TE AsylGH Erkenntnis 2009/01/13 E11 305193-1/2008

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Veröffentlicht am 13.01.2009
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Spruch

E11 305.193-1/2008-8E

 

ERKENNTNIS

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Friedrich KINZLBAUER als Vorsitzenden und der Richterin Dr. Isabella ZOPF als Beisitzerin im Beisein der Schriftführerin Fr. Birngruber über die Beschwerde der H. geb. A.A., geb. am 00.00.1954, StA. Armenien, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 01.09.2006, FZ. 06 01.867-BAG, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gem. § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt verwiesen.

Text

Entscheidungsgründe:

 

Die Beschwerdeführerin (BF), eine Staatsangehörige Armeniens, brachte am 13.2.2006 beim Bundesasylamt (BAA) einen Antrag auf internationalen Schutz ein. Dazu wurde sie erstbefragt und zu den im Akt ersichtlichen Daten von einem Organwalter des BAA niederschriftlich einvernommen.

 

Als Begründung für das Verlassen des Herkunftsstaates brachte sie im Wesentlichen vor, sie gehöre seit 1994 der Religionsgemeinschaft Pentecostal an. Weil sie Glaubensversammlungen - die mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht seien - abgehalten hätten, sei ihnen von der Polizei mit einer Festnahme und Anzeige gedroht worden. Von den Nachbarn seien sie verspottet und ausgelacht worden, weswegen sie sich an die Polizei gewandt hätten, welche ihr lediglich den Rat gegeben habe, weitere Glaubensversammlungen zu unterlassen. Am 00.00.2005 sei sie von den Nachbarinnen tätlich angegriffen und am Kopf verletzt worden. Kausal für das Verlassen ihres Heimatlandes sei die drohende Einberufung ihres Sohnes gewesen. Wären sie nicht ausgereist, wäre ihr Sohn für drei Jahre ins Gefängnis gekommen. Sie leide etwas an Bluthochdruck, weshalb sie Medikamente nehmen müsse.

 

Der Antrag auf internationalen Schutz wurde folglich mit Bescheid des BAA vom 1.9.2006, Zahl: 06 01.867-BAG, gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gem. § 8 Abs 1 Z 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien nicht zugesprochen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG wurde die Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Armenien verfügt (Spruchpunkt III.).

 

Im Rahmen der Beweiswürdigung erachtete die belangte Behörde das Vorbringen einer intensiven religiösen Verfolgung der BF infolge ihrer vagen, unplausiblen und allgemein gehaltenen Angaben als unglaubwürdig. Letztlich habe die BF die drohende Einberufung ihres Sohnes zum Militärdienst, als den eigentlichen Grund für ihre Ausreise angegeben. Ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK hätte nicht festgestellt werden können. Gründe die eine Ausweisung unzulässig erscheinen lassen würde, seien nicht hervor gekommen.

 

Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 8.9.2006 innerhalb offener Frist Berufung [jetzt Beschwerde] erhoben. Im Wesentlichen wurde nach Darlegung allgemeiner rechtlicher und sonstiger Ausführungen die Unterlassung des Parteiengehörs gerügt. Die im Asylwesen tätigen Spezialbehörden hätten das ihnen zugängliche Amtswissen zu verwerten gehabt.

 

Am 2.7.2007 langte beim Unabhängigen Bundesasylsenat ein Arztbrief des LKH Hartberg vom 00.00.2006 ein. Die BF sei vom 00.00.2006 bis 00.00.2006 im LKH Hartberg wegen Spannungskopfschmerz mit reaktiver Depressio und Somatisierung, arterieller Hypertonie und Cor hypertonicum, multiple Nierenzysten , kombinierter Hyperlipidämie stationär in Behandlung gewesen (OZ 305195-C1/4-XVIII/58/06).

 

Mit Schreiben des UBAS vom 6.10.2006 wurde die BF um Übermittlung sämtlicher ihren Asylgrund betreffenden Bescheinigungsmittel ersucht (OZ C1/1 des ho. Aktes).

 

Mit Schreiben vom 18.10.2006 brachte die BF folgende Beweismittel in kopierter Form in Vorlage: einen Führerschein, verschiedene Fotografien, drei Diplome, eine Geburtsurkunde, eine Heiratsurkunde sowie einen Brief der CDH (OZ C1/2 des ho. Aktes).

 

II. Der AsylGH hat durch den vorliegenden Verwaltungsakt Beweis erhoben. Der festgestellte Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden Aktenlage (VwGH 16. 12. 1999, 99/20/0524) fest.

 

Der erstbehördliche Bescheid enthält zwar ausführliche Feststellungen zur Religionsfreiheit in Armenien und finden sich darüber auf AS 107 - 109 (in Zitierung von United States Department of State Washington, Country Report of Human Rights Practices v. März 2006) Ausführungen von etwa einer Seite, die allerdings nicht das zentrale hier vorliegende Thema betreffen, sondern am Thema vorbei geht. Von der erkennenden Behörde wären Feststellungen zu treffen gewesen, ob die Ausübung der Religion "Pentecostal" gesetzlich erlaubt ist. Ferner wären Feststellungen zu treffen gewesen, ob Anhänger von "Pentecostal" von der Bevölkerung bzw. von öffentlichen Stellen diskriminiert werden (so auch der VwGH in seinem Erkenntnis vom 26.2.1997, 95/01/0454 zu den Zeugen Jehovas; Im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht hat die Behörde Erhebungen darüber zu pflegen und Feststellungen zu treffen, wie sich die von der Asylwerberin und ihren Angehörigen behauptete besondere Verfolgungssituation der (konvertierten) Zeugen Jehovas in ihrem Heimatland faktisch darstellt). Der bloße Verweis auf die im Heimatstaat herrschende Rechtslage genügt bei substantiierter Bestreitung des Asylwerbers nicht.

 

Der Beschwerdeführerin wurden weder sämtliche nicht als notorisch anzusehende Quellen und daraus ableitbare Kernaussagen vorgehalten, welche das Bundesasylamt seinen - soweit getroffenen - Feststellungen zu Grunde legte, noch wurde ihr die Gelegenheit eingeräumt, sich hierzu zu äußern.

 

Aufgrund des gegenwärtigen Ermittlungsstandes ist die Schlussfolgerung, es bestehen Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Vorbringens der BF, nicht gänzlich abwegig, diese Zweifel reichen jedoch nicht zur Feststellung, die BF habe den von ihr behaupteten Sachverhalt nicht glaubwürdig gemacht, aus.

 

Die Erstbehörde hat sich daher nicht im erforderlichen Ausmaß damit beschäftigt, ob die von der Beschwerdeführerin vorgetragene Verfolgungsbehauptung glaubhaft ist, wozu es in der Regel erforderlich ist, den Wahrheitsgehalt der vom Asylwerber angeführten Umstände und Ereignisse an den verfügbaren Informationen über die Vorgänge in dessen Heimatland in nachvollziehbarer Weise zu messen (vgl. VwGH vom 01.09.2005, Zl. 2005/20/0357, VfGH vom 2001/10/02 B 2136/00). Mangels entsprechender aktueller Feststellungen kann der Sachverhalt zu diesen nicht in Relation gesetzt werden.

 

Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass Teile der Quellen zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides durch aktuellere überholt waren (z. B.: AS 107, USDOS 0/2005, auch AI Jahresbericht 2004 vom 5/2005, Freedom House, Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten 2004 vom 8/2005; zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung waren bereits Berichte vom März, Mai und August 2006 veröffentlicht,. vgl. hierzu Erk. d. VwGHs. vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287 und sinngemäß -im Zusammenhang mit Entscheidungen nach § 4 AsylG 1997- das E. vom 11.November 1998, 98/01/0284, bzw. auch E. vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0210).

 

Die Beschwerdeführerin hat im Zuge der Einvernahme vor der Erstbehörde am 30.8.2006 angegeben, dass sie an Bluthochdruck leide und deswegen Medikamente nehmen müsse (AS 59). Eine nähere Befragung des einvernehmenden Referenten zum Gesundheitszustand und der Behandlungsbedürftigkeit der Antragstellerin beziehungsweise eine Würdigung dieses Vorbringens erfolgte nicht. Die Erstbehörde hat somit diese Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrem Gesundheitszustand völlig außer Acht gelassen und wurde weder der Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin festgestellt, noch wurde geprüft, ob erforderliche medizinische Behandlung in Armenien gegeben ist. In diesem Zusammenhang ist auf den Arztbrief vom 00.00.2006 des LKH Hartberg, beim UBAS eingelangt am 2.7.2007, zu verweisen, aus dem hervorgeht, dass sich die BF vom 00.00. bis 00.00.2006 wegen Spannungskopfschmerz mit reaktiver Depressio und somatisierung, arterieller Hypertonie und Cor hypertonicum, multiple Nierenzysten, kombinierte Hyperlipidämie im LKH Hartberg in stationärer Behandlung befunden habe.

 

Daher wäre die Erstbehörde jedenfalls verpflichtet gewesen, die Beschwerdeführerin näher zu ihrem Gesundheitszustand zu befragen und ein Gutachten bzw. Attest über den Gesundheitszustand der Antragstellerin anzufordern, dem Verfahren zu Grunde zu legen und sich mit diesem gehörig auseinanderzusetzen.

 

Es ist notorisch, dass sich die Erstbehörde, bei Vorliegen entsprechender Hinweise (dazu zählen jedenfalls auch Aussagen von Asylwerbern), mit dem Gesundheitszustand eines Asylwerbers auseinanderzusetzen hat; insbesondere auch unter Berücksichtigung der Entscheidungsfindung zu § 8 AsylG.

 

Mit Erkenntnis vom 28.06.2005, Zl. 2005/01/0080-6 hat der VwGH zu einem inhaltlichen Asylverfahren festgestellt, dass neben einer posttraumatischen Belastungsstörung "grundsätzlich auch andere geistige bzw. physische Erkrankungen, wenn sie einen entsprechenden Schweregrad erreichen, im gegebenen Zusammenhang maßgeblich sein können." Wesentlich seien unter dem Gesichtspunkt der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte der aktuelle detaillierte Gesundheitszustand der betroffenen Person und die physischen und psychischen Auswirkungen einer Abschiebung unter Berücksichtigung der konkreten medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat der Abschiebung.

 

Eine Feststellung des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin durch einen entsprechenden geeigneten Sachverständigen wäre somit erforderlich gewesen und wäre es bei Feststellung einer Krankheit durch einen Gutachter im Lichte der oben angeführten Rechtsprechung des VwGH Aufgabe der Erstinstanz gewesen, jedenfalls unter Spruchpunkt II, Feststellungen zur Gesundheitssituation der Beschwerdeführerin und zu konkreten Behandlungsmöglichkeiten in Armenien zu treffen.

 

Die Erstbehörde hat es somit erkennbar unterlassen, sich mit dem Gesundheitszustand der Antragstellerin auseinanderzusetzen. Seitens der Erstbehörde wurde - trotz diesbezüglichem Vorbringen der Antragstellerin - nicht festgestellt, ob die Antragstellerin an einer physischen Krankheit leidet, sondern wurde ihr Vorbringen völlig negiert. Die offensichtliche Unterlassung der Feststellung des Gesundheitszustandes stellt einen groben Mangel im Ermittlungsverfahren dar. Die Erstbehörde hätte jedenfalls entsprechende Feststellungen zum Gesundheitszustand zu treffen gehabt, denn nur wenn offenkundig ist, ob und an welcher Krankheit die Antragstellerin tatsächlich leidet, können auch spezifische Feststellungen zur Behandlungsmöglichkeit in Armenien getroffenen werden; beispielsweise ob und wie eine derartige Erkrankung der Beschwerdeführerin in Armenien behandelt wird. Eine derartige korrekte Vorgangsweise wurde von der Erstbehörde aber völlig unterlassen. Auch die Feststellung zu Spruchpunkt II, dass nur unter außerordentlichen Umständen, eine Entscheidung einen Fremden außer Landes zu bringen, zu einer Verletzung von Artikel 3 EMRK führen könne, geht ohne detaillierte Feststellungen über den Gesundheitszustand der Antragstellerin und die daraus folgenden individuellen Behandlungsmöglichkeiten in Armenien völlig an der Sache vorbei.

 

Zudem wurden vom Bundesasylamt keine erforderlichen Feststellungen betreffend die Existenzgrundlage der Familie der Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat getroffen.

 

III. Rechtliche Beurteilung

 

Artikel 151 Abs. 39 Z. 1 und 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lauten:

 

(39) Art. 10 Abs. 1 Z 1, 3, 6 und 14, Art. 78d Abs. 2, Art. 102 Abs. 2, Art. 129, Abschnitt B des (neuen) siebenten Hauptstückes, Art. 132a, Art. 135 Abs. 2 und 3, Art. 138 Abs. 1, Art. 140 Abs. 1erster Satz und Art. 144a in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 2/2008 treten mit 1. Juli 2008 in Kraft. Für den Übergang zur neuen Rechtslage gilt:

 

Z 1: Mit 1. Juli 2008 wird der bisherige unabhängige Bundesasylsenat zum Asylgerichtshof.

 

Z 4: Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof weiterzuführen.

 

Gemäß § 61 (1) AsylG 2005 BGBl I Nr. 100/2005 idF BGBl I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten oder, soweit dies in Abs. 3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

 

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und

 

2. [.....]

 

(2) [.....]

 

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

 

1. zurückweisende Bescheide

 

[......]

 

2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.

 

(4) Über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde entscheidet der für die Behandlung der Beschwerde zuständige Einzelrichter oder Senatsvorsitzende.

 

Gem. § 23 des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I, Nr. 4/2008 (Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG) idgF sind, soweit sich aus dem Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930, dem Asylgesetz 2005 - AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 und dem Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG, BGBl. Nr. 10, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr.51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffes "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt, weshalb im gegenständlichen Fall im hier ersichtlichen Umfang das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr.51 zur Anwendung gelangt.

 

Gemäß § 66 Abs 4 AVG idgF hat der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], sofern die Beschwerde [Berufung] nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Er [sie] ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) seine [ihre] Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann der Asylgerichtshof [Berufungsbehörde], wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen. Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann der AsylGH [Berufungsbehörde] jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Auch der AsylGH ist zur Anwendung des § 66 Abs. 2 AVG berechtigt (vgl. dazu VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315 und Zl. 2000/20/0084 zur Anwendbarkeit von § 66 (2) AVG durch den Unabhängigen Bundesasylsenat). Eine kassatorische Entscheidung darf vom AsylGH nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes, sondern nur dann getroffen werden, wenn der ihm vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint. Das erkennende Gericht hat dabei zunächst in rechtlicher Gebundenheit zu beurteilen, ob angesichts der Ergänzungsbedürftigkeit des ihm vorliegenden Sachverhaltes die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als "unvermeidlich erscheint". Für die Frage der Unvermeidlichkeit einer mündlichen Verhandlung i.S.d. § 66 Abs. 2 AVG ist es aber unerheblich, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. etwa VwGH v. 14.03.2001, Zl. 2000/08/0200; zum Begriff "mündliche Verhandlung" i. S.d. § 66 Abs. 2 AVG siehe VwGH v. 21.11.2002, Zl. 2000/20/0084).

 

Im Erkenntnis vom 21.11.2002, Zl. 2002/20/0315, welches sich auf den Unabhängigen Bundesasylsenat bezog und aufgrund der identischen Interessenslage in Bezug auf den AsylGH ebenfalls seine Gültigkeit hat, führte der VwGH zur Frage der Gesetzmäßigkeit der Ermessungsübung im Sinne des § 66 Abs. 2 und 3 AVG folgendes aus:

 

"Der Gesetzgeber hat in Asylsachen ein zweiinstanzliches Verfahren (mit nachgeordneter Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts) eingerichtet, wobei der belangten Behörde die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" zukommt (Art. 129c Abs. 1 B-VG). In diesem Verfahren hat bereits das Bundesasylamt den gesamten für die Entscheidung über den Asylantrag relevanten Sachverhalt zu ermitteln und es ist gemäß § 27 Abs. 1 AsylG grundsätzlich verpflichtet, den Asylwerber dazu persönlich zu vernehmen. Diese Anordnungen des Gesetzgebers würden aber unterlaufen, wenn es wegen des Unterbleibens eines Ermittlungsverfahrens in erster Instanz zu einer Verlagerung nahezu des gesamten Verfahrens vor die Berufungsbehörde käme und die Einrichtung von zwei Entscheidungsinstanzen damit zur bloßen Formsache würde. Es ist nicht im Sinne des Gesetzes, wenn die Berufungsbehörde, statt ihre (umfassende) Kontrollbefugnis wahrnehmen zu können, jene Behörde ist, die erstmals den entscheidungswesentlichen Sachverhalt ermittelt und einer Beurteilung unterzieht.

 

Dieser Gesichtspunkt ist nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes - freilich immer unter ausreichender Bedachtnahme auf das Interesse der Partei an einer raschen Erledigung des Asylverfahrens - bei der Ermessensausübung nach § 66 Abs. 2 und 3 AVG auch einzubeziehen. Unter dem Blickwinkel einer Kostenersparnis für die Partei ist dabei vor allem auch zu beachten, dass die Vernehmung vor dem Bundesasylamt dezentral durch die Außenstelle in den Bundesländern erfolgt, während der unabhängige Bundesasylsenat - anders als bei den unabhängigen Verwaltungssenaten in den Ländern, für die Vergleichbares auf Landesebene gilt - als zentrale Bundesbehörde in Wien eingerichtet ist (vgl. auch zu das bereits erwähnte Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl.2000/20/0084)."

 

Auch wenn der AsylGH eine Außenstelle in Linz einrichtete, ist auszuführen, dass aufgrund des organisatorischen Aufbaues des AsylGH und des Bundesasylamtes, sowie aufgrund des Aufenthaltsortes des BF und der Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes eine Weiterführung des Verfahrens durch den AsylGH im Sinne des § 66 (3) AVG nicht mit einer Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der entscheidungsrelevante Sachverhalt nicht im erforderlichen Ausmaß ermittelt. Es wird daher Sache des Bundesasylamtes sein, die gebotenen Ermittlungstätigkeiten im bereits erörterten nachzuholen.

 

Zur Verletzung des Parteiengehörs wird auf folgenden Umstand hingewiesen:

 

In verschiedenen Erkenntnissen geht der VwGH davon aus, dass die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Berufung in diesem konkreten Fall als saniert anzusehen ist (vgl. für viele: VwGH vom 11.9.2003, 99/07/0062; VwGH vom 27.2.2003, 2000/18/0040; VwGH vom 26.2.2002, 98/21/0299).

 

Soweit im erstinstanzlichen erstinstanzlichen Asylverfahren das Parteiengehör verletzt wurde, wird angeführt, dass in diesem Fall der Beschwerdeführer die Gelegenheit hat, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid Stellung zu nehmen und es dem BF aufgrund der durch die Verletzung des Parteiengehörs hervorgerufenen Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens im Beschwerdeverfahren weiters frei steht, zulässigerweise einen neuen Sachverhalt vorzubringen bzw. neue Bescheinigungsmittel vorlegen. Hierdurch mag zwar gegenüber dem BF die Verletzung des Parteiengehörs durch die Möglichkeit der Einbringung der Berufung zwar als saniert anzusehen sein, dies ändert aber nichts daran, dass dieser Umstand in weiterer Folge die Verpflichtung zur Durchführung einer Verhandlung und somit die Rechtsfolgen des § 66 (2) AVG auslösen kann.

 

Ebenso wird darauf hingewiesen, dass die Gewährung des Parteiengehörs mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu Folge hat, welche wiederum ein wesentliches Bescheinigungsmittel zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes darstellen kann und von der Behörde amtswegig herbeizuschaffen sein wird.

 

In den Erkenntnissen vom 11.11.1998, GZ. 98/01/0283, 12.5.1999, GZ. 98/01/0365, 6.7.1999, GZ. 98/01/0602 stellte der VwGH fest, dass es sich bei den Asylbehörden, namentlich beim Bundesasylamt und beim Unabhängigen Bundesasylsenat um Spezialbehörden handelt.

 

Der Verwaltungsgerichtshof stellte weiters im Erkenntnis vom 4.4.2001, GZ. 2000/01/0348 fest, dass [in diesem Fall noch] der Unabhängige Bundesasylsenat [und nunmehr der AsylGH] als Spezialbehörde [da aufgrund der oa. Erkenntnisse des VwGH das Bundesasylamt ebenfalls als Spezialbehörde anzusehen ist, gelten nachstehende Ausführungen des VwGH auch für dieses] verpflichtet ist, sich laufend über aus asylrechtlicher Sicht maßgebliche Entwicklungen besonders in jenen Ländern, aus denen viele Asylwerber nach Österreich kommen, auf den neuesten Stand zu halten (vgl. E. vom 9. März 1999, Zl. 98/01/0287 und sinngemäß -im Zusammenhang mit Entscheidungen nach § 4 AsylG 1997- das E. vom 11.November 1998, 98/01/0284). Er hat daher seinen Bescheiden die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Beweismittel zu Grunde zu legen (vg. auch E. vom 7. Juni 2000, Zl. 99/01/0210). Im letztgenannten Erkenntnis wurden bezogen auf den Kosovo rund neun Monate alte Beweismittel als überholt angesehen. Im am Anfang des Absatzes zitierten Erkenntnisse stammten die - als nicht aktuell erkannten-Quellen (zum damaligen Überwinterungsprogramm) - ebenfalls bezogen auf den Kosovo- vom September/Oktober 1999, während der Bescheid Ende April 2000 erlassen wurde. In diesem Erkenntnis nimmt der VwGH auch auf die den Kosovo betreffende Berichtsdichte Bezug und stellte im Hinblick auf die festgestellte Mangelhaftigkeit des Verfahrens einen direkten Bezug zwischen der Berichtsdichte und der nicht mehr vorhandenen Aktualität der Quelle her.

 

Im gegenständlichen Fall stammt die BF aus einer Herkunftsregion, welche unbestrittener Weise eine sehr hohe Berichtsdichte aufweist. Aufgrund des Ursprungsdatums der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Quellen waren diese daher bereits zum Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides als nicht aktuell anzusehen.

 

Aufgrund der oa. Erwägungen ist letztlich festzustellen, dass das Bundesasylamt seine neuerliche Entscheidungsfindung auf im Sinne der oa. Ausführungen aktuelle Quellen zu stützen haben wird, deren nicht notorisch bekannten Teile der Beschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs zu Kenntnis zu bringen sein werden.

 

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt die Ansicht, dass beweiswürdigende Überlegungen zur Stichhaltigkeit einer Fluchtgeschichte sich regelmäßig nicht auf das Vorbringen des Asylwerbers beschränken dürfen. Vielmehr bedarf es idR auch einer Betrachtung der konkreten fallbezogenen Lage im Herkunftsstaat des Betreffenden, weil seine Angaben letztlich nur vor diesem Hintergrund einer Plausibilitätskontrolle zugänglich sind (VwGH 18.4.2002, 2001/01/0002; in diesem Sinne auch VwGH 28.1.2005, 2004/01/0476). Von den Asylbehörden ist eine Einbeziehung des realen Hintergrundes der von einem Asylwerber vorgetragenen Fluchtgeschichte in das Ermittlungsverfahren zu erwarten. Die Behauptungen des Asylwerbers sind auch am Verhältnis zu der Berichtslage in Bezug auf das Ereignis, von dem er betroffen gewesen sein will, zu messen (VwGH 30.9.2004, 2001/20/0135, in diesem Sinne auch VwGH 31.5.2005, 2005/20/0176).

 

Auch der Verfassungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis 2001/10/02 B 2136/00 davon aus, dass sich die Asylbehörden nicht mit Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat begnügen dürfen, sondern fallbezogen konkrete Ermittlungen ( im gegenständlichen Erkenntnis des VfGH geht es um eine Geheimgesellschaft) in Bezug auf das individuelle Vorbringen tätigen müssen, um dieses einer Plausibilitätskontrolle unterziehen zu können. Nach Ansicht des zitierten VfGH Erkenntnis besteht diese Verpflichtung selbst dann, "wenn die vom Beschwerdeführer gegebene Schilderung von vornherein als kaum glaubwürdig und als irreal erscheint. Dies entbindet die Asylbehörde nicht von ihrer Verpflichtung, die notwendigen Ermittlungen vorzunehmen".

 

Enthält - wie im gegenständlichen Fall - der Bescheid eine nicht auf den sonstigen Inhalt abgestimmte schlüssige Beweiswürdigung, so führt dies in weiterer Folge dazu, dass auch die hierauf aufbauenden Feststellungen letztlich auf ein mangelhaftes Verfahren fußen und das Ermittlungsverfahren in seiner Gesamtheit als mangelhaft anzusehen ist.

 

Im gegenständlichen Fall wurde der entscheidungsrelevante Sachverhalt - wie unter II. ausführlich dargelegt - nicht im erforderlichen Ausmaß ermittelt. Es wird daher Sache des Bundesasylamtes sein, die gebotenen Ermittlungstätigkeiten im bereits erörterten Umfang nachzuholen.

 

Die Erstbehörde wird somit vorerst konkrete Feststellungen zum Gesundheitszustand der BF (beispielsweise unter Beiziehung eines Internisten) zu treffen haben und sodann im Falle einer krankheitswertigen Diagnose Feststellungen über die Behandlungsmöglichkeiten dieser Krankheit in Armenien. Im Rahmen der bereits genannten nachzuholenden Ermittlungstätigkeiten wird das Bundesasylamt auch die Beschwerdeführerin ein weiteres Mal zu befragen haben. Ebenso wird der Beschwerdeführerin das Ermittlungsergebnis zur Kenntnis zu bringen und ihr die Gelegenheit einzuräumen haben, sich hierzu zu äußern. In weiterer Folge wird das BAA das Ermittlungsergebnis unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Bescheinigungsmittel und aktueller, nachvollziehbarer Quellen zur Lage in Armenien, insbesonders unter Berücksichtigung aktueller Quellen hinsichtlich der Glaubensgemeinschaft Pentecostal einer schlüssigen Beweiswürdigung zu unterziehen und individuelle Feststellungen zu treffen haben, welche als Basis für die rechtliche Beurteilung dienen.

 

Im Weiteren sei anzumerken, dass gegen die BF ein Verfahren bei Gericht wegen dem Verdacht der Urkundenfälschung (Zl. 100.920/0001-Präs/08) anhängig bzw. abgeschlossen ist. In diesem Zusammenhang wird die Erstbehörde das Urteil beizubringen und ihrer weiteren Beurteilung - etwa im Rahmen des Art. 8 EMRK - zu Grunde zu legen haben.

 

Die Rechtssache war daher spruchgemäß an die Behörde erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Die Erstbehörde wird im fortzusetzenden Verfahren die dargestellten Verfahrensschritte nachzuholen haben.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte
Beweise, Beweiswürdigung, Ermittlungspflicht, Familienverfahren, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung
Zuletzt aktualisiert am
28.01.2009
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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