TE AsylGH Erkenntnis 2008/12/18 D5 245575-3/2008

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Veröffentlicht am 18.12.2008
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Spruch

D5 245575-3/2008/11E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Christine AMANN als Vorsitzende und den Richter Dr. Peter CHVOSTA als Beisitzer über die Beschwerde des M.A., geb. 00.00.1989, StA. der Russischen Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 6.9.2006, FZ. 06 03.847-BAT, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Der Beschwerde wird stattgegeben und M.A. gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 Asyl gewährt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. wird festgestellt, dass M.A. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Zugehöriger der tschetschenischen Volksgruppe mit muslimischem Bekenntnis, reiste am 21.6.2003 gemeinsam mit seiner Mutter N.T. (AIS-Zlen. 08 03.703 und 03 18.629) und seinen Geschwistern M.I. (AIS-Zlen. 03 18.631 und 06 03.848) und M.C. (AIS-Zlen. 03 18.630 und 06 03.849) illegal in das Bundesgebiet ein. Am 23.6.2003 stellte die gesetzliche Vertreterin für den damals minderjährigen Beschwerdeführer einen Asylantrag, welcher am 27.11.2003 in einen Asylerstreckungsantrag gemäß § 10 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/ 2002 umgewandelt worden war. Mit Bescheid vom 30.6.2003, Zl. 03 18.629-BAT, wies das Bundesasylamt den (ersten) Asylantrag der gesetzlichen Vertreterin gemäß § 7 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 in Spruchteil I. als unbegründet ab, und stellte gemäß § 8 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 in Spruchteil

II. fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der gesetzlichen Vertreterin in die Russische Föderation zulässig sei. Demzufolge war auch der Asylerstreckungsantrag des damals minderjährigen Beschwerdeführers mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 4.12.2003, Zl. 03 36.571-BAT, gemäß §§ 10, 11 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 abgewiesen worden. Dagegen erhob die gesetzliche Vertreterin des damals minderjährigen Beschwerdeführers fristgerecht am 22.12.2003 eine Berufung, welche mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 9.3.2006, GZ. 245.575/0-VII/20/04, gemäß §§ 10, 11 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 abgewiesen worden war. Die Berufung gegen den negativen Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.6.2003 - die gesetzliche Vertreterin betreffend - war mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 9.3.2006, Zl. 239.481/0-VII/20/03, gemäß § 7 AsylG abgewiesen worden, aber mit demselben Bescheid war gleichzeitig festgestellt worden, dass deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation nicht zulässig sei, und dieser gemäß § 15 AsylG 1997 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 8.3.2007 erteilt worden.

 

Am 5.4.2006 stellte der zu diesem Zeitpunkt noch minderjährige Beschwerdeführer durch seine gesetzliche Vertreterin neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz (in weiterer Folge auch Asylantrag genannt). Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 6.9.2006, Zl. 06 03.847-BAT, wies das Bundesasylamt diesen Antrag gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF ab (Spruchteil I.), erkannte aber dem damals minderjährigen Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs. 3 leg. cit. den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchteil II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 leg. cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 8.3.2007 (Spruchteil III.). Gegen Spruchteil I. des o.a. Bescheides erhob die gewillkürte Vertreterin der gesetzlichen Vertreterin des damals noch minderjährigen Beschwerdeführers am 25.9.2006 fristgerecht eine Beschwerde. Die Spruchteile II. und III. des o.a. Bescheides erwuchsen hingegen in Rechtskraft.

 

Am 26.4.2008 stellte die Mutter des Beschwerdeführers für sich einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, welchem mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 2.7.2008, Zl. 08 03.703-BAT, gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 idgF stattgegeben, ihr der Status der Asylberechtigten zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idgF festgestellt worden war, dass ihr kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

 

Am 23.7.2008 brachte die gewillkürte Vertreterin des Beschwerdeführers eine Beschwerde-ergänzung ein, in welcher sie auf die erfolgte Asylgewährung für die Mutter hinwies.

 

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 10.4.2006 vor dem Bundesasylamt gab der zu diesem Zeitpunkt noch minderjährige Beschwerdeführer im Wesentlichen Folgendes an:

 

Er habe einen neuen Antrag auf Asyl gestellt, da seine Mutter eine Aufenthaltsberechtigung erhalten habe und ihnen daher eine Beraterin der Diakonie geraten habe, er und seine beiden Geschwister sollten auch einen neuerlichen Antrag stellen, da sie dann ebenfalls eine Aufenthaltsberechtigung erhalten würden. Er habe keine eigenen Fluchtgründe, er sei noch klein gewesen und habe ihn seine Mutter mitgenommen. Es habe sich nichts geändert, er würde nur bei seiner Mutter und seinen Geschwistern bleiben wollen. Im Falle seiner Rückkehr könne er zum Militär eingezogen werden.

 

Im Zuge ihrer niederschriftlichen Einvernahme am 11.7.2006 vor dem Bundesasylamt gab die gesetzliche Vertreterin des damals minderjährigen Beschwerdeführers im Wesentlichen Folgendes an:

 

Sie habe nunmehr für ihre drei minderjährigen Kinder neuerlich Asylanträge gestellt, um die Kinder vom Krieg fernzuhalten, da sie dort sogar sterben könnten. Gegen die Kinder habe es konkret keine Verfolgungshandlungen gegeben, doch könne ihr ältester Sohn A. eingesperrt oder umgebracht werden oder verschwinden. Sein Vater habe nie aktiv an Kampfhandlungen teilgenommen, doch sei er im ersten Tschetschenienkrieg im Zuge der Bombardierungen in Grosny zu Hause gestorben; in Tschetschenien würde man insofern keinen Unterschied machen, als jeder, der im Krieg gestorben sei, auch als Kämpfer gelten würde. Nachkommen der Kämpfer würden grundsätzlich als Terroristen gelten und sei deswegen vor allem ihr ältester Sohn (= der Beschwerdeführer) gefährdet.

 

Das Bundesasylamt traf im o.a. Bescheid vom 6.9.2006 auf den Seiten 7 bis 14 umfassende Länderfeststellungen zur Russischen Föderation, insbesondere zu Tschetschenien, und stellte daran anschließend als maßgebenden Sachverhalt fest:

 

Der Beschwerdeführer gehöre der Kernfamilie der N.T. (AIS-Zl. 03 18.629) an, welcher mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 22.3.2006 (richtig wohl: 9.3.2006) der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei. Die Mutter des Beschwerdeführers habe keinen asylrelevanten Sachverhalt in Vorlage gebracht bzw. werde ihr, hinsichtlich ihrer Ausführungen zum nunmehr erhöhten Gefährdungspotenzial des Beschwerdeführers, die Glaubwürdigkeit aberkannt. Gegen den Beschwerdeführer habe es niemals konkret gerichtete Verfolgungshandlungen im Heimatland gegeben. Aufgrund der gesundheitlichen Probleme der Mutter des Beschwerdeführers und der damit verbundenen Behandlungsbedürftigkeit bestünden stichhaltige Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer im Falle der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in seinen Herkunftsstaat einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt sei.

 

Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt im o.a. Bescheid im Wesentlichen aus:

 

In Tschetschenien werde nicht jede Familie diskriminiert oder verfolgt. Die Tatsache der Gruppenverfolgung bedeute keineswegs, dass sich jedes Mitglied der betroffenen Gruppe bedroht fühlen müsse oder die Verfolgungswahrscheinlichkeiten über die gesamte Population wie auch über die Zeit gleich verteilt seien. Es könne daher auch durchaus möglich sein, dass einzelne TschetschenInnen oder ihre Familien nicht diskriminiert oder verfolgt (werden) würden. Die Sicherheitslage sei 2005 besser geworden, was auch der friedliche Ablauf der Parlamentswahlen gezeigt habe. Die Aktivitäten der Rebellen hätten gegenüber Januar 2005 stark abgenommen. Die Situation in Grosny sei ruhig und unter Kontrolle. In der Russischen Föderation gebe es keine landesweite Gruppenverfolgung in Anknüpfung an die Herkunft aus dem Kaukasus oder an ein "südländisches" Aussehen. Allfällige Übergriffe gebe es nur im Einzelfall. Es könne daher auf Grund des Vorbringens der Mutter des Beschwerdeführers nicht von einer erhöhten Verfolgungswahrscheinlichkeit konkret die Person des Beschwerdeführers betreffend ausgegangen werden.

 

Bei der rechtlichen Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes führte das Bundesasylamt im o.a. Bescheid zu § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (= Spruchteil I.) insbesondere aus:

 

Dem vorliegenden Sachverhalt sei keine Verfolgungsgefahr iSd Genfer Flüchtlingskonvention zu entnehmen, zumal das Vorbringen anlässlich der Einvernahme der Mutter des Beschwerdeführers nicht dazu führen habe können, die Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers festzustellen. Da auch sonst nichts zu erkennen gewesen sei, das auf eine Verfolgungsgefahr im gegenständlichen Fall - etwa aus Gründen der persönlichen Merkmale des Beschwerdeführers - hindeuten könne, sei der Asylantrag aufgrund des Fehlens der Flüchtlingseigenschaft abzuweisen gewesen.

 

In Bezug auf die Entscheidung über den subsidiären Schutz gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 iVm § 34 Abs 3. AsylG 2005 (= Spruchteil II.) führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus:

 

Gemäß § 34 Abs. 3 AsylG habe die Behörde auf Grund eines Antrages eines im Bundesgebiet befindlichen Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, mit Bescheid den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Das Bundesasylamt gelange zur Ansicht, dass aufgrund der gesundheitlichen Probleme der Mutter des Beschwerdeführers und der damit verbundenen Behandlungsbedürftigkeit stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Gefahr laufe, in Russland einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden, womit festzustellen gewesen sei, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nicht zulässig sei.

 

In Bezug auf die Entscheidung über die befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (= Spruchteil III.) führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus:

 

Einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werde, sei von der zuerkennenden Behörde gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen. Die Aufenthaltsberechtigung gelte ein Jahr und sei im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden vom Bundesasylamt zu verlängern.

 

Gegen diesen o.a. Bescheid erhob die gewillkürte Vertreterin der gesetzlichen Vertreterin des damals minderjährigen Beschwerdeführers am 25.9.2006 fristgerecht eine Beschwerde, in welcher er den o.a. Bescheid bezüglich Spruchpunkt I. wegen inhaltlicher und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften bekämpfte, im Wesentlichen seine erstinstanzlichen Angaben wiederholte und darüber hinaus geltend machte:

 

Das Bundesasylamt habe sich in der Beweiswürdigung auf eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 9.8.2006 zu GZ: 253.213-BAA-GDA/2006 gestützt, deren Inhalt dem minderjährigen Beschwerdeführer nicht vorgehalten worden sei und damit auch kein Parteiengehör gewährt worden sei. Diese angeführte Anfragebeantwortung zitiere praktisch ausschließlich Quellen des Verfolgerstaates, wie das tschetschenische Innenministerium, den tschetschenischen Generalstaatsanwalt, den tschetschenischen Militärkommandanten, den tschetschenischen Präsidenten und eine russische Nachrichtenagentur. Die tschetschenische Regierung sei faktisch - trotz Wahlen - von Moskau eingesetzt worden und erhalte von Moskau massive finanzielle Mittel sowie administrative und politische Unterstützung. Das Bundesasylamt habe zwar festgestellt, dass es durchaus möglich sei, dass einzelne TschetschenInnen oder ihre Familien nicht diskriminiert oder verfolgt (werden) würden, doch gehe aus der Beweiswürdigung in keinster Weise nachvollziehbar hervor, in welcher Weise dies im Widerspruch zum Vorbringen des minderjährigen Beschwerdeführers stünde. Neben der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 9.8.2006 seien auch die Länderfeststellungen im angefochtenen Bescheid verharmlosend, unvollständig und würden nicht die Realität in Tschetschenien bzw. in der Russischen Föderation wiedergeben.

 

Er stelle daher folgende Anträge:

 

eine mündliche Verhandlung anzuberaumen;

 

der Berufung (nunmehr Beschwerde) stattzugeben und ihm den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.

 

Mit Urteil des LG für Strafsachen vom 20.6.2007, (rechtskräftig seit 25.6.2007) war der Beschwerdeführer wegen § 142 Abs. 1, § 83 Abs. 1, § 143 (2. Fall) u. § 84 Abs. 2 Z 2 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt worden (siehe im Akt aufliegender Strafregisterauszug vom 16.12.2008).

 

Am 23.7.2008 brachte die gewillkürte Vertreterin des Beschwerdeführers eine Beschwerdeergänzung ein und brachte in dieser im Wesentlichen vor:

 

Seiner Mutter sei mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 2.7.2008, Zl. 08 03.703-BAT, der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden. Er sei Familienangehöriger seiner Mutter iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 idgF und führe mit dieser ein gemeinsames Familienleben, dessen Fortsetzung in einem anderen Staat nicht möglich sei. Er beantrage daher der Berufung vom 25.9.2006 insofern stattzugeben, als ihm gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt werde. Sein in der Berufung vom 25.9.2006 gestellter Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung werde hiermit ausdrücklich zurückgezogen.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Der zuständige Senat des Asylgerichtshofes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

 

1.1. Gemäß § 41 Abs. 7 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 hat der Asylgerichtshof § 67d AVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

 

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur am 30.6.2008 außer Kraft getretenen (vgl. BGBl. I Nr. 87/2008) Regelung des Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG war der Sachverhalt nicht als geklärt anzusehen, "wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will" (VwGH 2.3.2006, Zl. 2003/20/0317 mit Hinweisen auf VwGH 23.1.2003, Zl. 2002/20/0533; 12.6.2003, Zl. 2002/20/0336).

 

Ausgehend von dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, war der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde(ergänzung) als geklärt anzusehen, zumal auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung auch im ergänzenden Schriftsatz vom 23.7.2008 ausdrücklich verzichtet worden war. Somit konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Asylgerichtshof im Fall des Beschwerdeführers gemäß § 41 Abs. 7 leg. cit. unterbleiben.

 

1.2. Die Mutter des Beschwerdeführers lebt mit ihrem (nunmehrigen) Lebensgefährten I.R. (AIS-Zl. 04 17.951) in aufrechter Lebensgemeinschaft, welchem mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.7.2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde. Mit diesem Lebensgefährten hat die Mutter des Beschwerdeführers auch eine gemeinsame Tochter, geb. 00.00.2008, welcher ebenso mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.3.2008, Zl. 08 02.440-BAT, gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde. Die Mutter des Beschwerdeführers stellte am 26.4.2008 für sich einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz und wurde ihr mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 2.7.2008, Zl. 08 03.703-BAT, gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 ebenfalls der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Der Beschwerdeführer brachte nunmehr in seiner Beschwerdeergänzung vom 23.7.2008 vor, dass er Familienangehöriger iSd § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 idgF von seiner Mutter sei, zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig gewesen sei und ihm daher gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 idgF der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen sei.

 

1.4. Folgendes ist als maßgebender Sachverhalt festzustellen:

 

Der Beschwerdeführer ist russischer Staatsangehöriger und Zugehöriger der tschetschenischen Volksgruppe muslimischen Glaubens.

 

Der am 00.00.1989 geborene Beschwerdeführer hat am 5.4.2006 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz als Minderjähriger gestellt. Der (mittlerweile volljährige) Beschwerdeführer ist der Sohn der N.T. (AIS-Zl. 08 03.703), der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 2.7.2008, Zl. 08 03.703-BAT, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idgF der Status der Asylberechtigten zuerkannt und festgestellt wurde, dass ihr gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

 

Als Jugendstraftäter ist der Beschwerdeführer mit Urteil des LG für Strafsachen vom 20.6.2007 wegen schweren Raubes zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten, Probezeit drei Jahre, rechtskräftig verurteilt worden.

 

2. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt sich für den zuständigen Senat des Asylgerichtshofes rechtlich Folgendes:

 

2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 Asylgerichtshofgesetz (Art. 1 BGBl. I Nr. 4/2008; im Folgenden: AsylGHG) tritt dieses Bundesgesetz mit 1.7.2008 in Kraft. Gleichzeitig tritt das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat - UBASG, BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 100/2005, außer Kraft.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind - soweit sich aus dem B-VG, dem AsylG und dem VwGG nichts anderes ergibt - auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 75 Abs. 7 Z 2 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, vom Asylgerichtshof (konkret: von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat) weiterzuführen.

 

Im gegenständlichen Fall handelt es sich um ein Beschwerdeverfahren nach leg. cit. gegen einen abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes. Daher ist das Verfahren des Beschwerdeführers von dem zuständigen Senat des Asylgerichtshofes (D/5) weiterzuführen.

 

2.2. Gemäß § 73 Abs. 1 AsylG ist das AsylG 2005 am 1.1.2006 in Kraft getreten; es ist gemäß § 75 Abs. 1 leg. cit. auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31.12.2005 noch nicht anhängig waren. Da der Asylantrag nach dem 31.12.2005 gestellt wurde, ist das vorliegende Verfahren nach den Bestimmungen des AsylG 2005 zu führen.

 

2.3. Vorweg sei darauf hingewiesen, dass der am 00.00.1989 geborene Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Antragstellung (5.4.2006) noch minderjährig war, nunmehr jedoch volljährig ist.

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kindes eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat. Da der Beschwerdeführer, wie bereits ausgeführt, zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährig war, ist er Familienangehöriger nach leg. cit. und das Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 idgF auf ihn anzuwenden.

 

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Asylanträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Dies ist entweder die Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz, wobei die Gewährung von Asyl vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Antragsteller erhält gemäß leg. cit. einen gesonderten Bescheid.

 

Entsprechend den erläuternden Bemerkungen zu § 34 Abs. 4 AsylG 2005, der im Wesentlichen § 10 AsylG 1997 entspricht, sollen alle Familienmitglieder einen eigenen Bescheid, aber mit gleichem Inhalt zugesprochen bekommen. Jener Schutzumfang, der das stärkste Recht gewährt, ist auf alle Familienmitglieder anzuwenden.

 

Da der Mutter des Beschwerdeführers durch die oben genannte Gewährung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 das stärkste Recht gewährt wurde, hat der Beschwerdeführer als Familienangehöriger seiner Mutter gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 das Recht, einen gesonderten Bescheid mit demselben Inhalt zu erhalten.

 

2.4. Ein Fremder ist gemäß § 6 Abs. 1 AsylG 2005 von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn (...) er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet (Z 4).

 

Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden; § 8 gilt (§ 6 Abs. 2 AsylG 2005).

 

In den erläuternden Bemerkungen zu dieser Gesetzesbestimmung heißt es u.a.: "Die Z 3 und 4 des Abs. 1 entsprechen inhaltlich den bisherigen § 13 Abs. 2 AsylG 1997. Unter den Begriff ¿besonders schweres Verbrechen' fallen (...) nach herrschender Lehre des Völkerrechts nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen (vgl. VwGH 10.6.1999, Zl. 99/01/0288). (...)"

 

Da der Beschwerdeführer wegen des Deliktes "schwerer Raub" in Österreich rechtskräftig verurteilt worden ist, muss in seinem Fall geprüft werden, ob er damit einen Ausschlussgrund von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gesetzt hat:

 

Der Beschwerdeführer ist wegen der von ihm begangenen Straftat am 20.6.2007 zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt worden. Seit diesem Zeitpunkt hat sich der Beschwerdeführer (strafrechtlich) nichts zu Schulden kommen lassen.

 

Davon ausgehend, dass eine bedingt verhängte Freiheitsstrafe an sich aufgrund der niedrigen Strafhöhe nicht als ein "schweres Verbrechen" definiert werden kann, liegt auf der Hand, dass der Beschwerdeführer durch seine strafrechtliche Verurteilung am 20.6.2007 keinen Ausschlussgrund gemäß § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 gesetzt hat.

 

2.5. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 hat die Behörde einem Fremden auf Antrag mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

 

Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

 

Zentraler Aspekt der dem § 3 AsylG 2005 zugrunde liegenden, in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sei, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen (vgl. VwGH 21.9.2000, Zl. 2000/20/0241; VwGH 14.11.1999, Zl. 99/01/0280). Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 19.4.2001, Zl. 99/20/0273; VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334). Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; VwGH 9.3.1999, Zl. 98/01/0318). Besteht für den Asylwerber die Möglichkeit, in einem Gebiet seines Heimatstaates, in dem er keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Flucht- bzw. Schutzalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt (vgl. VwGH 24.3.1999, Zl. 98/01/0352; VwGH 21.3.2002, Zl. 99/20/0401; VwGH 22.5.2003, Zl. 2001/20/0268, mit Verweisen auf Vorjudikatur).

 

Im vorliegenden Fall wurde der Mutter des Beschwerdeführers gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt. Dem Beschwerdeführer ist daher nach § 34 Abs. 4 AsylG 2005 der gleiche Schutzumfang zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 auszusprechen, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Hinweise darauf, dass dem Beschwerdeführer die Fortsetzung des bestehenden Familienlebens mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in einem anderen Staat möglich wäre, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

 

2.6. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Asylausschlussgrund, besonders schweres Verbrechen, Familienverfahren, objektiver Maßstab, strafrechtliche Verurteilung, Straftatbestand
Zuletzt aktualisiert am
11.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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