TE AsylGH Erkenntnis 2008/12/09 S11 402927-1/2008

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Veröffentlicht am 09.12.2008
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Spruch

S11 402927-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichterin über die Beschwerde desF.R., geb.00.00.1980, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.11.2008, Zl. 08 08.448 EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird gemäß § 41 Abs. 3 AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005 stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Bescheiderlassung ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt.

 

Der Beschwerdeführer reiste von Griechenland kommend auf einem LKW versteckt in das österreichische Bundesgebiet ein. Der Beschwerdeführer stellte am 11.09.2008 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag erstmals zu seinem Antrag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einvernommen. Am 05.11.2008 fand eine weitere Einvernahme des Beschwerdeführers beim Bundesasylamt in Gegenwart eines Dolmetschs der Sprache Dari und eines Rechtsberaters statt.

 

Eine Eurodac-Anfrage ergab, dass der Beschwerdeführer davor am 28.07.2008 in Griechenland (Samos) erkennungsdienstlich behandelt worden war. Das Bundesasylamt stellte am 23.09.2008 gemäß Art. 10 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-Verordnung) ein dringliches Aufnahmeersuchen an Griechenland. Die zuständige griechische Behörde stimmte einer Übernahme des Beschwerdeführers mittels Schreiben vom 31.10.2008 gemäß Art. 10 Abs. 1 iVm Art. 18 Abs. 7 Dublin II-Verordnung zu.

 

Am 24.09.2008 bestätigte der Beschwerdeführer mit seiner Unterschrift den Erhalt der Mitteilung des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG vom 23.09.2008, wonach beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und zu diesem Zwecke Konsultationen mit Griechenland geführt würden. Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen wurde dem Beschwerdeführer sohin innerhalb der 20-Tagesfrist nach Antragseinbringung übermittelt.

 

Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren folgenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt vor:

 

In der Erstbefragung am 11.09.2008 gab der Beschwerdeführer an, er habe sein Heimatland ungefähr Anfang Juli 2008 verlassen und sei über Pakistan und die Türkei schließlich mit einem kleinen Motorboot nach Griechenland gelangt. Über Athen sei er nach Patras gelangt, von wo aus er mit einem Schiff letztendlich nach Österreich gelangt sei. Es seien ihm im Zuge seiner Reise mehrmals Fingerabdrücke abgenommen worden. Auf Vorhalt des Eurodac-Treffers von Samos gab der Beschwerdeführer an, das sei wahrscheinlich der Ort, wo man ihm Fingerabdrücke abgenommen habe.

 

Zu den Gründen, warum er Griechenland verlassen habe, gab der Beschwerdeführer an, es sei in Griechenland nicht gut gewesen.

 

Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer an, er werde von den "Kutschi", welche zu den Taliban gehörten, bedroht. Sie hätten gedroht, ihn zu töten, wenn er sein Heimatland nicht verlasse.

 

In der Einvernahme am 05.11.2008 gab der Beschwerdeführer weiters an, er wolle lieber in Afghanistan sterben, als nach Griechenland zurückgeschickt zu werden. Bei seiner Ankunft sei das Boot kaputt gewesen, die Polizei habe aber seine Hilferufe ignoriert. Die griechische Polizei ignoriere Asylanträge. Auf den Vorhalt, das könne der Beschwerdeführer mangels Antragstellung gar nicht wissen, gab dieser an, er habe viele Afghanen kennengelernt, welche trotz roter Karte auf der Straße gelebt hätten. Weiters gab der Beschwerdeführer an, die griechische Polizei werde ihn schlagen und er werde kein Essen bekommen. Er sei in Griechenland nicht versorgt worden. Auf den Vorhalt, dass dies auf die fehlende Asylantragstellung zurückzuführen sei, gab der Beschwerdeführer an, er habe gedacht, er hätte einen Asylantrag gestellt, aber er habe eine Ausreiseaufforderung erhalten. Auf den Vorhalt, in Österreich habe er doch gewusst, dass man einen Asylantrag stellen müsse, gab der Beschwerdeführer an, er habe nur gewusst, dass es ein Lager gibt.

 

2. Das Bundesasylamt wies mit dem angefochtenen Bescheid vom 11.11.2008, Zl. 08 08.448 EAST Ost, den Asylantrag des Beschwerdeführers, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück und sprach gleichzeitig aus, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 18 Abs. 7 Dublin II-Verordnung Griechenland zuständig sei. Gleichzeitig wurde der Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Griechenland ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung zulässig sei. Die Erstbehörde traf im angefochtenen Bescheid Feststellungen zur Person des BF, zur Begründung des Dublin-Tatbestandes, zum Privat- und Familienleben des BF und zur Lage im Mitgliedsstaat Griechenland, insbesondere zum Asylverfahren im Allgemeinen, zum Refoulement-Schutz, zum Zugang zum Asylverfahren und zur Versorgung.

 

3. Gegen diesen am 13.11.2008 vom Beschwerdeführer übernommenen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, worin insbesondere auf aktuelle UNHCR-Positionen zu Griechenland, Berichte von Pro Asyl, diverse Zeitungsartikel und Berichte von Hilfsorganisationen zur Situation von Flüchtlingen in Griechenland sowie auf Entscheidungen deutscher Verwaltungsgerichte hingewiesen wurde.

 

4. Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 27.11.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

1. Mit Datum 01.01.2006 ist das neue Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Asylantrag am 11.09.2008 gestellt, weshalb § 5 AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Aufgrund der im Juni 2008 erfolgten Asylantragstellung bezieht sich in casu § 5 AsylG auf die Dublin II-Verordnung, da gemäß Art. 29 leg. cit. diese Verordnung auf Asylanträge anwendbar ist, die ab dem ersten Tag des sechsten Monats nach ihrem Inkrafttreten - dies ist der 01.09.2003 - gestellt werden.

 

Die Dublin II-Verordnung ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird.

 

Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, gleichzeitig mit der Ausweisung auszusprechen, dass die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben ist.

 

Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 01.10.2007, G 179, 180/07 klargestellt, dass die Durchführung einer Ausweisung, wenn sie aus in der Person des Asylwerbers liegenden Gründen, die nicht von Dauer sind, Art. 3 EMRK verletzen würde, für die notwendige Zeit aufzuschieben ist. Er hat weiters festgestellt, dass derartige Hinderungsgründe jedenfalls dann nicht mehr als "vorübergehend" im Sinne des § 10 Abs. 3 AsylG anzusehen sind, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung der Asylbehörde bereits absehbar ist, dass diese Gründe innerhalb der Überstellungsfrist nach Art. 19 bzw. 20 der Verordnung Nr. 343/2003 Dublin II-VO (sechs Monate) nicht wegfallen werden. In einem solchen Fall sei daher von der Zurückweisung nach § 5 AsylG Abstand zu nehmen und - nach Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO - das Asylverfahren zuzulassen.

 

Gemäß § 41 Abs. 3 AsylG ist in einem Verfahren über eine Berufung gegen eine zurückweisende Entscheidung und die damit verbundene Ausweisung § 66 Abs. 2 AVG nicht anzuwenden. Ist der Berufung gegen die Entscheidung des Bundesasylamts im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Berufung gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

2. Es ist daher zunächst zu überprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs. 1 Dublin II-Verordnung) Kriterien der Art. 6 bis 12 beziehungsweise der Art. 14 und 15 Dublin II-Verordnung zuständig ist oder die Zuständigkeit bei ihm selbst nach dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II-Verordnung (erste Asylantragstellung) liegt.

 

Das aufgrund des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des Art. 10 Abs. 1 der Dublin II-VO eingeleitete dringliche Aufnahmeersuchen an Griechenland erfolgte innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrages durch den BF (Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO).

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt zutreffend festgestellt, dass eine Zuständigkeit Griechenlands gemäß Art. 10 Abs. 1 iVm 18 Abs. 7 der Dublin II-VO besteht. Griechenland hat mit Schreiben vom 31.10.2008, eingelangt am 05.11.2008, im Nachhinein auch ausdrücklich der Aufnahme des BF zugestimmt. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

3. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung keinen Gebrauch gemacht. Es war daher - entsprechend den Ausführungen in der Beschwerde - noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

3.1. Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-Verordnung erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter, auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist" (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0449).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II -Verordnung). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, K13. zu Art 19. Dublin II-Verordnung).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-Verordnung, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-Verordnung), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen hat, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-Verordnung umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO², K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat jüngst festgestellt, dass die Rechtsschutz des Gemeinschaftsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in bezog auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

3.2. Das Bundesasylamt legte seinen Feststellungen zur Lage im Mitgliedstaat Griechenland verschiedene Berichte zugrunde. Darin wird auf die rechtliche Situation von Asylwerbern, das Asylverfahren und die medizinische Versorgung von Asylwerbern eingegangen.

 

Im konkreten Fall wurde nun zwar kein besonders substantiiertes Vorbringen in Bezug auf eine mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat im erstinstanzlichen Verfahren und in der Beschwerde getätigt.

 

Zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Bescheiderlassung musste der Erstbehörde jedoch bekannt sein, dass seitens verschiedener Organisationen ua. die Aufnahmebedingungen für Asylwerber in Griechenland scharf kritisiert wurden sowie UNHCR sich in einem Positionspapier vom 15.04.2008 gegen die Überstellung von Asylwerbern nach der Dublin II-VO nach Griechenland ausgesprochen hat. Daher kommt dem Vorbringen des BF zur Versorgung von Asylwerbern und zum Asylverfahren in Griechenland qualifizierte Relevanz zu. Die angenommene Unglaubwürdigkeit dieses Vorbringens des BF wird seitens der Erstbehörde jedoch lediglich mit einem Verweis auf die Länderfeststellungen begründet, was aber schon deshalb zu kurz greift, als sich diese Feststellungen teilweise auf unvollständig zitierte Quellen beziehen und sich die Erstbehörde in der Beweiswürdigung fast ausschließlich auf den Bericht der Fact Finding Mission des schwedischen Migrationsamtes stützt und eine beweiswürdigende Auseinandersetzung etwa mit dem Bericht von NOAS, Norvegian Helsinki Committee und Greek Helsinki Monitor vom 09.04.2008 "A gamble with the rights of asylum-seekers in Europe, Greek asylum-policy and the Dublin II regulation", mit Entscheidungen deutscher Gerichte oder mit aktuellen Berichten von Ärzte ohne Grenzen über die medizinische Versorgung von Asylwerbern in Griechenland nicht stattfindet. Unter diesem Gesichtspunkt kann die vorliegende Entscheidung mangels geeigneter sachverhaltsmäßiger Grundlagen zur Beurteilung der Notwendigkeit eines Selbsteintritts im vorliegenden Einzelfall keinen Bestand haben (siehe schon ähnlich UBAS 05.05.2008, 318.977-1/2E-XV/53/08).

 

Soweit sich aus verschiedenen Berichten, wie beispielsweise dem Bericht des Norwegischen Helsinki Komitees vom 09.04.2008, dem UNHCR-Positionspapier vom 15.04.2008, dem Petitions-Ansuchen von Pro Asyl an den deutschen Bundestag und den darin zitierten zahlreichen sonstigen Quellen, dem Bericht des European Council on Refugees and Exiles (ECRE), dem im Bericht der Presse-Agentur "reuters" vom 10.10.2008 wiedergegebenen Interview des örtlichen Repräsentanten des UNHCR in Griechenland oder dem Bericht von Human Rights Watch vom November 2008, Anhaltspunkte bestehen, dass Griechenland mit der jüngsten Flut von Asylwerbern aufgrund der Randlage innerhalb der Dublin II-VO-Staaten hinsichtlich der Behandlung von Asylanträgen und der Grundversorgung (Wohnen, Nahrung, medizinische Versorgung) überfordert sein könnte, wird das Bundesasylamt auch diese Berichte und insbesondere auch die im UNHCR Positionspapier enthaltene und noch nicht revidierte Empfehlung, bis auf Weiteres von Überstellungen nach Griechenland Abstand zu halten, beweiswürdigend berücksichtigen müssen.

 

Hinsichtlich der Rücknahme der Aussetzung von sog. "Dublin-Überstellungen" nach Griechenland durch Norwegen wird auch die Stellungnahme des UNHCR-Büros für die baltischen und nordischen Staaten in die Beweiswürdigung miteinzubeziehen sein (vgl. Pressespiegel UNHCR vom August 2008) sowie hinsichtlich der Hintergründe der angesprochenen Entwicklungen auch die Mitteilung der norwegischen Regierung "Tightening of the immigration policy" vom 03.09.2008 beweiswürdigend zu berücksichtigen sein.

 

Ausdrücklich nur beispielhaft weist der Asylgerichtshof darauf hin, dass sich das Bundesasylamt beweiswürdigend in weitem Maße auf einen Bericht der Fact Finding Mission der schwedischen Migrationsbehörde vom 07.05.2008 gestützt hat, der sich auf eine Studie von 26 aus Schweden nach Griechenland rückgeführten Asylwerber-Fällen stützt. Diesem Bericht stehen jedoch möglicherweise andere, zB die im Petitionsgesuch von Pro Asyl oder im Bericht von Human Rights Watch erwähnten Fallstudien, entgegen.

 

Hinsichtlich einer möglichen Gefahr, in griechischen Gefängnissen misshandelt zu werden, wird sich das Bundesasylamt auch mit den entsprechenden Berichten des Antifolterkommitees des Europarates vom 08.02.2008, der sich auf eine Untersuchung im Zeitraum von 20. bis 27.02.2007 bezieht, und dem Jahresbericht von Amnesty International vom 28.05.2008 auseinandersetzen müssen.

 

Schließlich wird das Bundesasylamt etwa auch neueste Presseberichten, wie z.B. den Bericht der "Presse" vom 02.10.2008 über den Abbruch des Einsatzes im Lager Lesbos oder die jüngere Judikatur von Gerichten anderer Mitgliedstaaten der Dublin II-VO, wie z.B. die verschiedenen Urteile deutscher Verwaltungsgerichte vom 23.09.2008 (Anbach), vom 20.08.2008 (Hamburg), vom 24.07.2008 (Weimar), vom 23.07.2008 (Oldenburg), vom 08.07.2008 (Karlsruhe) einer ausreichenden Würdigung unterziehen müssen.

 

2.2. Der Asylgerichtshof vertritt im Einklang mit der Ansicht der Europäischen Kommission (siehe Pressemitteilung vom 09.04.2008) nicht die Ansicht, dass die derzeitige Erkenntnislage den Schluss rechtfertigt, dass in allen Dublin II-Fällen in Bezug auf Griechenland pauschal das Selbsteintrittsrecht ausgeübt werden muss. Die notwendige Einzelfallprüfung macht es aber im gegenständlichen Fall erforderlich, zunächst den Beschwerdeführer näher zu den von ihm behaupteten Schwierigkeiten, insbesondere die Gefahr einer Inhaftierung und Ausweisung nach Albanien bei einer Rückkehr nach Griechenland zu befragen und sodann diese Aussagen auf deren Glaubwürdigkeit zu prüfen. Weiters werden, zu den hier entscheidungsrelevanten Punkten (wie oben erörtert), gegebenenfalls geeignete weitere Erhebungen einzuholen sein. Ohne die solcherart bezeichneten Erhebungen kann aus Sicht des Asylgerichtshofes nicht von Entscheidungsreife gesprochen werden.

 

3. Im fortgesetzten Verfahren wird die Erstbehörde (sofern eine neuerliche Erlassung einer Unzuständigkeitsentscheidung nach § 5 AsylG beabsichtigt ist), nach Durchführung des ergänzten Beweisverfahrens wie dargestellt, klare Feststellungen zu den Umständen des (früheren) Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Griechenland zu treffen haben, ebenso wie individuell begründete auf aktuelle Beweisergebnisse gestützte Ausführungen zur zu erwartenden Vorgangsweise der griechischen Behörden im Fall einer Überstellung. Insgesamt werden auch alle Feststellungen mit aktuellen und strukturierten Quellen zu versehen sein und klar darzulegen sein, weshalb einer bestimmten Quelle der Vorzug gegeben wird.

 

Auf die Notwendigkeit der Wahrung des persönlichen Parteiengehörs in einer Einvernahme, ist ausdrücklich und nachhaltig zu verweisen.

 

4. Als maßgebliche Determinante für die Anwendbarkeit des § 41 Abs. 3 AsylG in diesem Zusammenhang ist die Judikatur zum § 66 Abs. 2 AVG heranzuziehen, wobei allerdings kein Ermessen des Asylgerichtshofes besteht.

 

Auch der Asylgerichtshof ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH 21.11.2002, 2002/20/0315 und 21.11.2002, 2000/20/0084; ferner VwGH 21.09.2004, Zl. 2001/01/0348). Eine kassatorische Entscheidung darf vom Asylgerichtshof nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt, wie dargestellt, keine ordnungsgemäß begründete Entscheidung (vgl Art. 19 Abs. 2 1. Satz Dublin II-Verordnung und Art. 20 Abs. 1 lit. e 2. Satz Dublin II-Verordnung) erlassen. Der Asylgerichtshof war auf Basis eines so gestalteten erstinstanzlichen Verfahrens praktisch nicht mehr in der Lage innerhalb der zur Verfügung stehenden kurzen Entscheidungsfristen (§ 37 Abs. 3 AsylG) eine inhaltliche Entscheidung zu treffen. Der angefochtene Bescheid konnte daher unter dem Gesichtspunkt des § 41 Abs. 3 AsylG keinen Bestand mehr haben.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden. Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 41 Abs. 4 AsylG entfallen.

Schlagworte
Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Rechtsschutzstandard, Sicherheitslage
Zuletzt aktualisiert am
28.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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