Index
19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1997 §36 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde des A L (vormals: D) in Wien, geboren am 5. November 1977, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 5. November 1999, Zl. SD 592/99, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 5. November 1999 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer halte sich nach seinen eigenen Angaben seit dem Jahr 1992 in Österreich auf. Am 27. Februar 1997 sei er wegen des Vergehens gemäß § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Wochen rechtskräftig verurteilt worden. Am 11. November 1997 sei über ihn wegen des Vergehens gemäß § 16 Abs. 1 Suchtgiftgesetz eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe in der Dauer von einer Woche als Zusatzstrafe rechtskräftig verhängt worden. Daraufhin habe sich der Beschwerdeführer einer Drogentherapie unterzogen, sei jedoch im Jahr 1998 rückfällig geworden. Am 19. November 1998 sei er wegen des teils vollendeten, teils versuchten Verbrechens nach § 28 Abs. 2 Suchtmittelgesetz und wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 Suchtmittelgesetz zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Gleichzeitig sei hinsichtlich der ersten Verurteilung die Probezeit auf fünf Jahre verlängert worden. Dem Urteil vom 19. November 1998 liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum vom April bis Mai 1998 den Kauf von Heroin vermittelt bzw. zu vermitteln versucht und in diesem Zeitraum wiederholt Suchtgift erworben und besessen habe.
Auf Grund dieser Verurteilungen sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt. Das den Verurteilungen zu Grunde liegende Fehlverhalten beeinträchtige die öffentliche Ordnung und Sicherheit "im höchsten Maße". Die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei daher gerechtfertigt.
Auf Grund des etwa siebenjährigen inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführer und im Hinblick darauf, dass vier Geschwister des Beschwerdeführers seit Jahren in Österreich lebten (ein Bruder und eine Schwester seien bereits österreichische Staatsbürger), sei das Aufenthaltsverbot mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben verbunden. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei jedoch zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Gesundheit) dringend geboten und daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig. Dies werde vorliegend noch dadurch unterstrichen, dass der Beschwerdeführer innerhalb eines kurzen Zeitraumes rückfällig geworden sei und ihm ein Verstoß gegen § 28 Abs. 2 Suchtmittelgesetz, also der Handel mit einer großen Menge Suchtgift, zur Last liege. Im Licht dieser Erwägungen falle auch die gemäß § 37 Abs. 2 FrG vorzunehmende Interessenabwägung zu Ungunsten des Beschwerdeführers aus. Die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration werde in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch die schweren Straftaten des Beschwerdeführers erheblich gemindert. Dies werde auch durch die nunmehrige Beschäftigung des Beschwerdeführers nicht ausgeglichen. Die Bindung des Beschwerdeführers zu seinen Geschwistern, mit denen er nicht im gemeinsamen Haushalt lebe, werde durch seine Volljährigkeit relativiert. Diesen - solcherart geschmälerten - persönlichen Interessen des Beschwerdeführers stehe das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Bekämpfung der Suchtgiftkriminalität gegenüber. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie wögen keinesfalls schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen. In diesem Zusammenhang werde auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach bei Suchtgiftdelikten selbst eine ansonsten volle soziale Integration der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes aus der Sicht des § 37 Abs. 2 FrG nicht entgegenstünde. Die Behauptung des Beschwerdeführers, sich (wieder) einer Suchtgifttherapie zu unterziehen, schließe die von ihm ausgehende Gefahr nicht aus, zumal er sich in der Vergangenheit trotz "erfolgreicher" Therapie nicht davon habe abhalten lassen, neuerlich straffällig zu werden.
Vor diesem Hintergrund und im Hinblick darauf, dass keine weiteren zugunsten des Beschwerdeführers sprechenden Umstände hervorgekommen seien, könne von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens Abstand genommen werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, der Sache nach inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltendmachende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Der Beschwerdeführer ist nach dem Beschwerdevorbringen seit 28. Juli 1999 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Bei diesem Vorbringen handelt es sich nicht um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG), hat doch der Beschwerdeführer bereits am 6. August 1999 - gemeinsam mit seinem Antrag auf Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung - bei der Erstbehörde eine entsprechende Heiratsurkunde vorgelegt.
1.2. Da der Beschwerdeführer somit Angehöriger einer Österreicherin gemäß § 49 Abs. 1 iVm § 47 Abs. 3 FrG ist, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen ihn gemäß § 48 Abs. 1 erster Satz leg. cit. nur zulässig, wenn auf Grund seines Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist.
Der Umstand, dass die belangte Behörde das Aufenthaltsverbot allein auf § 36 FrG und nicht auf § 48 Abs. 1 leg. cit. gestützt hat, stellt für sich gesehen keine Verletzung subjektiver Rechte des Beschwerdeführers dar, ist doch § 36 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 leg. cit. bei der Frage, ob gegen einen EWR-Bürger oder begünstigten Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltsverbot zu erlassen ist, insofern von Bedeutung, als ein Aufenthaltsverbot nur bei Vorliegen der in § 36 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. genannten Voraussetzungen erlassen werden darf und auf den Katalog des § 36 Abs. 2 leg. cit. als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 2000/18/0008).
1.3. Da der Beschwerdeführer zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten und zudem mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist, kann die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des - wie dargestellt als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehenden - § 36 Abs. 2 Z. 1 (dritter und vierter Fall) FrG erfüllt sei, nicht als rechtswidrig erkannt werden.
2. Der Beschwerdeführer wurde bereits im Jahr 1997 wegen eines Suchtgiftdelikts verurteilt. Die beiden in diesem Jahr erfolgten Verurteilungen stehen zueinander im Verhältnis der §§ 31 und 40 StGB und sind daher als Einheit zu betrachten. Aus der Aktenlage ergibt sich, dass das diesen Verurteilungen zu Grunde liegende Suchtgiftdelikt im Jahr 1996 in Bezug auf das Suchtgift Heroin begangen worden ist. Trotz der vom Beschwerdeführer in der Folge absolvierten Therapie und der aktenkundigen niederschriftlichen Androhung der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes für den Fall neuerlicher Straftaten am 17. Februar 1998 durch die Erstbehörde ist der Beschwerdeführer wieder rückfällig geworden, wobei er sein strafbares Verhalten sogar erheblich gesteigert hat, hat er doch - wie sich aus seiner Verurteilung gemäß § 28 Abs. 2 Suchtmittelgesetz ergibt - eine "große Menge" Heroin in Verkehr gesetzt. Der Erfahrungssatz, dass der Suchtgiftkriminalität eine große Wiederholungsgefahr innewohnt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1998, Zl. 98/18/0358), hat sich beim Beschwerdeführer somit eindrucksvoll bestätigt. Im Hinblick darauf ist die seit der letzten Straftat vergangene Zeit von etwa eineinhalb Jahren viel zu kurz, um auf einen Wegfall oder eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr für die Allgemeinheit schließen zu können. Die in der Beschwerde ins Treffen geführten Umstände, dass der Beschwerdeführer bei Begehung der ersten Straftat noch minderjährig gewesen sei und er sich nunmehr wieder einer Suchtgifttherapie unterziehe, können zu keiner andern Betrachtungsweise führen, hat der Beschwerdeführer doch das vorgenannte schwere Suchtgiftdelikt bereits als Volljähriger und trotz einer bereits absolvierten Therapie begangen.
Die Ansicht der belangten Behörde, die in (§ 48 Abs. 1 erster Satz iVm) § 36 Abs. 1 FrG umschrieben Annahme sei gerechtfertigt, kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden.
Dem Vorbringen, das Gericht habe "unmittelbar nach Ausspruch des Urteiles eine positive Zukunftsprognose gestellt, ansonsten von einem Widerruf der bedingten Strafnachsicht Gebrauch gemacht worden wäre", ist zu entgegnen, dass die Fremdenpolizeibehörde die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes unabhängig von den Erwägungen des Gerichts beim Absehen vom Widerruf einer bedingten Strafnachsicht allein aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts zu beurteilen hat (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Jänner 2001, Zl. 2000/18/0236).
Hinzugefügt sei, dass die aktenkundigen weiteren Umstände, dass der Beschwerdeführer am 9. Juni 1999 wegen vorsätzlicher Körperverletzung und am 28. Oktober 1999 wegen versuchten Diebstahls rechtskräftig verurteilt worden ist, und bei einer niederschriftlichen Vernehmung am 17. Jänner 2000 zugegeben hat, an diesem Tag trotz aufrechter Methadontherapie Heroin konsumiert zu haben, der belangten Behörde nach der Aktenlage erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides bekannt geworden sind und daher in diesem Bescheid nicht berücksichtigt werden konnten.
3. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde die etwa siebenjährige Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers, den inländischen Aufenthalt seiner Geschwister sowie seine Berufstätigkeit berücksichtigt. Die in der Beschwerde weiters geltend gemachten Umstände, dass der Beschwerdeführer seit Juni 1998 beim selben Arbeitgeber beschäftigt sei, S 13.500,-- netto monatlich verdiene und in Österreich eine Lehre begonnen, allerdings nicht abgeschlossen habe, bewirken keine relevante Verstärkung der persönlichen Interessen. Zu Recht hat die belangte Behörde darauf verwiesen, dass die Integration des Beschwerdeführer in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers deutlich beeinträchtigt werde.
Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet steht die Gefährdung öffentlicher Interessen durch die Straftaten gegenüber. Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität kann die Ansicht der belangte Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Gesundheit) dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.), selbst dann nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn man berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer mit seiner österreichischen Gattin im gemeinsamen Haushalt lebt, stünde doch auf Grund der in hohem Maß sozialschädlichen Suchtgiftkriminalität selbst eine ansonsten volle Integration des Beschwerdeführers dem Aufenthaltsverbot aus der Sicht des § 37 Abs. 2 leg. cit. nicht entgegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. April 1999, Zl. 98/18/0373).
4. Schließlich bestand entgegen der Beschwerdeansicht auch keine Veranlassung für die belangte Behörde, von dem ihr auch bei Verhängung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 48 Abs. 1 erster Satz FrG zukommenden Ermessen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 99/18/0326) zugunsten des Beschwerdeführer Gebrauch zu machen, sind doch weder aus dem angefochtenen Bescheid noch aus der Beschwerde besondere Umstände ersichtlich, die für eine derartige Ermessenübung sprächen.
5. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 18. Mai 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000180005.X00Im RIS seit
13.11.2001