D1 251638-0/2008/2E
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Mag. Stracker als Vorsitzenden und den Richter Dr. Feßl als Beisitzer über die Beschwerde der mj. M. H., geb. 00.00.2003, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 08.07.2004, FZ. 04 09.257-BAE, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
I. Verfahrensgang:
1. Die minderjährige (nunmehrige) Beschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihrer Mutter und drei ihrer Geschwister am 28.04.2004 von der Slowakei kommend illegal in das Bundesgebiet ein und stellte die Mutter noch am selben Tag - sowohl für sich als auch für ihre Kinder als gesetzliche Vertreterin - einen Antrag auf die Gewährung von Asyl.
2. Die gesetzliche Vertreterin der Minderjährigen wurde von einem Organwalter des Bundesasylamtes, Außenstelle Eisenstadt, zum Fluchtweg und den Fluchtgründen niederschriftlich befragt und gab dabei im Wesentlichen an, dass sie am 05.02.2000 ihren Heimatort in Tschetschenien verlassen habe und etwa am 16. oder 18.02.2000 mit ihren (damals) vier Kindern in das Flüchtlingslager S. in Inguschetien gereist sei. Mitte März 2004 habe sie mit ihrem nachgereisten Mann und ihren (nunmehr) sechs Kindern das Flüchtlingslager verlassen und sei über die Ukraine weiter nach Österreich gereist. Zuvor sei sie aber von ihrem Mann und drei ihrer Söhne getrennt worden. Nach zwei Tagen in Österreich seien dann sie und drei ihrer Kinder in die Slowakei geschoben worden, wo sie sich einen Monat aufgehalten hätten. Telefonisch habe sie dann erfahren, dass ihr jüngster Sohn zu ihr stoßen würde, ihr Mann und ihre zwei ältesten Söhne aber mittlerweile wieder in Inguschetien seien. Am 27.04.2004 habe sie dann mit den nunmehr vier bei ihr befindlichen Kindern das slowakische Flüchtlingslager verlassen und habe sie am nächsten Tag zu Fuß die österreichische Grenze überschritten. Ihr Heimatland habe sie vor allem wegen (der Zukunft) ihrer Kinder verlassen. Anfang 2000 sei ihr Heimatdorf bombardiert und ihr Sohn
D. dabei von einem Granatsplitter getroffen worden. Er habe damals ständig geschrien und habe sie ihn dann in S. auch von einem Arzt untersuchen lassen. Ein weiterer Fluchtgrund sei, dass ihr Mann früher für B. G. gearbeitet habe, der in Grosny gegen die Russen gekämpft habe und seit damals gesucht werde. Ihre Familie sei ständig von russischen Soldaten über dessen Aufenthaltsort befragt worden. Ihr Mann sei deswegen auch dreimal festgenommen und angehalten worden. Sie persönlich werde nicht verfolgt, wolle aber, dass ihre Söhne "das" nicht erleben müssen. Sie sei wegen der Zukunft ihrer Kinder ausgereist und würden sie als Familie zusammenbleiben wollen. Persönlicher Verfolgung sei keines ihrer Kinder ausgesetzt gewesen.
3. Das Bundesasylamt hat den gegenständlichen Asylantrag vom 28.04.2004 mit dem angefochtenen Bescheid vom 08.07.2004, FZ. 04 09.257-BAE, gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.), festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der minderjährigen Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 zulässig sei (Spruchpunkt II.) und sie zugleich gem. § 8 Abs. 2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
Im Wesentlichen begründete das Bundesasylamt seine Entscheidung damit, dass die Mutter der mj. Beschwerdeführerin keine persönlichen, konkreten Verfolgungshandlungen aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Gründen vorgebracht habe. Vielmehr sei diese mit ihren Kindern aufgrund des Bürgerkrieges und der daraus resultierenden allgemeinen Rahmenbedingungen geflüchtet. Einer darüber hinaus gehenden persönlichen Verfolgungsgefahr sei kein Familienmitglied ausgesetzt gewesen.
4. Gegen diesen, der gesetzlichen Vertreterin der Minderjährigen am 12.07.2004 zugestellten Bescheid, richtet sich die gegenständliche (nunmehr als Beschwerde zu wertende) Berufung vom 22.07.2004 (AS 55 ff.).
5. Mit Erkenntnis vom heutigen Tage, GZ. D1 251629-0/2008/2E, hob der Asylgerichtshof den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem der Asylantrag der Mutter der Beschwerdeführerin, T. R., gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen und zugleich ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, sowie ihre Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet gemäß § 8 Abs. 1 und 2 leg cit. für zulässig erklärt worden war, gemäß § 66 Abs. 2 AVG auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück.
II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
1.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (AsylGHG) hat der Asylgerichtshof mit 1. Juli 2008 seine Tätigkeit aufgenommen. Gleichzeitig ist das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft getreten.
1.2. Gemäß § 61 Abs. 1 Asylgesetz 2005 in der geltenden Fassung (AsylG 2005) entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über
Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und
Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
1.3. Gemäß § 75 Abs. 1 AsylG sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 (AsylG 1997) zu Ende zu führen, wobei die Übergangsbestimmung des § 44 Abs. 1 AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 i.d.F. BGBl. I Nr.101/2003 gilt.
Da im vorliegenden Fall der verfahrenseinleitende Antrag vor dem 01.05.2004 gestellt wurde, kommt das Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 zur Anwendung.
1.4. Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:
Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängige Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.
Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.
Demnach hat über die vorliegende Beschwerde unter sinngemäßer Anwendung von § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 der Asylgerichtshof, und zwar durch den nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat zu entscheiden.
1.5. Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.
2.1. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, so der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.
Gemäß § 66 Abs. 3 AVG kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, "wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist."
2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:
"Im Berufungsverfahren vor der belangten Behörde ist gemäß § 23 AsylG und Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG (unter anderem) § 66 AVG anzuwenden. Nach § 66 Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 hat die Berufungsbehörde notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen. Außer dem in § 66 Abs. 2 AVG erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, gemäß § 66 Abs. 4 AVG immer in der Sache selbst zu entscheiden.
(...)
Die Berufungsbehörde darf eine kassatorische Entscheidung nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann treffen, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als ¿unvermeidlich erscheint'. Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff ¿mündliche Verhandlung' iSd § 66 Abs. 2 AVG siehe das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084).
Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.
Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichthofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. dazu auch das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2000/20/0084)."
2.3. Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17.10.2006, Zl. 2005/20/0459, zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat ausgeführt:
"Einem zurückweisenden Bescheid iSd § 66 Abs. 2 AVG muss (demnach) auch entnommen werden können, welche Mängel bei der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes im Verfahren vor der Unterbehörde unterlaufen und im Wege der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung zu beheben sind (vgl. zum Ganzen zuletzt das Erkenntnis vom 20.04.2006, Zl. 2003/01/0285)."
Was für den Unabhängigen Bundesasylsenat bis zum 30.06.2008 zu gelten hatte, gilt nunmehr sinngemäß gleichermaßen auch für den Asylgerichtshof.
3. Mit dem oben unter Punkt I.5. genannten Erkenntnis hat der Asylgerichtshof jenen Bescheid, mit dem der Asylantrag der T. R. durch das Bundesasylamt gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen worden war, gemäß § 66 Abs. 2 AVG aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
Im Hinblick darauf, dass der über den Asylantrag der Mutter und gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin ergangene Bescheid des Bundesasylamtes behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen wurde, konnte auch der den gegenständlichen Asylantrag abweisende angefochtene Bescheid keinen Bestand haben.
4. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden. Von der Durchführung einer öffentlichen Beschwerdeverhandlung konnte gem. § 67d AVG i. V.m. § 41 Abs. 7 AsylG 2005 abgesehen werden.