TE AsylGH Erkenntnis 2008/12/29 A5 247752-0/2008

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.12.2008
beobachten
merken
Spruch

A5 247.752-0/2008/6E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Dr. SCHREFLER-KÖNIG als Vorsitzende und die Richterin Mag. UNTERER als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin

 

VB KUBJACEK über die Beschwerde des G.V., geb. 00.00.1986, Staatsangehöriger von Nigeria, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 16.2.2004,

 

Zl. 03 14.966- BAT, in nichtöffentlicher Sitzung, zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde von G.V. vom 25.2.2004 wird der bekämpfte Bescheid des Bundesasylamtes behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG, BGBl. Nr. 51/1991, zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang

 

I.1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers vom 24.5.2003 gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 leg.cit. für zulässig erklärt.

 

I.2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht eingebrachte Berufung (ab 1.7.2008: Beschwerde).

 

I.3. Mit Einrichtung des Asylgerichthofes am 1.7.2008 ging gegenständliche Angelegenheit in die Zuständigkeit des nunmehr erkennenden Senates über.

 

I.4. Der Asylgerichtshof brachte dem Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 3.11.2008 aktuelle Länderfeststellungen gemäß § 45 Abs .3 AVG zur Kenntnis und räumte ihm eine zwei Wochen währende Frist zur Stellungnahme ein. Eine Stellungnahme seitens des Beschwerdeführers ist innerhalb der genannten Frist nicht eingelangt.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

II.1.1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria. Seine Identität konnte nicht festgestellt werden. Er reiste am 24.5.2003 illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

 

II.1.2. Am 26.5.2003 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer niederschriftlich von der belangten Behörde einvernommen. Dabei gab er an, dem Volksstamm der Ibo anzugehören, christlichen Glaubens zu sein und in Port Harcourt, von 1989 an, die Schule und im Zeitraum von 2001 bis November 2002 die Universität besucht zu haben. Der Genannte wurde seitens der belangten Behörde damit konfrontiert, dass seine Altersangaben im Lichte der Aussagen zu seiner Schulzeit unglaubwürdig seien, zumal er diesen zufolge im Alter von drei Jahren die Grundschule begonnen und im Alter von 14 Jahren bereits die Universität besucht habe. Die belangte Behörde hielt dem Genannten vor, unter Berufung auf das Amtswissen über das Bildungssystem in Nigeria davon auszugehen, dass sein angegebenes Geburtsjahr 1986 nicht den Tatsachen entspreche. Zu seinen Fluchtgründen führte der nunmehrige Beschwerdeführer aus, Nigeria verlassen zu haben, da sein Vater ein traditioneller Führer gewesen sei und er ihm in dieser Funktion hätte nachfolgen sollen. Dies habe der nunmehrige Beschwerdeführer aber abgelehnt, da er noch in die Schule gegangen sei. Nun liefe er Gefahr, von Stammesangehörigen ermordet zu werden, er sei gesucht worden und man habe sein Haus angezündet.

 

Am 16.2 .2004 fand eine weitere niederschriftliche Einvernahme des nunmehrigen Beschwerdeführers vor der belangten Behörde statt. Im Zusammenhang mit seinem Geburtsdatum blieb der Genannte über Vorhalt, dass seine diesbezüglichen Angaben unglaubwürdig seien, bei seinen bisherigen Ausführungen. Zu seinen Fluchtgründen wiederholte der Beschwerdeführer die Angaben, die er im Zuge seiner ersten Einvernahme getätigt hatte. Er betonte in diesem Zusammenhang, dass die Stammesangehörigen nach der Weigerung des Beschwerdeführers, die Position seines verstorbenen Vaters einzunehmen, dessen Wohnhaus angezündet hätten. Er sei zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause gewesen, da er die Nacht in der Schule zum Lesen verbracht habe. Nach seiner Rückkehr sei ihm aber von den Leuten geraten worden, weg zu laufen. Es hätte einige Bewohner gegeben, die die Pläne der Gemeinde, den Beschwerdeführer zu töten, nicht unterstützt hätten. Über konkrete Nachfrage der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer an, es habe sich um Angehörige einer Gemeinde namens "E." gehandelt. Er habe die Übernahme der Position nicht nur aufgrund seines jugendlichen Alters abgelehnt, sondern auch deshalb, weil Opferungen durchgeführt würden, für die menschliche Schädel benötigt würden. Woher die Schädel stammten, könne der nunmehrige Beschwerdeführer nicht angeben. Über Vorhalt der belangten Behörde, dass es dem Beschwerdeführer frei gestanden wäre, sich an einen außerhalb der Gemeinde gelegenen Ort in Nigeria zu begeben, meinte der Genannte, dass er überall gefunden werden könne, da es auch in den größeren Städten Gemeinden gäbe, die Informationen weitergeben würden.

 

II.I.3. Die belangte Behörde wies den Asylantrag des nunmehrigen Beschwerdeführers ab und erklärte die Rückführung des Genannten nach Nigeria für zulässig. Sie treffe, so die belangte Behörde begründend, in Ermangelung der Asylrelevanz des Vorbringens keine Feststellungen zur Glaubwürdigkeit und verwies auf die fehlende staatliche Zuordenbarkeit der angegebenen Fluchtgründe sowie auf die bestehende Schutzfähigkeit und Schutzwilligkeit staatlicher Behörden. Ergänzend betonte das Bundesasylamt das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative. Die belangte Behörde traf unter einem Feststellungen zur Lage in Nigeria und nahm dabei auf die Frage der Kultgemeinschaften in diesem Land Bezug.

 

Im Zusammenhang mit der Zulässigkeit der Rückführung des Betreffenden nach Nigeria verwies die belangte Behörde auf die fehlende Glaubhaftmachung von außergewöhnlichen, exzeptionellen Umständen im Sinne der Judikatur des EGMR, die im Fall der Rückkehr des Betreffenden nach Nigeria auf eine Gefahr der Verletzung des Art. 3 EMRK hindeuten würden.

 

II.I.4. Der Beschwerdeführer bekämpfte die Entscheidung der belangten Behörde fristgerecht mittels Berufung (ab 1.7.2008: Beschwerde). Das Verfahren sei alleine deshalb schon mangelhaft gewesen, da die belangte Behörde von der Volljährigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen sei und er sich aus diesem Grunde habe selbst vertreten müssen. Zur Abweisung seines Asylantrages führte der Genannte aus, dass entgegen den Feststellungen der belangten Behörde das Justizsystem dort nicht funktioniere und Angehörige der Armee nicht wegen extralegaler Tötungen zur Rechenschaft gezogen würden. Ebenso seien durch Folterungen seitens der Polizei zumindest zwei Personen ums Leben gekommen, wie sich aus einem Bericht von amnesty international ergäbe. Es sei zudem nicht möglich, irgendwo in Nigeria Fuß zu fassen, wenn man dort niemanden kenne.

 

II.2. Rechtliche Beurteilung

 

II.2.1. Gemäß § 28 Abs. 1 AsylGHG, BGBl.I Nr. 2008/4 nimmt der Asylgerichtshof mit 01.07.2008 seine Tätigkeit auf. Das Bundesgesetz über den Unabhängigen Bundesasylsenat (UBASG), BGBl. I Nr. 77/1997, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 100/2005, tritt mit 01.07.2008 außer Kraft.

 

II.2.2. Gemäß § 23 AsylGHG sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof, sofern sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005, BGBl. Nr. 100, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

II.2.3. Gemäß § 9 leg.cit. entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.

 

II.2.4. Gemäß § 61 Abs. 1 AsylG entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes. Gemäß Abs. 3 entscheidet der Asylgerichtshof durch Einzelrichter über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4, wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 und wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG sowie über die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

II.2.5. Gemäß § 75 Abs. 7 AsylG 2005 sind am 1.7.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

 

Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

 

Verfahren gegen abweisende Bescheide, die von nicht zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannten Mitgliedern des Unabhängigen Bundesasylsenates geführt wurden, sind nach Maßgabe der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes vom zuständigen Senat weiterzuführen.

 

II.2.6. Gemäß § 41 Abs.7 AsylG 2005 kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 67d AVG.

 

II.2.7. Gemäß § 66 Abs.4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

II.2.8. Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der Asylgerichtshof ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH 21.11.2002, 2002/20/0315 und 21.11.2002, 2000/20/0084). Eine kassatorische Entscheidung darf von der Berufungsbehörde nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Die Berufungsbehörde hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihr vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH 14.3.2001, 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084).

 

II.2.9. Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof) eingerichtet. In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt gemäß § 37 AVG den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln. Diese Anordnung des Gesetzgebers würde aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens wesentlicher Sachverhaltsermittlungen in erster Instanz zu einer Verlagerung des Verfahrens vor den Asylgerichtshof käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn der Asylgerichtshof, statt seine (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, eigentlich jene Stelle darstellt, die in einer Gesamtbetrachtung erstmals den für das Verfahren sowie für eine Entscheidung wesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht. Dieser Gesichtspunkt ist auch nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - immer unter ausreichender Berücksichtigung des Parteieninteresses an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG einzubeziehen.

 

II.2.10. Der Verwaltungsgerichtshof verlangt in seiner Rechtsprechung eine ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens eines Asylwerbers unter dem Gesichtspunkt der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers und der objektiven Wahrscheinlichkeit seines Vorbringens, wobei letzteres eine Auseinandersetzung mit (aktuellen) Länderberichten verlangt (VwGH vom 26.11.2003, Zl. 2003/20/0389).

 

II.2.11. Der Verfassungsgerichtshof hat, zuletzt in seinem Erkenntnis vom 7.11.2008,

 

Zl. U 67/08-9, ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann zunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer- Acht - Lassen des konkreten Sachverhaltes. Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

 

II.2.12. Die von der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts geforderte ganzheitliche Würdigung bzw. ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren ist im gegenständlichen Fall unterblieben. Die belangte Behörde hat die Annahme der Volljährigkeit des Beschwerdeführers (vgl. Seite 3 des angefochtenen Bescheides) folgendermaßen begründet:

 

"Die Feststellungen zum Alter resultieren aus Ihrem Aussehen und Auftreten sowie aus den Angaben, dass Sie bereits mit dem Studium an einer Universität (nach Hauptschule) begonnen haben." Damit lässt die belangte Behörde die seitens des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Altersfeststellung entwickelte Judikatur gänzlich außer Acht. Wie der Verwaltungsgerichtshof nämlich ausgesprochen hat (vgl. u. a. Erkenntnisse vom 16.4.2007,

 

Zl. 2005/01/0463 und vom 17.9.2008, Zl. 2008/23/0870-7), ist die auf die Einschätzung eines behördlichen Organs gestützte Begründung (äußeres Erscheinungsbild, persönliche Ausstrahlung und reifes Auftreten des Asylwerbers bei seiner Befragung) nicht hinreichend, um die Einschätzung des Alters des Asylwerbers schlüssig zu begründen. Eine offenkundige Unrichtigkeit der Altersangaben könne demnach nur angenommen werden, wenn diese Tatsache allgemein bekannt sei (also notorisch), oder von jedermann bereits ohne besondere Fachkenntnisse erkennt werden könnte. Der bloße Augenschein, selbst durch jemanden, der im Umgang mit afrikanischen Asylwerbern über mehrjährige Erfahrung verfügt, reicht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht aus, dem Erfordernis einer "besonderen fachlichen Qualifikation" zu entsprechen. Die Alterseinschätzung eines Asylwerbers setzt in der Regel medizinisches Fachwissen voraus, das durch bloßen Umgang mit Asylwerbern im Rahmen von Einvernahmen oder Verhandlungen nicht erlangt werden kann. Die Alterseinschätzung bedarf nach der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Regelfall einer Untersuchung und Beurteilung durch geeignete (zumeist wohl medizinische) Sachverständige.

 

Im Lichte dieser Vorgaben ist dem Beschwerdeführer darin zu folgen, wenn er in der Beschwerde die Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor dem Bundesasylamt in Bezug auf die Beurteilung der Volljährigkeit moniert.

 

II.2.13. Das erstinstanzliche Verfahren erweist sich daher insgesamt als mangelhaft, so dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, wobei es für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG unerheblich ist, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine bloße Einvernahme erfolgt (VwGH 21.11.2002, 2000/20/0084 mwN; 21.11.2002, 2002/20/0315; VwGH 11.12.2003, 2003/07/0079).

 

Im Rahmen einer solchen Verhandlung bzw. Einvernahme wäre zur vollständigen Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes auch die Erörterung der Ermittlungsergebnisse mit dem Beschwerdeführer notwendig, um diesem auch das in § 43 Abs. 4 AVG verbürgte Recht zur Stellungnahme zu gewährleisten.

 

II.3.14. Von der durch § 66 Abs. 3 AVG eingeräumten Möglichkeit, die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme selbst durchzuführen, wenn "hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist", war im vorliegenden Fall schon deshalb nicht Gebrauch zu machen, weil das Verfahren vor dem Asylgerichtshof - anders als das erstinstanzliche Asylverfahren - sich als Mehrparteienverfahren darstellt (vgl. § 67b Z 1 AVG), sodass schon aufgrund der dadurch bedingten Erhöhung des administrativ-manipulativen Aufwandes bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung, dies unter Berücksichtigung der §§ 51a bis d AVG und der Notwendigkeit der Ladung mehrerer Parteien, keine Kostenersparnis zu erzielen wäre. Hinzu kommt, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstellen in den Bundesländern erfolgt, während der Asylgerichtshof als zentrale Bundesbehörde in Wien (mit einer Außenstelle in Linz) eingerichtet ist, sodass auch diesbezüglich eine Kostenersparnis nicht ersichtlich ist. Im Übrigen liegt eine rechtswidrige Ausübung des Ermessens durch eine auf § 66 Abs. 2 AVG gestützte Entscheidung schon dann nicht vor, wenn die beteiligten Behörden ihren Sitz am selben Ort haben (VwGH 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084, unter Verweis auf VwGH 29.01.1987, Zl. 86/08/0243).

 

II.15. Ausgehend von diesen Überlegungen war im vorliegenden Fall dem diesbezüglichen Antrag in der Beschwerde Rechnung zu tragen und das dem Asylgerichtshof gemäß § 66 Abs. 2und 3 AVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung zu üben. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass im Fall eines gemäß § 66 Abs. 2 AVG ergangenen aufhebenden Bescheides die Verwaltungsbehörden (lediglich) an die die Aufhebung tragenden Gründe und die für die Behebung maßgebliche Rechtsansicht gebunden sind (vgl. z.B. VwGH 22.12.2005, Zl. 2004/07/0010, VwGH 08.07.2004, Zl. 2003/07/0141); durch eine Zurückverweisung nach § 66 Abs. 2 AVG tritt das Verfahren aber in die Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des aufgehobenen Bescheides befand (VwGH 22.05.1984, Zl. 84/07/0012), sodass das Bundesasylamt das im Rahmen des Beschwerdeverfahrens erstattete weitere Parteivorbringen zu berücksichtigen und gemäß § 18 Abs. 1 AsylG gegebenenfalls darauf hinzuwirken haben wird, dass dieses ergänzt bzw. vervollständigt wird.

Schlagworte
Identität, Minderjährigkeit, Rechtsschutzstandard, Sachverständigen-Beweis, Volljährigkeit
Zuletzt aktualisiert am
28.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten