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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
VwGG §13 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des B in W, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 15. Jänner 2001, Zl. GS8-5973/13-2000, betreffend Haftung für Beitragsschuldigkeiten gem. § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Dr. Karl Renner-Promenade 14- 16) zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Einspruchsbescheid verpflichtete die belangte Behörde die beschwerdeführende Partei gemäß § 67 Abs. 10 ASVG als Geschäftsführer einer näher bezeichneten Gesellschaft mbH (in teilweiser Stattgebung seines Einspruchs) zur Zahlung von rückständigen, bei der Gesellschaft uneinbringlich gewordenen Sozialversicherungsbeiträgen in der Höhe von S 89.149,29 samt Zinsen.
Dieser Bescheid erging im zweiten Rechtsgang, nachdem der Verwaltungsgerichtshof den im ersten Rechtsgang erlassenen Haftungsbescheid mit Erkenntnis vom 16. März 1999, Zl. 94/08/0276, aus dem Grunde aufgehoben hatte, dass sich die belangte Behörde in mangelhafter Weise mit der Frage der Uneinbringlichkeit der Forderung bei der Gesellschaft auseinandergesetzt hatte. Die belangte Behörde begründet den angefochtenen Bescheid nunmehr damit, dass im Insolvenzverfahren der Gesellschaft nur eine Quote von 2,6962 % der Forderung einbringlich gewesen sei und der Beschwerdeführer nicht bestritten habe, die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse bei der Befriedigung der Beitragsforderungen der Gesellschaft schlechter behandelt zu haben als andere Gläubiger.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und unter Hinweis auf das (der belangten Behörde bei Erlassung des angefochtenen Bescheides noch unbekannt gewesene) Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zlen. 98/08/0191, 0192, erklärt, sich dem Beschwerdevorbringen "anzuschließen". Die mitbeteiligte Partei hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt. Der Beschwerdeführer hat repliziert.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gem. § 67 Abs. 10 ASVG haften die zur Vertretung juristischer Personen oder Personenhandelsgesellschaften (offene Handelsgesellschaft, offene Erwerbsgesellschaft, Kommanditgesellschaft, Kommandit-Erwerbsgesellschaft) berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.
Im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zlen. 98/08/0191, 0192, hat der Verwaltungsgerichtshof in Abänderung seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung nunmehr die Auffassung vertreten, dass unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" im Sinne dieser Gesetzesstelle in Ermangelung weiterer, in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich normierten Pflichten des Geschäftsführers im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese in § 111 ASVG iVm § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die in § 114 Abs. 2 ASVG umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen sind. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gem. § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.
Entgegen dieser nunmehrigen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes ist die belangte Behörde (noch) davon ausgegangen, dass die beschwerdeführende Partei gem. § 67 Abs. 10 ASVG für alle nicht entrichteten, bei der Gesellschaft uneinbringlich gewordenen Sozialversicherungsbeiträge haftet, hinsichtlich derer sie nicht in der Lage ist nachzuweisen, dass sie an der Nichtentrichtung kein Verschulden trifft, insbesondere durch den Nachweis fehlender Gesellschaftsmittel im Zeitraum des Beitragsrückstandes und der (jeweiligen) Gleichbehandlung der Gebietskrankenkasse mit anderen Gläubigern bei der Erbringung von Zahlungen.
Zu erwägen war jedoch, ob der erkennende Senat aufgrund der im Vorerkenntnis vom 16. März 1999, Zl. 94/08/0276, in dieser Rechtssache ausgesprochenen Rechtsauffassung inhaltlich auf eine Weise gebunden ist, welche die Bedachtnahme auf das erwähnte Erkenntnis des verstärkten Senates ausschließt: nach ständiger Rechtsprechung ist der Verwaltungsgerichtshof nämlich an eine gem. § 63 Abs. 1 VwGG der Behörde überbundene Rechtsaufassung in der Weise auch selbst gebunden, dass er auch durch einen verstärkten Senat nicht von ihr abgehen kann (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S 739 vorl. Absatz wiedergegebene Rechtsprechung). Eine solche Bindung wird in der Rechtsprechung teils hinsichtlich jener Fragen angenommen, die der Verwaltungsgerichtshof nicht ausdrücklich behandelt hat, die aber eine notwendige Voraussetzung seines aufhebenden Erkenntnisses bilden (wie jene von Prozessvoraussetzungen, vgl. zB zur Frage der Zuständigkeit der belangten Behörde das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 13. Mai 1980, Slg. Nr. 10.128/A; aA jedoch zur Frage der Erschöpfung des Instanzenzuges der Beschluss vom 12. Februar 1986, Zl. 84/11/0285), teils - jedenfalls soweit es sich nicht um Prozessvoraussetzungen handelt - nur hinsichtlich jener Fragen, die im Vorerkenntnis ausdrücklich behandelt wurden (vgl. die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S 733, ab dem vierten Absatz wiedergegebene, auf das Erkenntnis vom 3. Oktober 1967, Zl. 1166/65, zurückgehende Rechtsprechung; aus jüngerer Zeit etwa das Erkenntnis vom 26. März 1996, Zl. 96/14/0011).
Im vorliegenden Fall ist eine Bindung, die der Bedachtnahme auf das Erkenntnis des verstärkten Senates entgegenstünde, deshalb zu verneinen, weil sich zum einen der Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis ausschließlich mit dem Erfordernis der Uneinbringlichkeit auseinandergesetzt hat und weil andererseits die Uneinbringlichkeit der Beitragsschulden bei der Gesellschaft Grundvoraussetzung der Haftung des Geschäftsführers ist und alle übrigen Fragen, wie jenen eines Verschuldens des Geschäftsführers an der Uneinbringlichkeit, denknotwendig erst dann geprüft werden können, wenn sowohl die Uneinbringlichkeit der Beitragsschulden in einem bestimmten Ausmaß, als auch die Herkunft der uneinbringlich gewordenen Beitragsschulden aus einem bestimmten, vor Beginn oder während der Dauer der jeweiligen Organfunktion des Geschäftsführers liegenden Zeitraums feststehen. Die Bejahung einer über den Haftungsrahmen des Erkenntnisses eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000 hinausgehenden Haftung des Beschwerdeführers war aber nicht denknotwendige Voraussetzung der im Vorerkenntnis zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung.
Der angefochtene Bescheid war daher gem. § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 16. Mai 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2001080016.X00Im RIS seit
12.10.2001