TE AsylGH Erkenntnis 2008/12/19 S2 403341-1/2008

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Veröffentlicht am 19.12.2008
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Spruch

S2 403.341-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. Schnizer-Blaschka als Einzelrichterin über die Beschwerde der A.R., geb. 00.00.1963, StA: Russische Föderation, vertreten durch Mag. Judith Ruderstaller, Asyl in Not, Währigerstraße 59/2, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28.11.2008, Zahl 08 09.861 EAST Ost, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5 Abs. 1 iVm 10 Abs. 1 Z 1 und 10 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 4/2008 als unbegründet abgewiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. 1. Die Beschwerdeführerin, Staatsangehörige der Russischen Föderation, gelangte mit ihren beiden volljährigen Kindern unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 11.10.2008 bei der Erstaufnahmestelle Ost einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Hinsichtlich der Kinder der Beschwerdeführerin scheint jeweils ein EURODAC-Treffer für Polen auf (06.10.2008, Lublin).

 

Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 11.10.2008 gab sie an, sie sei am 03.10.2008 mit ihren Kindern mit dem Zug vom Herkunftsstaat kommend nach Brest und von dort weiter nach Polen gereist, wo sie am 06.10.2008 von den polnischen Grenzorganen zur Polizei nach Terespol gebracht, dort erkennungsdienstlich behandelt worden seien und um Asyl angesucht hätten. Nach dem Verlassen der Polizeistation hätten sie ins Lager Dembak fahren sollen. Sie seien jedoch noch bevor sie ins Lager gefahren seien, von einem Mann angesprochen worden und dieser habe die Schleppung nach Österreich organisiert. Als Fluchtgrund gab sie an, im Jahr 2002 eine schwere Rückenoperation gehabt zu haben, für welche sie sich Geld ausgeborgt hätte. Um das Geld zurückzahlen zu können, habe sie einen Stand betrieben und Waren aller Art verkauft. Es seien 6 bis 7 Mal Maskierte gekommen und hätten sie bestohlen. Sie habe daraufhin im September 2008 bei der Polizei Anzeige erstattet. Ende September 2008 seien dann Maskierte in ihr Haus eingedrungen, hätten sie bestohlen, ihren Sohn geschlagen und gedroht, ihren Sohn und sie umzubringen und die Tochter zu vergewaltigen. Auf die Frage, was gegen eine Rückkehr nach Polen spräche, gab sie an, sie möchte in Österreich Sicherheit für sich und ihre Kinder (AS 19 ff).

 

Das Bundesasylamt richtete am 16.10.2008 ein auf Art 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO gestütztes Wiederaufnahmeersuchen an Polen (AS 43f). Am 20.10.2008 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 29 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen und dass seit 16.10.2008 Konsultationen mit Polen geführt würden (AS 57/59). Mit Schreiben vom 20.10.2008, eingelangt am gleichen Tag, stimmte Polen dem Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO ausdrücklich zu.

 

Eine gutachtliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren, die von einer Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapeutische Medizin, nach einer Untersuchung der Beschwerdeführerin am 11.11.2008 vorgenommen wurde, ergibt, dass einer Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen keine schwere psychische Störung entgegenstünde, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus ärztlicher Sicht bewirken würde (AS 69 f).

 

Im Verlauf einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 19.11.2008 (AS 79 ff) machte die Beschwerdeführerin ergänzend zusammengefasst folgende Angaben: Die Schwester ihres Ehemannes habe sie auf den Weg nach Polen angerufen. Die Probleme, die sie in Tschetschenien gehabt hätten, würden mit dem Sohn dieser Schwester zusammenhängen. Diese habe gesagt, sie sollen keinesfalls in Polen bleiben. Von dieser Schwester wisse sie, dass man ihren Sohn habe mitnehmen wollen, als sie bereits aus Tschetschenien abgereist gewesen seien. In Polen würde sie sich nicht sicher fühlen und habe Angst, dass die Personen, die sie im Heimatland bedroht hätten, auch in Polen bedrohen würden. Über Vorhalt der Zuständigkeit Polens gab sie an, in Polen nicht sicher zu sein. Die Schwester des Ehemannes habe ihr gesagt, dass man sie auch in Polen suchen würde. Diese Schwester des Ehemannes sei, genau wie deren Sohn, auch Asylwerber in Österreich. Weiters lebe eine Cousine von ihr als anerkannter Flüchtling in Österreich. Auch diese habe ihr geraten, wegen der Sicherheit nicht in Polen zu bleiben. Über Vorhalt des Ergebnisses der gutachtlichen Stellungnahme gab sie an, dass ihr die Ärztin nicht einmal in die Augen gesehen habe. Wörtlich gab sie ferner an: "Muss man wirklich psychisch so krank sein, dass man in die Irrenanstalt kommt, damit man hierbleiben kann? Muss man wirklich Selbstmord begehen?"

 

Die Beschwerdeführerin legte mehrere Befundberichte vor. Zum Befundbericht eines orthopädischen Arztes gab sie an, dass die Probleme von der Wirbelsäule kommen würden und bereits seit dem Jahr 1990 bestünden. Nachdem sie geschlagen worden sei, hätten sich diese Probleme verschlechtert und sei sie deswegen im Jahr 2002 in Ossetien operiert worden.

 

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesasylamtes wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 16 Abs.1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (im Folgenden: "Dublin II-VO"), Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen, und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Polen zulässig sei.

 

Begründend wurde hervorgehoben, dass im Verfahren kein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen besonderer, bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der EMRK im Falle einer Überstellung ernstlich möglich erscheinen lassen, hervorgekommen sei. Die Regelvermutung des § 5 Abs 3 AsylG treffe daher zu. Ein Eingriff in das Familienleben iSd Art 8 EMRK bestehe nicht, da der Sohn, die Tochter, die Schwester und der Neffe ebenfalls als Asylwerber in Österreich aufhältig seien und daher ebenfalls potentiell von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen seien. Ein Eingriff in das Familienleben in Bezug auf die in Österreich als anerkannter Flüchtling lebende Cousine der Beschwerdeführerin habe nicht erkannt werden können und sei nicht einmal vorgebracht worden.

 

Der Bescheid enthält auch eine ausführliche Darstellung zur Lage in Polen, zum polnischen Asylverfahren, zur Versorgung von Asylwerbern einschließlich der Behandlungsmöglichkeiten traumatisierter Asylwerber, zu staatlichen Leistungen für Fremde mit (bloß) toleriertem Aufenthalt sowie insbesondere auch die Ausführung, wonach tschetschenischen Asylwerbern idR zumindest subsidiärer Schutz gewährt werde. Aus diesen Darstellungen geht hervor, dass das Verfahren in Polen den Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts genügt und aus diesen ist nicht erkennbar, dass Polen etwa eine mit der GFK unvertretbare rechtliche Sonderposition verträte. Zudem ist eine ausreichende Versorgung von Asylwerbern - auch von solchen mit psychischen und psychischen Problemen - gewährleistet ist.

 

3. Am 04.12.2008 langte ein Befundbericht der Neurologischen Abteilung des Klinikums N. ein, aus welchem hervorgeht, dass die Beschwerdeführerin aufgrund eines Sturzes am 00.00.2008 ins Spital gebracht wurde und dort stationär bis zum 00.00.2008 behandelt wurde. Als procedere wird darin vorgeschlagen, dass eine Abklärung zur Diagnoseerstellung einer fraglichen Muskelerkrankung erforderlich sei.

 

4. Gegen den Bescheid der Erstbehörde wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, die samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt am 16.12.2008 beim Asylgerichtshof einlangte.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Die Beschwerdeführerin reiste aus dem Herkunftsstaat kommend mit dem Zug über Brest nach Polen und stellte am 06.10.2008 in Lublin erstmals einen Asylantrag. Sie wartete das Verfahren dort jedoch nicht ab, sondern reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am 11.10.2008 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Der erwachsene Sohn und die erwachsene Tochter der Beschwerdeführerin leben ebenfalls als Asylwerber in Österreich. Es bestehen keine konkreten Anhaltspunkte für eine aktuell lebensbedrohliche Krankheit der Beschwerdeführerin oder die Erforderlichkeit eines ununterbrochenen stationären Aufenthalts.

 

Es kann weiters nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer aktuellen Überstellung nach Polen Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

 

2. Die Feststellungen zum Reiseweg der Beschwerdeführerin, zu ihrer Asylantragstellung in Polen und ihre persönlichen Verhältnissen ergeben sich aus dem eigenen Vorbringen der Beschwerdeführerin iZm der damit im Einklang stehenden Aktenlage.

 

3. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

3.1. Mit 01.01.2006 ist das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, in Kraft getreten und ist auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge idgF anzuwenden.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der Antrag auf internationalen Schutz nach diesem Zeitpunkt gestellt, weshalb § 5 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 4/2008 zur Anwendung gelangt.

 

3.2. Zur Frage der Zuständigkeit eines anderen Staates (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

a) Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 erledigter Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Behörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 2 AsylG ist auch nach Abs. 1 vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin II-VO dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Gemäß § 5 Abs. 3 AsylG ist, sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder bei der Behörde offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.

 

Die Dublin II-VO sieht in den Art. 6 bis 14 des Kapitels III Zuständigkeitskriterien vor, die gemäß Art. 5 Abs. 1 Dublin II-VO in der im Kapitel III genannten Reihenfolge Anwendung finden. Gemäß Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen.

 

In Art. 16 sieht die Dublin II-VO in den hier relevanten Bestimmungen Folgendes vor:

 

"Art. 16 (1) Der Mitgliedstaat der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, ist gehalten:

 

(...)

 

c) einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen.

 

(...)

 

(3) Die Verpflichtungen nach Absatz 1 erlöschen, wenn der Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, der Drittstaatsangehörige ist im Besitz eines vom Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels."

 

Unter Zugrundelegung des festgestellten Sachverhaltes, wonach die Beschwerdeführerin zunächst in Polen einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, sowie sich vor Abschluss dieses Verfahrens nach Österreich begeben, dass sie seither nicht verlassen hat, und sie auch keine "Familienangehörigen" (iSd Art 7 iVm Art 2 lit i Dublin II-VO) in Österreich hat, kommt nach der Rangfolge der Kriterien der Dublin II-VO deren Art 16 Abs. 1 lit. c (iVm Art 13) als zuständigkeitsbegründende Norm in Betracht. Polen hat auch auf Grundlage dieser Bestimmung seine Zuständigkeit bejaht und sich zur Übernahme der Beschwerdeführerin und Behandlung ihres Antrages bereit erklärt.

 

Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

b) Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05, festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II-VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II-VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/Liebminger, Dublin II VO, K13. zu Art 19 Dublin II-VO).

 

aa) Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK: In Österreich leben außer der ebenfalls als Asylwerber aufhältigen Kinder, deren Asylverfahren unter einem geführt werden, der Schwägerin und dem Neffen, eine als Flüchtling anerkannte Cousine der Beschwerdeführerin. Eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen fällt - auch nach der Rechtsprechung des EGMR - nur dann unter den Schutz des Art 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (zB. VfGH 9.6.2006, B 1277/04, unter Hinweis auf EGMR 10.7.2003, Fall Benhebba, Appl.Nr. 53441/99). In Anbetracht dessen, dass eine besondere Beziehung bzw. Abhängigkeit zu diesen Verwandten nicht einmal vorgebracht wurde, liegen keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine solche besondere familiäre Bindung in Österreich vor. Auch kann aus Art. 8 EMRK ein allgemeines Recht des Fremden auf Familienzusammenführung in einem bestimmten Staat bzw. eine allgemeine Verpflichtung des Staates, eine Familienzusammenführung auf seinem Gebiet zuzulassen, nicht abgeleitet werden (z.B. VwGH 22.3.2002, 2002/21/0038). Es liegen auch sonst keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration der Beschwerdeführerin in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, vor (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl 1802, 1803/06-11). Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht behauptet. Eine Verletzung des Art. 8 EMRK ist daher nicht ersichtlich.

 

bb) Mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK: Im Hinblick auf die Beschwerdeführerin wurde eine mögliche Verletzung des Art. 3 EMRK in dem Sinn vorgebracht, dass keine vollständige Abklärung des psychischen Gesundheitszustandes erfolgt sei, was jedoch notwendig gewesen wäre, sodass es im Fall einer Überstellung zu keiner Verletzung von Art 3 bzw. Art 2 EMRK komme. Hiezu ist anzumerken, dass die untersuchende Ärztin - aufgrund nicht getätigter Aussagen der Beschwerdeführerin - lediglich nicht abschließend beurteilen konnte, ob eine PTSD vorliege. Selbst wenn aber eine solche Posttraumatischen Störung im Beschwerdefall vorläge, ist dem Vorbringen zu entgegnen, dass eine solche in Polen behandelbar wäre. Die Feststellung aber, dass eine Überstellung nach Polen für die Beschwerdeführerin aus ärztlicher Sicht nicht unzumutbar ist, konnte die beigezogene Ärztin aber auch aufgrund der getätigten Aussagen der Beschwerdeführerin treffen.

 

Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK im Zusammenhang mit der Abschiebung von Kranken habe im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leide oder selbstmordgefährdet sei. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver sei, sei unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gebe. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führe die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche lägen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Bei der Ausweisung und Abschiebung Fremder in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union werde auch zu berücksichtigen sein, dass dieser zur Umsetzung der Aufnahmerichtlinie verpflichtet sei. Gemäß Art. 15 dieser Richtlinie hätten die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass Asylwerber die erforderliche medizinische Versorgung erhalten, die zumindest die Notversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten umfasst bzw. dass Asylwerber mit besonderen Bedürfnissen die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe erlangen. Dennoch könnte der Transport vorübergehend oder dauernd eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, etwa bei fortgeschrittener Schwangerschaft oder der Erforderlichkeit eines ununterbrochenen stationären Aufenthalts (EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, 31246/06;

Ayegh, 07.11.2006, 4701/05; Karim, 04.07.2006, 24171/05;

Paramasothy, 10.11.2005, 14492/03; Ramadan & Ahjredini, 10.11.2005, 35989/03; Hukic, 27.09.2005, 17416/05; Kaldik, 22.09.2005, 28526/05;

Ovdienko, 31.05.2005, 1383/04; Amegnigan, 25.11.2004, 25629/04; VfGH 06.03.2008, B 2400/07; VwGH 25.04.2008, 2007/20/0720 bis 0723).

 

Auch wenn dem am 04.12.2008 eingelangten Befundbericht der Neurologischen Abteilung des Klinikums N. der Vorschlag zu einer weiteren Diagnoseerstellung einer fraglichen Muskelerkrankung zu entnehmen ist, so geht aus diesem Bericht auch hervor, dass die Beschwerdeführerin nach ihrem Sturz bereits das Krankenhaus wieder verlassen hat. Ein Anhaltspunkt für ein akutes Behandlungserfordernis aufgrund des Sturzes liegt weder vor dem Hintergrund dieses Berichtes vor, noch wurde ein solcher vorgebracht.

 

Im vorliegenden Fall ist zu den gesundheitlichen Problemen der Beschwerdeführerin daher auszuführen, dass diese insgesamt gesehen keinesfalls jene besondere Schwere aufweisen, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 3 EMRK eine Überstellung nach Polen als eine unmenschliche Behandlung erscheinen ließe, zumal eine Krankenbehandlung erforderlichenfalls auch in diesem Mitgliedsstaat möglich ist. Für die im Zuge der Einvernahmen erstatteten allgemein gehaltenen Behauptungen, "Polen sei nicht sicher", fehlt eine konkrete nachvollziehbare Begründung.

 

Zusammengefasst stellt daher eine strikte Wahrnehmung der Unzuständigkeit Österreichs und die damit verbundene Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen keinesfalls ein "real risk" einer Verletzung des Art. 3 EMRK oder des Art. 8 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO dar.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. war daher abzuweisen.

 

3.3. Zur Ausweisung der Beschwerdeführerin nach Polen (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Ausweisung zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird. Gemäß § 10 Abs. 2 AsylG sind Ausweisungen nach Abs. 1 unzulässig, wenn 1. dem Fremden im Einzelfall ein nicht auf dieses Bundesgesetz gestütztes Aufenthaltsrecht zukommt oder 2. diese eine Verletzung von Art. 8 EMRK darstellen würden. Gemäß § 10 Abs. 3 AsylG ist, wenn die Durchführung der Ausweisung aus Gründen, die in der Person des Asylwerbers liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben. Gemäß § 10 Abs. 4 AsylG gilt eine Ausweisung, die mit einer Entscheidung gemäß Abs. 1 Z 1 verbunden ist, stets auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den betreffenden Staat. Besteht eine durchsetzbare Ausweisung, hat der Fremde unverzüglich auszureisen.

 

Zu diesem Spruchpunkt sind im Beschwerdefall keine Hinweise für eine Unzulässigkeit der Ausweisung im Sinne des § 10 Abs. 2 AsylG ersichtlich, zumal weder ein nicht auf das AsylG gestütztes Aufenthaltsrecht aktenkundig ist, noch die Beschwerdeführerin in Österreich über - die erwähnten Familienmitglieder hinausgehende - Verwandte verfügt, zu denen sie einen engen Familienbezug hätte. Zum Nichtvorliegen eines unzulässigen Eingriffes in Art. 8 EMRK wird auf die obigen Ausführungen zum Selbsteintrittsrecht verwiesen [Punkt 3.2.b)aa)]. Darüber hinaus sind auch keine Gründe für einen Durchführungsaufschub gemäß § 10 Abs. 3 AsylG zu sehen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, gesundheitliche Beeinträchtigung, Intensität, medizinische Versorgung, real risk, Traumatisierung, Überstellungsrisiko (ab 08.04.2008)
Zuletzt aktualisiert am
11.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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