TE AsylGH Erkenntnis 2008/12/09 D1 309448-1/2008

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Veröffentlicht am 09.12.2008
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Spruch

D1 309448-1/2008/3E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Stracker als Vorsitzenden und den Richter Dr. Feßl als Beisitzer über die Beschwerde des M. V., geb. 00.00.1989, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19.01.2007, FZ. 06 03.382-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der zum Antragszeitpunkt minderjährige (nunmehrige) Beschwerdeführer stellte am 24.03.2006 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

 

2. Anlässlich der niederschriftlichen Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er im Wesentlichen an, dass er am 23.11.2005 in Polen eingereist sei, wo er sich ca. vier Monate in einem Jugendheim aufgehalten habe. Danach habe er einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt. In seiner Heimat könne er nicht mehr in Ruhe leben, da er in der Schule dauernd von russischen Soldaten nach dem Aufenthaltsort seiner Eltern gefragt werde, dies obwohl sein Vater bereits 2005 festgenommen worden sei.

 

3. Am 03.04.2006 wurde der Beschwerdeführer im Beisein seiner Mutter als gesetzlicher Vertreterin von einem Organwalter des Bundesasylamtes, Erstaufnahmestelle Ost, niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er kurz zusammengefasst an, dass er gemeinsam mit seinem Bruder R. am 07.11.2005 Tschetschenien verlassen habe und mit der Bahn nach Polen gefahren sei. Dort hätten sie am 23.11.2005 einen Asylantrag und danach einen Antrag auf Familienzusammenführung gestellt. Am 24.03.2006 sei er dann per Flugzeug nach Österreich gekommen. Sein Vater sei 2005 von Soldaten mitgenommen worden und seither verschollen. Danach sei er immer wieder von Zivilpersonen nach dem Aufenthaltsort seiner Eltern befragt worden.

 

4. Am 18.12.2006 fand eine neuerliche niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, statt. Dabei gab er im Beisein seiner Mutter als gesetzlicher Vertreterin an, dass er bis zum Jahr 2000 in K. in Tschetschenien gelebt habe und dann mit der Familie nach S. gefahren sei. Dort hätten sie sich bis zum Oktober 2003 aufgehalten und hätten sie danach nach Österreich reisen wollen. Seine Brüder R. und S., sein Vater und er seien jedoch von den restlichen Familienmitgliedern getrennt worden und hätten die ukrainisch-slowakische Grenze nicht überschreiten können. Sein Vater, R. und er seien dann, nachdem sie den Bruder S. einer Bekannten übergeben hätten, zurück nach S. gereist. Er habe danach abwechselnd bei seiner Großmutter in K. und seiner Großmutter in Urus-Martan gelebt. Der Vater sei zu Neujahr 2005 von russischen Soldaten verschleppt worden, sei nach zwei oder drei Tagen aber vom Onkel wieder zurückgebracht worden. Insgesamt sei der Vater dreimal verschleppt worden, seit 2005 sei er verschollen. In der Schule sei er mehrmals von Zivilpersonen mit Polizeiausweis nach dem Aufenthaltsort seiner Eltern gefragt worden.

 

5. Das Bundesasylamt hat den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz vom 24.03.2006 mit dem angefochtenen Bescheid vom 19.01.2007, FZ. 06 03.382-BAE, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), dem nunmehrigen Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten gem. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihn zugleich gem. § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

 

Im Wesentlichen begründete das Bundesasylamt seine Entscheidung damit, dass der Beschwerdeführer keine konkreten, gegen seine Person gerichteten Verfolgungshandlungen aus asylrechtlich relevanten Gründen vorgebracht habe. Vielmehr sei dieser nur deshalb nach Österreich gekommen, da sich hier seit dem Jahre 2004 seine Mutter aufhalte.

 

6. Gegen diesen Bescheid richtet sich die gegenständliche (nunmehr als Beschwerde zu wertende) Berufung vom 31.01.2007.

 

7. Mit Erkenntnis vom heutigen Tage, GZ. D1 251629-0/2008/2E, hob der Asylgerichtshof den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Asylantrag der Mutter des Beschwerdeführers, T. R., gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen und zugleich ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, sowie ihre Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet gemäß § 8 Abs. 1 und 2 leg cit. für zulässig erklärt worden war, gemäß § 66 Abs. 2 AVG auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) hat der Asylgerichtshof mit 1. Juli 2008 seine Tätigkeit aufgenommen. Gleichzeitig ist das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft getreten.

 

1.2. Gemäß § 75 Abs. 7 Asylgesetz 2005 idgF (AsylG 2005) sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Das gegenständliche Verfahren war am 01.07.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig und ist daher vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Es handelt sich um ein Beschwerdeverfahren gegen einen abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes, in dem eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hatte. Demnach hatte über die vorliegende Beschwerde unter sinngemäßer Anwendung von § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 der Asylgerichtshof, und zwar durch den nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat zu entscheiden.

 

1.3. Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

1.4. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG 2005 ist das Asylgesetz 2005 am 01.01.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 leg. cit. auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren.

 

2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, "wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist."

 

2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden.

(...)

 

Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als ¿unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084).

 

Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichthofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. dazu auch das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."

 

2.3. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17.10.2006, Zl. 2005/20/0459, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:

 

"Einem zurückweisenden Bescheid iSd § 66 Abs. 2 AVG muss (demnach) auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. zum Ganzen zuletzt das Erkenntnis vom 20.04.2006, Zl. 2003/01/0285)."

 

Was für den Unabhängigen Bundesasylsenat bis zum 30.06.2008 zu gelten hatte, gilt nunmehr sinngemäß gleichermaßen auch für den Asylgerichtshof.

 

2.4. Gemäß § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG gilt der Antrag des Familienangehörigen eines Asylwerbers auf internationalen Schutz als "Antrag auf Gewährung desselben Schutzes". Die Behörde hat gemäß § 34 Abs. 4 AsylG Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind "unter einem" zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist "Familienangehöriger", wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat. Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Beschwerde erhoben, gilt diese gemäß § 36 Abs. 3 AsylG auch als Beschwerde gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich.

 

3. Mit dem oben unter Punkt I.5. genannten Erkenntnis hat der Asylgerichtshof jenen Bescheid, mit dem der Asylantrag der T. R. durch das Bundesasylamt gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen worden war, gemäß § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

 

Im Hinblick auf die Bestimmungen des Familienverfahrens (§ 34 AsylG 2005) sowie darauf, dass der über den Asylantrag der Mutter und gesetzlichen Vertreterin des Beschwerdeführers ergangene Bescheid des Bundesasylamtes behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen wurde, konnte auch der den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz abweisende angefochtene Bescheid keinen Bestand haben.

 

5. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden. Von der Durchführung einer öffentlichen Beschwerdeverhandlung konnte gem. § 67d AVG i. V.m. § 41 Abs. 7 AsylG 2005 abgesehen werden.

Schlagworte
Familienverfahren, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
31.12.2008
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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