C5 260.713-0/2008/25E
Schriftliche Ausfertigung des am 2.12.2008
mündlich verkündeten Erkenntnisses
ERKENNTNIS
Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. SCHADEN als Einzelrichter über die Beschwerde des Herrn K.H., geb. 00.00.1983, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 9.5.2005, 04 10.796-BAS, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.9.2006 und am 2.12.2008 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird stattgegeben und K.H. gemäß § 7 Asylgesetz 1997 Asyl gewährt. Gemäß § 12 AsylG wird festgestellt, dass K.H. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
1.1. Der Beschwerdeführer reiste am 21.5.2004 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag - unter dem Namen S.S. - den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Hierzu wurde er vom Bundesasylamt (Erstaufnahmestelle West in St. Georgen im Attergau) am 26.5.2004 und am 2.6.2004 mit Hilfe von Dolmetschern für die Sprache Farsi bzw. Dari niederschriftlich vernommen. Das Bundesasylamt stellte das Verfahren am 19.7.2004 gemäß § 30 Abs. 2 Asylgesetz 1997 BGBl. I 76 (in der Folge: AsylG) ein. In der Folge hielt sich der Beschwerdeführer im Vereinigten Königreich auf, wo er sich K.H. nannte; Österreich erklärte sich entsprechend der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist, ABl. 2003 Nr. L 50 ff. (in der Folge: Dublin-V) am 9.12.2004 bereit, ihn zu übernehmen, er wurde am 14.1.2005 nach Österreich überstellt. In weiterer Folge hielt sich der Beschwerdeführer kurze Zeit in der Bundesrepublik Deutschland auf; Österreich erklärte sich entsprechend der Dublin-V am 5.4.2005 bereit, ihn zu übernehmen, er wurde nach Österreich überstellt. Zu seinem Antrag wurde er sodann vom Bundesasylamt (Außenstelle Salzburg) am 26.4.2005 mit Hilfe einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu niederschriftlich vernommen.
Bei seinen beiden Einvernahmen 2004 gab der Beschwerdeführer an, er habe sich sieben Monate zuvor entschlossen, aus Afghanistan zu flüchten. Die Taliban hätten ihn "mitnehmen" und im Krieg gegen die Regierung Karzai an die Front schicken wollen. Sie hätten ihn bedroht und einmal auch eine Handgranate gegen das Haus geworfen; der Beschwerdeführer und sein Vater seien verletzt worden.
Bei seiner Einvernahme am 26.4.2005 gab der Beschwerdeführer an, seine Angaben von 2004 seien falsch; er habe auf Anraten des Schleppers nicht die Wahrheit gesagt, weil er nach London habe weiterfahren wollen. Sein Vater sei "unter den Mujaheddin" verstorben. Ihn selbst hätten die Taliban gezwungen, für sie als Wachmann und als Mechaniker zu arbeiten. Nach ihrem Sturz hätten ihn eines Tages Leute des Kommandanten Hazrat Ali gesucht. Er sei dann von K. nach C. übersiedelt, aber auch dort gesucht und beschossen worden. Er nehme an, dass ihn Hazrat Ali suche, weil er ihn für einen Talib halte oder weil sein Vater Ingenieur und Offizier gewesen sei.
1.2.1. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I); gemäß § 8 Abs. 1 AsylG idF der Asylgesetznovelle 2003 BGBl. I 101 (AsylGNov. 2003) erklärte es, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan sei zulässig (Spruchpunkt II); gemäß § 8 Abs. 2 AsylG wies es ihn aus dem österreichischen Bundesgebiet aus. Das Bundesasylamt beurteilte das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht als glaubwürdig; es ging weiters davon aus, dass er auch nicht iSd § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 57 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz 1997 BGBl. I 75 gefährdet oder bedroht sei, und begründete abschließend seine Ausweisungsentscheidung.
Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 10.5.2005 persönlich zugestellt.
1.2.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, nun als Beschwerde (vgl. Pt. 2.3.1.2) zu behandelnde (und daher in der Folge so bezeichnete) Berufung vom 23.5.2005, die sich im Kern vor allem gegen die Beweiswürdigung wendet und sich überdies mit der Sicherheitslage in Afghanistan befasst.
1.3. Am 12.9.2006 führte der unabhängige Bundesasylsenat, am 2.12.2008 der Asylgerichtshof eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der nur der Beschwerdeführer als Partei teilnahm und der Dolmetscher für die Sprache Paschtu beigezogen wurden. Das Bundesasylamt hatte auf die Teilnahme verzichtet. Die Verhandlung war geboten, weil die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Bescheides nicht schlüssig ist.
1.4. Der unabhängige Bundesasylsenat bzw. der Asylgerichtshof erhob Beweis, indem er den Beschwerdeführer in der Verhandlung vernahm und - außer den Akten des erstinstanzlichen Verfahrens - folgende Unterlagen einsah, die auch in der Verhandlung erörtert wurden:
The Constitution of Afghanistan. Year 1382
UNHCR, UNHCR's Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Afghan Asylum-Seekers, December 2007
Bericht des (deutschen) Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 7. März 2008, Stand Februar 2008, Berlin
Home Office, UK Border Agency, Afghanistan. Country of Origin Information Report. 20 August 2008
Corinne Troxler Gulzar, Afghanistan, Update: Aktuelle Entwicklungen, Bern, 21. August 2008 (SFH)
Weiters zog der unabhängige Bundesasylsenat bzw. der Asylgerichtshof einen Sachverständigen für die aktuelle politische Lage in Afghanistan bei, welcher der Verhandlung beiwohnte und auf Ersuchen des Verhandlungsleiters (di. des erkennenden Richters des Asylgerichtshofes) ein schriftliches Gutachten erstattete; während der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof erstattete er ein weiteres mündliches Gutachten und äußerte sich auch sonst gutachterlich.
Der Beschwerdeführer legte - auf Grund der Ergebnisse der Verhandlung vom 12.9.2006 - am 2.10.2006 einen Brief seines Landsmanns M.J. aus Dänemark vor; dass Herr J. ihm etwas über seinen Vater schreiben könne, habe er über Umwege erfahren. Der unabhängige Bundesasylsenat ließ dieses Schreiben übersetzen.
Am 31.10.2008 legte der Beschwerdeführer dem Asylgerichtshof zwei Bestätigungen aus Afghanistan vor; in der Verhandlung vom 2.12.2008 legte er einen Brief Herrn K.Z. vor.
2. Der Asylgerichtshof hat erwogen:
2.1.1. Zur Lage in Afghanistan:
2.1.1.1. Allgemeine Entwicklung
Nachdem Ende 2001 das Regime der Taliban gestürzt worden war, wurden seither eine Sonderratsversammlung einberufen, eine Übergangsregierung eingesetzt, Präsident, Parlament und Provinzräte gewählt sowie eine Verfassung verabschiedet.
Die neue Verfassung sieht ein starkes Präsidialsystem mit einem Zwei-Kammer-Parlament (Unterhaus - Wolesi Jirga [Haus des Volkes] - und Oberhaus - Meshrano Jirga [Haus der Ältesten; es wird bestellt von den Provinz- und Distriktsräten und vom Präsidenten]; Art. 82 und 84) vor und enthält einen umfangreichen Grundrechtskatalog (Art. 22 - 59), der auch Bürgerpflichten und Verpflichtungen des Staates zu Förderungsmaßnahmen vorsieht. Art. 3 enthält einen Islamvorbehalt; danach dürfen Gesetze nicht dem Glauben und den Bestimmungen des Islam zuwiderlaufen. Auf die Scharia wird dagegen nicht Bezug genommen, abgesehen davon, dass nach Art. 130 dann, wenn keine gesetzliche Norm anwendbar ist, in den Grenzen der Verfassung die Regeln der hanefitischen Rechtsschule anzuwenden sind. Staatsreligion ist der Islam (Art. 2); die Anhänger anderer Religionen haben innerhalb der Grenzen der einfachgesetzlichen Bestimmungen Glaubensfreiheit. (Die Glaubensfreiheit und damit die Freiheit zum Wechsel der Religion kommt somit den Muslimen nicht zu.)
Ein Parteiensystem im westlichen Sinn gibt es bisher nicht. Das Parteiengesetz vom Herbst 2007 sieht vor, dass die Parteien beim Justizministerium registriert werden. Derzeit sind etwa 90 Parteien registriert.
Das Parlament, das im Dezember 2005 erstmals zusammengetreten ist, hat sich bisher nicht als konstruktiver Machtfaktor im politischen Gefüge Afghanistans etablieren können.
Nach einem Anschlag auf Präsident Karzai sprach das Parlament Verteidigungsminister Abdul Rahim Wardak, Geheimdienstchef Amrullah Saleh sowie Innenminister Zarar Ahmad Moqbel das Misstrauen aus und forderte sie zum Rücktritt auf.
Afghanistan besteht aus 34 Provinzen, die in 361 Distrikte (Woluswali) gegliedert sind. An der Spitze einer Provinz steht ein Gouverneur (Waali).
Die Machtstrukturen in Afghanistan sind vielschichtig und verwoben, die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren daher schwierig. Politische Rivalitäten beruhen in der Regel nicht auf ideologisch-programmatischen Gegensätzen, sondern auf ethnischen Konflikte oder auf Rivalitäten um Macht und wirtschaftliche Vorteile. Allianzen werden unter pragmatischen Gesichtspunkten eingegangen. Im April 2007 schlossen sich zahlreiche hochrangige Mitglieder der ehemaligen Nordallianz zur "Nationalen Front" (NF) zusammen. Ihr Ziel ist die Wahrung der Interessen und des Einflussbereichs der Machthaber aus dem nicht-paschtunischen Norden. Präsident Karzai grenzt sich zunehmend von der NF ab, sie ist aber nach wie vor in der Regierung vertreten (so durch Karzais Stellvertreter Massoud).
Die rechtsprechende Gewalt ist nach der Verfassung (Art. 116) unabhängig. Ihr höchstes Organ ist das Oberste Gericht (Stera Makhama; Art. 116 der Verfassung). Auf Antrag der Regierung oder eines Gerichts kann das Oberste Gericht prüfen, ob Gesetze, Verordnungen und internationale Verträge mit der Verfassung vereinbar sind (Art. 121 der Verfassung).
Das Oberste Gericht besteht aus neun Richtern; am 5.8.2006 wurden neun neue Richter angelobt. Sie gelten als gemäßigt.
Es gibt kein funktionierendes Justizwesen. Bei Gericht sind oft nicht einmal die Texte der wichtigsten afghanischen Gesetze vorhanden; meist besteht keine Einigkeit über die Gültigkeit und damit über die Anwendbarkeit kodifizierter Rechtssätze. Tatsächlich wird in den Gerichten, soweit sie ihre Funktion ausüben, eher auf Gewohnheitsrecht, auf Vorschriften des islamischen Rechts und auf die (oft willkürliche) Überzeugung des Richters als auf gültige Gesetze Bezug genommen. Auf dem Land wird die Richterfunktion weitgehend von lokalen Räten (Shuras) übernommen. Korruption ist ein großes Problem im Justiz- und auch im Verwaltungsbereich.
Wie insgesamt die staatlichen Strukturen, befinden sich auch die Sicherheitskräfte im Wiederaufbau. Polizeiliche Führungskräfte werden seit 2002 unter deutscher Federführung und seit Juni 2007 von der europäischen EUPOL-Mission ausgebildet. Die Afghanische Nationalpolizei (ANP) trägt neben der Armee die Hauptlast bei der Bekämpfung der Aufstandsbewegung im Süden; 2007 gab es über 1000 Tote. Sie ist insofern eine primär paramilitärische Organisation. Der Ausbildungsstand der Polizisten ist niedrig, die Korruption ist hoch. Die Loyalität einzelner Polizeikommandeure gilt oftmals weniger dem Staat als lokalen oder regionalen Machthabern. In der öffentlichen Wahrnehmung ist die ANP daher kein Stabilitäts-, sondern oft ein Unsicherheitsfaktor.
Die USA betreiben den Aufbau der Afghanischen Nationalarmee (ANA) mit großem Mitteleinsatz. Es besteht Einigkeit, dass es noch weitere fünf bis zehn Jahre dauern wird, bis die ANA selbständig (dh. ohne unmittelbare Mitwirkung internationaler Streitkräfte) Operationen gegen Aufständische im eigenen Land erfolgreich wird durchführen können. Traditionell verfügt die Armee in Afghanistan über ein höheres Ansehen als die Polizei. Internationale Ausbildner beklagen das geringe Bildungsniveau und die verbreitete Disziplinlosigkeit der Armeerekruten.
Wehrpflicht besteht nicht. Zwangsrekrutierungen durch unabhängige Milizen oder durch das staatliche Militär können nicht ausgeschlossen werden; konkrete Fälle sind aber nicht bekannt.
Der afghanische Nachrichtendienst (NDS) gilt als vergleichsweise gut funktionierende, effiziente Institution. Präsident Karzai verlässt sich in seiner täglichen Arbeit stark auf die Expertise des NDS. Der NDS verfügt landesweit über ein engmaschiges Netz an Mitarbeitern. Auch er wird mit erheblichen Mitteln durch die internationale Gemeinschaft unterstützt. An einer wirksamen Kontrolle bzw. Rechenschaftspflicht des NDS im Sinne der Einhaltung rechtstaatlicher Mindeststandards dürften aber Zweifel angebracht sein. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Folter systematisch eingesetzt wird. Der NDS weist aber Züge eines "Staats im Staat" auf. Insbesondere bei der Entscheidung über die Inhaftierung einzelner Personen in den besonderen NDS-Gefängnissen sowie im Hinblick auf die Haftdauer und -umstände scheint das Ausmaß an Willkür erheblich zu sein.
Es gibt mehrere private Fernsehanstalten, die durchaus regierungskritische Berichterstattung leisten; weiters erscheinen zahlreiche Zeitungen mit unterschiedlichen politischen Ausrichtungen. Der seit August 2006 amtierende Informationsminister Khurram verfolgt eine traditionell-konservative Politik, wie sich ua. während der Debatte um das neue Mediengesetz und an den wiederholten inhaltlichen Eingriffen in die Arbeit des staatlichen Senders RTA (Radio Television Afghanistan) gezeigt hat. Seine wiederholten Drohungen gegen Medien wegen der angeblichen Verbreitung "unislamischer Inhalte" haben zu einem Klima der Einschüchterung geführt. Journalisten sind Übergriffen durch lokale Machthaber, immer wieder aber auch Einschüchterungen von Generalstaatsanwalt Sabet und von Informationsminister Khurram ausgesetzt. Die Journalists' Independent Union of Afghanistan registrierte 2007 53 Fälle von Gewalt gegen Journalisten. In sechs Fällen wurden Journalisten umgebracht. Am 7. Juni 2008 wurde der BBC-Journalist Abdul Samad Rohani umgebracht aufgefunden. Anlass für Diskussionen gibt auch immer wieder der private Sender Tolo TV, der mit seinen - in der Bevölkerung sehr beliebten - indischen Seifenopern und Musiksendungen dem Klerus und konservativen Kreisen ein Dorn im Auge ist. Im Jänner 2008 unternahm der "Rat der Islamischen Gelehrten" Afghanistans einen Vorstoß, um diese "unislamischen" Sendeinhalte künftig vom Bildschirm zu verbannen. Kulturminister Khurram sagte die Ausarbeitung entsprechender "Richtlinien" zu.
Im Oktober 2007 wurde in Mazar der Student Sayed Parwiz Kambakhsh unter dem Vorwurf verhaftet, gegen den Islam gerichtete Propaganda verbreitet zu haben. Offenbar hatte er an der Universität Mazar ein Pamphlet mit islamkritischen Äußerungen zirkuliert. Kambakhsh bestreitet die Vorwürfe. Ende Jänner wurde er erstinstanzlich in einem umstrittenen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt; er legte Berufung ein. Es gab Demonstrationen für seine Freilassung. Die Regierung sicherte zu, dass das (weitere) Verfahren rechtstaatlichen Grundsätzen genügen werde.
2.1.1.2. Ethnische und religiöse Zusammensetzung
Afghanistan hat etwa 24 Mio. Einwohner; es ist ein Vielvölkerstaat. Die vier größten ethnischen Gruppen sind die Paschtunen (etwa 38 %), die Tadschiken (etwa 25 %), die Hazara (etwa 19 %) und die Usbeken (etwa 6 %). Die Verfassung zählt in Art. 4 weiters die Turkmenen, Balutschen, Pashai, Nuristani, Aymaq, Araber, Kirgisen, Qizilbash, Gujur, Brahwui "und andere" auf und enthält in Art. 22 ein Diskriminierungs- und Privilegierungsverbot, das für alle Bürger gilt. In der Regierung sind alle großen ethnischen Gruppen vertreten. Die Situation der ethnischen Minderheiten hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft besonders für die traditionell diskriminierten Hazara insgesamt verbessert, obwohl die hergebrachten Spannungen zwischen den Ethnien in lokal unterschiedlicher Intensität fortbestehen und auch immer wieder aufleben. Offizielle Landessprachen sind Dari und Paschtu; in Gebieten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung Usbekisch, Turkmenisch, Belutschi, Pashai, Nuristani, Pamiri oder Arabisch spricht, sind diese Sprachen eine dritte offizielle Sprache (Art. 16 der Verfassung; die Bestimmung bedarf eines Ausführungsgesetzes).
Nach offiziellen Schätzungen sind etwa 84 % der afghanischen Bevölkerung sunnitische und etwa 15 % schiitische Muslime. Andere Glaubensgemeinschaften (wie zB Sikhs, Hindus und Christen) machen nicht mehr als 1 % der Bevölkerung aus.
2.1.1.3. Sicherheitslage
Die ISAF (International Security Assistance Force) hatte im Juli 2008 52.900 Soldaten in Afghanistan stationiert, davon 40.200 im Süden und Osten des Landes. Zudem befanden sich im Mai 2008 etwa 33.000 bis 36.000 amerikanische Soldaten in Afghanistan. Davon sind rund 16.400 in Bagram stationiert und kämpfen zusammen mit der ISAF, der Rest wird im Rahmen der "Terrorismusbekämpfung" unter US-Befehl eingesetzt, insbesondere im Süden und Osten des Landes. Zu den ausländischen Sicherheitskräften zählen auch private Militär- und Sicherheitsfirmen. Allein in Kabul wurden in den letzten Jahren bis zu 10.000 Bewaffnete beschäftigt.
Die Sicherheitslage ist regional sehr unterschiedlich. Terroristische Aktivitäten im Süden und Osten beruhen meist auf ideologischen Motiven und richten sich gegen die Zentralregierung und die internationale Gemeinschaft; im Norden und Westen beeinträchtigen rivalisierende lokale Machthaber und Milizenführer, die häufig in kriminelle Machenschaften verstrickt sind, die Sicherheitslage. Dazu kommen die Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise mit der bisherigen Regierungspolitik, das Wiedererstarken der Taliban, eine zunehmende Kriminalität, die illegalen Milizen und bewaffnete Stammeskonflikte. Präsident Karzai hat wiederholt seinen Willen erklärt, Verhandlungen mit den aufständischen Kräften zu führen. Diese lassen bisher jedoch keine eindeutige Bereitschaft zu Gesprächen erkennen oder stellen Bedingungen, die für die Regierung unannehmbar sind (zB Abzug aller ausländischen Streitkräfte). 2007 soll es zu mehr als 170 Selbstmordattentaten gekommen sein (2005 zu etwa 20, 2006 zu 120).
Es gibt Hinweise darauf, dass einzelne Regierungsmitglieder und einflussreiche Parlamentsabgeordnete die Verfolgung, Repression und Tötung politischer Gegner billigen. Nach Angaben der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission haben rund 80 % der Parlamentarier Kontakte zu militanten Gruppen. Von einer organisierten, gezielten oder zentral gesteuerten Verfolgung kann dennoch nicht die Rede sein.
Im Raum Kabul bleibt die Sicherheitslage weiter fragil, auch wenn sie wegen der Präsenz der ISAF im regionalen Vergleich zufriedenstellend ist. Sie wurde vom Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge für freiwillige Rückkehrer als "ausreichend sicher" bezeichnet, ausgenommen die Distrikte Sarobi und Charasyab. Teilweise kommt es zu Übergriffen von Polizei und Sicherheitskräften; dabei begehen Gruppen von Angehörigen der Sicherheitskräfte bewaffnete Raubüberfälle oder Diebstähle. Darüber hinaus werden mehr Menschen entführt, meist um Lösegeld zu erpressen.
Die Anti-Terror-Koalition bekämpft islamistische Kräfte vor allem im Osten, Südosten und Süden. Die islamistischen Kämpfer sickern aus Pakistan ein. 2007 stiegen im Süden und im Südosten die Anschläge auf Einrichtungen der Provinzregierungen und von Hilfsorganisationen deutlich an. Gleichzeitig halten Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen weiter an, ebenso Stammesfehden, wie sie ua. für paschtunisch geprägte Gebiete des Südens typisch sind. Auch in den westlichen Provinzen Ghor (Westteil), Farah und Nimruz kommt es zur Reinfiltration von Taliban bzw. Islamisten, im Nordwesten zu interfraktionellen Kämpfen und erheblichen Spannungen. Die Hauptakteure sind hier die Jamiat-e-Islami, die Jumbesh-e-Milli und die Hezb-e-Wahdat.
Die Menschenrechtssituation bessert sich langsam. Die größte Gefahr geht dabei von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Die Zentralregierung kann sie weder kontrollieren noch ihre Taten untersuchen oder sie vor Gericht bringen. Kriegsherren ("warlords"), Drogenbarone, Regionalkommandeure und Milizenführer unterdrücken in ihrem Machtbereich Opposition oft mit harten Sanktionen.
2.1.1.4. Situation der Anhänger der VDPA und von Funktionsträgern des VDPA-Regimes
Eine beträchtliche Zahl von Mitgliedern der seinerzeitigen Volksdemokratischen Partei Afghanistans (VDPA), also der kommunistischen Partei, und der damaligen Sicherheitsverwaltung, so auch des Geheimdienstes (Khad), arbeitet heute in der Verwaltung. 2003 gründeten frühere Mitglieder der VDPA eine Partei, die Hezb-e-Mutahid-e-Mili (National United Party); Mitglieder der VDPA sollen auch andere Parteien gegründet haben. Während viele ehemalige Mitglieder der VDPA und Beamte der kommunistischen Regierung ungefährdet sind, besonders wenn sie von mächtigen Gruppen oder Personen geschützt werden, sind etliche hochgestellte Mitglieder der VDPA in Gefahr, wenn sie in bestimmte Gebiete im Osten Afghanistans zurückkehren. Das Ausmaß dieser Gefahr hängt von den persönlichen Umständen, dem familiären Hintergrund und dem beruflichen Profil des Betroffenen, von seinen Verbindungen und davon ab, ob er mit Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang gebracht wird, die unter der kommunistischen Herrschaft 1979 bis 1992 geschehen sind.
VDPA-Mitglieder, die nicht von islamischen Parteien, von Stämmen oder von einflussreichen Persönlichkeiten geschützt werden, sind gefährdet, darunter die folgenden:
¿ hochrangige Mitglieder der VDPA (unabhängig davon, ob sie zur Parcham- oder zur Khalq-Fraktion gehört haben), wenn sie öffentlich bekannt waren; dazu gehören hochrangige Mitglieder von Zentral- und Provinzkomitees der VDPA und ihre Familienangehörigen sowie Sekretäre der Komitees der VDPA in öffentlichen Einrichtungen
¿ frühere Sicherheitsbeamte des kommunistischen Regimes, darunter des Geheimdienstes Khad; sie sind va. durch die Bevölkerung (Familien von Opfern) gefährdet, weil sie mit Menschenrechtsverletzungen während des kommunistischen Regimes in Verbindung gebracht werden.
Wer sich in der Anfangszeit der kommunistischen Herrschaft an der Propaganda für die VDPA beteiligte, der hat mit hoher Wahrscheinlichkeit andere Menschen schwer geschädigt, etwa getötet, verkrüppelt oder entehrt, dies kann ähnliche Sanktionen wie die Blutrache auslösen. Vor allem Khalqis erniedrigten damals Menschen auf das schwerste und folterten viele; ihre Foltermethoden waren hart, beschämend und erniedrigend. Wenn sie Menschen getötet oder schwerst geschädigt haben, werden teilweise auch heute ihre Familienmitglieder von den Opfern oder deren Verwandten zur Rechenschaft gezogen. In den Stammesgebieten verjährt die Blutrache nicht.
2.1.1.5. Situation ehemaliger Taliban
Präsident Karzai hat wiederholt Afghanen, die keine leitende Position bei den Taliban innehatten, eine Amnestie in Aussicht gestellt. Regierung und Verwaltung sind bemüht, gegenüber ehemaligen Taliban-Anhängern und -Kämpfern keine Rache zu üben. Persönliche Racheakte lokaler Kommandeure können aber nicht ausgeschlossen werden. Die afghanische Regierung versucht, über das "Versöhnungsprogramm", das seit Anfang 2005 unter der Leitung des ehemaligen Präsidenten Modjaddedi (jetzt Präsident des Oberhauses des Parlaments) steht, gemäßigten ehemaligen Taliban den Weg in die afghanische Gesellschaft zu ebnen. Bisher haben nach Angaben der Kommission über 3500 Personen dieses Angebot angenommen, darunter mehrere frühere Minister und Vizeminister sowie ein früherer Gouverneur der Provinz Zabul und ein ehemaliger Polizeichef der Provinz Farah. Die Mehrzahl stammt aber aus der niedrigen bzw. mittleren Riege. Das Programm wird von Beobachtern als insgesamt wenig effektiv kritisiert.
2.1.1.6. Hazrat Ali
Der vom Beschwerdeführer erwähnte Hazrat Ali ist ein ehemaliger Kommandant der Hezb-e Islami II und später der Jamiat-e Islami, er war auch gegen die Taliban aktiv. Nach dem Sturz der Taliban war er Armeechef in der Provinz Nangarhar; derzeit ist er Mitglied des afghanischen Parlaments.
2.1.2. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans und Muslim. Er gehört der ethnischen Gruppe der Paschtunen an und ist in der Provinz K. aufgewachsen.
Der Vater des Beschwerdeführers, K.S., war Mitglied der VDPA, und zwar des Khalq-Flügels. Er wurde schon kurz nach dem kommunistischen Putsch 1978 Mitglied dieser Partei, ging in die Kadettenschule und später auf die Militärakademie. In den Wintermonaten betrieb er in seiner Heimatprovinz K. Propaganda für die VDPA. Nach Abschluss der Militärakademie war er Offizier einer Infanterie-Division in K.; er brachte es bis zum Obersten. Es ist davon auszugehen, dass K.S. in dieser Zeit schwere Menschenrechtsverletzungen begangen hat. Er wurde vor etwa 20 bis 22 Jahren bei einem Anschlag von Mujaheddin getötet.
Der Beschwerdeführer war zu diesem Zeitpunkt noch ein kleines Kind. Nachdem auch seine Mutter gestorben war, wuchs er bei deren Schwester auf. In der Zeit der Herrschaft der Mujaheddin (nach dem Sturz Dr. Najibullahs) wurde er von Leuten des Kommandanten Hazrat Ali gesucht, nach seinem Vater gefragt und geschlagen. Nachdem die Taliban an die Macht gekommen waren, rekrutierten sie ihn; er arbeitete für sie als Wachmann und als Automechaniker. Nach ihrem Sturz kehrte er in seine Heimatprovinz K. zurück und ging dem Gewerbe des Automechanikers nach. Er wurde wieder von Leuten Hazrat Alis gesucht und ging daher nach C., wo er wieder eine Werkstatt als Automechaniker eröffnete. Eines Tages, nach etwa anderthalb Jahren, wurde er von Leuten gesucht, die, als er flüchtete, auf ihn schossen. Daraufhin verließ er Afghanistan.
Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich der Beschwerdeführer im Zuge von Kriegshandlungen eines Verbrechens schuldig gemacht hätte.
2.2. Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:
2.2.1. Die Feststellungen zur Lage in Afghanistan (Pt. 2.1.1.1 bis 2.1.1.5) beruhen auf dem Bericht des (deutschen) Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 7. März 2008 (Stand Februar 2008), der durch die Darstellungen des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR's Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Afghan Asylum-Seekers) vom Dezember 2007 bestätigt wird, ebenso durch jene der Berichte Troxler Gulzars (Schweizerische Flüchtlingshilfe) vom August 2008 und des britischen Home Office vom 20. August 2008. Die Feststellungen zum Inhalt der Verfassung beruhen auf dem Text der Verfassung (in englischer Übersetzung).
Die Prozentzahlen zur Verteilung der ethnischen Gruppen und zur Stärke der Religionsgemeinschaften verstehen sich als Schätzungen;
der Flüchtlings-Hochkommissär der Vereinten Nationen (Eligibility Guidelines, S 15 und 41) zB macht etwas abweichende Angaben (42 % Paschtunen, 27 % Tadschiken, 9 % Hazara, 9 % Usbeken, 13 % andere;
80 % Sunniten, 19 % Schiiten und andere).
Die Feststellungen zur Situation der Anhänger der VDPA und von Funktionsträgern des VDPA-Regimes beruhen auf der Darstellung des Flüchtlingshochkommissärs (Eligibility Guidelines, S 73 - 74), die durch die übrigen Berichte gestützt wird. Der letzte Absatz in Pt.
2.1.1.4 beruht auf dem mündlichen Gutachten des Sachverständigen in der Verhandlung vom 2.12.2008. Er kam in seinem schriftlichen Gutachten - übereinstimmend mit den übrigen Quellen - weiters zum Ergebnis, es sei auf Grund der chaotischen Zustände in Ost-Afghanistan nicht ausgeschlossen, dass die Kinder von Kommunisten, die viele Leute umgebracht hätten, heute von den Angehörigen der Opfer verfolgt würden. Die Regierung könne diesen Leuten nicht beikommen, wenn sie in die Dörfer flüchteten bzw. wenn sie bedeutende Kommandanten seien; in den Dörfern gäben die Taliban und die Hezb-e Islami den Ton an.
Alle zitierten Unterlagen, auf denen diese Feststellungen beruhen, stammen von angesehenen staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen, sodass keine Bedenken dagegen bestehen, sich darauf zu stützen.
Der Sachverständige ist in Afghanistan geboren und aufgewachsen, er hat in C. das Gymnasium absolviert, in Wien Politikwissenschaft studiert und war in den neunziger Jahren an mehreren Aktivitäten der Vereinten Nationen zur Befriedung Afghanistans beteiligt. Er hat Werke über die politische Lage in Afghanistan verfasst und verfügt dort über zahlreiche Kontakte, ist mit den dortigen Gegebenheiten vertraut und recherchiert dort selbst - auch für den unabhängigen Bundesasylsenat und für den Asylgerichtshof - immer wieder (zuletzt im Juli 2008). Darüber hinaus hält er an der Universität Wien Lehrveranstaltungen ab, die sich mit Afghanistan beschäftigen. Auf Grund seiner Sachkenntnis wurde er bereits in vielen Verfahren als Gutachter herangezogen; er hat im Auftrag vieler Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates und des Asylgerichtshofes zahlreiche nachvollziehbare und schlüssige Gutachten zur aktuellen Lage in Afghanistan erstattet.
Die Feststellungen zu Hazrat Ali (Pt. 2.1.1.6) stützen sich auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen.
2.2.2. Die Feststellungen zur ethnischen Zugehörigkeit des Beschwerdeführers und zu seiner Religion stützen sich auf seine glaubwürdigen Angaben. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass er nicht aus Afghanistan stamme; dass er die Sprache Paschtu beherrscht, zeigte sich in der Verhandlung. Die Dolmetscherin, die aus einer der Südprovinzen Afghanistans stammt, konnte, wie sie dem erkennenden Richter mitteilte, in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof erkennen, dass der Beschwerdeführer den Dialekt einer Ostprovinz spricht; dies entspricht seiner Angabe, er stamme aus der Provinz K..
Die Feststellungen zum Vater des Beschwerdeführers stützen sich auf das mündliche Gutachten des Sachverständigen, der während einer Verhandlungspause ein Gespräch mit K.Z. führte, jenem Mann, dessen Brief der Beschwerdeführer in der Verhandlung vom 2.12.2008 vorgelegt hatte. K.Z. gab in diesem Gespräch zwar nicht an, dass der Vater des Beschwerdeführers schwere Menschenrechtsverletzungen begangen habe, schilderte jedoch den beruflichen und parteiinternen Aufstieg des Vaters zu Beginn der Herrschaft der VDPA. Der Sachverständige führte dazu in seinem mündlichen Gutachten aus, viele afghanische Kommunisten, besonders Khalqis, versuchten ihre Vergangenheit zu verschleiern. Die Anfangszeit der Herrschaft der VDPA sei eine brutale Gewaltherrschaft gewesen. Die Äußerungen K.Z. schätzte der Sachverständige dahin ein, dass der Vater des Beschwerdeführers Mitglied bzw. Aktivist der Khalq-Fraktion der VDPA gewesen sei.
Der Sachverständige ergänzte - insoweit die Glaubwürdigkeit K.Z. unterstreichend -, die Infanterie-Division sei in der Tat jedenfalls bis 1985 in K. stationiert gewesen. K.Z. hatte angegeben, der Vater des Beschwerdeführers sei dort als Offizier dieser Einheit stationiert gewesen.
Insoweit stimmen die Feststellungen auch mit den Dokumenten überein, die der Beschwerdeführer vorgelegt hat, nämlich dem Schreiben M.J. und zweier Bestätigungen. M.J., der in Dänemark lebt, war nach seinen Angaben in diesem Brief fünfzehn Jahre lang als Arzt bei den Mujaheddin tätig; er schreibt, er habe eines Nachts erfahren, dass in der Nacht zuvor "ein großer wichtiger Anhänger der VDPA" getötet worden sei. Dabei habe es sich um K.S. (somit den Vater des Beschwerdeführers) gehandelt, den er von früher gekannt habe. Oberst K.S. sei vor etwa 20 Jahren getötet worden. Weiters legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung der Gemeinde Watapur (Provinz K.) vor, wonach ihr sein derzeitiger Wohnsitz nicht bekannt sei; sein Vater K.S. sei Mitglied der VDPA und Oberst gewesen; er sei vor 22 Jahren von Mujaheddin in seinem Haus ermordet worden. Der Ältestenrat dieser Gemeinde bestätigte weiters die Identität des Beschwerdeführers als Sohn K.S. und M.K.. Oberst K.S. sei Mitglied der VDPA gewesen und vor 22 Jahren von den Mujaheddin in seinem Haus ermordet worden. In der Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, diese Bestätigungen habe ihm sein Schwiegervater in Afghanistan besorgt. Schließlich stimmen diese Angaben mit jenen überein, die K.Z. in dem vom Beschwerdeführer vorgelegten Schreiben macht; der Asylgerichtshof ließ es in der Verhandlung übersetzen. Danach war K.S. Mitglied der VDPA, Offizier der Infanterie-Division und wurde von seinen Gegnern in seinem Haus getötet.
Zu diesen Vorfällen konnte der Beschwerdeführer selbst nur bruchstückhafte Angaben machen, die sich jedoch in die sonstigen Ergebnisse des Verfahrens einfügen. Vor dem Bundesasylamt gab er an, sein Vater K.S. sei "unter den Mujaheddin" verstorben (später gab er an, sie hätten ihn getötet). Weiters gab er als mögliche Erklärung für seine Verfolgung durch Hazrat Ali an, dass Hazrat Ali ihn für einen Talib halte oder dass der Vater des Beschwerdeführers Ingenieur und Offizier gewesen sei; einmal deutete er an, sein Vater habe "während des Krieges" Leute Hazrat Alis ermordet. In der Verhandlung vom 12.9.2006 präzisierte er, sein Vater sei Oberst gewesen, und bezeichnete ihn als Mitglied der Partei Afghan-Millat und Mitarbeiter der VDPA. In der Verhandlung vom 2.12.2008 gab er dazu an, für ihn hätten alle Parteien gleich ausgesehen: die Parcham, die Khalq und die Afghan-Millat, die Mujaheddin hätten alle als Kommunisten bezeichnet. Der Sachverständige führte dazu aus, die Afghan-Millat sei eine paschtunische nationalistische Partei, die sich auch sozialdemokratisch nenne und mit manchen europäischen sozialdemokratischen Parteien in Kontakt stehe. Sie sei, wie der Beschwerdeführer gesagt habe, besonders während des kommunistischen Regimes von den Mujaheddin als links eingestuft worden, obwohl ihre Mitglieder nicht mit den Kommunisten zusammengearbeitet hätten und teilweise sogar von ihnen verfolgt worden seien. Nach dem Sturz des kommunistischen Regimes, als die ethnische Frage in Afghanistan im Mittelpunkt der Politik gestanden sei, habe man die Grenze zwischen Angehörigen der Afghan-Millat, der Khalq, der Hezb-e Islami I (der Partei Hekmatyars, zu unterscheiden von der Hezb-e Islami II, der Hazrat Ali angehörte) und den Taliban nicht erkennen können, weil die ehemaligen Khalqis und Afghan-Millats die Hezb-e Islami bzw. die Taliban unterstützt hätten. Beide hätten die Kriegsmaschinerie und die Bürokratie der Taliban in der Hand gehabt. Allerdings seien einzelne Khalqis oder Afghan-Millats verfolgt worden, wenn sie gegen die Taliban gewesen seien.
Bedenkt man das Alter des Beschwerdeführers zur Zeit des kommunistischen Regimes, so ist es nachvollziehbar, dass er die Afghan-Millat und die Kommunisten vermengte, zumal da sie nach der Äußerung des Sachverständigen auch von Außenstehenden so wahrgenommen worden sind. Mit seinem Alter lässt sich auch erklären, dass er zu den Vorfällen um seinen Vater nicht mehr angeben konnte, er war ja damals noch ein kleines Kind. Das gab er auch vor dem Bundesasylamt als Erklärung an.
Die übrigen Feststellungen stützen sich auf die glaubwürdigen Angaben des Beschwerdeführers, die er vor dem Bundesasylamt (bei seiner Einvernahme am 26.4.2005) und vor dem unabhängigen Bundesasylsenat und dem Asylgerichtshof iW gleichbleibend machte. Vor dem Bundesasylamt gab er an, auch seine Mutter lebe nicht mehr; er sei bei ihrer Schwester aufgewachsen. Er habe vor etwa drei Jahren deren Tochter geheiratet und habe ein Kind. Er habe früher eine Autoreparaturwerkstatt in seinem Dorf und dann anderthalb Jahre eine in C. gehabt.
In der Zeit der Herrschaft der Mujaheddin (nach dem Sturz Dr. Najibullahs) sei er - noch als Kind oder Halbwüchsiger - von Leuten des Kommandanten Hazrat Ali gesucht, nach seinem Vater gefragt und geschlagen worden. - Die Taliban seien ein oder anderthalb Jahre nach ihrer Machtergreifung in sein Dorf Q. und in die Werkstatt in einem nahen Ort, in der er damals gelernt habe, gekommen und hätten Leute gezwungen, für sie zu arbeiten. Für den Fall, dass er sich weigere, hätten sie ihm mit dem Tod gedroht; er habe drei Jahre unter ihnen arbeiten müssen, bis die Amerikaner Afghanistan angegriffen hätten, und zwar als Wachmann und als Mechaniker. An Kampfhandlungen habe er sich nicht beteiligt, er sei auch nicht bewaffnet gewesen. Als Wachmann sei es seine Aufgabe gewesen, Büros oder Häuser zu bewachen und darauf zu achten, dass niemand unerlaubt hineingehe. Nach dem Sturz der Taliban sei er wieder zu seiner Tante gegangen. Eines Tages - ein paar Monate später - seien Leute der Kommandanten Hazrat Ali, Z. und L. gekommen und hätten seinen Schwiegervater nach ihm befragt. Sie hätten behauptet, dass er mit den Taliban gearbeitet und Waffen versteckt habe. Er sei nicht zu Hause gewesen und habe danach beschlossen, nach C. zu übersiedeln. Dies sei vor etwa zweieinhalb Jahren gewesen. Nach anderthalb Jahren sei er dort bei seiner Werkstatt von Leuten Hazrat Alis - dies nehme er an, weil er sonst mit niemandem eine Feindschaft gehabt habe - gesucht worden; er habe Angst bekommen und sei davongelaufen. Daraufhin sei auf ihn geschossen worden. Nach diesem Vorfall sei er nach Jalalabad gegangen und von dort ausgereist.
Der Sachverständige bestätigte in seinem schriftlichen Gutachten die Schilderung des Beschwerdeführers von den Rekrutierungsmethoden der Taliban. Seine Darstellung, wie er in K. und auch in C. verfolgt worden sei, entspreche den tatsächlichen Zuständen in Afghanistan zwischen 2001 und 2003. Die Mujaheddin hätten damals Leute oft pauschal beschuldigt und den Amerikanern verraten; auch einfache Soldaten oder Sympathisanten der Taliban seien verfolgt worden, weil die Kommandanten alte Rechnungen mit ihnen wegen ihres oder ihrer Familienmitglieder Vorgehens gegen die Mujaheddin hätten begleichen wollen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer, wenn er wirklich - in der von ihm geschilderten Weise - mit den Taliban zusammengearbeitet habe, auch in C. von den Mujaheddin verfolgt worden sei. Der Sachverständige bezog sich sodann in seinem schriftlichen Gutachten auf das Schreiben M.J., das er für "authentisch" halte. Während des Krieges zwischen den Mujaheddin und den Kommunisten sei die Hezb-e Islami in K. stark gewesen und habe die Kommunisten brutal verfolgt. Der vom Beschwerdeführer erwähnte Hazrat Ali sei ein ehemaliger Kommandant der Hezb-e Islami II und später der Jamiat-e Islami, er sei auch gegen die Taliban aktiv gewesen.
Die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers bei diesen Angaben wird durch weitere Momente erhärtet: Er gab in der Verhandlung den Namen seines Stammes an, der Sachverständige bestätigte in seinem schriftlichen Gutachten, dass dieser Stamm in der Provinz K. lebe. In der Heimatgegend des Beschwerdeführers siedeln iW zwei paschtunische Stämme, nämlich die Salarzy (Salarzai) und die Meshwani (Mashwani). Der Beschwerdeführer schilderte ihre Haltung gegenüber den Taliban anders, als es die Quellen des Sachverständigen zeigten. Nach dem schriftlichen Gutachten waren die Salarzy eher Anhänger, die Meshwani Gegner der Taliban. Der Beschwerdeführer gab dazu an, die Salarzy hätten sich nicht trauen können, sich offen gegen die Taliban zu stellen. Der Sachverständige hielt diese Darstellung für möglich; es sei denkbar, dass die von ihm verwendete Literatur nur den damaligen äußeren Anschein widerspiegle.
Gegenüber diesen Überlegungen kann die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid nicht bestehen. Es hielt die Angabe des Beschwerdeführers für "absolut unglaubwürdig", dass er von den Taliban über drei Jahre hinweg gezwungen worden sei, für sie tätig zu sein; er hätte seine Kurzurlaube in seiner Heimatprovinz für eine Flucht nutzen können. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer sich in K. dem Dienst bei den Taliban hätte entziehen können, indem er einfach nicht nach C. zurückgekehrt wäre. Er wies in der Verhandlung zu Recht darauf hin, dass in C. ebenso wie in K. Taliban regiert hätten. Der Beschwerdeführer konnte auch erklären, warum er als Wachmann unbewaffnet gewesen sei; er habe einfach nur den Eingang zu bestimmten Gebäuden kontrolliert. Das Bundesasylamt hielt es für "absolut überzogen", dass der Beschwerdeführer eine bloße erfolglose Waffenkontrolle - in seinem Haus war nach Waffen gesucht worden - als Bedrohung empfunden und zum Anlass genommen habe, noch am selben Tag nach C. zu fliehen. Der Beschwerdeführer gab dazu an, er habe annehmen müssen, dass man ihn persönlich - auch wegen seines Vaters - suche. Das Bundesasylamt hielt es für nicht nachvollziehbar, warum die Menschen, die in C. auf den Beschwerdeführer geschossen haben sollen, Gefolgsleute Hazrat Alis gewesen seien. Demgegenüber hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass die Schilderung des Beschwerdeführers den Zuständen in Afghanistan von 2001 bis 2003 entsprach. Ob die Leute, die in C. auf den Beschwerdeführer schossen, tatsächlich Leute Hazrat Alis waren, kann dabei dahinstehen. Dass der vom Beschwerdeführer angeführte Verfolgungsgrund in keinem Verhältnis zum Aufwand seiner Bedroher stehe, nimmt das Bundesasylamt deshalb an, weil es die behauptete Verfolgung nur auf den Verdacht des Waffenbesitzes zurückführt. Der Beschwerdeführer hatte aber schon bei seiner Einvernahme 2005 angegeben, er werde auch wegen seines Vaters verfolgt, wenn er dazu auch keine näheren Angaben machen konnte. Gerade diese Verfolgung wegen seines Vaters, die nun den Feststellungen vor allem zugrundegelegt wird, hat das Bundesasylamt ausgeblendet.
2.3. Rechtlich folgt daraus:
2.3.1.1. Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 erster Satz B-VG sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig waren, vom Asylgerichtshof weiterzuführen.
Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (Art. 2 BG BGBl. I 100/2005, in der Folge: AsylG 2005) sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."
Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG 1997 (in der Folge: AsylG) idF der AsylGNov. 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die ab dem 1.5.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG in der jeweils geltenden Fassung, di. nunmehr die Fassung der AsylGNov. 2003, zu führen.
Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag nicht vor dem 1.5.2004 gestellt; das Verfahren war am 31.12.2005 anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach dem AsylG idF der AsylGNov. 2003 zu führen. Da es am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig war, ist es vom Asylgerichtshof weiterzuführen.
2.3.1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (in der Folge: AsylGHG, Art. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz BGBl. I 4/2008 [in der Folge: AsylGH-EinrichtungsG]) ist auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof grundsätzlich das AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 23 AsylGHG hat der Asylgerichtshof, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener des Bundesasylamtes zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf Art. 151 Abs. 39 Z 4 erster Satz B-VG und auf § 38 AsylG. § 38 AsylG spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1. Juli 2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieses Gericht gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen.
Die Zuständigkeit des Einzelrichters ergibt sich aus § 75 Abs. 7 Z 1 AsylG 2005 (zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit dieser Vorschrift VfGH 6.11.2008, U 97/08).
2.3.2.1. Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Für eine "wohlbegründete Furcht vor Verfolgung" ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (VwGH 26.2.1997, 95/01/0454; 9.4.1997, 95/01/0555), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH 18.4.1996, 95/20/0239; vgl. auch VwGH 16.2.2000, 99/01/0397), sondern erfordert eine Prognose. Verfolgungshandlungen, die in der Vergangenheit gesetzt worden sind, können im Rahmen dieser Prognose ein wesentliches Indiz für eine Verfolgungsgefahr sein (vgl. dazu VwGH 9.3.1999, 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.
Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. zB VwGH 24.3.1999, 98/01/0352 mwN; 15.3.2001, 99/20/0036; 15.3.2001, 99/20/0134). Damit ist nicht das Erfordernis einer landesweiten Verfolgung gemeint, sondern vielmehr, dass sich die asylrelevante Verfolgungsgefahr für den Betroffenen - mangels zumutbarer Ausweichmöglichkeit innerhalb des Herkunftsstaates - im gesamten Herkunftsstaat auswirken muss (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "inländischen Flucht- oder Schutzalternative" (VwGH 9.11.2004, 2003/01/0534) innewohnt, setzt daher voraus, dass der Asylwerber dort nicht in eine ausweglose Lage gerät, zumal da auch wirtschaftliche Benachteiligungen dann asylrelevant sein können, wenn sie jede Existenzgrundlage entziehen (VwGH 8.9.1999, 98/01/0614, 29.3.2001, 2000/20/0539).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 20.9.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191).
2.3.2.2. Es ist dem Beschwerdeführer gelungen, drohende Verfolgung glaubhaft zu machen. Er muss die Verfolgung durch Personen fürchten, deren Verwandte auf Grund von Tätigkeiten seines Vaters zu Schaden gekommen, insbesondere getötet worden sind. Aus den Feststellungen zur Situation in Afghanistan (Pt. 2.1.1.4, vgl. auch Pt. 2.2.1) ergibt sich, dass von einer Verfolgung in diesem Fall nicht nur der Täter, sondern auch seine Verwandten, insbesondere der Beschwerdeführer als Sohn des Täters, bedroht sind.
Diese Verfolgung, die der Beschwerdeführer zu befürchten hat, wurzelt in einem der in der GFK genannten Gründe, und zwar in der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe, nämlich jener der Familienangehörigen des Täters (vgl. T Alexander Aleinikoff, Protected characteristics and social perceptions: an analysis of the meaning of 'membership of a particular social group', in:
Feller/Türk/Nicholson [Hg.], Refugee Protection in International Law. UNHCR's Global Consultations on International Protection, Cambridge 2003, 263 [276, 306]; weiters VwGH 26.2.2002, 2000/20/0517; 12.3.2002, 2001/01/0399; 3.7.2003, 2001/20/0219 [nur unter dem Gesichtspunkt des "offensichtlichen" Fehlens eines Konventionsgrundes iSd § 6 Z 2 AsylG]; 16.4.2002, 99/20/0430;
14.1.2003, 2001/01/0508; 17.9.2003, 2000/20/0137; 17.9.2003, 2001/20/0292; 24.6.2004, 2002/20/0165; 22.8.2006, 2006/01/0251;
17.10.2006, 2005/20/0198; 21.3.2007, 2006/19/0083; 21.3.2007, 2006/19/0390). Denn der Beschwerdeführer wird nicht deshalb verfolgt, weil er jemandem etwas zuleide getan hat, sondern weil er mit jemandem verwandt ist, dem Verletzungen vorgeworfen werden und der die (Blut-)Rache herausgefordert hat. Auf Grund der Situation in Afghanistan droht er (auch) in anderen Landesteilen in eine ausweglose Lage zu geraten. Eine inländische Fluchtalternative kommt daher für den Beschwerdeführer nicht in Frage. Nach den Feststellungen hat sich der Beschwerdeführer auch nach einem Angriff in der Provinz K. etwa anderthalb Jahre in C. aufgehalten, wurde aber auch dort - wenn auch aus anderen Gründen, nämlich wegen seiner unterstellten Zugehörigkeit zu den Taliban - verfolgt.
Nach den Feststellungen zu Afghanistan kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass dem Beschwerdeführer ausreichender staatlicher Schutz zuteil würde. Die Sicherheitslage und die Verwaltungs- und Justizstrukturen sind nicht derart, dass er dies erwarten könnte.
Zusammenfassend ergibt sich, dass sich der Beschwerdeführer aus wohl begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe (nämlich der Familie seines Vaters) außerhalb Afghanistans aufhält und dass auch keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.
2.3.3. Gemäß § 12 AsylG war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.
2.4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.