Verwaltungssenate: Keine sachliche Zuständigkeit
zur Entscheidung über Berufungen gegen Bescheide, mit denen ein Einspruch gegen eine Strafverfügung als verspätet zurückgewiesen wird. UVS keine Verwaltungsbehörden, sondern Verfassungsorgane sui generis in den Ländern und Tribunale i.S.d. Art6 MRK; Lösung von Kompetenzkonflikten zwischen das AVG anzuwenden habenden Organen im Wege eines Bescheides.
Im vorliegenden Fall wird Berufung gegen einen Bescheid erhoben, mit dem festgestellt wird, daß die Rechtsmittelfrist abgelaufen ist und daher ein Einspruch gegen eine Strafverfügung zurückzuweisen war. Es handelt sich also - wie sich sowohl aus der Bescheid- als auch aus der Berufungsbegründung ergibt - um ein Rechtsmittel gegen einen rein verfahrensrechtlichen Bescheid.
Mit Blick auf Art. 129a B-VG könnte sich eine Kompetenz des unabhängigen Verwaltungssenates zur Entscheidung der vorliegenden Rechtsfrage allenfalls daraus ergeben, daß dieser Bestimmung zufolge der unabhängige Verwaltungssenat nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges (d.i. nach allgemein herrschender Auffassung der Rechtsmittelinstanzenzug; vgl. Art. 103 Abs.4 B-VG sowie A. Merkl, Allgemeines Verwaltungsrecht, Wien 1927, 223; W. Antoniolli, Allgemeines Verwaltungsrecht, Wien 1954, 282 f.; F. Koja, Allgemeines Verwaltungsrecht, Wien 1986, 692; L.K. Adamovich-B.C. Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Auflage, Wien 1988, 403) in Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen zu entscheiden hat, sofern ein solcher Instanzenzug überhaupt in Betracht kommt bzw. nicht in Entsprechung zu Art. 129a Abs.2 B-VG gesetzlich vorgesehen ist, daß die Entscheidung in erster Instanz unmittelbar beim unabhängigen Verwaltungssenat angefochten werden kann. In diesem Zusammenhang steht nach § 51 Abs.1 VStG einem Beschuldigten das Recht der "Berufung" an den unabhängigen Verwaltungssenat zu, in dessen Sprengel nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat begangen wurde; nach § 51b VStG kann jedoch die Behörde, die die Strafe verhängt hat, ihr Erkenntnis mittels Berufungsvorentscheidung mit der Wirkung abändern, daß die "Berufung" dem unabhängigen Verwaltungssenat nur auf Verlangen der Partei vorzulegen ist.
Besieht man nun die Regelungen des B-VG und des VStG im Gesamtzusammenhang, so ergibt sich daraus, daß der administrative Instanzenzug in Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen erst mit der (formlosen) Vorlage der Berufung durch die Behörde erster Instanz an den unabhängigen Verwaltungssenat erschöpft und damit dessen Zuständigkeit gegeben ist. Die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gründet sich hier also infolge der von Gesetzes wegen bloß remonstrativen Eigenschaft des Instrumentariums der Berufungsvorentscheidung auf Art. 129a Abs.1 Z.1 in Verbindung mit Abs.2 B-VG und die "Berufung" (richtig: Beschwerde) an diesen ist demgemäß auch kein ordentliches, sondern ein außerordentliches Rechtsmittel.
Inhaltlich beschränkt sich diese Zuständigkeit auf "Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen". In Verbindung mit § 51 Abs.1 VStG, der auf eine "begangene Tat" abstellt, sind darunter Rechtsmittelverfahren zu verstehen, deren Gegenstand ("Sache") die Frage der Rechtmäßigkeit des Umstandes der Verhängung und/oder der Höhe der Strafe bildet; nicht dazu zählen hingegen Rechtsmittelverfahren, in denen - wie im vorliegenden Fall - bloß verfahrensrechtliche Fragen zu klären sind (vgl. in diesem Zusammenhang auch VfGH vom 12. Juni 1990, B 162/90, und vom 28. Februar 1991, B 78/91), jedenfalls dann nicht, wenn die Lösung dieser Fragen - weil es sich beim Einspruch gegen eine Strafverfügung gemäß § 49 Abs.1 VStG nicht um ein devolutives Rechtsmittel handelt - zur Konsequenz hätte, daß das ordentliche Strafverfahren nunmehr überhaupt erst durchzuführen ist: Wäre der Berufung gegen einen Bescheid, mit dem die Rechtzeitigkeit des Einspruches verneint wird, stattzugeben und dieser demgemäß als zulässig anzusehen, so ist im Anschluß daran gemäß § 49 VStG von der erstinstanzlichen Behörde das ordentliche Ermittlungsverfahren durchzuführen; nur gegen das dieses abschließende Straferkenntnis kann aber, wie dies § 51 Abs.1 VStG fordert, mit "Berufung" vorgegangen werden und erst - weil in Verwaltungsstrafsachen wie gezeigt auch eine "Berufung" zunächst nicht devolutiv ist - nach Vorlage an den unabhängigen Verwaltungssenat durch die erstinstanzliche Behörde ist der Instanzenzug im Sinne des Art. 129a Abs.1 in Verbindung mit Abs.2 B-VG erschöpft und die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich verkennt nicht, daß er sich mit dieser Rechtsmeinung teilweise in Widerspruch zu verschiedenen diesbezüglichen Auffassungen in der wissenschaftlichen Literatur setzt. Er vermeint dies aber deshalb tun zu können, weil diese Auffassungen entweder nicht näher (vgl. W. Hauer - O. Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, Wien 1990, 1021) oder unzutreffend begründet sind (vgl. H. Mayer, Die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern, in: R. Walter (Hrsg.), Verfassungsänderungen 1988, Wien 1989, 97 f).
Was unter dem Begriff "Verwaltungsübertretungen" im Sinne des Art. 129a Abs.1 Z.1 B-VG zu verstehen und damit als von den §§ 51 ff VStG erfaßt anzusehen ist, läßt sich nur im Wege der Rückkoppelung über das Gesamtsystem, in dem diese Zuständigkeitsnorm angesiedelt ist, ermitteln. Hier zeigt sich, daß dieser Begriff bereits in Art. 11 Abs.5 B-VG in der Fassung bis zur B-VG-Novelle BGBl. Nr. 490/1984 (im folgenden: B-VG-Novelle 1984) Verwendung gefunden hatte, dort allerdings in einem anderen Konnex: Danach wurden Verwaltungsstrafsenate , die (noch) nicht den Charakter von Tribunalen im Sinne des Art. 6 MRK hatten, zur Rechtsprechung in oberster Instanz wegen Verwaltungsübertretungen berufen. Diesen Gedanken weiterverfolgend sah die Regierungsvorlage 132 BlgStenProtNR, 17. GP, vor, die "Rechtsprechung oberster Instanz im Verfahren vor den Verwaltungsbehörden wegen Verwaltungsübertretungen unabhängigen Verwaltungsstrafbehörden" zu übertragen. Nach diesem Entwurf sollten die unabhängigen Verwaltungsstrafbehörden noch in den behördlichen Instanzenzug eingebunden sein. Im Verfassungsausschuß des Nationalrates (vgl. 668 und 817 BlgStenProtNR, 17. GP) löste man sich allerdings von diesem Konzept und legte schließlich fest, die unabhängigen Verwaltungssenate als aus dem Bereich der Verwaltung herausgelöste, mit der Staatsfunktion "Sicherung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung" (Sechstes Hauptstück des B-VG !) betraute Organe der Länder sui generis (Bindeglied zwischen Verwaltung und ordentlicher Gerichtsbarkeit, wie dies auch die sonstige Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts verkörpert; dafür spricht insbesondere die Normenkontrollbefugnis der unabhängigen Verwaltungssenate gemäß Art. 89 i.V.m. Art. 139 Abs.1 und Art. 140 Abs.1 B-VG (vgl. Art. 129a Abs.3 B-VG), die mit einem Legalitätsprinzip, wie es für die Verwaltung gemeinhin gilt, logisch-systematisch unvereinbar ist) zu institutionalisieren und ihnen in diesem Zusammenhang nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges die Enscheidungsbefugnis in Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen zuzuerkennen; gegen diese Betrachtungsweise wendet sich - soweit ersichtlich - nur H. Mayer (Die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern, in: R. Walter, Verfassungsänderungen 1988, Wien 1989, 85 ff; und: Die unabhängigen Verwaltungssenate im Rechtsschutzsystem, ÖJZ 1991, 258) mit einer allerdings bloß oberflächlichen Begründung, die auch zu Recht von R. Thienel (Das Verfahren der unabhängigen Verwaltungssenate, 17 ff) und J. Aichlreiter (Unabhängige Verwaltungssenate als Berufungsinstanz ?, ZfV 1990, 21) abgelehnt wird. Unter dem Aspekt des bedeutenden Funktionswandels, der um den Terminus "Verwaltungsübertretungen" von der Fassung des Art. 11 Abs.5 B-VG vor der B-VG-Novelle 1984 über die Regierungsvorlage 132 BlgStenProtNR, 17. GP, bis hin zur derzeit geltenden Regelung des Art. 129a Abs.1 Z.1 B-VG herum stattgefunden hat, ist nun davon auszugehen, daß auch dieser Begriff selbst eine entsprechende inhaltliche Modifikation erfahren hat. Nunmehr stehen die "unabhängigen Verwaltungssenate" außerhalb jener staatlichen Verwaltung, deren Gesetzmäßigkeit sie gemäß Art. 129 B-VG zu sichern haben, wobei diese Kontrolle verfassungsmäßig einen erschöpften Instanzenzug in der Weise vorsieht, daß als Minimalvoraussetzung zumindest eine verwaltungsbehördliche Instanz tätig geworden ist.
Die Garantiefunktion der unabhängigen Verwaltungssenate, die wie jene des VwGH auf Art. 129 B-VG fußt, ist nun trotz ihrer zunächst generalklauselartiger Formulierung nach allgemein herrschender Auffassung inhaltlich lediglich auf die (in Art. 130 bis 133 B-VG für den VwGH bzw.) in Art. 129a Abs.1 B-VG ausdrücklich angeführten Zuständigkeiten beschränkt (vgl. z.B. F. Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, Wien 1987, 1; L.K. Adamovich-B.C.Funk, Österreichisches Verfassungsrecht 3. Auflage, Wien 1985, 326). Diese wiederum bedürfen in materieller Hinsicht jeweils einer sich an der Zwecksetzung der B-VG-Novelle 1988, mit der die unabhängigen Verwaltungssenate in das österreichische Verfassungssystem eingeführt worden sind, orientierenden, in diesem Sinne engen teleologischen Interpretation. Primärziel war es dabei unbestrittenermaßen, den Anforderungen der MRK im Hinblick auf das Verwaltungsstrafverfahren Rechnung zu tragen. Nach Art. 6 MRK hat jedermann Anspruch darauf, daß ein unabhängiges und unparteiisches Gericht ("Tribunal") über die Stichhaltigkeit einer gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat. Die Frage der Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittelantrages bildet jedoch weder einen "zivilrechtlichen Anspruch" noch eine "strafrechtliche Anklage" i.S. dieser Bestimmung. Es ist daher auch im Hinblick auf die Zwecksetzung des Art. 129a Abs.1 Z.1 B-VG, bei dem im Gesamtzusammenhang besehen dem Begriff "Verwaltungsübertretungen" wie gezeigt nunmehr ein anderer Inhalt zukommt, als ihn der VwGH noch für dessen Verwendung im Rahmen des Art. 11 Abs.5 B-VG in der Fassung bis zur B-VG-Novelle 1984 annahm (die in VwSlg 11682 A/1985 vertretene Auffassung ist im Hinblick auf die zwischenzeitlich geänderte Rechtslage als überholt anzusehen), davon auszugehen, daß über Berufungen gegen bloß verfahrensrechtliche Bescheide, auch wenn diese aus Anlaß eines Verwaltungsstrafverfahrens ergangen sind, wie bisher die übergeordnete Administrativinstanz zu entscheiden hat. Denn dem unabhängigen Verwaltungssenat kann - entgegen W. Hauer und O. Leukauf (a.a.O., 1021) - schon von Verfassungs wegen niemals die Funktion einer II. Instanz im Administrativverfahren zukommen und an einer entsprechenden Zuständigkeitsübertretung gemäß Art. 129a Abs.1 Z.3 B-VG fehlt es auch in § 67a Abs.1 Z.1 AVG (obwohl diese ursprünglich vorgesehen war, wie ein Blick auf § 67a Abs.2 AVG bzw. § 51c VStG i.d.F. der RV 1089 BlgStenProtNR, 17. GP, bzw. der RV 1090 BlgStenProtNR, 17. GP, zeigt; diese Kompetenzzuweisung wäre aber ohnehin verfassungswidrig gewesen, weil eine derartige Zuständigkeitsübertragung nicht dem Verfahrensrechts-, sondern gemäß der expliziten Anordnung des Art. 129a Abs.1 Z.3 B-VG nur dem Materiengesetzgeber zusteht und nach Art. 129a Abs.2 B-VG auch der Zustimmung der Länder bedurft hätte).
Unter Beachtung der Bedeutung dieser Andersartigkeit, die das Verhältnis "letztinstanzliche Administrativbehörde - unabhängiger Verwaltungssenat" einerseits prägt, hingegen im Verhältnis "Unterbehörde - Oberinstanz" innerhalb des Administrativverfahrens gerade nicht vorliegt, setzt sich der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich mit der hier vorgetragenen Rechtsmeinung auch nicht in Widerspruch zur bisher einhellig herrschenden Auffassung in Literatur und Judikatur, daß der Instanzenzug in bezug auf verfahrensrechtliche Bescheide dem meritorischen Instanzenzug folgt (und deshalb der unabhängige Verwaltungssenat auch zur Behandlung bloß verfahrensrechtlicher Berufungen zuständig wäre), weil dies eben nur für den Bereich innerhalb des Administrativverfahrens gilt, nicht aber auch für das über dieses Instanzenverhältnis hinausreichende außerordentliche Rechtsmittelverfahren.
Aus allen diesen Gründen erachtet sich der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich daher nicht für zuständig, über die vorgelegte Berufung zu entscheiden. Die Zulässigkeit zur bescheidmäßigen Absprache über den vorgelegten Berufungsantrag ergibt sich daraus, daß eine Weiterleitung an die O.ö. Landesregierung als nach § 94a StVO zuständige Behörde im Wege einer formlosen Verfügung gemäß § 6 Abs.1 zweiter Halbsatz AVG i. V.m. § 24 VStG nur im Fall einer mehr oder minder offenkundigen Unzuständigkeit in Betracht kommt (vgl. VwGH vom 9. März 1970, Zl. 526/89, S. 7, abgedruckt in: E. Mannlicher - H. Quell, Das Verwaltungsverfahren, 8. Auflage, Bd. I, S. 645); da dieser Fall hier offensichtlich nicht vorlag und auch eine andere Art der Erledigung nicht in Betracht kam, war mit der Regelform der bescheidmäßigen Absprache (vgl. R. Walter - H. Mayer, Grundriß des Österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, Wien 1987, RN 373 und 376; W. Hauer - O. Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, Wien 1990, S. 381, FN 2) vorzugehen.