TE AsylGH Erkenntnis 2008/12/11 E1 240755-0/2008

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Veröffentlicht am 11.12.2008
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Spruch

E1 240.755-0/2008-12E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Ilse FAHRNER als Vorsitzende und den Richter Mag. Ewald HUBER-HUBER als Beisitzer im Beisein der Schriftführerin Frau AUBERGER über die Beschwerde des C.B., geb. 00.00.1980, StA. Türkei, vertreten durch Dr. Martin Dellasega & Dr. Max Kapferer, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 31.07.2003, FZ. 02 30.225-BAI, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.10.2008 zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird in allen Spruchpunkten mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides zu lauten hat:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl I Nr. 126/2002 als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger sowie Angehöriger der türkischen Volksgruppe, stellte am 15.10.2002 aus dem Stande der Schubhaft durch seine ausgewiesenen rechtsfreundlichen Vertreter einen Asylantrag.

 

2. Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Salzburg, am 29.07.2003 gab der Beschwerdeführer an, er sei bereits als Kind im Alter von 12 Jahren 1992 im Rahmen der Familienzusammenführung zu seinem in Österreich lebenden Vater nachgezogen und habe auch in weiterer Folge bis 1997 die Haupt- und Berufsschule in Tirol besucht. Sowohl seine Eltern als auch sein Bruder N. seien in Österreich wohnhaft. Seit seiner Einreise nach Österreich habe er sich drei Mal in der Türkei aufgehalten. 1995 habe er für ca. zwei Wochen seinen Onkel in A. besucht, 1998 sich cirka zehn Monate, teilweise in Istanbul und teilweise in seinem Heimatdorf C. sowie im Jahr 2000 für zwei Wochen bei seinem Großvater aufgehalten. Weder anlässlich seiner Ein- und Ausreise noch während seines Aufenthaltes in der Türkei habe er irgendwelche Probleme gehabt. Er sei in seiner Heimat nicht vorbestraft, werde dort von keiner Behörde gesucht und habe zudem vor seiner im Jahr 1992 erfolgten Ausreise aus der Türkei keine Probleme mit staatlichen Institutionen gehabt.

 

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, er müsse sich im Falle der Rückkehr in die Türkei neu integrieren, viele Dinge seien ihm fremd geworden und sehe er keine Zukunft in der Türkei, weshalb er nicht mehr zurückkehren wolle. Weiters könne er nicht zurück, da er sich aufgrund dessen, da er sehr leicht und zornig werde, bereits in Österreich psychiatrischer Behandlung befinde. Zudem müsse er im Falle seiner Rückkehr in die Türkei dort seinen Militärdienst ableisten, was er jedoch nicht wolle. Er lehne es ab, als Soldat in den Irak ziehen und dort kämpfen zu müssen. Andere Gründe für seinen Asylantrag habe er nicht, was von ihm auch nach Rückfrage bekräftigt wurde.

 

Im Rahmen dieser Einvernahme brachte der Beschwerdeführer eine Bestätigung über seine im Zeitraum vom 16.10.2002 bis 23.04.2003 absolvierten Termine bei einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie in Vorlage.

 

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 31.07.2003, FZ. 02 30.225-BAI, wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 13 Abs 2 AsylG 1997 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.).

 

Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete das Bundesasylamt das Vorbringen des Beschwerdeführers bezüglich seiner Identität, Nationalität und seinem Wunsch, in Österreich bleiben zu wollen, als glaubwürdig. Zu der vom Beschwerdeführer in Vorlage gebrachten Kopie der ärztlichen Bestätigung über seine Behandlungstermine führte die Erstbehörde aus, dass der Beschwerdeführer mit seinem erstmaligen Besuch bei diesem Arzt offenbar versuche, damit seinen Asylantrag zu begründen bzw. ein Motiv gegen seine Abschiebung zu konstruieren. Zudem lasse sich daraus kein Hinweis auf irgendeine schwer zu behandelnde Krankheit ableiten. Im Übrigen gebe es auch in der Türkei umfassende Möglichkeiten, eventuell vorhandene psychische Probleme fachärztlich behandeln zu lassen, solle der Beschwerdeführer darunter leiden.

 

Rechtlich folgerte das Bundesasylamt zu Spruchpunkt I., dass aufgrund der rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers durch österreichische Gerichte insgesamt der Asylausschließungsgrund gem § 13 Abs 2 Fall 2 AsylG vorliege und daher der Asylantrag abzuweisen gewesen sei.

 

Hinsichtlich Spruchpunkt II. gelangte das Bundesasylamt zu der Ansicht, dass bezüglich der Türkei keine Anhaltspunkte dafür bestehen würden, dass dort gegenwärtig eine derart extreme Gefahrenlage herrsche, durch welche praktisch jeder - unabhängig vom Vorliegen individueller Gründe - der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre. Mit seiner Befürchtung, in seiner Heimat keine psychologische Betreuung zu erhalten, habe der Beschwerdeführer eine ihm bei einer Rückkehr in die Türkei drohende Gefahr iSd § 57 Abs 1 FrG nicht objektiv glaubhaft machen können. Die vagen Hinweise des Beschwerdeführers würden dazu angesichts der vom Bundesasylamt getroffenen Feststellungen nicht genügen. Allenfalls drohende Sanktionen aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung würden nicht die Qualität einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung bzw Bestrafung erreichen, zumal eine Strafe per se keine unmenschliche Behandlung darstelle und Wehrdienstverweigerung wie Desertion in praktisch allen Staaten mit Sanktionen belegt seien.

 

4. Gegen diesen Bescheid wurde durch die rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers am 18.08.2003 innerhalb offener Frist vollumfänglich Berufung [nunmehr: Beschwerde] erhoben.

 

5. Am 28.10.2008 führte der Asylgerichtshof in der gegenständlichen Sache eine mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer einvernommen wurde; die gleichzeitig geladenen Beschwerdeführervertreter erschienen nicht. Das Bundesasylamt hat seine Nichtteilnahme entschuldigt und den Antrag gestellt, die Beschwerde abzuweisen.

 

Im Zuge der Verhandlung wurde folgendes Berichtsmaterial dargetan:

 

Dt. Auswärtige Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei, 25.10.2007.

 

Zusammenfassende Sachverhaltsdarstellung zur aktuellen asyl- und abschiebungs-relevanten Lage in der Türkei auf Grundlage des Berichtes des AA vom 15.10.2007.

 

Themenpapier des Asylgerichtshofes zum Wehrdienst vom 14.10.2008 (insbesondere der Kurzbericht(COI-Workshop) vom 29.09.2008 zur allgemeinen Wehrpflicht bzw. Wehrdienstverweigerung in der Türkei, Gutachten GIGA(German Institute of Global Areas)vom 11.09.2007

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Beweis wurde erhoben durch:

 

Einsichtnahme in den gegenständlichen Verwaltungsakt des Beschwerdeführers, durch Einsichtnahme in die oben genannten, für das gegenständliche Verfahren relevanten, Länderdokumente sowie durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof.

 

2. Festgestellt wird nachstehender Sachverhalt:

 

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Fluchtgründen:

 

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Er ist Staatsangehöriger der Türkei sowie Angehöriger der türkischen Volksgruppe. Im Alter von 12 Jahren 1992 reiste der Beschwerdeführer im Rahmen einer Familienzusammenführung rechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein, besuchte in der Folge bis 1997 drei Jahre die Haupt- sowie ein Jahr die Berufsschule in Tirol und war anschließend unregelmäßig beschäftigt. Zum Zeitpunkt der Beschwerdeverhandlung war der Beschwerdeführer nicht berufstätig. Der Beschwerdeführer verfügte zuletzt über eine befristete Niederlassungsbewilligung für den Gültigkeitszeitraum von 28.09.2000 bis 28.09.2002. Die Eltern und ein Bruder des Beschwerdeführers leben in Österreich. Der Beschwerdeführer selbst hat sich seit seiner 1992 erfolgten Einreise nach Österreich drei Mal über kürzere Zeiträume in der Türkei aufgehalten und hatte dabei keinerlei Probleme mit türkischen staatlichen Behörden oder sonstigen Personen. Familienangehörige (eine Schwester, ein Bruder) des Beschwerdeführers leben nach wie vor ohne erkennbare Schwierigkeiten in der Türkei.

 

Der BF wurde von österreichischen Strafgerichten insgesamt sechs Mal rechtskräftig verurteilt. Die erste Verurteilung erfolgte am 00.00.1997, die letzte am 00.00.2002.

 

Mit Urteil des Landesgerichts vom 00.00.1999 wurde der Beschwerdeführer gem. § 83 Abs 1 und 84 Abs 2/1 StGB zu einer unbedingten Geldstrafe sowie zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer vier Monaten verurteilt (Jugendstraftat); die Probezeit wurde mit drei Jahren festgesetzt.

 

Mit Urteil des Landesgerichts vom 00.00.2002 wurde der Beschwerdeführer gem. § 28 Abs 2 (zweiter und dritter Fall) SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Bei der Strafbemessung wirkten sich die einschlägige Vorstrafenbelastung und der Umstand als erschwerend aus, dass die große Menge gem. § 28 Abs 6 mehrmals erreicht wurde, mildernd das Geständnis und die untergeordnete Beteiligung der Tat bzw. die Tatsache, dass der Beschwerdeführer die Tat unter der Einwirkung von Dritten begangen bzw. daran mitgewirkt hat. Das Absehen von einer bedingten Strafnachsicht wurde mit dem bereits erheblich getrübten Vorleben des Beschwerdeführers und der Schwere der von ihm begangenen Straftat begründet.

 

Die mit Urteil vom 00.00.1999 ausgesprochene bedingte Strafnachsicht wurde im Zuge der am 00.00.2002 erfolgten Verurteilung des Beschwerdeführers mit der Begründung widerrufen, dass der Beschwerdeführer innerhalb der Probezeit zum dritten Mal, und zwar in einschlägiger Art und Weise straffällig geworden ist und es daher bei diesem zusätzlich zur ausgesprochenen unbedingten Freiheitsstrafe auch des Widerrufs der bedingten Strafnachsicht bedarf, um ihn in Hinkunft von weiteren derartigen Taten abzuhalten.

 

Die übrigen Verurteilungen erfolgten nach §§ 127, 135 Abs 1, 229, 164 Abs 2 StGB (BG R., 00.00.1997; Jugendstraftat), § 125 StGB (BG R., 00.00.1999; Jugendstraftat), § 88 Abs 1 StGB (BG R., 00.00.2000), jeweils zu primären Geldstrafen, sowie nach § 288 Abs 1 StGB (LG, 00.00.2002) zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten.

 

Seit der zuletzt erfolgten Verurteilung sind keine wie immer gearteten weiteren Strafanzeigen oder rechtskräftige Verurteilungen bekannt geworden.

 

Über den Beschwerdeführer wurde von der Bezirkshauptmannschaft Tirol mit Bescheid vom 27.09.2002, Zahl: FW-1883, ein für die Dauer von 10 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot verhängt; begründet mit den rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers. Das Aufenthaltsverbot wurde von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol mit Bescheid vom 04.11.2002 bestätigt.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seiner Heimat einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung unterlag oder für den Fall seiner Rückkehr dorthin, einer solchen ausgesetzt sein wird.

 

Es konnten im konkreten Fall auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aktuell Gefahr liefe, in der Türkei einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

 

Der Beschwerdeführer absolvierte im Zeitraum vom 16.10.2002 bis Juni 2003 mehrere Termine bei einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, da er sehr leicht und schnell zornig wird. Seit Juni 2003 befindet sich der Beschwerdeführer in keiner psychiatrischen, psychologischen oder psychotherapeutischen Behandlung. Aufgrund eines Fahrradunfalles befand sich der Beschwerdeführer zuletzt am 26.08.2008 in einem Krankenhaus.

 

2.2. Zur Situation in der Türkei:

 

Überblick

 

Die Türkei betrachtet sich als Modell eines laizistischen Staates mit überwiegend islamischer Bevölkerung. Ein herausragendes politisches und für die gesamte Türkei wegweisendes Ereignis der letzten Jahrzehnte ist der Beginn von Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei zum 03.10.2005. In ihrem Fortschrittsbericht vom 08.11.2006 greift die EU-Kommission vor allem drei Kritikpunkte auf:

mangelnde Flexibilität in der Zypernfrage und Defizite bei der Meinungs- und Religionsfreiheit sowie bei den Minderheitenrechten. Nach dem Beschluss der Staats- und Regierungschefs der EU vom Dezember 2006 wurden die Verhandlungen von acht der 35 Verhandlungskapitel eingefroren. Auf ein Ultimatum im Zypernstreit wurde verzichtet; die Türkei wird aber weiter dazu gedrängt, ihre Häfen und Flughäfen für die Republik Zypern zu öffnen, die seit Mai 2004 EU-Mitglied ist. Unter deutscher EU-Präsidentschaft wurden im ersten Halbjahr 2007 insgesamt drei weitere Verhandlungskapitel eröffnet. Bei den Parlamentswahlen vom 22.07.2007 hat die regierende AKP von MP Erdogan mit knapp 46,62 % der abgegebenen Stimmen (340 Sitze) einen historischen Sieg errungen, Wahlverlierer ist die CHP von Oppositionsführer Baykal mit 20,88 % (112 Sitze). Als weitere Partei zog die MHP (14,27%, 71 Sitze) sowie 26 unabhängige Kandidaten (davon 22 von der kurdennahen DTP) ins Parlament ein. Die Regierung Erdogan kann sich weiterhin auf eine stabile Parlamentsmehrheit stützen. Es wird erwartet, dass sie den Reformkurs fortführt. Am 28.08.2007 wurde der bisherige Außenminister Abdullah Gül im dritten Wahlgang mit 339 (von 267 erforderlichen) Stimmen zum elften Staatspräsidenten der Türkei gewählt. Die vorgezogenen Parlamentswahlen, die anschließende Wahl des Präsidenten und die zügige Regierungsbildung haben zu einer Beruhigung und Konsolidierung der innenpolitischen Lage geführt. Sowohl Staatspräsident Gül als auch Ministerpräsident Erdogan kündigten eine Fortsetzung der Reformpolitik an.

 

Nach Jahren relativer Stabilität erlebte die Türkei im Zusammenhang mit den gescheiterten Präsidentschaftswahlen im Mai 2007 eine Phase innenpolitischer Polarisierung. Nach den vorgezogenen Parlamentswahlen vom 22.07.2007 trat eine Beruhigung der Lage ein. Die anschließende erfolgreiche Wahl eines Präsidenten und die Regierungsbildung trugen zu einer weiteren Konsolidierung bei. Im Osten und Südosten der Türkei kommt es weiterhin zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der terroristischen PKK und türkischen Sicherheitskräften; der Ruf nach einschneidenderen Maßnahmen zur Terrorbekämpfung wurde mit Wiedererstarken des PKKTerrorismus lauter.

 

1) Politische Opposition

 

Das türkische Verfassungsgericht hatte früher in zahlreichen Fällen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Parteien zu verbieten. Die Schließungsverfahren richteten sich entweder gegen islamistische Parteien, z.B. 1998 die "Wohlfahrts-Partei" (Refah Partisi), 2001 die "Tugend-Partei" (Fazilet Partisi), oder pro-kurdische Parteien, z. B. DEP, HADEP. Mit dem Reformpaketvom 11.01.2003 hat die AKP-Regierung Reformen des Parteien- und Wahlgesetzes beschlossen sowie Partei- und Politikverbote erschwert. Trotzdem wurde 2003 ein Verbotsverfahren gegen die kurdisch orientierte "Demokratische Volkspartei" (DEHAP), die Nachfolge- bzw. Schwesterpartei der HADEP, eingeleitet. Sie hat sich am 19.11.2005 selbst aufgelöst. Die DEHAP stand aufgrund einer mit der PKK und Abdullah Öcalan sympathisierenden Haltung vieler ihrer Mitglieder in der türkischen Öffentlichkeit im Verdacht, Verbindungen zur PKK zu unterhalten. Ihre Nachfolge trat die am 25.10.2005 gegründete "Partei für eine demokratische Gesellschaft" (DTP) an, zu der sich viele führende kurdische Politiker zusammengeschlossen haben und die zumindest teilweise noch mit der PKK symphatisiert. Ziel der DTP sei die friedliche Lösung des Kurdenkonflikts, verlautet aus der Partei, an deren Spitze einige der ehemaligen kurdischen Parlamentsabgeordneten stehen, die enge Kontakte zur Menschenrechtspreisträgerin Leyla Zana unterhalten. Im Februar 2007 wurden alle angeklagten Parteimitglieder der kurdisch-orientierten "Partei der Rechte und Freiheiten" (HAK-PAR) wegen Gebrauchs der kurdischen Sprache verurteilt, fünf Personen zu jeweils einem Jahr Freiheitsstrafe, acht Personen zu jeweils sechs Monaten Freiheitsstrafe, wobei diese Strafe in eine Geldstrafe umgewandelt wurde. Im Falle der Bestätigung des Urteils durch den Kassationsgerichtshof kündigte das Gericht die Einleitung eines weiteren Verbotsverfahrens gegen die Partei bei der dafür zuständigen Generalstaatsanwaltschaft an.

 

(...)

 

3) Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis

 

Die in der Vergangenheit von Schwerfälligkeit, Ineffizienz, Unberechenbarkeit und Strenge geprägte türkische Strafjustiz hat sich verbessert. Im Strafrecht- und Strafprozessrecht kam es in den vergangenen Jahren zu umfassenden gesetzgeberischen Änderungen und Novellierungen. In der Rechtspraxis wurden ebenfalls wesentliche Verbesserungen festgestellt, ohne dass dabei aber das Tempo der anderen gesetzgeberischen Reformen erreicht werden konnte. Bei allen Mängeln, die der türkischen Justiz noch anhaften (z.B. lange Verfahrensdauer), sind Bestrebungen unverkennbar, rechtstaatliches Handeln durchzusetzen. Einzelne Vorkommnisse und Entscheidungen von Justizorganen lassen bisweilen an dieser Einschätzung zweifeln. Es zeigt sich jedoch, dass sich im Gegensatz zu früher staatsanwaltliches Unrecht nicht halten lässt, sondern revidiert wird. Dies erfordert bisweilen jedoch beträchtliche Gegenwehr der Betroffenen.

 

Die Umsetzung von Urteilen des Europäischen Menschengerichtshofs durch die Türkei hat sich deutlich verbessert. Der Europäische Menschengerichtshof spielt in der Türkei eine wichtige Rolle, da er wegen Fehlens einer Individual-Verfassungsbeschwerde in vielen Fällen angerufen wird. Auch deshalb ist die Zahl der die Türkei betreffenden Verfahren sehr hoch; auch 2006/2007 wurde die Türkei wieder in einer Reihe von Verfahren wegen Verstoßes gegen das Grundrecht auf Leben und wegen Verstoßes gegen das Folterverbot verurteilt. Die Verurteilungen der Türkei betreffen in der Regel Fälle, deren Sachverhalte mehrere Jahre zurückliegen, so dass aus den Verurteilungen nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amts nur bedingt Schlüsse auf die aktuelle Praxis der Verwaltung und Justiz gezogen werden können.

 

Markante Fortschritte in der Menschenrechtslage konnten durch die Gesetzes- und Verfassungsänderungen der letzten Jahre sowie weitere Reformmaßnahmen (z.B. Justizreformen) erzielt werden; dadurch wurde ein Mentalitätswandel bei großen Teilen der Bevölkerung eingeleitet. Es wird von den Menschenrechtsorganisationen mitgeteilt, dass Fälle schwerer Folter (z.B. mit sichtbaren körperlichen Verletzungen) nur noch vereinzelt vorkommen. Ihre Zahl lag in den letzten Jahren nach Angaben der Menschenrechtsorganisationen im unteren einstelligen Bereich, wird aber neuerdings nicht mehr gesondert erfasst. Hinweise auf einen Anstieg gibt es auch nach inoffiziellen Angaben nicht. Die überwiegende Zahl der angezeigten Fälle betreffen z.B. Beleidigungen, Drohungen und Einschüchterungen, zu langes Festhalten, Vorenthalten eines Toilettenbesuchs bis hin zu Drohungen mit Tötung.

 

(...)

 

5) Kurden

 

Ungefähr ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Türkei (72 Millionen) - also ca. 14 Millionen Menschen - ist zumindest teilweise kurdischstämmig. Im Westen der Türkei und an der Südküste lebt die Hälfte bis annähernd zwei Drittel dieser Kurden: ca. drei Millionen im Großraum Istanbul, zwei bis drei Millionen an der Südküste, eine Million an der Ägäis-Küste und eine Million in Zentralanatolien. Rund sechs Millionen kurdischstämmige Türken leben in der Ost und Südost-Türkei, wo sie in einigen Gebieten die Bevölkerungsmehrheit bilden. Nur ein Teil der kurdischstämmigen Bevölkerung in der Türkei ist auch einer der kurdischen Sprachen mächtig. Die meisten Kurden sind in die türkische Gesellschaft integriert, viele auch assimiliert. In Parlament, Regierung und Verwaltung sind Kurden ebenso vertreten wie in Stadtverwaltungen, Gerichten und Sicherheitskräften. Ähnlich sieht es in Industrie, Wissenschaft, Geistesleben und Militär aus.

 

Allein aufgrund ihrer Abstammung sind und waren türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeit keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Aus den Ausweispapieren, auch aus Vor- oder Nachnamen, geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Kleinkindern dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden).

 

Der Gebrauch des Kurdischen, d.h. der beiden in der Türkei vorwiegend gesprochenen kurdischen Sprachen Kurmanci und Zaza, ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, allerdings im "öffentlichen Raum" noch eingeschränkt und im Schriftverkehr mit Behörden nicht erlaubt. Kurdischunterricht und Unterricht in kurdischer Sprache an Schulen sind nach wie vor verboten. Kurdischkurse für Erwachsene an privaten Lehrinstituten sind seit 2004 zulässig, scheitern jedoch häufig an mangelnder Nachfrage/Fehlen finanzieller Mittel. Seit 2002 sind Rundfunk- und Fernsehsendungen auf Kurdisch unter dem Vorbehalt, dass sie nicht im Widerspruch zu den Grundprinzipien der Verfassung stehen und nicht gegen "die unteilbare Einheit des Staates mit seinem Land und seiner Nation" gerichtet sein dürfen, erlaubt.

 

6) Kurdische Arbeiterpartei (PKK)

 

Die Kurdenfrage ist eng verflochten mit dem jahrzehntelangen Kampf der türkischen Staatsgewalt gegen die von Abdullah Öcalan gegründete "Kurdische Arbeiterpartei" (PKK) und ihre terroristischen Aktionen. Das in Deutschland und der EU bestehende Verbot der Terrororganisation PKK erstreckt sich auch auf die Nachfolgeorganisationen unter anderem Namen. Von 2002 bis 2004 hatte sich die Terrororganisation PKK mehrfach umbenannt (KADEK/KHK/KONGRA-GEL). Mittlerweile ist sie zu ihrer alten Bezeichnung PKK zurückgekehrt. Für die von ihr selbst als politisch bezeichnete Betätigung im Ausland hat sie jedoch die Bezeichnung KONGRA-GEL beibehalten. Ihr Anführer, der zu lebenslanger Haft verurteilte Abdullah Öcalan, befindet sich seit 1999 im Gefängnis auf der Insel Imrali im Marmara Meer. Kurdischen Quellen zufolge soll sich die PKK wieder verstärkt der Anwerbung "junger Kämpfer" widmen. Nach Berichten PKK nahe stehender Medien sind zahlreiche neue Guerillakämpfer in die Reihen der "Volksverteidigungskräfte" HPG aufgenommen und danach in ihre Einsatzgebiete entsandt worden.

 

7) Aleviten

 

Mit schätzungsweise 15 Millionen (rund ein Fünftel der türkischen Bevölkerung) bilden die Aleviten nach den Sunniten die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft der Türkei. In der Türkei leben sowohl türkische als auch kurdische Aleviten, die ihren Glauben je nach Herkunftsregion unterschiedlich praktizieren. Die Aleviten verwahren sich selbst gegen den Begriff "Minderheit". Vom türkischen Staat werden sie, entsprechend der kemalistischen Staatsdoktrin der einheitlichen türkischen Nation, offiziell nicht als Glaubensgemeinschaft anerkannt, sondern als Teil der muslimischen (sunnitischen) Bevölkerung der Türkei angesehen. Dementsprechend betrachtet die Religionsbehörde DIYANET das Alevitentum als islamische Unteridentität in seiner Zuständigkeit. Den Status alevitischer Gebetshäuser (Cemevi) erkennt sie nicht als Moscheen vergleichbar an. In Regierung, Verwaltung und Parlament sind die Aleviten unterrepräsentiert.

 

Auch wenn die Aleviten ihre Religion entsprechend der Gewährleistung in Art. 24 der türkischen Verfassung weit gehend unbehindert ausüben können, sehen sie sich aufgrund des Fehlens einer eigenen Rechtspersönlichkeit doch schwerwiegenden - ihrer Art und Intensität nach aber nicht asylerheblichen - bürokratischen Hemmnissen ausgesetzt. So können sie Grundeigentum, etwa zur Errichtung von Gebetshäusern (Cemevleri, Cem-Häuser), allenfalls über Kulturstiftungen und -vereine erwerben; dies dürfte aufgrund der jüngsten Änderungen des Vereinsrechts einfacher werden. Probleme ergeben sich auch bei der Ausbildung von Geistlichen sowie bei der Erteilung von Unterricht. Der religiöse Pflichtunterricht an den staatlichen Schulen berücksichtigt nichtsunnitische Bekenntnisse nicht. Bemühungen alevitischer Organisationen um Einbeziehung alevitischer Inhalte in die Curricula der staatlichen Schulen sind an dem durch das Erziehungsministerium vertretenen Argument gescheitert, es handle sich dabei um eine Form von religiösem Separatismus. Insoweit ist ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig.

 

Die Aleviten selbst unterstützen den von Atatürk begründeten türkischen Laizismus und fordern eine echte Trennung von Staat und Religion; traditionell neigen sie dazu, sich liberalen und links gerichteten politischen Parteien und Strömungen anzuschließen. Auch wegen ihrer politischen Orientierung sehen sich Aleviten deshalb leicht dem Verdacht einer staatsfeindlichen Gesinnung ausgesetzt.

 

Von radikalen Sunniten werden die Aleviten sogar als Abtrünnige angesehen, und auch die rechtsgerichteten und rechtsradikalen Kräfte in der Türkei begegnen ihnen mit Feindschaft. So ist es in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach zu gewalttätigen Übergriffen auf Aleviten gekommen, ohne dass die Sicherheitskräfte mit dem nötigen Nachdruck eingegriffen hätten, nämlich in den Jahren 1967 und 1993 in Sivas, im Jahr 1978 in Kahramanmaras und Corum und zuletzt im Jahr 1995 in Istanbul. Derartige gewalttätige Ausschreitungen gegenüber Aleviten oder anderen religiösen Minderheiten haben sich in den zurückliegenden Jahren indessen nicht wiederholt.

 

8) Grundversorgung

 

Die Lebensverhältnisse in der Türkei sind weiterhin durch ein starkes West-Ost-Gefälle geprägt. Der Abwanderungsdruck aus dem Südosten in den Süden und Westen der Türkei und in das Ausland hält an. Angesichts einer Beruhigung der Lage in Teilen des türkischen Südostens in den vergangenen Jahren und wegen der schwierigen Lebensbedingungen und hohen Arbeitslosigkeit in den Armutsgebieten der großen Städte nahm zuletzt jedoch auch die Zahl der Rückkehrer in die Provinzstädte und Dörfer im Osten und Südosten der Türkei wieder zu. Das Wirtschaftswachstum betrug für das Jahr 2006 6% (im Jahr 2005 lag es bei 7,6%). Kumuliert hat der permanente Aufschwung der türkischen Wirtschaft seit der Wirtschaftskrise vor sechs Jahren ein Wachstum von 50% eingebracht. Die Inflation ist im Jahr 2006 auf 9,65% gestiegen, nachdem sie 2005 mit ca. 7,7% (Verbraucherpreise) den niedrigsten Wert seit über 30 Jahren erreicht hatte.

 

9) Medizinische Versorgung

 

In der Türkei gibt es neben dem staatlichen Gesundheitssystem, das eine medizinische Grundversorgung garantiert, mehr und mehr leistungsfähige private Gesundheitseinrichtungen, die in jeglicher Hinsicht EU-Standard entsprechen. Das türkische Gesundheitssystem verbessert sich laufend. Die Behandlung psychischer Erkrankungen, einschließlich posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) ist in allen Krankenhäusern der Türkei möglich, die über eine Abteilung für Psychiatrie verfügen. Für die Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) werden in der Türkei die international anerkannten Klassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV angewandt. Zu Behandlungskonzepten zählen u.a. Psychotherapie mit Entspannungstraining, Atemtraining, Förderung des positiven Denkens und Selbstgespräche, kognitive Therapie, Spieltherapie sowie Medikationen wie Antidepressiva und Benzodiazepine. Eine Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) ist grundsätzlich auch über die Menschenrechtsstiftung der Türkei (TIHV) möglich.

 

10) Behandlung von Rückkehrern

 

Ist der türkischen Grenzpolizei bekannt, dass es sich um eine abgeschobene Person handelt, wird diese nach Ankunft in der Türkei einer Routinekontrolle unterzogen, die einen Abgleich mit dem Fahndungsregister nach strafrechtlich relevanten Umständen und eine eingehende Befragung beinhalten kann. Abgeschobene können dabei in den Diensträumen der jeweiligen Polizeiwache vorübergehend zum Zwecke einer Befragung festgehalten werden. Gleiches gilt, wenn jemand keine gültigen Reisedokumente vorweisen kann oder aus seinem Reisepass ersichtlich ist, dass er sich ohne Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland aufgehalten hat. Die Einholung von Auskünften kann je nach Einreisezeitpunkt und dem Ort, an dem das Personenstandsregister geführt wird, einige Stunden dauern. In neuerer Zeit wurde dem Auswärtigen Amt nur ein Fall bekannt, in dem eine Befragung bei Rückkehr länger als mehrere Stunden dauerte. Besteht der Verdacht einer Straftat, werden strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet. Wehrdienstflüchtige haben damit zu rechnen, gemustert und ggf. einberufen zu werden (u.U. nach Durchführung eines Strafverfahrens). Es sind mehrere Fälle bekannt geworden, in denen Suchvermerke zu früheren Straftaten oder über Wehrdienstentziehung von den zuständigen türkischen Behörden versehentlich nicht gelöscht worden waren, was bei den Betroffenen zur kurzzeitigen Ingewahrsamnahme bei Einreise führte.

 

Das Auswärtige Amt hat in den vergangenen Jahren Fälle, in denen konkret Behauptungen von Misshandlung oder Folter in die Türkei abgeschobener Personen (vor allem abgelehnter Asylbewerber) vorgetragen wurden, im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten durch seine Auslandsvertretungen überprüft. Dem Auswärtigen Amt ist seit vier Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter abgelehnter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Auch die türkischen Menschenrechtsorganisationen haben explizit erklärt, dass aus ihrer Sicht diesem Personenkreis keine staatlichen Repressionsmaßnahmen drohen. Misshandlung oder Folter allein aufgrund der Tatsache, dass ein Asylantrag gestellt wurde, schließt das Auswärtige Amt aus.

 

Zum Themenkreis Wehrdienstverweigerung werden aufgrund oben genannter Erkenntnisquellen folgende Feststellungen getroffen:

 

Der Wehrpflicht unterliegt jeder männliche türkische Staatsangehörige unabhängig von seiner Volkszugehörigkeit, sofern eine gesundheitliche Eignung (www.allaboutturkey.com/index.htm) gegeben ist. Der fünfzehnmonatige (für Universitätsabsolventen sechs- bzw. zwölfmonatige) Wehrdienst wird in den Streitkräften einschließlich der Jandarma abgeleistet. Das Höchstalter für die Ableistung des Wehrdienstes liegt bei 40 Jahren, kann aber unter bestimmten Voraussetzungen auch darüber hinausgehen. Ein Recht zur Verweigerung des Wehrdienstes oder der Ableistung eines Ersatzdienstes besteht nicht. Wehrdienstverweigerer und Fahnenflüchtige werden strafrechtlich verfolgt. Gem. Art. 63 des Militärstrafgesetzes beträgt die Strafe für Wehrdienstverweigerung, wenn die Person dem Musterungsbefehl nicht folgt und drei Monate nach Zustellung desselben gefasst wird, zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Die Verjährungsfrist richtet sich nach Art. 66e tStGB und beträgt zwischen fünf und acht Jahre, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist.

 

Strafbare Handlungen im Bereich des Militärstrafgesetzes, zB Art 63, 64, die von Zivilpersonen in Friedenszeiten begangen werden, fallen in die Zuständigkeit der zivilen Gerichte. Ein Fahndungsbefehl kann dabei nur auf Grund eines Antrages des Staatsanwaltes vom Strafrichter eines Amtsgerichtes erlassen werden. Wird das Verfahren vom zuständigen Gericht eingestellt oder ein Freispruch gefällt, darf keine Festnahme erfolgen. Nach Beendigung eines Strafverfahrens und nach Eintritt der Rechtskraft und nach Vollziehung der Strafe können die Verurteilten vom Gericht den Militärbehörden überstellt werden. Bei einem Musterungsverweigerer und Dienstflüchtigen ist das Amtsgericht jenes Ortes zuständig, in dem die betroffene Person eingetragen ist. Bei Personen die zu spät den Militärdienst antreten oder bei einer Versetzung flüchten, ist das Gericht des Versetzungsortes in dem sich die Einheit befindet zuständig (Erlass des türkischen Justizministeriums, Generaldirektion für Strafangelegenheiten, Zl. B.03.0CIG.0.00.00.05-647.03-105-2007/775/38574, vom 3.7.2008).

 

Suchvermerke für Wehrdienstflüchtlinge werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen.

 

Im Ausland lebende Wehrpflichtige haben die Möglichkeit, sich gegen Ableistung einer dreiwöchigen Grundausbildung und Bezahlung eines Betrages in Höhe von 5.112 ¿ von der Wehrpflicht freizukaufen. Ab einem Lebensalter von 39 Jahren beträgt die Freikaufsumme 7.668 ¿. Aktuelle Informationen über den Wehrdienst in der Türkei sind auch im Internet (http://www.asal.msb.gov.tr - zur Zeit nur in türkischer Sprache) abrufbar.

 

(Bericht des deutschen auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 25.10.2007)

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass kurdischstämmige Wehrdienstleistende grds. relevanten Nachteilen auf Grund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ausgesetzt wären. Vereinzelte Vorfälle können aber nicht ausgeschlossen werden (Bericht des deutschen auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 25.10.2007; Gedächtnisprotokoll (E9) über die Teilnahme am COI-Workshop zum Thema "Wehrdienstverweigerung in der Türkei" am 26.9.2008, Aussage der vortragenden türkischen Rechtsanwältin Suna COSKUN; GIGA, Anfragebeantwortung an den Unabhängigen Bundesasylsenat vom 10.9.2007).

 

Generell wurden im Rahmen der Null-Toleranz-Politik Maßnahmen verstärkt um seitens staatlicher Organe Folter und Misshandlungen zu unterbinden. Es sind Mindeststrafen von drei bis zwölf Jahren Haft für Täter von Folter vorgesehen. Verschiedene Qualifizierungen sehen noch höhere Strafen bis hin zu lebenslanger Haft bei Folter mit Todesfolge vor. Direkte Anklagen ohne Einverständnis der Vorgesetzten von Foltertätern, Runderlässe an Staatsanwaltschaften Folterstraftaten vorrangig und mit besonderem Nachdruck zu verfolgen und Verhinderung der Verschleppung von Strafprozessen und Verhinderung der Möglichkeit sich dem Prozess zu entziehen sind Teile dieser Maßnahmen. (Bericht des deutschen auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 25.10.2007)

 

Die Zuteilung der Wehrpflichtigen zu den Einheiten des Militärs erfolgt durch ein Computerprogramm (Zufallsprinzip). Über eine bewusste Differenzierung bzw. relevante Benachteiligung nach unsachlichen Kriterien, wie insbesondere ethnische Anknüpfungspunkte, bei der Zuteilung von Wehrpflichtigen, liegen keine Erkenntnisse vor.

 

((Bericht des deutschen auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Türkei vom 25.10.2007, Gedächtnisprotokoll (E9) über die Teilnahme am COI-Workshop zum Thema "Wehrdienstverweigerung in der Türkei" am 26.9.2008, Aussage der vortragenden türkischen Rechtsanwältin Suna COSKUN; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Die türkischen Sicherheitskräfte, Juni 2008; Accord Anfragebeantwortung zum Einsatz von Grundwehrdienern, 27.3.2008, a-6016)

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass es hinsichtlich des militärischen Einsatzes der Türkei gegen die PKK in der Türkei bzw. im Nordirak von der Völkerrechtsgemeinschaft bzw. dem UN-Sicherheitsrat zu einer Verurteilung gekommen wäre, weil dieser den Grundregeln menschlichen Verhaltens widersprechend wäre. Kritische Äußerungen von Staaten gibt es und die Türkei wird von Staaten aufgefordert von unverhältnismäßigen Militäraktionen abzusehen. Die Türkei stützt ihre militärische Aktion gegen die PKK im Nordirak auf Art 51 der UN-Charta, wonach Selbstverteidigungsmaßnahmen des Landes grundsätzlich erlaubt sind, wenn es bewaffneten Angriffen ausgesetzt ist, was für gegeben erachtet wird, weil die PKK vom Nordirak aus immer wieder Terroranschläge auf türkischem Gebiet verübt. Nach einer UN-Resolution aus dem Jahr 1974 (3314) kann eine solche Aggression nicht nur von einem Staat sondern auch von bewaffneten Banden ausgehen. (Accord Anfragebeantwortung zum militärischen Einsatz der Türkei gegen die PKK, 13.8.2008, a-6276; www.focus.de, Der türkische Einmarsch und das Völkerrecht, 22.2.2008; Art 51 der UN-Charta, Generalversammlung der Vereinten Nationen, 3314. Definition der Aggression, 14.12.1974)

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass türkische Militärangehörige im Rahmen der Bekämpfung des Terrorismus in der Türkei oder im Nordirak zu menschenrechtswidrigen bzw. völkerrechtswidrigen Verhaltensweisen gezwungen werden (Accord Anfragebeantwortung zum militärischen Einsatz der Türkei gegen die PKK, 13.8.2008, a-6276).

 

Es ist nicht wahrscheinlich, dass derzeit noch Grundwehrdiener zu Sondereinheiten zur Bekämpfung des Terrorismus zugewiesen werden. Seit 2008 werden den dafür zuständigen Kommandobrigaden keine neuen Grundwehrdiener mehr zugeteilt. Bis Ende 2009 sollen diese Einheiten nach Beendigung der Umstrukturierung nur mehr aus hauptberuflichem Militärpersonal bestehen. (Accord Anfragebeantwortung zum Einsatz von Grundwehrdienern im Kampf gegen die PKK vom 27.3.2008, a-6016 sowie 13.8.2008, a-6276; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,

Die türkischen Sicherheitskräfte, Juni 2008).

 

3. Beweiswürdigung:

 

3.1 Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seiner Herkunft, über das verhängte Aufenthaltsverbot, zu seinen Angehörigen und den Lebensverhältnissen in Österreich wie in der Türkei beruhen auf den im Verfahren vorgelegten Dokumenten, der Einvernahme vor dem Bundesasylamt sowie auf seinen diesbezüglich im Wesentlichen gleich lautenden und als glaubwürdig erachteten Ausführungen in der mündlichen Verhandlung im Einklang mit dem Akteninhalt.

 

3.2. Die Feststellungen zu den rechtkräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers durch österreichische Strafgerichte ergeben sich aus dem beigeschafften Strafregisterauszug sowie den im Verfahrensakt einliegenden Dokumenten und werden vom Beschwerdeführer auch nicht bestritten.

 

3.3. Soweit jedoch der Beschwerdeführer zur Begründung seiner Ausreise aus der Türkei behauptete, aufgrund dessen, dass er sich bisher dem Wehrdienst in der Türkei entzogen habe und im Falle seiner Rückkehr in die Türkei diesen ableisten werde müssen, in seiner Heimat gefährdet sei, in asylrelevantem Ausmaß bedroht und verfolgt zu werden, konnte dies aus den nachfolgend dargestellten Gründen als nicht glaubhaft erachtet werden:

 

In seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 29.07.2003 brachte der Beschwerdeführer vor, er müsse im Falle seiner Rückkehr in die Türkei seinen Wehrdienst ableisten, was er jedoch nicht wolle. Er wolle nicht als Soldat in den Irak ziehen und dort kämpfen müssen. Der Beschwerdeführer gab in dieser Einvernahme auch an, in seiner Heimat nicht vorbestraft zu sein, dort von keiner Behörde gesucht zu werden und auch vor seiner im Jahr 1992 erfolgten Ausreise aus der Türkei keine Probleme mit staatlichen Institutionen gehabt zu haben. Er habe sich seit seiner Einreise nach Österreich sich drei Mal in der Türkei aufgehalten und dabei weder anlässlich seiner Ein- und Ausreise noch während seines Aufenthaltes in der Türkei irgendwelche Probleme gehabt. In der Beschwerdeschrift vom 18.08.2003 wurde ausgeführt, dass dem Beschwerdeführer bereits Ende Oktober 2002 ein Einberufungsbefehl sowie eine Mahnung zugestellt worden sei, doch sei der Beschwerdeführer psychisch nicht in der Lage, den Militärdienst durchzustehen. Es stehe zu befürchten, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung sich selbst oder andere gefährden könnte. Aufgrund des Zustandes des Beschwerdeführers sei davon auszugehen, dass diesem in Haft oder beim Militär unmenschliche Behandlung oder Strafe drohe. Vor dem Asylgerichtshof wiederholte er anlässlich der am 28.10.2008 durchgeführten mündlichen Verhandlung, dass er seinen Militärdienst in der Türkei nicht ableisten wolle, da er bestimmt in den Osten des Landes geschickt werde. Er gelte seit sechs Jahren als Wehrdienstverweigerer. Der Beschwerdeführer brachte auch vor, dass sein in Österreich lebender Bruder N. bereits seinen Militärdienst in der Türkei abgeleistet habe und dieser zwischen Adana, der nächsten Stadt zum Mittelmee

 

r, und in dem im Südosten der Türkei gelegenen Urfa eingesetzt worden sei. Der Bruder habe dem Beschwerdeführer auch vom Militärdienst erzählt; dass der Bruder anlässlich seines Militärdienstes einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt gewesen wäre oder sonst irgendwelche Probleme erlitten hätte, die unter Umständen Rückschlüsse auf die dem Beschwerdeführer möglicherweise zu erwartende Behandlung zulassen könnten, wurden vom Beschwerdeführer zu keinem Zeitpunkt behauptet, nicht einmal ansatzweise angedeutet.

 

Mit diesem Vorbringen zeigte der Beschwerdeführer jedoch nicht auf und ist auch sonst seinen Ausführungen nicht substantiiert zu entnehmen, dass er in der Türkei einer Bedrohung oder Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt ist. Diesbezüglich ist auszuführen, dass es möglich ist, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Türkei mit einem Verfahren vor einem türkischen Militärgericht nach Art. 63 des türkischen Militärstrafrechts zu rechnen hat, und ihn in diesem Verfahren eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren drohen könnte, wobei hier anzumerken ist, dass sich die türkischen Militärgerichte seit Jahren am unteren Strafrahmen orientieren. Nachdem der Beschwerdeführer seine Haftstrafe abgebüßt hat, wird er seinen Wehrdienst ableisten müssen, ein Recht auf Wehrdienstverweigerung gibt es nicht. Türkische Militärangehörige werden im Rahmen der Bekämpfung des Terrorismus in der Türkei oder im Nordirak nicht zu menschenrechtswidrigen bzw. völkerrechtswidrigen Verhaltensweisen gezwungen. Es ist auch nicht wahrscheinlich, dass derzeit noch Grundwehrdiener zu Sondereinheiten zur Bekämpfung des Terrorismus zugewiesen werden. Seit 2008 werden den dafür zuständigen Kommandobrigaden keine neuen Grundwehrdiener mehr zugeteilt. Bis Ende 2009 sollen diese Einheiten nach Beendigung der Umstrukturierung nur mehr aus hauptberuflichem Militärpersonal bestehen. Dies alles ergibt sich aus den getroffenen Länderfeststellungen sowie dem Amtswissen. Hinweise darauf, dass die Sanktionen gegen Wehrdienstverweigerer aus Gründen, die in der GFK liegen, differieren oder, dass die Sanktionen grundsätzlich jeder Verhältnismäßigkeit entbehren, ergeben sich weder aus den herangezogenen Länderberichten noch wurde dies vom Beschwerdeführer fundiert vorgebracht.

 

3.4. Die getroffenen Feststellungen zur ärztlichen Behandlung des Beschwerdeführers in Österreich beruhen auf den im Verfahren vorgelegten Dokumenten, der Einvernahme vor dem Bundesasylamt sowie auf seinen diesbezüglich im Wesentlichen gleich lautenden und als glaubwürdig erachteten Ausführungen in der mündlichen Verhandlung im Einklang mit dem Akteninhalt.

 

3.5. Die Feststellungen zur Situation in der Türkei gründen sich auf den in der mündlichen Verhandlung am 28.10.2008 dargelegten aktuellen Länderdokumenten denen der Beschwerdeführer auch nicht substantiiert entgegentrat. Der Beschwerdeführer gab zwar nach Übersetzung des Berichts des Auswärtigen Amtes zur Grundversorgung, medizinischen Versorgung sowie zur Behandlung von Rückkehrern durch den Dolmetscher an, dass man die "grüne Karte" (Greencard) in der Türkei nicht so leicht bekommen könne, eine Behandlung in der Türkei sehr kostspielig und es ohne Geld unmöglich sei, sich behandeln zu lassen sowie, dass es nach wie vor Verprügelungen durch die staatlichen Sicherheitskräfte gebe, doch konnte der Beschwerdeführer den Länderfeststellungen damit nicht substantiiert entgegentreten und eine in seinem Fall konkret vorliegende Gefährdung aufzeigen. Es ist allgemein zu den Feststellungen auszuführen, dass es sich bei den herangezogenen Quellen zum Teil um staatliche bzw. staatsnahe Institutionen handelt, die zur Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet sind. In diesem Zusammenhang sei auch festgehalten, dass zwar mittlerweile ein aktuellerer Bericht des Auswärtigen Amtes, nämlich vom 11.09.2008 (Stand: Juli 2008), vorliegt (jedoch zum Verhandlungszeitpunkt noch nicht zugänglich war), sich aus diesem jedoch keine relevanten Änderungen im Vergleich zum zitierten vom 25.10.2007 ergeben.

 

4. Rechtliche Beurteilung:

 

4.1. Gemäß § 75 Abs. 7 Z 1 Asylgesetz 2005 idF BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 60 Abs. 3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

 

4.2. Gemäß § 75 Abs 1 AsylG 2005 sind alle am 31.12.2005 anhängigen Verfahren nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt. Die §§ 24, 26, 54 bis 57 und 60 dieses Bundesgesetzes (AsylG 2005) sind auf diese Verfahren anzuwenden. § 27 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass das Bundesasylamt oder der Asylgerichtshof zur Erlassung einer Ausweisung zuständig ist und der Sachverhalt, der zur Einleitung des Ausweisungsverfahrens führen würde, nach dem 31.12.2005 verwirklicht wurde. § 57 Abs 5 und 6 ist auf diese Verfahren mit der Maßgabe anzuwenden, dass nur Sachverhalte, die nach dem 31.12.2005 verwirklicht wurden, zur Anwendung dieser Bestimmungen führen.

 

Gemäß § 44 Abs 1 AsylG 1997 werden Asylanträge, die bis zum 30.04.2004 gestellt wurden, nach den Bestimmungen des AsylG 1997 idF BGBl I Nr. 126/2002 geführt. Die §§ 8, 15, 22, 23 Abs 3, 5 und 6, 36, 40 und 40a sind gemäß § 44 Abs 3 leg cit idF BGBl I Nr. 101/2003 auch auf Verfahren gemäß Abs 1 anzuwenden.

 

Nachdem der gegenständliche Asylantrag vor dem 30.04.2004 gestellt wurde, ist zusammengefasst also das AsylG 1997 idF BGBl I Nr. 126/2002 mit den soeben genannten Maßgaben anzuwenden.

 

4.3. Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem B-VG, den AsylG 2005 und dem VwGG nichts anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG sinngemäß mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Nach den Gesetzesmaterialien (AB 371 XXIII. GP) gilt dies auch für zusammengesetzte Begriffe, die den Wortbestandteil "Berufung" enthalten (z. B "Berufungsbehörde" oder "Berufungsantrag" in §§ 66 und 67 AVG).

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde (der Asylgerichtshof), sofern die Berufung (Beschwerde) nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

4.4. Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention [GFK]) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. z.B. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011, VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131, VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334).

 

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011, VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131).

 

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233).

 

Gemäß § 13 Absatz 1 Asylgesetz ist Asyl ausgeschlossen, wenn einer der in Artikel 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Asylausschlussgründe vorliegt. Gemäß Absatz 2 leg.cit. ist Asyl weiters ausgeschlossen, wenn Fremde aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik darstellen oder von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden sind und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeuten. Eine Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine solche durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht.

 

4.4.1. Aus dem oben festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen insgesamt keine konkrete Gefährdung im Sinne der GFK glaubhaft machen konnte: Im Zusammenhang mit der vom Beschwerdeführer als Fluchtgrund genannten Wehrdienstverweigerung und Desertion kommt dem Umstand, dass die Heranziehung zur Militärdienstleistung in einem "grundsätzlichen Recht eines souveränen Staates Deckung findet", Bedeutung zu. Die Überschreitung der Grenzen, die diesem Recht in Bezug auf die Verwendung der Militärdienstleistenden insbesondere durch Vorschriften des Völkerrechtes gesetzt sind, ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft im Einzelfall zu berücksichtigen. Nach der älteren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes war Furcht vor Verfolgung im Fall der Wehrdienstverweigerung oder Desertion nur dann als asylrechtlich relevant anzusehen, wenn der Asylwerber hinsichtlich seiner Behandlung oder seines Einsatzes während dieses Militärdienstes im Vergleich zu Angehörigen anderer Volksgruppen in erheblicher, die Intensität einer Verfolgung erreichenderweise benachteiligt würde oder davon auszugehen sei, dass dem Asylwerber eine im Vergleich zu anderen Staatsbürgern härtere Bestrafung wegen Wehrdienstverweigerung drohte (Verstärkter Senat vom 29.06.1994, Slg Nr. 14.089/A; VwGH vom 21.08.2001, 98/01/0600). Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch in seiner jüngeren Rechtsprechung, insbesondere im Erkenntnis vom 21.12.2000, 2000/01/0072 ausgeführt, dass verschärfte Strafdrohungen gegen Wehrdienstverweigerer in Kriegszeiten dann eine Verfolgung im Sinne von Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK darstellen können, wenn diese im Wesentlichen dazu dienen, dass Einberufene erhöhtem Druck zu Teilnahme an Handlungen ausgesetzt sind, die sich gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten (vgl. Art. 1 Abschnitt F), und dem Wehrdienstverweigerer zumindest eine gegen den Staat gerichtete politische Gesinnung unterstellt wird. In den Erkenntnissen vom 21.03.2002, 99/20/0401 und vom 16.04.2002, 99/20/0604 brachte der Verwaltungsgerichtshof zum Ausdruck, dass auch die Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung ua. dann zur Asylgewährung führen kann, wenn das Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen - wie etwa bei Anwendung der Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt.

 

Daraus ergibt sich nun unter Berücksichtigung der bereits oben unter II, Punkt 2 und 3, erfolgten Ausführungen für den gegenständlichen Fall, dass die im Falle des Beschwerdeführers drohende bloße Wehrdienstpflicht ebenso wenig wie die bisherige Nichtbefolgung dieser Verpflichtung durch den Beschwerdeführer die Anerkennung als Konventionsflüchtling rechtfertigt, zumal auch keine Hinweise darauf gefunden werden konnten, dass die Sanktionen gegen Wehrdienstverweigerer aus Gründen, die in der GFK liegen, differieren oder, dass die Sanktionen grundsätzlich jeder Verhältnismäßigkeit entbehren.

 

4.4.2. Hinsichtlich der vom Bundesasylamt in ihrer Entscheidung für die Abweisung des Asylantrages herangezogenen Bestimmung des § 13 Abs. 2 AsylG kann aus den nachstehenden Gründen nicht gefolgt werden:

 

Dieser Asylausschlussgrund würde ein besonders schweres Verbrechen voraussetzen, worunter nur Straftaten subsumiert werden, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen, etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub (siehe VwGH 06.10.1999, Zl. 99/01/0288). Weiters führte der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom. 6.10.1999, Zl. 99/01/0288, aus, dass es nicht genüge, dass ein Asylwerber bzw. ein anerkannter Flüchtling ein abstrakt als schwer einzustufendes Delikt verübt hat. Die Tat, bzw. Taten müssen sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwer wiegend erweisen, wobei Milderungsgründe, Schuldausschließungsgründe und Rechtfertigungsgründe zu berücksichtigen sind. Nur gemeingefährliche Straftäter dürfen in den Heimat- oder Herkunftsstaat verbracht werden. Besteht für das zukünftige Verhalten des Täters eine günstige Prognose, darf § 13 Abs. 2 AsylG iSd Art. 33 Abs. 2 GFK nicht angewendet werden.

 

In seinem Erkenntnis vom 03. Dezember 2002, Zahl: 99/01/0449, erachtete der Verwaltungsgerichtshof selbst eine zweijährige unbedingte Freiheitsstrafe wegen eines mit ein- bis fünfzehnjähriger Freiheitsstrafe bedrohten Verstoßes gegen das SuchtmittelG nicht als ausreichend und führte in diesem Erkenntnis auch illustrativ an, dass in Deutschland für die Qualifikation einer rechtskräftigen Verurteilung wegen eines besonders schweren Verbrechens das Erfordernis einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren normiert wurde und diese Grenze wegen der "vergleichbaren Traditionen in der Strafrechtspflege" auch auf Österreich übertragbar sei.

 

Der Beschwerdeführer wurde in Österreich zwar strafgerichtlich verurteilt, diese Verurteilungen weisen jedoch im konkreten Einzelfall eindeutig nicht jene Schwere auf, die erforderlich wäre, um einen Asylausschlussgrund nach § 13 Abs. 2 2. Fall AsylG 1997 (dem Art. 33 Z 2 der GFK nachgebildet) zu begründen. Schon von der Höhe der verhängten Strafe her reicht diese nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für die Annahme eines Asylausschlussgrundes nicht aus, sodass auf die Frage der Zukunftsprognose nicht weiter einzugehen ist.

 

Im Übrigen sei auch noch darauf hingewiesen, dass der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum hier anzuwendenden AsylG 1997 zufolge das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft immer, somit auch beim vermutlichen Vorliegen von Ausschlussgründen zu prüfen ist [Putzer/Rohrböck, Leitfaden Asylrecht (2007), Rz 108 mit Verweis auf VwGH 31.01.2002, 99/20/0372; 21.03.2002, 2000/20/0189], was im gegenständlichen Fall jedoch von der Erstbehörde unterlassen wurde.

 

4.4.3. Da somit auf Grundlage der soeben getroffenen Ausführungen im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen für die Gewährung von Asyl insgesamt nicht gegeben waren, ohne dass jedoch ein Asylausschlussgrund vorlag, war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides mit obiger Maßgabe abzuweisen.

 

4.5. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG hat die Behörde im Fall der Abweisung eines Asylantrages von Amtswegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§ 57 FrG); diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden.

 

Gemäß Artikel 5 § 1 des Fremdenrechtspaketes, BGBl I Nr. 100/2005, ist das Bundesgesetz über die Einreise, den Aufenthalt und die Niederlassung von Fremden (Fremdengesetz 1997), BGBl I Nr. 75/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl I Nr. 151/2004, mit Ablauf des 31.12.2005 außer Kraft getreten. Gemäß § 126 Abs. 1 und 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005, ist dieses mit 01.01.2006 in Kraft getreten.

 

Gemäß 124 Abs. 2 FPG treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des FrG 1997 verwiesen wird, an dere

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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