C2 310838-1/2008/7E
schriftliche Ausfertigung des am 3.11.2008 mündlich verkündeten
ERKENNTNISSES
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Marth als Vorsitzenden und die Richterin Dr. Fischer-Szilagyi als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin Geiger Anja über die Beschwerde der S.N., geb. 00.00.1958, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 09.03.2007, FZ. 06 11.358-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.11.2008 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde von S.N. vom 23.3.2007 gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 9.3.2007, Zahl: 06 11.358-BAG, wird gemäß § 3 AsylG stattgegeben und S.N.der Status eines Asylberechtigten zuerkannt.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG wird festgestellt, dass S.N. kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I.
I.1. Verfahrensgang
Die nunmehr beschwerdeführende Partei hat am 17.10.2006 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wurde der unter i. bezeichnete Antrag der beschwerdeführenden Partei mit im Spruch bezeichneten Bescheid vom 9.3.2007, erlassen am 12.3.2007 abgewiesen. Unter einem wurde festgestellt, dass der beschwerdeführenden Partei gemäß § 8 Absatz 1 Ziffer 1 iVm § 34 Absatz 3 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt. Der beschwerdeführenden Partei wurde überdies eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Absatz 4 AsylG bis zum 10.08.2009 erteilt. Zur Begründung siehe den Bescheid im Akt.
Mit am 26.3.2007 mittels Telefax eingebrachtem Schriftsatz wurde gegen den im Spruch bezeichneten Bescheid Beschwerde erhoben. Zur Begründung wird auf die im Akt einliegende Berufung verwiesen.
Vom entscheidenden Senat des Asylgerichtshofes wurde am 3.11.2008 eine mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers abgehalten, in der insbesondere die Lebenssituation der Beschwerdeführerin in Österreich und die Verinnerlichung westlicher Werte und Lebensgewohnheiten thematisiert wurden. Im Rahmen der Verhandlung wurde am Ende das nunmehr schriftlich ausgefertigte Erkenntnis mündlich verkündet.
Im Verfahren vor dem Asylgerichtshof wurden folgende Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin in das Verfahren als Beweismittel eingeführt:
U.S. Department of State, International Religious Freedom Report 2007, September 2007
Karte Afghanistan
Schweizer Eidgenossenschaft, Focus, Zur Aktuellen Lage, Oktober 2006
Schweizer Flüchtlingshilfe, Afghanistan, Dezember 2006
Human Rights Watch, Afghanistan, Jänner 2007
U.S. Department of State, Afghanistan, Country Report on Human Rights Practices, März 2007
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der islamischen Republik Afghanistan, Februar 2007
Amnesty International, Afghanistan, 2007
Amnesty international Deutschland, Todesstrafe nicht abgeschafft, 1.01. bis 31.12.2006
UNHCR, Die Sicherheitslage in Afghanistan mit Blick auf die Gewährung ergänzenden Schutzes - Aktualisierte Analyse der Situation in Afghanistan und der Erwägung zum Internationalen Schutz, September 2007
Restricted, Afghanistan Security Situatin relating to Complementary Forms of Protection, Update on the Situation in Afghanistan and International Protection Consideration, Juni 2005
Home Office, Country of Origin Information Report Afghanistan, September 2007
Im Verfahren vor dem Bundesasylamt und vor dem Asylgerichtshof wurde darüber hinaus ein auf die Beschwerdeführerin lautender afghanischer Reisepass als Beweismittel vorgelegt; andere Beweismittel wurden weder vorgelegt noch von Amts wegen beigeschafft.
I.2. Feststellungen und Beweiswürdigung
Die nachfolgenden Feststellungen gründen sich auf die oben erwähnten Beweismittel und auf den gesamten erstinstanzlichen Verwaltungsakt sowie auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof.
Die beschwerdeführende Partei führt den Namen S.N., ist am 00.00.1958 geboren und afghanische Staatsangehörige.
Die Identität und die Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin stehen auf Grund des vorgelegten afghanischen Reisepasses fest.
Die beschwerdeführende Partei ist weiblich und hat die westlichen Werte und die westliche Lebensart verinnerlicht.
Die Feststellung zum Geschlecht ergibt sich aus dem Augenschein in der mündlichen Verhandlung.
Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof am 3.11.2008 hat die Beschwerdeführerin glaubhaft gemacht, dass sie westliche Werte und die westliche Lebensart verinnerlicht hat. Neben ihrem selbständigen und selbstbewussten Auftreten hat ihre Kleidung dies offenkundig gemacht. Die westliche Lebensführung, welche bereits Bestandteil der Identität der Beschwerdeführerin geworden ist, könnte nur noch unter beachtlichem Leidensdruck abgelegt werden. Dies ergibt sich aus den Aussagen der Beschwerdeführerin vor dem Asylgerichtshof sowie der Wahrnehmung der erkennenden Richter.
Die Lebensart und Lebensführung der Beschwerdeführerin wird in Afghanistan nicht toleriert und würde zu erheblichen Repressionen führen. Der Beschwerdeführerin steht eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative nicht zur Verfügung.
Zur Situation der Frauen in Afghanistan siehe die unter Punkt v. angeführten landeskundlichen Quellen, wobei insbesondere der Bericht der schweizerischen Flüchtlingshilfe, Afghanistan Update: Aktuelle Entwicklungen von Corinne Troxler Gulzar vom 21.8.2008, hervorzuheben wäre, wo es unter anderem lautet:
"Die Situation afghanischer Frauen hat sich seit dem Sturz der Taliban-Herrschaft teilweise verschlechtert. Die Bewegungsfreiheit bleibt, mit regionalen Unterschieden, stark eingeschränkt. Die registrierten Fälle physischer Gewalt gegenüber Frauen sind seit März 2007 um rund 40 Prozent gestiegen: 2374 registrierte Übergriffe im Jahr 2007 (Januar bis November 2006: 1545 Fälle) (siehe UNHCR, Eligibility Guidelines, Dezember 2007). Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. In diesem Zeitraum haben rund 626 Frauen einen Selbstmordversuch begangen. (IRIN News vom 8.3.2008) Erzwungene Heiraten, häusliche Gewalt, sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen, Frauenhandel und Ehrenmorde gehören zu den gegen Frauen angewandten Gewaltformen. Die Täter sind meist männliche Familienmitglieder. Wenn Frauen Anzeige erstatten, werden sie oft genau den von ihnen angezeigten Männern ausgeliefert. (siehe UNHCR, Eligibility Guidelines, Dezember 2007) Vieles deutet darauf hin, dass die staatlichen Akteure in Afghanistan nicht in der Lage oder wegen konservativ-islamischen Wertevorstellungen nicht gewillt sind, Frauen zu schützen. Frauen bleiben meist ihrem Schicksal überlassen."
Aus einem UNHCR-Bericht vom 20.3.2008 war Folgendes zu entnehmen:
"...Ferner müssen Frauen, die angeblich oder tatsächlich gegen die vorherrschenden sozialen Normen verstoßen oder alleinstehend sind, als besonders gefährdet angesehen werden. Dies gilt auch für unbegleitete Minderjährige, Homosexuelle und Afghanen, die mit internationalen Organsiationen und Sicherheitskräften in Verbindung gebracht werden..."
Bericht Auswärtiges Amt vom 7.3.2008 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan (Stand Februar 2008):
"...In der Region Herat gelten weiterhin verschiedene Restriktionen aus der Taliban-Zeit. Mädchen und Frauen sind dort in ihrer Bewegungs- und Handlungsfreiheit aufgrund eines ausgeprägten traditionellen Verhaltenskodex stark eingeschränkt. In dieser Region wird - mit abnehmender Tendenz - eine erhebliche Zahl von Selbstverbrennungen von Frauen verzeichnet. Überwiegend handelt es sich dabei um aus dem Iran zurückgekehrte Flüchtlingsfrauen, von denen angenommen wird, dass sie sich vorwiegend aus Verzweiflung wegen Kinder- und Zwangsverheiratung selbst verbrannt haben. Verlässliche Statistiken liegen nicht vor...".
Sämtliche Aussagen der Beschwerdeführerin - im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof am 3.11.2008 - über die Situation der Frauen in Afghanistan fanden in obgenannten Quellen ihre Bestätigung.
Nachdem die Beschwerdeführerin einen betagten Gatten hat - der an Alzheimer leidet und ein Pflegefall ist - und alle ihre Kinder den Herkunftsstaat verlassen haben, wäre sie in Afghanistan auf sich alleine gestellt. Da die beschwerdeführende Partei ihren Aussagen zufolge keine Schulen besuchen sowie das Haus nicht verlassen durfte, und ihr eine berufliche Tätigkeit von ihrem Ehemann nicht erlaubt wurde, ist ihr eine selbständige Deckung des Lebensunterhalts - für sie und ihren pflegebedürftigen Ehemann - nicht möglich. Weiters ist die Situation für Frauen - wie aus den zitierten Berichten zu entnehmen war - im gesamten Staatsgebiet Afghanistans dieselbe, daher ist das Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen.
Es liegen keine Gründe vor, nach denen die beschwerdeführende Partei von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten auszuschließen ist.
Solche Gründe sind im Verfahren nicht hervorgekommen.
II.
II.1.: Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I des im Spruch genannten Bescheides
Anzuwenden war das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden: "AsylG 2005"), das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung.
Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 61 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.
Gemäß § 3 AsylG 2005 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in Folge: GFK), droht und dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.
Die Beschwerdeführerin hat sich inzwischen westliche Werte und die westliche Lebensart zu Eigen gemacht, würde sie diese in Afghanistan leben, würde dies zu erheblichen Repressionen führen. Frauen, die westliches Verhalten bzw. westliche Lebensführung - welche in Afghanistan als Verletzung sozialer Normen angesehen wird - angenommen haben, sind bei einer Rückkehr nach Afghanistan als gefährdet anzusehen. (Siehe dazu die Judikatur des VwGH 16.01.2008, 2006/19/0182)
Daher war der Beschwerdeführerin der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG auszusprechen, dass ihr Kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
II.2. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.