TE AsylGH Erkenntnis 2008/12/19 C5 221673-2/2008

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Veröffentlicht am 19.12.2008
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Spruch

C5 221.673-2/2008/9E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. SCHADEN als Vorsitzenden und die Richterin Mag. PUTZER als Beisitzerin über die Beschwerde des Herrn K.M., geb. 00.00.1971, StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 31.3.2008, 05 20.100-BAL, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.11.2008 zu Recht erkannt:

 

I. Die Beschwerde wird gemäß § 7 iVm § 13 Abs. 2 Asylgesetz 1997 hinsichtlich Spruchpunkt I als unbegründet abgewiesen.

 

II. Gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 wird festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Herrn K.M. nach Afghanistan nicht zulässig ist.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

1.1.1. Der Beschwerdeführer reiste am 14.2.2001 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag den Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Bei seiner Einvernahme vor der Grenzbezirksstelle Neusiedl am See gab er ua. an, er sei afghanischer Staatsangehöriger und habe vor etwa zwei Monaten den Entschluss gefasst, seine Heimat zu verlassen, weil er dort wegen seiner Mitgliedschaft bei der neugegründeten "Hisbi Wahdate Milli-Partei" von den Taliban politisch verfolgt werde. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt (Außenstelle Eisenstadt) am 28.2.2001 gab er an, er habe Kabul am 29. Djadi 1379 (nach afghanischer Zeitrechnung, di. der 19.1.2001 nach gregorianischer Zeitrechnung) verlassen. Er habe seit 1998 gegen die Taliban gearbeitet und sei daher von ihnen verhaftet und gefoltert worden.

 

1.1.2. Mit Bescheid vom 9.3.2001, 01.03 555-BAE, wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 BGBl. I 76 (in der Folge: AsylG) ab (Spruchpunkt I); gemäß § 8 AsylG erklärte es, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan sei zulässig (Spruchpunkt II). Das Bundesasylamt beurteilte das Vorbringen des Beschwerdeführers mit näherer Begründung nicht als glaubwürdig; es ging weiters davon aus, dass er auch nicht iSd § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1 und 2 Fremdengesetz 1997 BGBl. I 75 (in der Folge: FrG) gefährdet oder bedroht sei.

 

1.1.3. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 19.3.2001 Berufung an den unabhängigen Bundesasylsenat.

 

Am 10.7.2002 stellte der unabhängige Bundesasylsenat das Verfahren gemäß § 30 AsylG ein.

 

1.2.1. Am 21.11.2005 stellte der Beschwerdeführer neuerlich einen Antrag, ihm Asyl zu gewähren. Hierzu wurde er vom Bundesasylamt (Erstaufnahmestelle Ost in Traiskirchen) am 28.11.2005 niederschriftlich vernommen. Dabei gab er an, er habe seine Heimatadresse in Kabul Ende 2000/Anfang 2001 verlassen und sei über Usbekistan, Moskau, die Ukraine und Ungarn nach Österreich gelangt, wo er Anfang 2001 eingereist sei. Nach drei Monaten sei er in die Bundesrepublik Deutschland weitergereist und nunmehr am 21.11.2005 wieder nach Österreich gekommen. In Deutschland seien zwei Asylanträge, die er 2001 und 2005 gestellt habe, negativ beschieden worden. Zu seinen Fluchtgründen gab er - gerafft wiedergegeben - an, er sei von 1990 bis 1992 Polizeioffizier gewesen und habe jugendliche Deserteure verhaftet. Nach der Machtübernahme durch die Mujaheddin 1371 habe er sich acht Jahre unerkannt in Afghanistan aufgehalten. 2002 sei auf seine beiden Brüder geschossen worden, einer sei tödlich getroffen worden.

 

2007 verurteilte das Geschworenengericht beim Landesgericht den Beschwerdeführer wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge (§ 87 Abs. 1 und 2 zweiter Fall StGB) zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren. Mit Urteil vom 00.00.2008 gab das Oberlandesgericht einer Berufung des Beschwerdeführers gegen das Urteil des Geschworenengerichtes (wegen des Ausspruchs über die Strafe) nicht Folge.

 

1.2.2. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesasylamt den Asylantrag gemäß § 7 iVm § 13 Abs. 2 AsylG idF BG BGBl. I 126/2002 (und der Kundmachung BGBl. I 105/2003) ab (Spruchpunkt I); gemäß § 8 Abs. 1 AsylG idF der Asylgesetznovelle 2003 BGBl. I 101 (AsylGNov. 2003) erklärte es, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan sei zulässig (Spruchpunkt II); gemäß § 8 Abs. 2 AsylG idF der AsylGNov. 2003 wies es ihn aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan aus. Das Bundesasylamt beurteilte das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht als glaubwürdig; es ging davon aus, dass ein Asylausschlussgrund vorliege (S 46 des angefochtenen Bescheides [ASt. = Antragsteller]: " ... ergibt sich zudem, dass selbst auch dann, wenn der ASt. aus asylrelevanten Gründen verfolgt oder bedroht und sein Vorbringen als gänzlich glaubhaft erachtet worden wäre, eine Verbringung in den Herkunftsstaat als gerechtfertigt anzusehen wäre."), und davon, dass der Beschwerdeführer auch nicht iSd § 8 Abs. 1 AsylG iVm § 57 Abs. 1 und 2 FrG gefährdet oder bedroht sei, und begründete abschließend seine Ausweisungsentscheidung.

 

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 1.4.2008 zu Handen seines damaligen rechtsfreundlichen Vertreters zugestellt.

 

1.2.3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, nun als Beschwerde (vgl. Pt. 2.3.1.2) zu behandelnde (und daher in der Folge so bezeichnete) Berufung vom 15.4.2008.

 

1.3. Am 20.11.2008 führte der Asylgerichtshof eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der nur der Beschwerdeführer als Partei teilnahm und der ein Dolmetscher für die Sprache Dari beigezogen wurde. Das Bundesasylamt hatte auf die Teilnahme verzichtet.

 

1.4. Der Asylgerichtshof erhob Beweis, indem er den Beschwerdeführer in der Verhandlung vernahm und - außer den Akten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Verfahrens über den Antrag vom 14.2.2001 - folgende Unterlagen einsah, die auch in der Verhandlung erörtert wurden:

 

The Constitution of Afghanistan. Year 1382

 

UNHCR, UNHCR's Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Afghan Asylum-Seekers, December 2007

 

Bericht des (deutschen) Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 7. März 2008, Stand Februar 2008, Berlin

 

Home Office, UK Border Agency, Afghanistan. Country of Origin Information Report. 20 August 2008

 

Corinne Troxler Gulzar, Afghanistan, Update: Aktuelle Entwicklungen, Bern, 21. August 2008 (SFH)

 

2. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

2.1.1. Zur Lage in Afghanistan:

 

2.1.1.1. Allgemeine Entwicklung

 

Nachdem Ende 2001 das Regime der Taliban gestürzt worden war, wurden seither eine Sonderratsversammlung einberufen, eine Übergangsregierung eingesetzt, Präsident, Parlament und Provinzräte gewählt sowie eine Verfassung verabschiedet.

 

Die neue Verfassung sieht ein starkes Präsidialsystem mit einem Zwei-Kammer-Parlament (Unterhaus - Wolesi Jirga [Haus des Volkes] - und Oberhaus - Meshrano Jirga [Haus der Ältesten; es wird bestellt von den Provinz- und Distriktsräten und vom Präsidenten]; Art. 82 und 84) vor und enthält einen umfangreichen Grundrechtskatalog (Art. 22 - 59), der auch Bürgerpflichten und Verpflichtungen des Staates zu Förderungsmaßnahmen vorsieht. Art. 3 enthält einen Islamvorbehalt; danach dürfen Gesetze nicht dem Glauben und den Bestimmungen des Islam zuwiderlaufen. Auf die Scharia wird dagegen nicht Bezug genommen, abgesehen davon, dass nach Art. 130 dann, wenn keine gesetzliche Norm anwendbar ist, in den Grenzen der Verfassung die Regeln der hanefitischen Rechtsschule anzuwenden sind. Staatsreligion ist der Islam (Art. 2); die Anhänger anderer Religionen haben innerhalb der Grenzen der einfachgesetzlichen Bestimmungen Glaubensfreiheit. (Die Glaubensfreiheit und damit die Freiheit zum Wechsel der Religion kommt somit den Muslimen nicht zu.)

 

Ein Parteiensystem im westlichen Sinn gibt es bisher nicht. Das Parteiengesetz vom Herbst 2007 sieht vor, dass die Parteien beim Justizministerium registriert werden. Derzeit sind etwa 90 Parteien registriert.

 

Das Parlament, das im Dezember 2005 erstmals zusammengetreten ist, hat sich bisher nicht als konstruktiver Machtfaktor im politischen Gefüge Afghanistans etablieren können.

 

Nach einem Anschlag auf Präsident Karzai sprach das Parlament Verteidigungsminister Abdul Rahim Wardak, Geheimdienstchef Amrullah Saleh sowie Innenminister Zarar Ahmad Moqbel das Misstrauen aus und forderte sie zum Rücktritt auf.

 

Afghanistan besteht aus 34 Provinzen, die in 361 Distrikte (Woluswali) gegliedert sind. An der Spitze einer Provinz steht ein Gouverneur (Waali).

 

Die Machtstrukturen in Afghanistan sind vielschichtig und verwoben, die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren daher schwierig. Politische Rivalitäten beruhen in der Regel nicht auf ideologisch-programmatischen Gegensätzen, sondern auf ethnischen Konflikte oder auf Rivalitäten um Macht und wirtschaftliche Vorteile. Allianzen werden unter pragmatischen Gesichtspunkten eingegangen. Im April 2007 schlossen sich zahlreiche hochrangige Mitglieder der ehemaligen Nordallianz zur "Nationalen Front" (NF) zusammen. Ihr Ziel ist die Wahrung der Interessen und des Einflussbereichs der Machthaber aus dem nicht-paschtunischen Norden. Präsident Karzai grenzt sich zunehmend von der NF ab, sie ist aber nach wie vor in der Regierung vertreten (so durch Karzais Stellvertreter Massoud).

 

Die rechtsprechende Gewalt ist nach der Verfassung (Art. 116) unabhängig. Ihr höchstes Organ ist das Oberste Gericht (Stera Makhama; Art. 116 der Verfassung). Auf Antrag der Regierung oder eines Gerichts kann das Oberste Gericht prüfen, ob Gesetze, Verordnungen und internationale Verträge mit der Verfassung vereinbar sind (Art. 121 der Verfassung).

 

Das Oberste Gericht besteht aus neun Richtern; am 5.8.2006 wurden neun neue Richter angelobt. Sie gelten als gemäßigt.

 

Es gibt kein funktionierendes Justizwesen. Bei Gericht sind oft nicht einmal die Texte der wichtigsten afghanischen Gesetze vorhanden; meist besteht keine Einigkeit über die Gültigkeit und damit über die Anwendbarkeit kodifizierter Rechtssätze. Tatsächlich wird in den Gerichten, soweit sie ihre Funktion ausüben, eher auf Gewohnheitsrecht, auf Vorschriften des islamischen Rechts und auf die (oft willkürliche) Überzeugung des Richters als auf gültige Gesetze Bezug genommen. Auf dem Land wird die Richterfunktion weitgehend von lokalen Räten (Shuras) übernommen. Korruption ist ein großes Problem im Justiz- und auch im Verwaltungsbereich.

 

Wie insgesamt die staatlichen Strukturen, befinden sich auch die Sicherheitskräfte im Wiederaufbau. Polizeiliche Führungskräfte werden seit 2002 unter deutscher Federführung und seit Juni 2007 von der europäischen EUPOL-Mission ausgebildet. Die Afghanische Nationalpolizei (ANP) trägt neben der Armee die Hauptlast bei der Bekämpfung der Aufstandsbewegung im Süden; 2007 gab es über 1000 Tote. Sie ist insofern eine primär paramilitärische Organisation. Der Ausbildungsstand der Polizisten ist niedrig, die Korruption ist hoch. Die Loyalität einzelner Polizeikommandeure gilt oftmals weniger dem Staat als lokalen oder regionalen Machthabern. In der öffentlichen Wahrnehmung ist die ANP daher kein Stabilitäts-, sondern oft ein Unsicherheitsfaktor.

 

Die USA betreiben den Aufbau der Afghanischen Nationalarmee (ANA) mit großem Mitteleinsatz. Es besteht Einigkeit, dass es noch weitere fünf bis zehn Jahre dauern wird, bis die ANA selbständig (dh. ohne unmittelbare Mitwirkung internationaler Streitkräfte) Operationen gegen Aufständische im eigenen Land erfolgreich wird durchführen können. Traditionell verfügt die Armee in Afghanistan über ein höheres Ansehen als die Polizei. Internationale Ausbildner beklagen das geringe Bildungsniveau und die verbreitete Disziplinlosigkeit der Armeerekruten.

 

Wehrpflicht besteht nicht. Zwangsrekrutierungen durch unabhängige Milizen oder durch das staatliche Militär können nicht ausgeschlossen werden; konkrete Fälle sind aber nicht bekannt.

 

Der afghanische Nachrichtendienst (NDS) gilt als vergleichsweise gut funktionierende, effiziente Institution. Präsident Karzai verlässt sich in seiner täglichen Arbeit stark auf die Expertise des NDS. Der NDS verfügt landesweit über ein engmaschiges Netz an Mitarbeitern. Auch er wird mit erheblichen Mitteln durch die internationale Gemeinschaft unterstützt. An einer wirksamen Kontrolle bzw. Rechenschaftspflicht des NDS im Sinne der Einhaltung rechtstaatlicher Mindeststandards dürften aber Zweifel angebracht sein. Es gibt keine Hinweise darauf, dass Folter systematisch eingesetzt wird. Der NDS weist aber Züge eines "Staats im Staat" auf. Insbesondere bei der Entscheidung über die Inhaftierung einzelner Personen in den besonderen NDS-Gefängnissen sowie im Hinblick auf die Haftdauer und -umstände scheint das Ausmaß an Willkür erheblich zu sein.

 

Es gibt mehrere private Fernsehanstalten, die durchaus regierungskritische Berichterstattung leisten; weiters erscheinen zahlreiche Zeitungen mit unterschiedlichen politischen Ausrichtungen. Der seit August 2006 amtierende Informationsminister Khurram verfolgt eine traditionell-konservative Politik, wie sich ua. während der Debatte um das neue Mediengesetz und an den wiederholten inhaltlichen Eingriffen in die Arbeit des staatlichen Senders RTA (Radio Television Afghanistan) gezeigt hat. Seine wiederholten Drohungen gegen Medien wegen der angeblichen Verbreitung "unislamischer Inhalte" haben zu einem Klima der Einschüchterung geführt. Journalisten sind Übergriffen durch lokale Machthaber, immer wieder aber auch Einschüchterungen von Generalstaatsanwalt Sabet und von Informationsminister Khurram ausgesetzt. Die Journalists' Independent Union of Afghanistan registrierte 2007 53 Fälle von Gewalt gegen Journalisten. In sechs Fällen wurden Journalisten umgebracht. Am 7. Juni 2008 wurde der BBC-Journalist Abdul Samad Rohani umgebracht aufgefunden. Anlass für Diskussionen gibt auch immer wieder der private Sender Tolo TV, der mit seinen - in der Bevölkerung sehr beliebten - indischen Seifenopern und Musiksendungen dem Klerus und konservativen Kreisen ein Dorn im Auge ist. Im Jänner 2008 unternahm der "Rat der Islamischen Gelehrten" Afghanistans einen Vorstoß, um diese "unislamischen" Sendeinhalte künftig vom Bildschirm zu verbannen. Kulturminister Khurram sagte die Ausarbeitung entsprechender "Richtlinien" zu.

 

Im Oktober 2007 wurde in Mazar der Student Sayed Parwiz Kambakhsh unter dem Vorwurf verhaftet, gegen den Islam gerichtete Propaganda verbreitet zu haben. Offenbar hatte er an der Universität Mazar ein Pamphlet mit islamkritischen Äußerungen zirkuliert. Kambakhsh bestreitet die Vorwürfe. Ende Jänner wurde er erstinstanzlich in einem umstrittenen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt; er legte Berufung ein. Es gab Demonstrationen für seine Freilassung. Die Regierung sicherte zu, dass das (weitere) Verfahren rechtstaatlichen Grundsätzen genügen werde.

 

2.1.1.2. Ethnische und religiöse Zusammensetzung

 

Afghanistan hat etwa 24 Mio. Einwohner; es ist ein Vielvölkerstaat. Die vier größten ethnischen Gruppen sind die Paschtunen (etwa 38 %), die Tadschiken (etwa 25 %), die Hazara (etwa 19 %) und die Usbeken (etwa 6 %). Die Verfassung zählt in Art. 4 weiters die Turkmenen, Balutschen, Pashai, Nuristani, Aymaq, Araber, Kirgisen, Qizilbash, Gujur, Brahwui "und andere" auf und enthält in Art. 22 ein Diskriminierungs- und Privilegierungsverbot, das für alle Bürger gilt. In der Regierung sind alle großen ethnischen Gruppen vertreten. Die Situation der ethnischen Minderheiten hat sich seit dem Ende der Taliban-Herrschaft besonders für die traditionell diskriminierten Hazara insgesamt verbessert, obwohl die hergebrachten Spannungen zwischen den Ethnien in lokal unterschiedlicher Intensität fortbestehen und auch immer wieder aufleben. Offizielle Landessprachen sind Dari und Paschtu; in Gebieten, in denen die Mehrheit der Bevölkerung Usbekisch, Turkmenisch, Belutschi, Pashai, Nuristani, Pamiri oder Arabisch spricht, sind diese Sprachen eine dritte offizielle Sprache (Art. 16 der Verfassung; die Bestimmung bedarf eines Ausführungsgesetzes).

 

Nach offiziellen Schätzungen sind etwa 84 % der afghanischen Bevölkerung sunnitische und etwa 15 % schiitische Muslime. Andere Glaubensgemeinschaften (wie zB Sikhs, Hindus und Christen) machen nicht mehr als 1 % der Bevölkerung aus.

 

2.1.1.3. Sicherheitslage

 

Die ISAF (International Security Assistance Force) hatte im Juli 2008 52.900 Soldaten in Afghanistan stationiert, davon 40.200 im Süden und Osten des Landes. Zudem befanden sich im Mai 2008 etwa 33.000 bis 36.000 amerikanische Soldaten in Afghanistan. Davon sind rund 16.400 in Bagram stationiert und kämpfen zusammen mit der ISAF, der Rest wird im Rahmen der "Terrorismusbekämpfung" unter US-Befehl eingesetzt, insbesondere im Süden und Osten des Landes. Zu den ausländischen Sicherheitskräften zählen auch private Militär- und Sicherheitsfirmen. Allein in Kabul wurden in den letzten Jahren bis zu 10.000 Bewaffnete beschäftigt.

 

Die Sicherheitslage ist regional sehr unterschiedlich. Terroristische Aktivitäten im Süden und Osten beruhen meist auf ideologischen Motiven und richten sich gegen die Zentralregierung und die internationale Gemeinschaft; im Norden und Westen beeinträchtigen rivalisierende lokale Machthaber und Milizenführer, die häufig in kriminelle Machenschaften verstrickt sind, die Sicherheitslage. Dazu kommen die Unzufriedenheit weiter Bevölkerungskreise mit der bisherigen Regierungspolitik, das Wiedererstarken der Taliban, eine zunehmende Kriminalität, die illegalen Milizen und bewaffnete Stammeskonflikte. Präsident Karzai hat wiederholt seinen Willen erklärt, Verhandlungen mit den aufständischen Kräften zu führen. Diese lassen bisher jedoch keine eindeutige Bereitschaft zu Gesprächen erkennen oder stellen Bedingungen, die für die Regierung unannehmbar sind (zB Abzug aller ausländischen Streitkräfte). 2007 soll es zu mehr als 170 Selbstmordattentaten gekommen sein (2005 zu etwa 20, 2006 zu 120).

 

Es gibt Hinweise darauf, dass einzelne Regierungsmitglieder und einflussreiche Parlamentsabgeordnete die Verfolgung, Repression und Tötung politischer Gegner billigen. Nach Angaben der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission haben rund 80 % der Parlamentarier Kontakte zu militanten Gruppen. Von einer organisierten, gezielten oder zentral gesteuerten Verfolgung kann dennoch nicht die Rede sein.

 

Im Raum Kabul bleibt die Sicherheitslage weiter fragil, auch wenn sie wegen der Präsenz der ISAF im regionalen Vergleich zufriedenstellend ist. Sie wurde vom Hochkommissär der Vereinten Nationen für Flüchtlinge für freiwillige Rückkehrer als "ausreichend sicher" bezeichnet, ausgenommen die Distrikte Sarobi und Charasyab. Teilweise kommt es zu Übergriffen von Polizei und Sicherheitskräften; dabei begehen Gruppen von Angehörigen der Sicherheitskräfte bewaffnete Raubüberfälle oder Diebstähle. Darüber hinaus werden mehr Menschen entführt, meist um Lösegeld zu erpressen.

 

Die Anti-Terror-Koalition bekämpft islamistische Kräfte vor allem im Osten, Südosten und Süden. Die islamistischen Kämpfer sickern aus Pakistan ein. 2007 stiegen im Süden und im Südosten die Anschläge auf Einrichtungen der Provinzregierungen und von Hilfsorganisationen deutlich an. Gleichzeitig halten Kämpfe zwischen rivalisierenden Milizen weiter an, ebenso Stammesfehden, wie sie ua. für paschtunisch geprägte Gebiete des Südens typisch sind. Auch in den westlichen Provinzen Ghor (Westteil), Farah und Nimruz kommt es zur Reinfiltration von Taliban bzw. Islamisten, im Nordwesten zu interfraktionellen Kämpfen und erheblichen Spannungen. Die Hauptakteure sind hier die Jamiat-e-Islami, die Jumbesh-e-Milli und die Hezb-e-Wahdat.

 

Die Menschenrechtssituation bessert sich langsam. Die größte Gefahr geht dabei von lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. Die Zentralregierung kann sie weder kontrollieren noch ihre Taten untersuchen oder sie vor Gericht bringen. Kriegsherren ("warlords"), Drogenbarone, Regionalkommandeure und Milizenführer unterdrücken in ihrem Machtbereich Opposition oft mit harten Sanktionen.

 

2.1.1.4. Situation der Anhänger der VDPA und von Funktionsträgern des VDPA-Regimes

 

Eine beträchtliche Zahl von Mitgliedern der seinerzeitigen Volksdemokratischen Partei Afghanistans (VDPA), also der kommunistischen Partei, und der damaligen Sicherheitsverwaltung, so auch des Geheimdienstes (Khad), arbeitet heute in der Verwaltung. 2003 gründeten frühere Mitglieder der VDPA eine Partei, die Hezb-e-Mutahid-e-Mili (National United Party); Mitglieder der VDPA sollen auch andere Parteien gegründet haben. Während viele ehemalige Mitglieder der VDPA und Beamte der kommunistischen Regierung ungefährdet sind, besonders wenn sie von mächtigen Gruppen oder Personen geschützt werden, sind etliche hochgestellte Mitglieder der VDPA in Gefahr, wenn sie in bestimmte Gebiete im Osten Afghanistans zurückkehren. Das Ausmaß dieser Gefahr hängt von den persönlichen Umständen, dem familiären Hintergrund und dem beruflichen Profil des Betroffenen, von seinen Verbindungen und davon ab, ob er mit Menschenrechtsverletzungen in Zusammenhang gebracht wird, die unter der kommunistischen Herrschaft 1979 bis 1992 geschehen sind.

 

VDPA-Mitglieder, die nicht von islamischen Parteien, von Stämmen oder von einflussreichen Persönlichkeiten geschützt werden, sind gefährdet, darunter die folgenden:

 

¿ hochrangige Mitglieder der VDPA (unabhängig davon, ob sie zur Parcham- oder zur Khalq-Fraktion gehört haben), wenn sie öffentlich bekannt waren; dazu gehören hochrangige Mitglieder von Zentral- und Provinzkomitees der VDPA und ihre Familienangehörigen sowie Sekretäre der Komitees der VDPA in öffentlichen Einrichtungen

 

¿ frühere Sicherheitsbeamte des kommunistischen Regimes, darunter des Geheimdienstes Khad; sie sind va. durch die Bevölkerung (Familien von Opfern) gefährdet, weil sie mit Menschenrechtsverletzungen während des kommunistischen Regimes in Verbindung gebracht werden.

 

2.1.1.5. Sonstiges

 

Es ist nicht bekannt, dass die Stellung eines Asylantrags als solche zu Sanktionen der afghanischen Regierung führen würde.

 

Die medizinische Versorgung ist völlig unzureichend, weil es an Medikamenten, Geräten, Ärzten und ausgebildetem Hilfspersonal mangelt. Die Lebenserwartung der afghanischen Bevölkerung liegt bei etwa 43 Jahren. Auch in Kabul, wo es mehr Krankenhäuser als im übrigen Afghanistan gibt, reicht die medizinische Versorgung für die afghanische Bevölkerung noch nicht.

 

2.1.2. Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

 

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans und Muslim und gehört der ethnischen Gruppe der Tadschiken an. Er stellte am 14.2.2001 erstmals in Österreich den Antrag, ihm Asyl zu gewähren, ebenso ein weiteres Mal am 21.11.2005.

 

Die Verurteilung wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung mit Todesfolge ist bereits in der Darstellung des Verfahrensganges geschildert worden. Als mildernd wertete das Geschworenengericht die Unbescholtenheit, das vom Beschwerdeführer behauptete provozierende Verhalten des Opfers und das Tatgeständnis, als erschwerend keinen Umstand.

 

Das Oberlandesgericht hielt diese Erwägungen für "schon in amtswegiger Überprüfung korrektur-, konkretisierungs- und vor allem ergänzungsbedürftig": Der Beschwerdeführer habe bei Asylantragstellungen wiederholt (nämlich auch in Deutschland) falsche Identitäten gebraucht, fallbezogen sei der Milderungsgrund des ordentlichen Lebenswandels daher nicht ausgeschlossen, aber doch als eingeschränkt zu bewerten. Für den zweiten, tödlichen Stich könne keine Provokation durch das Opfer angenommen werden. Dem "Tatgeständnis" des Beschwerdeführers (Verantwortung durch Notwehr) seien die Geschworenen nicht gefolgt; darüber hinaus könne in der Verantwortung des Beschwerdeführers keine wesentlich zur Wahrheitsfindung beitragende Aussage gefunden werden. Dagegen habe das Geschworenengericht zu Unrecht auf die Folgen der Tat für die Angehörigen des Opfers verwiesen, weil es keinen Anhaltspunkt dafür gebe, dass der Beschwerdeführer diese Folgen zumindest mitbedacht habe. Dass er der Witwe des Opfers 1.500 ¿ gezahlt habe, lasse ein anerkennenswertes Bemühen und eine Auseinandersetzung des Beschwerdeführers mit der Tat erkennen. Fallbezogen falle der hohe spezifische Unrechtsgehalt ins Auge: "Die durch die zweimalige, wuchtige Stichführung dokumentierte Intensität des Täterwillens einerseits aber auch die in der Bewaffnung und vor allem in der Stichführung besonders hohe Gefährlichkeit der Tatausführung, lassen - innerhalb des zugrunde liegenden Tatbestandes - ein besonders hohes Handlungsunrecht erkennen. Bei der für die Umsetzung dieser Strafzumessungserwägungen in ein adäquates Strafmaß notwendigen Tatschwerebewertung ist fallbezogen von einem im Tatbestand vertypten hohen Erfolgs- und einem überaus hohen Handlungsunwert, insgesamt damit von einem sehr schweren Fall des Tatbestandes nach § 87 Abs 1 und Abs 2 zweiter Fall StGB auszugehen [...]. Danach ist aber die vom Erstgericht innerhalb des Strafrahmens von fünf bis zu zehn Jahren mit acht Jahren Freiheitsstrafe gefundene, gewiss strenge Sanktion, der vom Berufungswerber angestrebten Korrektur nicht zugänglich."

 

Die Fluchtgründe, die der Beschwerdeführer vorgebracht hat, werden den Feststellungen nicht zugrunde gelegt: dass er nämlich wegen seiner Zugehörigkeit zu einer Partei (Wahdat oder Watan) bzw. wegen seiner Tätigkeit als Polizeioffizier von seinen politischen Gegnern (den Taliban oder den Mujaheddin) verfolgt werde.

 

2.2. Diese Feststellungen beruhen auf folgender Beweiswürdigung:

 

2.2.1. Die Feststellungen zur Lage in Afghanistan beruhen auf dem Bericht des (deutschen) Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Afghanistan vom 7. März 2008 (Stand Februar 2008), der durch die Darstellungen des Hochkommissärs der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR's Eligibility Guidelines for Assessing the International Protection Needs of Afghan Asylum-Seekers) vom Dezember 2007 bestätigt wird, ebenso durch jene der Berichte Troxler Gulzars (Schweizerische Flüchtlingshilfe) vom August 2008 und des britischen Home Office vom 20. August 2008. Die Feststellungen zum Inhalt der Verfassung beruhen auf dem Text der Verfassung (in englischer Übersetzung).

 

Die Prozentzahlen zur Verteilung der ethnischen Gruppen und zur Stärke der Religionsgemeinschaften verstehen sich als Schätzungen;

der Flüchtlings-Hochkommissär der Vereinten Nationen (Eligibility Guidelines, S 15 und 41) zB macht etwas abweichende Angaben (42 % Paschtunen, 27 % Tadschiken, 9 % Hazara, 9 % Usbeken, 13 % andere;

80 % Sunniten, 19 % Schiiten und andere).

 

Die Feststellungen zur Situation der Anhänger der VDPA und von Funktionsträgern des VDPA-Regimes beruhen auf der Darstellung des Flüchtlingshochkommissärs (Eligibility Guidelines, S 73 - 74), die durch die übrigen Berichte gestützt wird.

 

Alle zitierten Unterlagen, auf denen diese Feststellungen beruhen, stammen von angesehenen staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen, sodass keine Bedenken dagegen bestehen, sich darauf zu stützen.

 

2.2.2.1. Die Feststellungen zur ethnischen Zugehörigkeit des Beschwerdeführers stützen sich auf seine glaubwürdigen Angaben. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass er nicht aus Afghanistan stamme; dass er die Sprache Dari beherrscht, die von afghanischen Tadschiken üblicherweise gesprochen wird, zeigte sich in der Verhandlung.

 

Die Feststellungen zu den Zeitpunkten der Asylantragstellung ergeben sich aus den Akten des Bundesasylamtes. Der Beschwerdeführer behauptete zwar in der Verhandlung, er habe seinen ersten Antrag Anfang 2000 (also ein Jahr früher) gestellt; da jedoch alle Aktenteile dieses Aktes, beginnend mit der Antragstellung und endend mit seiner Berufung, die Jahreszahl 2001 tragen (auch Poststempel udgl.), geht der Asylgerichtshof davon aus, dass sich das Verfahren 2001 abgespielt hat. Auch der Einwand des Beschwerdeführers, er sei zum Zeitpunkt der Anschläge vom 11. September 2001 bereits längere Zeit in Deutschland gewesen, überzeugt nicht, weil er nach dem Akteninhalt die Berufung im März 2001 zur Post gab und sich daher zum Zeitpunkt der Anschläge bereits etwa ein halbes Jahr in Deutschland aufgehalten haben kann. Ob das in seiner Wahrnehmung ein längerer Zeitraum ist, kann dahingestellt bleiben, weil die übrigen Argumente auch dann überwiegen. Im Übrigen kommt der Frage, in welchem Jahr sich das erste Asylverfahren abgespielt hat, keine rechtliche Bedeutung zu (vgl. unten Pt. 2.3.1.1).

 

Die Feststellungen über die Verurteilung des Beschwerdeführers stützen sich auf den Akt des Bundesasylamtes, in dem Kopien der Urteile des Geschworenengerichtes beim Landesgericht und des Oberlandesgerichtes ebenso wie der Anklageschrift und der Niederschriften der beiden Verhandlungen einliegen. Der Beschwerdeführer wurde dem Asylgerichtshof aus der Strafhaft zur Verhandlung vorgeführt.

 

2.2.2.2. Den Angaben des Beschwerdeführers über seine Fluchtgründe folgt der Asylgerichtshof nicht, und zwar aus folgenden Gründen:

 

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt (Außenstelle Eisenstadt) am 28.2.2001 gab der Beschwerdeführer an, er habe 1998 mit politischen Aktivitäten gegen die Taliban begonnen. A., ein "Wahdat-Parteimitglied", habe mit ihm zusammengearbeitet. Im Sombola 1379 (August 2000) seien die Taliban zu ihm nach Hause gekommen und hätten sich zweimal nach ihm erkundigt. Seine Frau habe ihm davon am Abend erzählt. Um 23 Uhr jenes Tages hätten sie ihn dann verhaftet, in einen Keller gesperrt und dann dort auch gefoltert. Nach drei Monaten habe sein Vater Bestechungsgeld an die Taliban gezahlt, und er sei ohne Auflagen freigelassen worden. Er habe sich etwa eine Woche bei seinen Eltern aufgehalten, bis auch dort Taliban (aus einem anderen Bezirk) gekommen seien, um Geld zu erpressen. Daraufhin habe er sich zwei Wochen bei einem Bekannten seines Vaters in Kabul versteckt gehalten und dann Afghanistan verlassen. Die Haft habe 1379 (2000) begonnen. Er sei Mitglied einer antikommunistischen Partei namens Wahdat gewesen; ihr Anführer heiße R.J.. Auf den Vorhalt, nach dem Wissen des Bundesasylamtes seien die Mitglieder der Wahdat-Partei nur Schiiten, gab er an, es handle sich nicht um dieselbe Partei, seine Partei heiße nicht Hezb-e Wahdat, sondern nur "Wahdat-Partei".

 

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt 2005 gab der Beschwerdeführer an, er sei von 1990 bis 1992 einfaches Mitglied der Kommunistischen Partei Afghanistans gewesen, der "Hezbe-Demokratie Afghanistan", die sich jetzt Watan-Partei nenne. In dieser Zeit sei er auch Polizeioffizier gewesen und habe die Aufgabe gehabt, jugendliche Deserteure zu verhaften. Er habe mehr als hundert verhaftet, sie seien zur Strafe an die vorderste Front geschickt worden. Manche seien gestorben, manche seien zu den Mujaheddin übergelaufen. Nach der Machtübernahme durch die Mujaheddin 1371 (laut der Niederschrift 1993, tatsächlich entspricht das Jahr 1371 dem Zeitraum 21. März 1992 bis 20. März 1993) habe er acht Jahre lang unerkannt als Taxifahrer gearbeitet. 2002 sei auf seine beiden Brüder geschossen worden, einer sei tödlich getroffen worden. Deshalb seien seine Eltern und zwei seiner Geschwister in den Iran geflüchtet. Die Gruppe, die seinen Bruder getötet habe, sei noch immer an der Macht; sie habe keinen eigenen Namen. Ihre Mitglieder seien früher Mujaheddin gewesen, dann Taliban. Er fürchte, von ihnen getötet zu werden. Über Vorhalt seiner Aussage vom 28.2.2001 gab der Beschwerdeführer an, er sei auch in Haft gewesen, wisse aber nicht mehr, wann. Dort sei er mit Fäusten und Fußtritten und mit dem Gewehrkolben geschlagen und einmal mit den Händen am Dach aufgehängt worden.

 

Davon ausgehend, unterscheiden sich die Fluchtgeschichten, die der Beschwerdeführer einerseits 2001 und andererseits 2005 und - vor dem Asylgerichtshof - 2008 erzählt hat, ganz erheblich: 2001 behauptete er, einer antikommunistischen Partei namens Wahdat angehört zu haben; 2005 gab er an, er sei Mitglied der Kommunistischen Partei (also der VDPA) gewesen, die sich jetzt Watan nenne, und vor dem Asylgerichtshof gab er an, bereits in der Zeit der kommunistischen Herrschaft Mitglied der Watan-Partei, einer kommunistischen Organisation, gewesen zu sein, die es neben den beiden Strömungen der VDPA (Khalq und Parcham) - von ihm als Parteien bezeichnet - gegeben habe. 2001 gab er als seine Verfolger die Taliban, 2005 und 2008 Mujaheddin an. 2008 räumte er ein, er könne sich nicht erinnern, was er 2001 gesagt habe; es sei wahrscheinlich nicht die Wahrheit gewesen.

 

Während der Beschwerdeführer 2005 den Anschlag auf seine Brüder ins Jahr 2002 datierte - als er bereits Afghanistan verlassen hatte -, gab er vor dem Asylgerichtshof an, sein Bruder S., der wie er selbst für die kommunistische Regierung gearbeitet habe, sei noch vor seiner (des Beschwerdeführers) Flucht aus Afghanistan getötet worden (die spätestens 2000 stattgefunden haben müsste). Während er 2005 angab, die Gruppe, die seinen Bruder getötet habe, sei zunächst auf der Seite der Mujaheddin, dann auf jener der Taliban gestanden und sei jetzt wieder an der Macht, gab er vor dem Asylgerichtshof an, er habe nicht herausgefunden, wer seinen Bruder getötet habe. Demnach hätte er über die politische Orientierung dieser Leute nichts aussagen können. Davon, dass diese Gruppe mit den Taliban zusammengearbeitet habe - wie er 2005 vor dem Bundesasylamt behauptet hatte - war daher nicht mehr die Rede. In der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof wurde der Beschwerdeführer nochmals nach dem Namen dieser Gruppe gefragt und antwortete, sie gehöre zum Kommandanten M.F.. Dazu ist anzuführen, dass F. nicht mit den Taliban zusammengearbeitet hat, sondern ein führender Kopf der Nordallianz war, also der Gegner der Taliban. Dagegen nannte der Beschwerdeführer den Namen des Kommandanten, der nach seinen Angaben ihn selbst habe entführen lassen: Er gehöre der Jamiat-e Islami an, deren Führer Rabbani sei, während F. der S. angehöre. 2005 hatte der Beschwerdeführer noch - im Widerspruch zu diesen Aussagen - angegeben, er fürchte jene Gruppe, die seinen Bruder getötet habe, und von genau dieser Gruppe sei er auch einmal festgenommen und gefangen gehalten worden.

 

Weiters schilderte der Beschwerdeführer seine Anhaltung - sei es durch Mujaheddin, sei es durch Taliban - auf unterschiedliche Weise; einmal soll er drei Monate, einmal zwei bis zweieinhalb Wochen gefangen gehalten worden sein. Auch die Art der Misshandlung schilderte er nicht in gleicher Weise.

 

Der Beschwerdeführer gab im Laufe der Verfahren unterschiedliche Geburtsdaten an; in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof gab er zunächst den 00.00.1975 an, räumte aber dann ein, er wisse nur, dass er 36 Jahre alt sei; Tag und Monat seiner Geburt seien ihm nicht bekannt. Er gab auch 1971 als sein Geburtsjahr an; dem Bundesasylamt legte er die Kopie eines Militärausweises vor, nach dem er in diesem Jahr geboren wäre.

 

Zu diesem Ausweis ist weiters festzuhalten, dass ihn der Beschwerdeführer bei seinem Aufgriff an der österreichischen Grenze am 14.2.2001 bei sich führte; er wurde ihm dann vermutlich abgenommen. Am 5.3.2001 forderte ihn das Bundesasylamt auf, ihm das Wehrdienstbuch (damit ist offenbar der Ausweis gemeint) zu übermitteln. Am 8.3.2001 gab eine Mitarbeiterin einer Flüchtlingsberatung im Auftrag des Beschwerdeführers an, er sei nicht im Besitz des Wehrdienstbuches. Der Berufung im ersten Asylverfahren legte er dann jedoch (am 19.3.2001) eine Kopie des Buches bei. In der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof konnte er nicht erklären, warum er dieses Buch nicht bereits früher vorgelegt hatte und wie es, nachdem es ihm an der Grenze abgenommen worden war, wieder in seinen Besitz gelangt sei. Er gab nur an, er habe eine Kopie dieses Buches bei sich geführt; damit wird nicht erklärt, warum er dem Bundesasylamt nicht auf seine Aufforderung hin bereits vorher die Kopie übermittelt hatte. Darüber hinaus ist beim erkennenden Senat, dem diese Kopie vorlag, nicht der Eindruck entstanden, dass das Foto in diesem Ausweis den Beschwerdeführer zeigt; der auf dem Foto Abgebildete wirkt deutlich älter als der Beschwerdeführer, dabei ist zu bedenken, dass der Ausweis 1992 ausgestellt worden sein soll. Als dem Beschwerdeführer dies vorgehalten wurde, gab er an, die Karte sei später ausgestellt, aber absichtlich jenes Datum (1992) eingetragen worden; sie sei ausgestellt worden, als die Mujaheddin an die Macht gekommen seien. Dies kann nicht überzeugen, da auf der Karte ohnedies 1992 - also das Jahr der Machtergreifung der Mujaheddin - eingetragen ist. Der Beschwerdeführer müsste damals - geht man von einem Lebensalter von derzeit 36 Jahren aus, wie er es in der Verhandlung angegeben hat - 20 Jahre alt gewesen sein.

 

Der Beschwerdeführer machte wechselnde Angaben darüber, wann er Afghanistan verlassen habe. 2001 gab er an, dies sei am 19.1.2001 gewesen; 2005, es sei "Ende 2000, Anfang 2001" gewesen. In der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof schilderte er seine Anhaltung durch Mujaheddin und gab dann an, dies sei zwei Jahre nach deren Machtergreifung (1992) gewesen. Er habe Afghanistan 1377 (Ende 1998) verlassen; zwischen seiner Anhaltung und seiner Ausreise seien fünfeinhalb Jahre gelegen. Über Vorhalt korrigierte er, er habe nur fünfeinhalb Monate gewartet und sei 1373 (1994/1995) ausgereist. Bis 1377 habe er sich in Tadschikistan aufgehalten. Über weiteren Vorhalt gab er an, er habe seinerzeit angegeben, dass er 2000 oder 2001 (nicht Afghanistan verlassen, sondern) nach Europa gekommen sei. Nach seiner Flucht 1373 (1994/95) will sich der Beschwerdeführer - nach seiner Angabe vor dem Asylgerichtshof - in Tadschikistan aufgehalten haben, während er 2005 angegeben hatte, er sei über Usbekistan weitergereist.

 

Der Beschwerdeführer machte bei seinen verschiedenen Einvernahmen (2001, 2005, 2008) nicht übereinstimmende Angaben zu seinen Geschwistern; insbesondere gab er 2001 seinen Bruder S. nicht an, der nach seinen späteren Angaben 2002 (also ein Jahr später) getötet wurde.

 

Zur Partei Hezb-e Watan gab er vor dem Asylgerichtshof an, dies sei eine kommunistische Partei gewesen, die zur Zeit der Machtergreifung der Kommunisten gegründet worden sei; als ihm vorgehalten wurde, er habe 2001 angegeben, dass er bei einer antikommunistischen Partei namens Wahdat gewesen sei, brachte er vor, von der Hezb-e Watan habe sich eine Splittergruppe namens Wahdat abgespalten; er selbst habe zunächst der Hezb-e Watan angehört und habe sich dann der Splittergruppe angeschlossen und gegen die Hezb-e Watan gearbeitet. Zur Spaltung sei es gekommen, als Dr. Najibullah an die Macht gekommen sei. Auf die Frage nach der Regierungspartei während der kommunistischen Herrschaft gab er die Hezb-e Parcham und die Hezb-e Khalq an, konnte aber nicht sagen, in welchem Verhältnis die Watan-Partei dazu gestanden habe. Er wusste auch nicht, ob es diese drei Parteien gleichzeitig gegeben habe; Mitglied der Watan-Partei sei er zu Ende seiner Dienstzeit in der Najibullah-Zeit gewesen. Mitglied der Parcham sei er nicht gewesen.

 

Tatsächlich handelt es sich bei der Parcham und der Khalq um Flügel der VDPA, die zeitweise gegeneinander kämpften. Noch 2005 hatte der Beschwerdeführer behauptet, Mitglied der Hezb-e Demokratie Afghanistan gewesen zu seien, also der VDPA. Die Watan-Partei ist eine Nachfolgeorganisation der VDPA. Dies war dem Beschwerdeführer offenkundig nicht bekannt. Die von ihm im ersten Asylverfahren erwähnte antikommunistische Partei namens Wahdat ist in Wahrheit eine - wenig bekannte - kommunistische (aber antisowjetische) Partei namens Hizb-e Wahdat-e Melli-ye Afghanistan (so hatte sie der Beschwerdeführer 2001 bei seiner Einvernahme vor der Grenzbezirksstelle Neusiedl am See genannt, aber als neugegründet bezeichnet), eine Abspaltung des Khalq-Flügels, die in der Tat von R.J. geleitet wird. Diese Zusammenhänge waren dem Beschwerdeführer offenbar nur oberflächlich bekannt; er dürfte die Parteien miteinander verwechselt und vermengt haben. Er hat zwar gewisse Kenntnisse dieser Parteien, verknüpft sie aber falsch oder bringt sie durcheinander; es ist daher nicht davon auszugehen, dass er zu diesen Gruppen in einem näheren Verhältnis stand; allenfalls mag er der VDPA angehört haben. Daran kann es auch nichts ändern, dass er über Tatsachen Bescheid wusste, die vielen Afghanen ohne Weiteres bekannt sind, wie über den Zeitpunkt des Sturzes Dr. Najibullahs und über jenen seiner Tötung; er wusste auch, wer ihn getötet hatte und wer mit ihm gemeinsam getötet worden war, wenn er auch den Namen dieses Mannes (des Bruders Dr. Najibullahs) nicht nennen konnte. An die Fluchtgeschichte, die der Beschwerdeführer 2001 geschildert hatte, konnte er sich nicht mehr genau erinnern; er räumte, wie erwähnt, ein, damals im Wesentlichen die Unwahrheit gesagt zu haben.

 

2005 gab der Beschwerdeführer an, während eines neunmonatigen Praktikums als Polizeioffizier mehr als hundert Deserteure verhaftet zu haben, vor dem Asylgerichtshof sprach er nur von 25 bis 30 Leuten; als ihm seine Aussage vor dem Bundesasylamt vorgehalten wurde, räumte er ein, es könnten mehr gewesen sein, aber weniger als

100.

 

Auf Grund all dieser zT schweren Widersprüche erscheinen die Fluchtgeschichten, die der Beschwerdeführer vorgebracht hat, nicht als glaubwürdig. Dass die Geschichte, die er in seinem ersten Verfahren geschildert hat, nicht zutrifft, räumte er in der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof selbst ein. Den bisherigen Überlegungen steht nur seine Beteuerung gegenüber, in Bezug auf die zweite Geschichte - der er aber auch keineswegs widerspruchsfrei erzählt hat - die Wahrheit zu sprechen. Die Gründe, die gegen die Glaubwürdigkeit sprechen, überwiegen bei weitem. Der Asylgerichtshof geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer seine Geschichte eingelernt und nicht erlebt hat.

 

2.3. Rechtlich folgt daraus:

 

2.3.1.1. Gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 erster Satz B-VG sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig waren, vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (Art. 2 BG BGBl. I 100/2005, in der Folge: AsylG 2005) sind "[A]lle am 31. Dezember 2005 anhängigen Verfahren [...] nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. § 44 AsylG 1997 gilt."

 

Gemäß § 44 Abs. 2 AsylG idF der AsylGNov. 2003 sind Verfahren über Asylanträge, die ab dem 1.5.2004 gestellt worden sind, nach den Bestimmungen des AsylG in der jeweils geltenden Fassung, di. nunmehr die Fassung der AsylGNov. 2003, zu führen.

 

Der Beschwerdeführer hat seinen Asylantrag nicht vor dem 1.5.2004 gestellt; das Verfahren war am 31.12.2005 anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach dem AsylG idF der AsylGNov. 2003 zu führen. Da es am 1.7.2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig war, ist es vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Das Verfahren über den ersten Asylantrag des Beschwerdeführers wurde am 10.7.2002 eingestellt (so. Pt. 1.1.3); daher konnte es auf Grund seines neuen Antrags vom 21.11.2005 nicht mehr fortgesetzt werden, da dies nur innerhalb von drei Jahren nach Einstellung zulässig gewesen wäre (§ 30 Abs. 2 dritter Satz AsylG). Ob der Beschwerdeführer seinen ersten Antrag im Jänner 2000 - wie er behauptet - oder ein Jahr später gestellt hat - wovon die Feststellungen ausgehen (so. Pt. 2.2.2.1) -, ist dabei ohne Belang.

 

2.3.1.2. Gemäß § 23 Asylgerichtshofgesetz (in der Folge: AsylGHG, Art. 1 Asylgerichtshof-Einrichtungsgesetz BGBl. I 4/2008 [in der Folge: AsylGH-EinrichtungsG]) ist auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof grundsätzlich das AVG mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 23 AsylGHG hat der Asylgerichtshof, sofern die Beschwerde nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er ist berechtigt, im Spruch und in der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener des Bundesasylamtes zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Die Zuständigkeit des Asylgerichtshofes stützt sich auf Art. 151 Abs. 39 Z 4 erster Satz B-VG und auf § 38 AsylG. § 38 AsylG spricht zwar vom "unabhängigen Bundesasylsenat" und ist durch das AsylGH-EinrichtungsG nicht geändert worden; auch die Übergangsbestimmungen des AsylG 2005 ergeben insoweit nichts. Da jedoch gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 1 B-VG der unabhängige Bundesasylsenat am 1. Juli 2008 zum Asylgerichtshof geworden ist und dieses Gericht gemäß Art. 151 Abs. 39 Z 4 B-VG die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängigen Verfahren weiterzuführen hat, ist davon auszugehen, dass sich § 38 AsylG nunmehr auf den Asylgerichtshof bezieht. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich jene Bestimmungen des AsylG, die von "Berufungen" sprechen, nunmehr auf Beschwerden beziehen.

 

2.3.2.1. Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771). Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.3.1995, 95/19/0041; 27.6.1995, 94/20/0836; 23.7.1999, 99/20/0208; 21.9.2000, 99/20/0373; 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 12.9.2002, 99/20/0505; 17.9.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 mwN).

 

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.3.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law2 [1996] 73; weiters VwGH 26.2.2002, 99/20/0509 mwN; 20.9.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.2.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.3.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191).

 

2.3.2.2. Da der Beschwerdeführer die behaupteten Fluchtgründe, nämlich die Verfolgung durch die Taliban wegen seiner Zugehörigkeit zu einer antikommunistischen Partei namens Wahdat bzw. die Verfolgung durch Mujaheddin wegen seiner früheren Tätigkeit als Polizeioffizier unter dem Regime der VPDA, nicht hat glaubhaft machen können, liegt die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl nicht vor, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe. Das gilt, wie sich aus den Feststellungen (Pt. 2.1.1.4) ergibt, auch für den - als möglich unterstellten (so. Pt. 2.2.2.2) - Fall, dass der Beschwerdeführer Mitglied der VDPA war; dass er unter eine der gefährdeten Gruppen gehören würde - wie er ja behauptet hat -, ist im Ermittlungsverfahren gerade nicht hervorgekommen.

 

2.3.3.1. Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG von Amts wegen bescheidmäßig (soweit dies nunmehr durch den Asylgerichtshof geschieht: im Rahmen des Erkenntnisses; § 17 Abs. 3 AsylGHG) festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat nach § 57 FrG zulässig ist; diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden. Gemäß Art. 5 § 1 des Fremdenrechtspakets BGBl. I 100/2005 ist das FrG mit Ablauf des 31.12.2005 außer Kraft getreten; am 1.1.2006 ist gemäß § 126 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (Art. 3 BG BGBl. I 100/2005; in der Folge: FPG) das FPG in Kraft getreten. Gemäß § 124 Abs. 2 FPG treten, soweit in anderen Bundesgesetzen auf Bestimmungen des FrG verwiesen wird, an deren Stelle die entsprechenden Bestimmungen des FPG. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass das jeweilige andere Bundesgesetz nunmehr auf die entsprechenden Bestimmungen des FPG verweist. Demnach wäre die Verweisung des § 8 Abs. 1 AsylG auf § 57 FrG nunmehr auf die "entsprechende Bestimmung" des FPG zu beziehen, di.

§ 50 FPG. Ob dies wirklich der Absicht des Gesetzgebers entspricht - da doch Asylverfahren, die am 31.12.2005 bereits anhängig waren, nach dem AsylG weiterzuführen sind - braucht nicht weiter untersucht zu werden, da sich die Regelungsgehalte beider Vorschriften (§ 57 FrG und § 50 FPG) nicht in einer Weise unterscheiden, die für den vorliegenden Fall von Bedeutung wäre, und da sich die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die sich - unmittelbar oder mittelbar - auf § 57 FrG bezieht, insoweit auch auf § 50 FPG übertragen ließe. Angemerkt sei jedoch, dass ein Verweis des § 8 Abs. 1 AsylG auf § 50 FPG nicht etwa jene Rechtslage herstellte, die dem AsylG 2005 entspricht; § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (der inhaltlich dem § 8 Abs. 1 AsylG entspricht) verweist nämlich nicht auf § 50 FPG, sondern regelt den subsidiären Schutz etwas anders als § 8 Abs. 1 AsylG, er zählt auch die maßgeblichen Bedrohungen selbst auf, und zwar in einer Weise, die nicht wörtlich dem § 50 FPG entspricht.

 

Gemäß § 57 Abs. 1 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge: MRK), Art. 3 MRK oder das Protokoll Nr. 6 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde. Gemäß § 57 Abs. 2 und 4 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder - mit einer Einschränkung, die im vorliegenden Verfahren nicht in Betracht kommt - Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 GFK).

 

Die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 57 FrG knüpft an jene zum inhaltsgleichen § 37 Fremdengesetz BGBl. 838/1992 an. Für § 57 Abs. 1 FrG idF BG BGBl I 126/2002 kann auf die Rechtsprechung zur Stammfassung dieser Bestimmung (BGBl I 75/1997) zurückgegriffen werden (VwGH 16.7.2003, 2003/01/0059; 19.2.2004, 99/20/0573), mit der sie sich inhaltlich deckt (die Änderung diente nur der Verdeutlichung). Nach der Judikatur zu (§ 8 AsylG - nunmehr § 8 Abs. 1 AsylG - iVm) § 57 FrG ist Voraussetzung einer Feststellung nach dieser Bestimmung, dass eine konkrete, den Asylwerber betreffende, aktuelle, durch staatliche Stellen zumindest gebilligte oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesen nicht abwendbare Gefährdung bzw. Bedrohung vorliege. Die Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen (zB VwGH 26.6.1997, 95/21/0294; 25.1.2001, 2000/20/0438; 30.5.2001, 97/21/0560). Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 MRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen (VwSlg. 15.437 A/2000; VwGH 25.11.1999, 99/20/0465;

8.6.2000, 99/20/0203; 8.6.2000, 99/20/0586; 21.9.2000, 99/20/0373;

25.1.2001, 2000/20/0367; 25.1.2001, 2000/20/0438; 25.1.2001, 2000/20/0480; 21.6.2001, 99/20/0460; 16.4.2002, 2000/20/0131;

17.9.2008, 2008/23/0588). Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Landes in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 8.6.2000, 99/20/0203; 17.9.2008, 2008/23/0588). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 MRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.2.2001, 98/21/0427; 20.6.2002, 2002/18/0028).

 

Der Fremde hat glaubhaft zu machen, dass er iSd § 57 Abs. 1 und 2 FrG aktuell bedroht ist, dass die Bedrohung also im Falle, dass er abgeschoben würde, in dem von seinem Antrag erfassten Staat gegeben wäre und durch staatliche Stellen zumindest gebilligt wird oder durch sie nicht abgewandt werden kann. Gesichtspunkte der Zurechnung der Bedrohung im Zielstaat zu einem bestimmten "Verfolgersubjekt" sind nicht von Bedeutung; auf die Quelle der Gefahr im Zielstaat kommt es nicht an (VwGH 21.8.2001, 2000/01/0443; 26.2.2002, 99/20/0509; 22.8.2006, 2005/01/0718). Diese aktuelle Bedrohungssituation ist mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender Angaben darzutun, die durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauert werden (VwGH 2.8.2000, 98/21/0461). Dies ist auch im Rahmen des § 8 (nunmehr: § 8 Abs. 1) AsylG zu beachten (VwGH 25.1.2001, 2001/20/0011). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.9.1993, 93/18/0214).

 

Der Prüfungsrahmen des § 57 FrG ist durch § 8 (nunmehr: § 8 Abs. 1) AsylG auf den Herkunftsstaat des Fremden beschränkt (VwGH 22.4.1999, 98/20/0561; 21.10.1999, 98/20/0512).

 

2.3.3.2. Wie bereits oben ausgeführt, bestehen keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass das Leben oder die Freiheit des Beschwerdeführers aus Gründen seiner

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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