlassen können, daher habe er Polen verlassen. In Polen habe er die Stellung eines anerkannten Flüchtlings und habe eine Pobyt-Karte. Er könne allerdings nicht mehr nach Polen zurückkehren, weil er einerseits immer noch Probleme wegen des Verkehrsunfalls haben würde und er in Polen eingesperrt werden würde. Er habe bereits einige Haftbestätigungen. Als seine Ehegattin schwanger gewesen sei, sei sie nicht untersucht worden. Mit Erhalt der Pobyt-Karte hätten sie keinen Zugang zur medizinischen Versorgung im Lager mehr gehabt. Es gebe ein eigenes Sozialamt für Besitzer einer Pobyt-Karte. Um eine Überweisung zu einem Arzt zu bekommen, würde man eine Meldebestätigung brauchen, die er nicht gehabt habe.

 

2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und stellte fest, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 10 Abs. 1 iVm Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen. Demzufolge sei die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig.

 

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerechte Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Ferner wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und sich in Österreich in Therapie befinde. Das Bundesasylamt habe die Angaben des Beschwerdeführers unberücksichtigt gelassen. Der Verweis auf den Beschluss des Bezirksgerichtes Baden betreffend der Abstandnahme von der Bestellung eines Sachwalters könne keinesfalls als der Diagnose von Dr. D. gleichwertig angesehen werden. In Polen sei er lediglich durch das Medikament Tramal, ein Opiumderivat, "ruhig gestellt worden". Aufgrund seiner psychischen Erkrankung sei es für den Beschwerdeführer schwer, in Polen einer dauerhaften legalen Beschäftigung nachzugehen. Überdies seien in Polen keine ausreichenden Behandlungsmöglichkeiten vorhanden und wäre die erforderliche medizinische Versorgung nicht gewährleistet. Durch die Vollziehung der Ausweisung und die Überstellung nach Polen bestünden daher jedenfalls ein ernsthaftes Risiko einer massiven Verschlechterung und damit ein "real risk", dass der Beschwerdeführer in seinen durch Art. 3 EMRK gewährleisten Grundrechten verletzt werde.

 

Aus einem Aktenvermerk vom 08.07.2008 geht hervor, dass ein Schreiben vom 12.06.2008 von Psychotherapeuten E.K. erst nach Bescheiderlassung der zuständigen Referentin zur Kenntnis gelangt ist, da sich diese im Urlaub befand. Aus diesem Schreiben des Psychotherapeuten E.K. geht her, dass der Beschwerdeführer an einer Mehrfachtraumatisierung mit Diagnose "schweres post-traumatisches Stress-Syndrom (PTSS)" leide. Es sei daher eine reizarme Umgebung zu empfehlen, weshalb eine Verlegung angeregt werde.

 

Mit Schreiben der Diakonie Flüchtlingsdienst vom 18.07.2008 wurde eine weiterer psychotherapeutischer Kurzbericht über den psychischen Status des Beschwerdeführers, erstellt von Psychotherapeut E.K. vorgelegt, worin im Falle des Beschwerdeführers eine schwere post-traumatische Belastungsstörung zu Folge serieller Traumatisierung, insbesondere durch sexualisierte Gewalt, chronifiziert hinsichtlich länger zurückliegender Ereignisse, diagnostiziert wurde. Ferner wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer während der Gespräche eine Empfindlichkeit hinsichtlich Retraumatisierung wie auch latente Suizidalität deutlich gemacht hat. Aus diesem Grund wäre dieser für den Fall der Ignoranz seiner besonderen Schutz- und Schonungsbedürftigkeit einem erhöhten Risiko der weiteren, anhaltenden Verschlechterung seines Gesundheitszustandes und Verschlechterung seiner latenten Suizidalität ausgesetzt.

 

4. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 18.07.2008, GZ: S12 400.518-1/2008/2Z, wurde der Beschwerde gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

5. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28.07.2008, GZ: S12 400.518-1/2008/4E, wurde der Beschwerde gemäß § 41 Abs. 3 AsylG 2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

 

In der Begründung hielt der Asylgerichtshof fest, dass im angefochtenen Bescheid die gutachterliche Stellungnahme von Dr. D., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, überhaupt nicht gewürdigt wurde. Überdies habe es das Bundesasylamt unterlassen sich mit dem vor Bescheiderlassung eingelangten psychotherapeutischen Kurzbericht von Psychotherapeut E.K. vom 12.06.2008 auseinanderzusetzen. Der Sachverhalt, welcher dem Asylgerichtshof vorliege, sei daher "so mangelhaft" dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unerlässlich sei.

 

6. Mit Schreiben vom 20.08.2008 richtet das Bundesasylamt einen Begutachtungsauftrag an Dr. W., Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie.

 

Aus dem Psychiatrischen/Neurologischen Sachverständigengutachten vom 13.10.2008 geht hervor, dass der Beschwerdeführer an einer Persönlichkeitsstörung, auf deren Basis sich eine Persönlichkeitsveränderung nach diversen Belastungen entwickelt habe, leide. Eine medikamentöse Behandlung der Schlafstörungen und der inneren Spannungszustände wären indiziert; begleitend sei eine Psychotherapie anzuraten. Der Beschwerdeführer sei aus medizinischer Sicht überstellungsfähig. Zur Überstellung in ein sicheres Drittland wäre jedes Beförderungsmittel geeignet. Falls die Angaben des Beschwerdeführers über die Übergriffe, denen er in seiner Heimat ausgesetzt gewesen sei, der Wahrheit entsprächen, wäre eine Überstellung in sein Heimatland aus medizinischer Sicht nicht zumutbar.

 

7. Der Beschwerdeführer wurde am 16.10.2008 zu dem Psychiatrischen/Neurologischen Sachverständigengutachten vom Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Traiskirchen, niederschriftlich einvernommen und brachte hierzu im Wesentlichen vor, er wisse, wie es ihm gehe. Wie könne eine Frau in ein paar Stunden an einem Tag feststellen, wie es ihm gehe und wie er sich fühle. Er sei mit dem Gutachten nicht einverstanden und sei auch nicht damit einverstanden, nach Polen überstellt zu werden.

 

8. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und stellte fest, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen. Demzufolge sei die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG zulässig.

 

9. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, fristgerechte Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens, mangelhafter Beweiswürdigung, unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Aus dem Akteninhalt sei erkennbar, dass sich Polen am 30.01.2008 bereiterklärt habe, die Beschwerdeführer wiederaufzunehmen, womit das Konsultationsverfahren mit 30.01.2008 abgeschlossen worden sei. Die Beschwerdeführer seien weder inhaftiert, noch flüchtig, sodass aus dem Akteninhalt eine Verlängerung der 6-Monatsfrist nicht ersichtlich sei. Sonstige Hemmungen des Fristlaufes seien ebenfalls nicht hervorgekommen. Gemäß Art. 19 Abs. 4 Dublin II-VO ende somit im Falle der Beschwerdeführer die 6-Monatsfrist mit 30.07.2008 und sei Österreich seit 31.07.2008 gemäß der Dublin II-VO zuständig, die materiellen Asylverfahren der Beschwerdeführer durchzuführen. Des Weiteren wurde vollinhaltlich auf die Beschwerde vom 07.07.2008 verwiesen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem dem Asylgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakt des Beschwerdeführers.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Gemäß Artikel 20 Abs. 2 Dublin II VO geht die Zuständigkeit auf den Mitgliedstaat über in dem der Asylantrag eingereicht wurde, wenn die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt wird. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung oder die Prüfung des Antrages aufgrund der Inhaftierung des Asylbewerbers nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf 18 Monate, wenn der Asylbewerber flüchtig ist. Gemäß Artikel 20 Abs. 1 lit. d erfolgt die Überstellung gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedsstaates nach Abstimmung zwischen den beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies materiell möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von 6 Monaten nach der Annahme des Antrages auf Wiederaufnahme durch einen anderen Mitgliedsstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Im vorliegenden Fall ist dem Bundesasylamt zwar zuzustimmen, dass eine Zuständigkeit Polens gemäß Art. 16 Abs 1 lit c bestand. Die 6-monatige Überstellungsfrist des Art. 20 Abs 1 lit. d Dublin II VO ist zum Entscheidungszeitpunkt jedoch bereits abgelaufen. Im gegenständlichen Verfahren führte das Bundesasylamt vom 15.01.2008 bis 30.01.2008 Konsultationen mit Polen gemäß der Dublin II-Verordnung und teilte dies dem Beschwerdeführer innerhalb der 20-Tages-Frist des § 28 Abs. 2, 2. Satz AsylG 2005 mit. Am 30.01.2008 stimmte Polen einer Übernahme des Beschwerdeführers gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO zu. Die 6-Monatsfrist begann daher gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d Dublin II-VO mit der Zustimmung Polens am 30.01.2008 zu laufen. Mit Beschluss des Asylgerichtshofes vom 18.07.2008 wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt, weshalb die 6-Monatsfrist bis zur Erlassung des zurückweisenden Erkenntnisses am 28.07.2008 gehemmt war. (Vergleich dazu Filzwieser/Liebminger, Doublin II VO zweite Auflage, Troscar 25). Ein neuerlicher Laufbeginn der 6-Monatsfrist ab Entscheidung der Rechtsmittelinstanz ist im konkreten Fall nicht möglich, weil es aufgrund der besonderen rechtlichen Konstellation des § 41 Abs. 3 - eine Zurückverweisung an die erstinstanzliche Behörde wegen mangelhafter ermittelten Sachverhalts - die von der Dublin Verordnung geforderte materielle Möglichkeit eine Überstellung nicht gegeben war.

 

Die 6-Monatsfrist ist sohin am 09.08.2008 abgelaufen. Der Bescheid des Bundesasylamtes war daher aus diesem Grund - ohne auf das Beschwerdevorbringen und sonstige Umstände eingehen zu müssen - ersatzlos zu beheben.

 

3. Da die gegenständliche Entscheidung des Bundesasylamtes außerhalb des Zulassungsverfahrens ergangen ist (siehe Frank/Anerinhof/Filzwieser, AsylG 2005, K6., vierter Spiegelstrich zu § 28 AsylG), ist § 41 Abs 3, 2. und 3. Satz nicht anwendbar und stützt sich die getroffene Entscheidung daher auf die allgemeine Norm des § 66 Abs 4 AVG, der der Berufungsinstanz das Recht einräumt, den angefochtenen Bescheid in jeder Richtung abzuändern. Die Erstbehörde wird das weiterhin zugelassene Asylverfahren der Berufungswerberin nun in geeigneter Weise inhaltlich zu prüfen haben. Eine neuerliche Unzuständigkeitsentscheidung gemäß § 5 AsylG kommt bei der gegebenen Sachlage nicht mehr in Frage.

Schlagworte
Familienverfahren, Fristversäumung, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
13.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten