TE AsylGH Erkenntnis 2008/12/17 E11 312813-2/2008

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Veröffentlicht am 17.12.2008
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Spruch

E11 312.813-2/2008-5E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Friedrich KINZLBAUER als Vorsitzenden und der Richterin Dr. Isabella ZOPF als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin Fr. Birngruber über die Beschwerde der H. alias G.A. alias N., geb. am 00.00.1994, StA. Armenien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 07.10.2008, FZ. 07 03.149-BAI, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt verwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Die minderjährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Armeniens und stellte am 30.03.2007 - vertreten durch ihre Mutter - einen Antrag auf internationalen Schutz (Familienverfahren).

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.5.2007, Zahl 07 03.155-EAST-West, wurde dieser Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin gemäß § 5 Abs. 1 AsylG zurückgewiesen und weiters festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates Frankreich zuständig sei. Gleichzeitig wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 4 AsylG die Ausweisung der Beschwerdeführerin nach Frankreich verfügt.

 

Gegen diesen Bescheid erhob die BF durch ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin, diese wiederum durch ihren rechtlichen Vertreter fristgerecht Berufung.

 

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 27.6.2007, Zahl 312.810-1/2E-XVIII/59/07 wurde der Berufung gemäß § 41 Abs. 3 AsylG stattgegeben und der bekämpfte Bescheid behoben.

 

Der BF wurde am 20.08.2008 vor dem BAA im Beisein seiner Mutter als gesetzliche Vertreterin sowie seines rechtlichen Vertreters einer niederschriftlichen Einvernahme unterzogen und brachte dabei im Wesentlichen zusammengefasst vor, dass er Ende 2006 mit seiner Mutter und seinen Geschwistern nach Armenien zurückgekehrt sei. Befragt, warum seine Mutter das zweite Mal ihre Heimat verlassen habe, brachte er vor, dass Männer, die er nie gesehen habe, seiner Mutter Probleme bereitet hätten. Seine Schwester sei über Nacht verschwunden gewesen und nächsten Tag zurückgekehrt. Er sei immer ins Zimmer geschickt worden und habe nur Geräusche und Schreie gehört. Bei seiner Mutter habe er einen bandagierten Daumen und bei der Freundin seiner Mutter blaue Flecken im Gesicht bemerkt. Zu seinem Onkel seien Männer gekommen und diese hätten gestritten. Sein Onkel sei danach krank gewesen und hätte im Bett bleiben müssen. Seinen Vater habe er das letzte Mal 2004 in Deutschland gesehen.

 

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich mit Bescheid des BAA vom 7.10.2008, Zahl: 07 03.155-BAI, gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs 1 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien verfügt (Spruchpunkt III.).

 

Die Erstbehörde erachtete das Vorbringen der gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin - bei Vorliegen eines Familienverfahrens nach § 34 AsylG - als nicht glaubhaft und keine Fluchtgründe im Sinne der GFK beinhaltend, weshalb nicht von einer asylrelevanten Gefährdung ausgegangen werden könne.

 

Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 21.10.2008 innerhalb offener Frist Berufung [jetzt Beschwerde] erhoben. Im Wesentlichen wurde nach Darlegung allgemeiner rechtlicher und sonstiger Ausführungen vorgebracht, dass aufgrund der Auslastung der Caritas Innsbruck es nicht möglich sei, die Beschwerde inhaltlich zu konkretisieren, weshalb eine mündliche Verhandlung beantragt werde. Die Behörde habe es unterlassen, die Mutter der BF mit ihren Widersprüchen zu konfrontieren. Obwohl die Mutter der BF einen Eingriff in ihre sexuelle Selbstbestimmung vorgebracht habe, sei sie von einem männlichen Organwalter einvernommen worden, weshalb sie ersuche, dass sich mit ihrer Beschwerde eine Frau beschäftige. Die Länderfeststellungen der Behörde seien veraltet und unvollständig, weshalb der mündlichen Verhandlung ein Sachverständiger beizuziehen sei. Bei einer Abschiebung sei sie sofort der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Der AsylGH hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben.

 

Festgestellt wird:

 

Die beschwerdeführende Partei hat am 30.03.2007 - im Wege ihrer Mutter - einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Das ergibt sich aus dem Akteninhalt.

 

Die Mutter und gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin ist zur Vergewaltigung - also zu einem Eingriff in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht - von einem männlichen Organwalter befragt worden.

 

Die Mutter und gesetzliche Vertreterin der Beschwerdeführerin ist nicht auf ihr Recht, von einer weiblichen Organwalterin einvernommen zu werden, aufmerksam gemacht worden. Diese Feststellungen ergeben sich aus dem Akteninhalt.

 

Die Abweisung des Asylantrags wird mit der Unglaubwürdigkeit der Angaben der Mutter der beschwerdeführenden Partei begründet, was sich wiederum aus dem Akteninhalt ergibt.

 

Mit Erkenntnis des AsylGH vom heutigen Tage, Zahl: E11 312.8072/2008, wurde der erstinstanzliche Bescheid vom 7.10.2008,

Zahl: 07 03.144-BAI, - betreffend der Mutter der minderjährigen Antragstellerin - gemäß § 66 Absatz 2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides and das Bundesasylamt zurückverwiesen.

 

III. Rechtliche Beurteilung

 

Artikel 151 Abs. 39 Z. 1 und 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lauten:

 

(39) Art. 10 Abs. 1 Z 1, 3, 6 und 14, Art. 78d Abs. 2, Art. 102 Abs. 2, Art. 129, Abschnitt B des (neuen) siebenten Hauptstückes, Art. 132a, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 138 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1erster Satz und Art. 144a in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 2/2008 treten mit 1. Juli 2008 in Kraft. Für den Übergang zur neuen Rechtslage gilt:

 

Z 1: Mit 1. Juli 2008 wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.

 

Z 4: Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 61 (1) AsylG 2005 BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. [.....]

 

(2) [.....]

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

[......]

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs 4 AVG idgF hat der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], sofern die Beschwerde [Berufung] nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er [sie] ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) seine [ihre] Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann der AsylGH [Berufungsbehörde] jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der AsylGH ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084 zur Anwendbarkeit von § 66 (2) AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat). Eine kassatorische Entscheidung darf vom AsylGH nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Das erkennende Gericht hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i. S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Gemäß § 2 Z 22 leg.cit. ist ein Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes, minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, ist, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat. Gemäß § 34 AsylG in der Fassung BGBl. I Nr. 100/2005 stellen Familienangehörige (§ 2 Z 22) eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder eines Asylwerbers einen Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

 

Gemäß Absatz 2 leg. cit. hat die Behörde auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Artikel 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) BGBl Nr. 210/1958, mit dem Familienangehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist. Gemäß Absatz 4 leg.cit. hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Dies ist entweder die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

 

Im Hinblick darauf, dass der erstinstanzliche Bescheid der Mutter und gesetzlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin mit Erkenntnis des AsylGH vom heutigen Tag, Zahl: E11 312.807-2/2008/ behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen wurde, kann im Sinne des § 34 Absatz. 4 AsylG, wonach die Verfahren "unter einem zu führen" sind, auch der den Asylantrag zurückweisende angefochtene Bescheid der minderjährigen Beschwerdeführerin keinen Bestand haben (vgl. VwGH v. 18.10.2005, 2005/01/0402 bis 0404).

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Familienverfahren, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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