TE AsylGH Erkenntnis 2008/12/29 S11 403403-1/2008

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Veröffentlicht am 29.12.2008
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Spruch

GZ. S11 403403-1/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag. Neumann als Einzelrichterin über die Beschwerde der T.R., geb. 00.00.1986, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 26.11.2008, FZ. 08 08.461-EAST-WEST, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß §§ 5, 10 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, als unbegründet abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Der Verfahrensgang vor der erstinstanzlichen Behörde ergibt sich aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt. Die Beschwerdeführerin reiste gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihrem Sohn am 11.09.2008 illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am 15.08.2008 fand vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Erstbefragung sowie am 26.09.2008 eine Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs vor dem Bundesasylamt in Gegenwart eines Rechtsberaters und nach erfolgter Rechtsberatung statt.

 

Am 17.09.2008 richtete das Bundesasylamt aufgrund eines EURODAC-Treffers vom 01.09.2008 an Polen ein Ersuchen um Wiederaufnahme der Beschwerdeführerin gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (Dublin II-Verordnung), welches am selben Tag elektronisch über DubliNET übermittelt wurde.

 

Am 18.09.2008 bestätigte die Beschwerdeführerin mit ihrer Unterschrift den Erhalt der Mitteilung des Bundesasylamtes gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG vom 17.09.2008, wonach beabsichtigt sei, ihren Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, da Konsultationen mit Polen seit dem 17.09.2008 geführt würden. Die Mitteilung über die Führung von Konsultationen wurde der Beschwerdeführerin sohin innerhalb der 20-Tagesfrist nach der Antragseinbringung, übermittelt.

 

Mit Schreiben vom 18.09.2008, eingelangt beim Bundesasylamt am 22.09.2008, stimmten die polnischen Behörden der Übernahme der Beschwerdeführerin zur Prüfung ihres Asylantrags gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-Verordnung zu.

 

Die Beschwerdeführerin brachte im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens folgenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt vor:

 

Sie sei am 07.09.2008 gemeinsam mit Sohn und Ehemann mit einem PKW von Argun/RF nach Grosny und weiter nach Minovodi gefahren, von wo aus die Familie mit dem Zug nach Kiew reiste. Danach reisten sie weiter nach Polen, wo sie vermutlich am 01.09.2008 eintrafen, angehalten und erkennungsdienstlich behandelt wurden. Am 11.09.2008 fuhren sie weiter nach Österreich, wo sie mit einem PKW illegal einreisten.

 

In Österreich lebten ein Cousin und eine Cousine des Ehemannes der Beschwerdeführerin, dieser hätte jedoch nicht mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt gelebt, ein besonders enges Verhältnis wurde nicht behauptet. In Polen hätten sie zwar einen Asylantrag gestellt, wären aber nicht in das ihnen zugewiesene Lager gegangen, da dort auch Leute von Kadyrov und Russen wären. Via Internet habe sie von Vorfällen erfahren, wonach es für Tschetschenen in Polen nicht sicher sei.

 

Am 00.00.2008 wurde in Österreich die Tochter der Beschwerdeführerin geboren.

 

2. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 26.11.2008, FZ. 08 08.461-EAST-WEST den Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass für die Prüfung des gegenständlichen Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-Verordnung Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und demzufolge gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Polen zulässig sei.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin, zur Begründung des Dublin-Tatbestandes, zum Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin, zur Lage im Mitgliedstaat Polen, zum polnischen Asylverfahren, zum Tschetschenen-Refoulement, der Schubhaftpraxis, zum Zugang zum Asylverfahren nach Rücküberstellung sowie zur Versorgung von Asylwerbern (einschließlich der medizinischen Versorgung) in Polen.

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass Cousin und die Cousine des Ehemannes der Beschwerdeführerin nur entfernt verwandt wären und kein besonders enges familiäres Verhältnis bestünde, welches für die Anwendung des Art. 8 EMRK relevant sein könnte. Aus den Angaben seien auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden, dass die Beschwerdeführerin tatsächlich konkret Gefahr liefe, in Polen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass dieser Verletzungen ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnten. Ihre eigenen Ausführungen wären vage und unglaubwürdig.

 

3. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht am 10.12.2008 (Poststempel) Beschwerde erhoben. Gemäß § 36 Abs. 3 gilt die Beschwerde des Ehemannes auch als Beschwerde gegen die zurückweisenden Bescheide in den Verfahren der Beschwerdeführerin und seiner beiden Kinder. In der Beschwerde wird im Wesentlichen - sehr oberflächlich und plakativ - behauptet, dass die persönliche Situation des Beschwerdeführers/der Beschwerdeführerin nicht berücksichtigt worden sei. Cousin und Cousine wären wie direkte Verwandte, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin ihre Namen nicht wüsste, könne noch lange nicht als Schwäche oder Ferne der Verwandtschaft gewertet werden. Ausführungen mit inhaltlicher Substanz wurden nicht gemacht.

 

4. Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 18.12.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.

 

2. Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005) und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe des § 75 AsylG 2005 idF. BGBl. I Nr. 4/2008 weiterzuführen.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG, BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10/1985, in den jeweilig geltenden Fassungen nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

2.1. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Die Dublin II-Verordnung ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II-Verordnung) Kriterien der Art. 6 bis 12 beziehungsweise 14 und Art. 15 Dublin II-Verordnung, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II-Verordnung zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1.1. Das aufgrund des Vorliegens eines EURODAC-Treffers eingeleitete Wiederaufnahmeersuchen an Polen erfolgte innerhalb der Frist von drei Monaten nach Einreichung des Asylantrages durch die Beschwerdeführerin (Art. 17 Abs. 1 Dublin II-Verordnung).

 

Im vorliegenden Fall hat das Bundesasylamt zutreffend festgestellt, dass eine Zuständigkeit Polens gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-Verordnung besteht. Eine ausdrückliche Zustimmung vom 18.09.2008 zur Aufnahme der Beschwerdeführerin durch die polnischen Behörden liegt vor. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidung ist somit gegeben.

 

2.1.1.2. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen im gegenständlichen Fall derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II-Verordnung - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl. auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei.

 

2.1.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht im gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Gemeinschaftsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II-Verordnung erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall gemeinschaftsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art. 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl. VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs. 1 lit. e Dublin II-Verordnung). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs (zur Bedeutung solcher Sachverhalte Filzwieser/ Liebminger, Dublin II-Verordnung, K13. zu Art 19 Dublin II-Verordnung).

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die gemeinschaftsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Gemeinschaftsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Gemeinschaftsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II-Verordnung, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II-Verordnung), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen hat, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und aus Beachtung der gemeinschaftsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II-Verordnung umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, K8-K13. zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Gemeinschaftsrecht kann nur von den zuständigen gemeinschaftsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat festgestellt, dass der Rechtsschutz des Gemeinschafts-rechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs. 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs. 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls gemeinschaftsrechtswidrig.

 

2.1.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Im konkreten Fall leben ein Cousin und eine Cousine des Ehemannes der Beschwerdeführerin seit mehreren Jahren in Österreich. Der Ehemann konnte jedoch weder deren Namen noch deren Adressen korrekt angeben und gab an, dass sie nie in einem gemeinsamen Haushalt mit ihm - oder seiner Ehefrau - gelebt hätten. Die Beschwerdeführerin gab an, dass der Cousin ihres Ehemannes sie jetzt mit Lebensmitteln unterstütze. Eine nähere Beziehung wurde nicht angeführt.

 

Zum Familienbegriff im Sinne des Art. 8 EMRK ist zunächst auf nachstehende relevante Judikatur zu verweisen:

 

Der EGMR bzw. die EKMR verlangen zum Vorliegen des Art. 8 EMRK das Erfordernis eines "effektiven Familienlebens", das sich in der Führung eines gemeinsamen Haushaltes, dem Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses oder eines speziell engen, tatsächlich gelebten Bandes zu äußern hat (vgl. das Urteil Marckx [Ziffer 45] sowie Beschwerde Nr. 1240/86, V. Vereinigtes Königreich, DR 55, Seite 234; hierzu ausführlich: Kälin, "Die Bedeutung der EMRK für Asylsuchende und Flüchtlinge: Materialien und Hinweise", Mai 1997, Seite 46).

 

Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse gemeinsame Intensität erreichen. Als Kriterien hierfür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (vgl. EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; siehe auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (vgl. EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311), und zwischen Onkel und Tante und Neffen bzw. Nichten (vgl. EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1989, 761; Rosenmayer ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (vgl. EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

Selbst wenn der Ehemann der Beschwerdeführerin seine Verwandten als er in der RF arbeitete tatsächlich finanziell unterstützte, erscheint das Familienleben ansonsten nicht sehr intensiv. Namen und Wohnort einer Person nicht zu wissen, entspricht - entgegen den Angaben des Ehemannes der Beschwerdeführerin in der Beschwerde - mit Sicherheit nicht einer engen Beziehung in der von der Judikatur zu Art. 8 EMRK geforderten Intensität. Bemerkenswert ist auch, dass in der Beschwerde keinerlei hilfreiche Argumente vorgebracht werden, die vielleicht doch einen gewissen Grad an Familienbindung erkennen lassen. Die Beschwerdeführerin selbst konnte dazu in den Einvernahmen auch keine Ausführungen beitragen.

 

Vom Vorliegen eines iSd Art. 8 EMRK relevanten, tatsächlichen und hinreichend intensiven Familienlebens bzw. eines relevantes Abhängigkeitsverhältnisses war daher nicht auszugehen,

 

Nachdem die gleichfalls beim Asylgerichtshof anhängigen Verfahren des Ehemannes und der beiden gemeinsamen Kinder in gleicher Weise entschieden werden, und somit eine gemeinsame Überstellung erfolgen kann, konnte auch diesbezüglich ein allfälliger Eingriff in Art. 8 EMRK ausgeschlossen werden.

 

Da auch sonst im Verfahren keine Hinweise auf eine bereits erfolgte außergewöhnliche Integration in Österreich, etwa aufgrund sehr langer Verfahrensdauer, hervorgekommen sind (vgl. VfGH 26.02.2007, Zl. 1802, 1803/06-11), ist daher im Ergebnis den Feststellungen der Erstbehörde zu folgen, wonach die Beschwerdeführerin bei einer Überstellung nach Polen in ihren durch Art. 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nicht verletzt würde.

 

Aber auch im Fall eines Eingriffs in das Grundrecht ergäbe eine Interessenabwägung nach den Gesichtspunkten des Art. 8 Abs. 2 EMRK, insbesondere der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremden- und Asylwesens (vgl. VwGH 98.09.2000, 2000/19/0043), dass dieser im vorliegenden Fall verhältnismäßig wäre. Die Beschwerdeführerin reiste erst im September 2008 in das Bundesgebiet ein und ihr Aufenthalt in Österreich stützte sich von Anfang an nur auf den vorliegenden Asylantrag. Zu einem möglichen Eingriff in das Recht auf Privatleben ist auf das Erkenntnis des VwGH vom 26.6.2007, Zahl 2007/01/0479-7 zu verweisen, wonach ein dreijähriger Aufenthalt während des laufenden Asylverfahrens jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte.

 

2.1.2.2. Kritik am polnischen Asylverfahren

 

Die aktuellen bzw. in Ermangelung relevanter Änderungen der allgemeinen Lage als aktuell anzusehende Beweismittel und Quellen, auf welchen die erstinstanzlichen Feststellungen zu Polen beruhen, werden diesem Erkenntnis zugrunde gelegt.

 

Relevant wären im vorliegenden Zusammenhang schon bei einer Grobprüfung erkennbare grundsätzliche schwerwiegende Defizite im Asylverfahren des zuständigen Mitgliedstaates (also etwa:

grundsätzliche Ablehnung aller Asylanträge oder solcher bestimmter Staatsangehöriger oder Angehöriger bestimmter Ethnien; kein Schutz vor Verfolgung "Dritter", kein Rechtsmittelverfahren). Solche Mängel (die bei einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht vorausgesetzt werden können, sondern zunächst einmal mit einer aktuellen individualisierten Darlegung des Antragstellers plausibel zu machen sind, dies im Sinne der Regelung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005) sind schon auf Basis der erstinstanzlichen Feststellungen nicht erkennbar und auch in der Beschwerde nicht vorgebracht worden.

 

Da die Beschwerdeführerin die Frage nach konkreten Vorfällen gegen sie in Polen verneinte, sie sei nicht einmal in einem Flüchtlingslager gewesen, sondern innerhalb von wenigen Tagen nach Österreich weitergereist, ist selbst im Hinblick auf ihren kurzen Aufenthalt auf polnischem Staatsgebiet vom Nichtvorliegen einer unmittelbaren Gefährdung der Beschwerdeführerin auszugehen. Ebenso wurden in der Beschwerde keine sie oder ihre Familie tangierenden Übergriffe vorgebracht, somit liegen keine konkreten Gründe vor, die gegen die Durchführung ihres Asylverfahrens in Polen sprechen. Ferner hat sie keine substantiierte Kritik am polnischen Asylverfahren geübt, zumal auch die allgemeinen Angaben von Bedrohungen durch Kadyrow Leute für die Annahme einer konkreten Bedrohung der Beschwerdeführerin nicht ausreichen. Der Vorwurf, man habe im Verfahren ihre persönliche Lage nicht berücksichtigt, geht insofern ins Leere, als sie keinerlei diesbezügliches Vorbringen erstattete.

 

Die Angaben, sie habe im Internet von Vorfällen gelesen, beziehungsweise man habe am Telefon gesagt, dass es in Polen gefährlich sei, sind bestenfalls vage, formelhaft und inhaltsleer, schlimmstenfalls unglaubwürdig. Überdies betonte die Beschwerdeführerin regelmäßig, sie hätten von vornherein nach Österreich wollen. Daher sind die Angaben über Polen jedenfalls als Zweckvorbringen zu werten.

 

2.1.2.3. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in Polen

 

Gesundheitliche Probleme wurden von der Beschwerdeführerin weder vorgebracht, noch sind sie sonst wie hervorgekommen. Die Geburt der Tochter verlief problemlos, eine ausreichende Versorgung ist in Polen gewährleistet, ein Vorbringen, welches den amtsbekannten Berichten über die medizinische Versorgung widerspricht wurde nicht erstattet.

 

Zusammengefasst stellt daher eine Überstellung der Beschwerdeführerin nach Polen keinesfalls eine Verletzung der Art. 3 und 8 EMRK und somit auch keinen Anlass zur Ausübung des Selbsteintrittsrechtes Österreichs nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-Verordnung dar.

 

2.1.3. Spruchpunkt I der erstinstanzlichen Entscheidung war sohin bei Übernahme der Beweisergebnisse und rechtlichen Würdigung der Erstbehörde mit obiger näherer Begründung zu bestätigen.

 

2.2. Spruchpunkt II:

 

Die Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II waren vollinhaltlich zu übernehmen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Polen in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.3. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Abhängigkeitsverhältnis, Ausweisung, familiäre Situation, Intensität, real risk
Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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