TE AsylGH Erkenntnis 2009/01/02 S10 318490-2/2008

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Veröffentlicht am 02.01.2009
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Spruch

S10 318490-2/2008/2E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. ROSENAUER als Einzelrichter über die Beschwerde von Frau B. auch B.L., geboren am 00.00.1989, Staatsangehörigkeit Russische Föderation, vertreten durch Michael GENNER, p.A. Asyl in Not, Währingerstraße 59/2, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.11.2008, Zahl:

08 10.401-EAST OST, zu Recht erkannt:

 

Die Beschwerde wird gemäß § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 abgewiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

Der Verfahrensgang stellt sich im Wesentlichen wie folgt dar:

 

1.1. Die Beschwerdeführerin (in der Folge BF) ist Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehört der tschetschenischen Volksgruppe an. Sie stellte am 20.02.2008 in Österreich einen ersten Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Zuge der niederschriftlichen Befragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen - EAST Ost am selben Tag gab die BF an, ihren Heimatort am 13.02.2008 gemeinsam mit ihrem Gatten, S.U., und ihrer Tochter, S.T., mittels Bus nach Weißrussland verlassen zu haben. In Polen seien sie kontrolliert und ihnen die Pässe abgenommen worden. Sie hätten sich dann selbständig zum Lager Dembak begeben, wo sie einen Asylantrag gestellt hätten und die Fingerabdrücke abgenommen worden seien.

 

Ähnlich, wenngleich nicht übereinstimmend, ist die Aussage des Gatten der BF in seiner Einvernahme am 12.03.2008, wonach sie von Brest mit dem Zug nach Polen gefahren seien, wo sie in Terespol von der Polizei kontrolliert und nach Dembak gebracht worden seien und wo man ihnen die Fingerabdrücke abgenommen habe.

 

Dann hätte laut BF ihr Gatte einen Mann getroffen, der diesen schon in Tschetschenien bedroht habe und nun wieder bedroht habe, worauf er noch am selben Tag das Lager verlassen habe und nach Österreich reisen habe wollen. Die BF sei mit ihrer Tochter noch eine Nacht im Lager geblieben und habe sich dann in Richtung Österreich begeben. Als sie vor dem Lager geweint habe, habe ihr ein Mann seine Hilfe angeboten, und sei sie dann auf einem LKW mitgefahren, den sie am 20.02.2008 wieder verlassen habe. Sie habe vermutet, dass ihr Gatte ebenfalls in Österreich sei. Zum Fluchtgrund befragt gab sie an, dass ihr Mann mit Kadirov-Leuten Probleme gehabt habe, er sei auch festgenommen worden. Nach seinem Freikauf hätten sie das Land verlassen.

 

Neben der niederschriftlichen Befragung vor der Polizeiinspektion Traiskirchen EAST Ost am 20.02.2008, bei der der Fluchtweg erörtert wurde, hatte die BF eine weitere Einvernahme im Beisein eines Rechtsberaters am 07.03.2008, bei der sie Folgendes vorbrachte:

 

Die BF gab an, dass ihre Angaben auch für ihr Kind gelten würden. Sie habe Polen getrennt von ihrem Gatten verlassen, da dieser gesagt habe, es wäre leichter alleine Polen zu verlassen. Zu den Gründen befragt, die einer Rücküberstellung nach Polen entgegenstünden, erklärte die BF, sie sei auch angerufen und bedroht worden. Nachdem ihr Gatte Polen verlassen habe, sei sie mit dem Umbringen bedroht worden. Es handle sich um Kadirov-Leute, die ihren Mann misshandelt hätten. Die Polizei habe sie nicht informiert, es hätte nichts genützt, alle würden das sagen.

 

Von ihrer Seite gebe es keine Verwandten in Österreich, die Schwägerin und den Schwager kenne sie lediglich aus einem Video, sie hätten Tschetschenien noch vor ihrer Hochzeit verlassen. Befragt, woher diese Personen die Telefonnummer der BF gehabt hätten, verwies die BF darauf, dass andere Tschetschenen das Handy einige Male ausgeborgt hätten.

 

Am 25.02.2008 wurde der BF mitgeteilt, dass Konsultationen mit Polen geführt würden, wobei sich die polnischen Behörden am selben Tag (Erklärung eingelangt am 28.02.2008) gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates (in der Folge Dublin II-VO) zur Führung des gegenständlichen Asylverfahrens für zuständig erklärt hätten.

 

Im erstinstanzlichen Bescheid wurde festgestellt, dass die BF in Österreich keine Familienangehörigen hätte, ebenso befinde sich auch ihr Ehemann nicht auf österreichischem Bundesgebiet. Zwischenzeitig stellte auch der Gatte der BF am 11.03.2008 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Im Zuge einer ärztlichen Untersuchung des Gatten der BF am 02.07.2008 durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. D. stellte dieser in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 03.07.2008 fest, dass einer Überstellung nach Polen keine schwere psychische Störung entgegenstünde, die bei einer Überstellung eine unzumutbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes bewirken würde.

 

Bei seiner Einvernahme am 09.07.2008 in der Erstaufnahmestelle Ost brachte der Gatte der BF im Wesentlichen Folgendes vor:

 

Im österreichischen Bundesgebiet habe er eine Schwester und einen Bruder, beide seien anerkannte Flüchtlinge, in Bregenz wohnhaft und seit ungefähr sechs Jahren in Österreich aufhältig. Im Heimatland hätte er ca. einmal in der Woche telefonischen Kontakt mit den Geschwistern gehabt. Beide wären verheiratet und hätten Kinder.

 

Der Gatte der BF lebe in Lebensgemeinschaft mit der BF und ihrer Tochter. Zur beabsichtigten Überstellung nach Polen sagte er, dass er, wenn er alleine wäre, nach Polen fahren könne. Wegen seiner Familie aber hätte er Angst, dass ihnen in Polen etwas passiere. Die BF habe dort Drohanrufe bekommen, man wisse, wo sie sich aufhalten würde. Auch habe er in Polen jemanden gesehen, der im Heimatland bei der Behörde gearbeitet hätte. Er wisse es nicht, nehme aber an, dass diese Anrufe auch von der Behörde gekommen seien. Befragt, ob er in Polen jemals persönlich bedroht worden sei, verneinte der Gatte der BF dies und meinte, er habe den Mann in Polen nur gesehen und sei geflüchtet, persönlichen Kontakt mit ihm habe er nicht gehabt. Er sei zwei Tage in Polen gewesen, habe sich dort nicht sicher gefühlt und habe das dortige Asylverfahren nicht abgewartet, da er diesen Mann gesehen und zu ihren Geschwistern nach Österreich gewollt hätte.

 

Das Bundesasylamt hat mit Bescheid vom 07.03.2008, Zahl: 08 01.815 - EAST OST, den Antrag der BF auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 (in der Folge AsylG) als unzulässig zurückgewiesen und gleichzeitig ausgesprochen, dass für die Prüfung des gegenständlichen Asylantrages gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Dublin II-VO Polen zuständig ist. Gleichzeitig wurde die BF gemäß

 

§ 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass die Abschiebung zulässig ist.

 

In der Begründung des bekämpften Bescheides wurden unter anderem folgende Erwägungen getroffen:

 

Bezüglich der Bedrohungssituation in Polen wurden die Aussagen der BF und ihres Gatten zu den Drohanrufen gegenübergestellt und dabei Widersprüche festgestellt. Während der Gatte der BF auf Nachfrage angab, lediglich die BF hätte diese Anrufe erhalten (zunächst hatte der Gatte der BF bei seiner Einvernahme angegeben, er selbst hätte die Anrufe erhalten), habe die BF bei ihrer Einvernahme erklärt, auch ihr Gatte wäre bedroht worden.

 

Die beim Gatten der BF am 02.07.2008 durchgeführte ärztliche Untersuchung habe ergeben, dass dieser weder an einer schweren körperlichen oder ansteckenden Krankheit noch an einer psychischen Störung leide bzw. dass es bei einer Überstellung auch nicht zu einem aufgrund einer solchen Krankheit oder Störung lebensbedrohlichen Zustand käme. In Polen wären ausreichende Behandlungsmöglichkeiten vorhanden und die medizinische Versorgung sei gewährleistet.

 

Zu den vom Gatten der BF angegebenen Geschwistern wurde im genannten Bescheid des Gatten der BF angeführt, dass diese - ihren Aussagen zufolge - bereits sechs Jahre in Österreich aufhältig wären, deren genaue Wohnadresse diesem unbekannt sei und während dieser Zeit lediglich einmal in der Woche ein telefonischer Kontakt stattgefunden habe. Ebenso wurde ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis verneint.

 

Bezüglich der BF, ihres Gatten und der Tochter wurde ein schützenswertes Familienleben in Österreich im Sinne des Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (in der Folge EMRK) bejaht. Da diese Familienmitglieder aber im selben Umfang wie die BF von den gegenständlichen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen seien, stelle die Ausweisung keinen Eingriff in das Familienleben dar.

 

1.2. In der gegen den erstinstanzlichen Bescheid fristgerecht erhobenen Berufung wurden die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, die Durchführung eines inhaltlichen Asylverfahrens und die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt. Im Wesentlichen wurde das Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren wiederholt, wobei zur Bedrohung durch die Kadirov-Leute die Befürchtung geäußert wurde, bei einer allfälligen Überstellung nach Polen den Umtrieben dieser Leute ausgeliefert und ohne männlichen Schutz zu sein, wodurch unter Umständen die BF auch Opfer von Sippenhaft werden könnte.

 

In der ebenfalls fristgerecht eingebrachten Beschwerde des Gatten der BF wird unter anderem Folgendes ausgeführt:

 

In der Begründung wurden Ausführungen zur Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (in der Folge EGMR), zum Asylverfahren und zur medizinischen Situation in Polen sowie zu familiären Bindungen des Gatten der BF in Österreich - wenn auch allgemein gehalten - getroffen. Der Erstbehörde wurde Mangelhaftigkeit des Verfahrens insbesondere durch oberflächliche Befragung des Gatten der BF vorgehalten, wie auch dass die in Österreich lebenden Geschwister gar nicht befragt worden seien. Die Ermittlungen zur Feststellung des Sachverhaltes seien nur oberflächlich durchgeführt worden.

 

Der Beschwerde wurde ein psychotherapeutischer Kurzbericht von Herrn E. K., Psychotherapeut, vom 04.05.2008 beigelegt, in welchem beim Gatten der BF ein posttraumatisches Stress-Syndrom und eine Retraumatisierungsgefährdung angenommen werden.

 

1.3. Die Berufung langte am 25.03.2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat ein.

 

1.4. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 31.03.2008, GZ: 318.490-1/2Z-VIII/23/08, wurde der Berufung der BF aufschiebende Wirkung - wie auch ihrer Tochter, und wie auch der Beschwerde ihres Ehegatten seitens des Asylgerichtshofes mit Beschluss vom 14.08.2008 - zuerkannt.

 

1.5. Die Berufung der BF galt mit 01.07.2008 als Beschwerde und wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 26.08.2008, GZ: S10 318.490-1/2008/6E - wie auch jene ihrer Tochter - gemäß §§ 5, 10 AsylG abgewiesen.

 

1.6. Gegen dieses Erkenntnis erhob die BF Beschwerde beim VfGH. Mit Beschluss vom 14.10.2008 wurde der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt.

 

1.7. Am 22.10.2008 stellte die BF einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz beim Bundesasylamt. Am 24.10.2008 wurde der BF gemäß § 20 Abs. 3 AsylG mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Asylantrag wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG zurückzuweisen.

 

1.7.1. Im Zuge der Erstbefragung vor einem Organwalter des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen EAST OST in Anwesenheit eines Dolmetsch für die Sprache Russisch am 22.10.2008 gab die BF im Wesentlichen Folgendes an:

 

Sie verwies auf ihre zum ersten Asylantrag gemachten Aussagen und gab an, den neuerlichen Asylantrag auf Anraten ihres Rechtsvertreters zu stellen.

 

Sie sei wegen der Probleme ihres Mannes geflüchtet und habe Angst, ihr Mann werde bei einer Rückkehr ins Herkunftsland umgebracht.

 

Hinsichtlich ihrer Tochter gab die BF an, diese habe keine eigenen Fluchtgründe und es gälten dieselben Fluchtgründe wie für die BF.

 

Mit Aktenvermerk vom 03.11.2008 wurde festgehalten, dass aufgrund der Geburt ihres Sohnes am 29.10.2008 die BF der Ladung zur Einvernahme am 03.11.2008 nicht Folge leisten könne und daher die Frist gemäß § 28 AsylG gehemmt werde.

 

1.7.2. Am 11.11.2008 erfolgte eine niederschriftliche Einvernahme, in der die BF in Anwesenheit eines Dolmetsch für die Sprache Russisch und eines Rechtsberaters im Wesentlichen Folgendes vorbrachte:

 

Hinsichtlich ihrer verwandtschaftlichen Beziehungen gab die BF an, sie habe außer ihrem Ehemann und ihren beiden Kindern in Österreich niemanden.

 

Nach den Gründen befragt, warum sie nach 6 Monaten einen neuerlichen Asylantrag gestellt habe, gab die BF an, sie habe gehört, dass nach 6 Monaten jeder einen neuen Antrag stellen müsse.

 

Der Rechtsberater beantragte den Selbsteintritt Österreichs wegen Ablaufs der Überstellungsfrist.

 

1.8. Das Bundesasylamt hat mit dem verfahrensgegenständlichen angefochtenen Bescheid vom 11.11.2008, Zahl: 08 10.406 - EAST OST, den Antrag auf internationalen Schutz, ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde die BF gemäß § 10 Abs. 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen.

 

Die Erstbehörde traf in diesem Bescheid Feststellungen zur Person der BF, zur Begründung des Dublin-Tatbestandes, zum Vorverfahren, zu den Gründen der neuerlichen Antragstellung, zum Privat- und Familienleben der BF und zur Lage im Mitgliedsstaat Polen.

 

Festgestellt wurde weiters, dass keine Umstände, die gegen eine Ausweisung und Überstellung der BF nach Polen sprechen, ermittelt werden konnten.

 

Nach Ansicht der Erstbehörde lag dem neuerlichen Asylantrag der BF kein neuer Sachverhalt zugrunde. Entgegen der Meinung des Rechtsberaters sei die 6-Monats-Frist nicht abgelaufen und bestehe daher die Zuständigkeit Polens weiter.

 

1.9. Gegen diesen Bescheid erhob die BF fristgerecht mit Schriftsatz vom 26.11.2008, eingebracht am selben Tag bei der Erstbehörde, Beschwerde und beantragte, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen sowie den bekämpften Bescheid aufzuheben und die BF zum Asylverfahren zuzulassen. In der Beschwerdeschrift brachte die BF im Wesentlichen vor, dass durch das Ablaufen der 6-Monats-Frist ein geänderter Sachverhalt vorliege und Österreich für die Führung des Verfahrens zuständig sei.

 

1.10. Die gegenständliche Beschwerde samt erstinstanzlichem Verwaltungsakt langte am 27.11.2008 beim Asylgerichtshof ein.

 

2. Rechtliche Beurteilung und Beweiswürdigung:

 

Rechtlich ergibt sich Folgendes:

 

2.1. Mit Datum 01.01.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG idF BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert mit BGBl. I Nr. 4/2008) und ist auf die ab diesem Zeitpunkt gestellten Anträge auf internationalen Schutz, sohin auch auf den vorliegenden, anzuwenden.

 

Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Dublin II-VO zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe des § 10 Abs. 3 und Abs. 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden.

 

Die Dublin II-VO ist eine Verordnung des Gemeinschaftsrechts im Anwendungsbereich der 1. Säule der Europäischen Union (vgl. Art. 63 EGV), die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebensowenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das Grundprinzip ist, dass Drittstaatsangehörigen das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren in einem Mitgliedstaat zukommt, jedoch nur in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin II-VO normiert, dass der Mitgliedstaat, der zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, gehalten ist, einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Art. 20 Dublin II-VO wieder aufzunehmen.

 

§ 18 Abs. 1 AsylG besagt, dass das Bundesasylamt und der Asylgerichtshof in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen.

 

2.1.1. Der Asylgerichtshof stellt zunächst fest, dass das Verwaltungsverfahren rechtmäßig durchgeführt wurde.

 

Der BF wurde insbesondere durch die Erstbefragung und die beiden Einvernahmen mit vorhergehender Rechtsberatung - alle jeweils unter Zuhilfenahme eines geeigneten Dolmetsch - ausreichend rechtliches Gehör gewährt und der BF wurde vor der Einvernahme und innerhalb von 20 Tagen ab Einbringen seines Antrags schriftlich mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, ihren Asylantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (§§ 28, 29 AsylG).

 

2.2. Zur Zurückweisung des Asylantrages wegen entschiedener Sache (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

Gemäß §68Abs. 1AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß §68Abs. 2 bis 4 AVGfindet. Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist (VwGH vom 30.09.1994, Zl. 94/08/0183; VwGH vom 30.05.1995, Zl. 93/08/0207; VwGH vom 09.09.1999, Zl. 97/21/0913; VwGH vom 07.06.2000, Zl. 99/01/0321).

 

"Entschiedene Sache" im Sinne des§68Abs. 1AVG liegt vor, wenn sich gegenüber dem Vorbescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (VwGH vom 09.09.1999, Zl. 97/21/0913; VwGH vom 27.09.2000, Zl. 98/12/0057; VwGH vom 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235). Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des Vorbescheides entgegen (VwGH vom 10.06.1998, Zl. 96/20/0266).

 

"Sache" des Rechtsmittelverfahrens ist nur die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung, die Rechtsmittelbehörde darf demnach nur darüber entscheiden, ob die Vorinstanz den Antrag zu Recht zurückgewiesen hat oder nicht. Sie hat daher entweder - falls entschiedene Sache vorliegt - das Rechtsmittel abzuweisen oder - falls dies nicht zutrifft - den bekämpften Bescheid ersatzlos zu beheben, dies mit der Konsequenz, dass die erstinstanzliche Behörde, gebunden an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde, den Antrag nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Die Rechtsmittelbehörde darf aber über den Antrag nicht selbst meritorisch entscheiden (VwGH vom 30.05.1995, Zl. 93/08/0207).

 

Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des§ 66 Abs. 4 AVG ist somit nur die Frage, ob das Bundesasylamt zu Recht den neuerlichen Asylantrag gem. § 68Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat.

 

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Antragsteller auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein "Fortbestehen und Weiterwirken" behauptet; vgl. VwGH vom 20.03.2003, Zl. 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit dem zweiten Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH vom 07.06.2000, Zl. 99/01/0321).

 

Ob ein neuerlicher Antrag wegen geänderten Sachverhaltes zulässig ist, darf nur anhand jener Gründe geprüft werden, welche die Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens geltend gemacht hat (bzw. welche als allgemein bekannt anzusehen sind, vgl. z.B. VwGH vom 07.06.2000, Zl. 99/01/0321); in der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid dürfen derartige Gründe nicht neu vorgetragen werden (vgl. z.B. VwSlg. 5642 A/1961; 23.05.1995, Zl. 94/04/0081; 15.10.1999, Zl. 96/21/0097; 04.04.2001, Zl. 98/09/0041; 25.04.2002, Zl. 2000/07/0235), wobei für die Prüfung der Zulässigkeit des Zweitantrages von der Rechtsanschauung auszugehen ist, auf die sich die rechtskräftige Erledigung des Erstantrages gründete (VwGH vom 16.07.2003, Zl. 2000/01/0237, mwN).

 

Im vorliegenden Fall hat die BF sowohl in der Erstbefragung als auch in der niederschriftlichen Einvernahme lediglich auf ihr bereits im ersten Antrag erstattetes Vorbringen verwiesen und ausgesagt, sie habe den Folgeantrag lediglich auf Anraten ihres Rechtsvertreters eingebracht. Die BF hat somit in ihrem Zweitantrag lediglich ihr im ersten Verfahren erstattetes Vorbringen bekräftigt.

 

Insoweit die BF geltend gemacht hat, dass der angebliche Ablauf der 6-Monats-Frist für die Überstellung nach Polen, welcher zu einer Zuständigkeit Österreichs für die Durchführung des Verfahrens führe, eine maßgebliche Sachverhaltsänderung bedeute, wird darauf hingewiesen, dass eine echte Hemmung der Frist nur im Falle einer Entscheidung nach § 41 Abs. 3 AsylG stattfindet. Im Falle einer negativen Entscheidung beginnt die Frist, sobald diese Entscheidung ergangen ist, wieder neu zu laufen. Die 6-Monats-Frist kann neuerlich gehemmt werden, wenn die nationale Rechtsordnung einen weiteren Rechtsbehelf vorsieht, dem wieder aufschiebende Wirkung zukommt. Ähnliches muss auch für den Fall gelten, dass der Asylwerber nach Rechtskraft der Entscheidung einen zweiten Asylantrag stellt und das nationale Recht vorsieht, dass während dieses zweiten Asylverfahrens (oder zumindest bis zu dessen Zurückweisung als Folgeantrag wegen entschiedener Sache) keine Abschiebung erfolgen darf. In diesem Fall wird man davon auszugehen haben, dass die Überstellungsfrist (im Erstverfahren) gehemmt ist, bis der zweite Asylantrag zurückgewiesen wird. Die Frist beginnt daher wiederum neu zu laufen, sobald die negative Entscheidung über den Folgeantrag ergangen ist (vgl. Filzwieser/Liebminger, Dublin II-Verordnung, 2. Auflage, zu Art. 19, K25, 31).

 

Im vorliegenden Fall ergibt sich, dass durch die negative Entscheidung im Erstverfahren die 6-Monats-Frist mit Zustellung des Erkenntnisses des Asylgerichtshofs über die Beschwerde im Erstverfahren am 28.08.2008 neu zu laufen begonnen hat. Durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den VfGH am 14.10.2008 sowie durch die Stellung des zweiten Asylantrags ist die 6-Monats-Frist bis zur Entscheidung des VfGH bzw. des Asylgerichtshofes über den zweiten Antrag gehemmt und somit nicht abgelaufen. Es liegt daher keine Änderung des maßgeblichen Sachverhalts vor.

 

Der Beschwerdeführer behauptet daher zusammengefasst im nunmehrigen Rechtsgang keine weiteren - allenfalls geänderten - Sachverhaltselemente, welche nach rechtskräftiger Beendigung des ersten Rechtsganges entstanden wären.

 

Die tatsächlich - mit der Wirklichkeit übereinstimmenden - maßgeblichen Gründe, die die BF zum vormaligen Zeitpunkt zum Verlassen ihres Heimatlandes und zur Weiterreise von Polen nach Österreich bewogen haben, die Gründe, warum Polen zur Führung des Asylverfahrens zuständig ist sowie etwaige Gründe, die gegen eine Zuständigkeit Polens oder für einen Selbsteintritt Österreich sprechen könnten, haben sich daher seit ihrer ersten Asylantragstellung am 20.02.2008 nicht verändert und liegt ihrem neuerlichen Asylantrag in Wahrheit derselbe, die Zuständigkeit Polens begründende Sachverhalt zugrunde wie zum Zeitpunkt des Erstantrags.

 

Die BF begehrt daher faktisch die Auseinandersetzung mit ihrem bereits im ersten - rechtskräftig beendeten - Asylverfahren vorhandenen, zuständigkeitsbegründenden Vorbringen. Durch den Grundsatz "ne bis in idem" soll jedoch gerade eine solche nochmalige Auseinandersetzung mit einer bereits entschiedenen Sache, abgesehen von den Fällen der §§ 68Abs. 2 - 4, 69 und 71 AVG, nicht erfolgen.

 

Es liegt somit keine Änderung des Sachverhalts vor, weshalb das Bundesasylamt zu Recht den Folgeasylantrag wegen entschiedener Sache i. S.d. §68Abs. 1 AVGals unzulässig zurückgewiesen hat. Dass sich in Polen maßgebliche Änderungen ergeben hätten, welche für sich alleine bereits einen neuen für die Zuständigkeitsentscheidung relevanten Sachverhalt bewirken würden, konnte von Amts wegen nicht festgestellt werden und wurde nicht einmal von der BF selbst behauptet.

 

Nach dem Gesagten erweist sich die Zurückweisung des neuerlichen Antrages im Grunde des §68Abs. 1 AVGals rechtmäßig, sodass die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochten Bescheides abzuweisen war.

 

2.3. Den Erwägungen der Erstbehörde zu Spruchpunkt II. war vollinhaltlich zu folgen. Auch im Beschwerdeverfahren sind keine Hinweise hervorgekommen, die eine Aussetzung der Überstellung nach Polen in Vollzug der Ausweisung aus Österreich erforderlich erschienen ließen. Diese erweist sich daher bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt als zulässig.

 

2.4. Gemäß § 41 Abs. 4 AsylG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Ausweisung, Familienverfahren, Identität der Sache, Prozesshindernis der entschiedenen Sache
Zuletzt aktualisiert am
05.02.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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