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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des IZ in G, geboren am 2. März 1971, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. Mai 2000, Zl. 211.799/0-VI/17/99, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer reiste am 19. Dezember 1995 in das Bundesgebiet ein. Er ist Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien, stammt aus dem Kosovo und gehört der albanischen Volksgruppe an.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 30. Mai 2000 wies der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) den - zweiten - Asylantrag des Beschwerdeführers vom 16. April 1999, der im Wesentlichen auf die Kriegshandlungen im Kosovo gestützt war, gemäß § 7 AsylG ab. Weiters stellte die belangte Behörde gemäß § 8 AsylG iVm § 57 Fremdengesetz 1997 fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "in die unter internationaler Verwaltung stehende, vormalig autonome Provinz Kosovo (Bundesrepublik Jugoslawien) zulässig" sei. Die Provinz Kosovo werde nicht mehr von den jugoslawischen Behörden kontrolliert, die Kontrolle hätten vielmehr KFOR und die internationalen Behörden der UNMIK inne; alle die kosovo-albanische Bevölkerung diskriminierenden Bestimmungen dürften nicht mehr angewendet werden; es könne somit nicht davon die Rede sein, dass der Beschwerdeführer bei einer allfälligen Rückkehr in die Provinz Kosovo dort eine ethnisch motivierte, der Bundesrepublik Jugoslawien zurechenbare Verfolgung befürchten müsse; der vollständige Abzug der serbischen Verbände im Zusammenwirken mit der militärischen Präsenz der KFOR und der Zeitdauer des UN-Sicherheitsmandates ließen ab dem 20. Juni 1999 eine weitere asylrelevante Verfolgung von Angehörigen der albanischen Volksgruppe im Kosovo durch "Serbien" bzw. die Bundesrepublik Jugoslawien als nachhaltig unwahrscheinlich erscheinen. Im Übrigen habe sich der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung widersprüchlich geäußert: Einerseits habe er behauptet, Angst vor der Partei des Hashim Thaci zu haben, weil er am Krieg nicht teilgenommen habe; andererseits habe er behauptet, er würde schon verfolgt, wüsste aber nicht von wem. Aus diesen widersprüchlichen und vagen Angaben sei zu schließen, dass für den Beschwerdeführer derzeit in der Provinz Kosovo keine politische Verfolgungsgefahr bestehe. Dazu komme, dass eine große Anzahl von kosovo-albanischen Männern "auch am damaligen Krieg nicht teilgenommen haben und zwischenzeitlich in die Provinz Kosovo zurückgekehrt sind; den Berichten über die Provinz Kosovo ist nicht zu entnehmen, dass diese Männer etwa in größerer Zahl bei ihrer Rückkehr Probleme gehabt hätten, weil sie am gegenständlichen Krieg nicht teilgenommen haben".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gestützte Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat.
Soweit die Beschwerde eine ihrer Ansicht noch immer bestehende Verfolgungsgefahr seitens serbischer Behörden und Sicherheitskräfte anspricht, ist zunächst auf das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2000, Zl. 99/01/0359, zu verweisen; demzufolge ist eine derartige Verfolgung wegen Änderung der Verhältnisse im Kosovo seit dem 20. Juni 1999 als nachhaltig unwahrscheinlich anzusehen. Wie der Verwaltungsgerichtshof weiter ausgesprochen hat, führt dies freilich nicht zwingend dazu, dass einem aus dem Kosovo stammenden Asylwerber die Gewährung von Asyl versagt werden müsste. Vielmehr kann solchen Personen aus anderen, auf die nunmehrige Ordnungsmacht (Organe der Vereinten Nationen) bezogenen Gründen die Flüchtlingseigenschaft zukommen, insbesondere wenn diese nicht in der Lage sein sollte, asylrelevante Verfolgungshandlungen von dritter Seite hintanzuhalten (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 4. April 2001, Zl. 2000/01/0348, mwN.).
Unter dem letztgenannten Gesichtspunkt ist das folgende, vom Beschwerdeführer schon in seiner Berufung vom 2. August 1999 gegen den erstinstanzlichen Bescheid des Bundesasylamtes erstattete Vorbringen von Bedeutung:
"Darüber hinaus droht mir von der Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) Gefahr, da ich mich ihrer Aufforderung, für sie in den Kampf zu ziehen widersetzt habe. Im März 1999 wurde ich persönlich - und auch allgemein über Medien der UCK - aufgefordert, dieser beizutreten. Ich habe dies aber abgelehnt und befürchte daher, bei einer Rückkehr in das Kosovo von der UCK, die in vielen Gegenden des Kosovo eine faktische Staatsgewalt ausübt, verfolgt zu werden bzw. unmenschlicher Behandlung oder der Todesstrafe ausgesetzt zu sein. Dass die UCK auch Angehörige der kosovo-albanischen Bevölkerung verfolgt, sofern diese nicht mit den Aktivitäten und Zielen der UCK konform sind, ist eine notorische Tatsache."
Im Ergebnis zutreffend macht die Beschwerde geltend, dass sich die belangte Behörde mit diesem Vorbringen nicht ausreichend auseinander gesetzt hat. Eingegangen wurde nur auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vom 13. März 2000, welche die belangte Behörde als widersprüchlich und vage qualifizierte. Diese Angaben lauteten wie folgt:
"Ich habe nicht für den Krieg im Kosovo gekämpft und habe
Angst vor der Partei des Hashim Thaci, weil ich am Krieg nicht
teilgenommen habe. Ich vermute das alles nur, dass ich mit denen
Probleme haben könnte. Einen Beweis dafür habe ich natürlich
nicht, dass ich mit dieser Partei Probleme bekommen könnte. Ich
habe auch keinen Beweis dafür, dass ich von dieser Partei gesucht
werde. ... Ja, man hat nach mir gefragt. Es waren Menschen von der
Partei des Hashim Thaci. Sie haben meine Familie nach mir gefragt.
... Ich werde schon politisch verfolgt, ich weiß aber nicht von wem."
Ob diese Angaben für sich betrachtet im Sinn der Ansicht der belangten Behörde den Schluss rechtfertigen, dass für den Beschwerdeführer derzeit in der Provinz Kosovo keine politische Verfolgungsgefahr bestehe, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls lassen sie das oben zitierte Berufungsvorbringen unberührt, sodass die belangte Behörde verpflichtet gewesen wäre, sich damit zu beschäftigen und gegebenenfalls - so sie dieses Vorbringen als glaubwürdig erachtet - die spezifische Situation eines im März 1999 persönlich zur Teilnahme am Kampf der UCK aufgeforderten albanisch-stämmigen Asylwerbers aus dem Kosovo, der sich einer derartigen Aufforderung widersetzte, zu beurteilen. Der bloße Hinweis im bekämpften Bescheid, dass eine große Anzahl von kosovoalbanischen Männern "auch am damaligen Krieg nicht teilgenommen" habe und zwischenzeitlich in die Provinz Kosovo zurückgekehrt sei und dass den Berichten über die Provinz Kosovo nicht zu entnehmen sei, dass diese Männer etwa in größerer Zahl bei ihrer Rückkehr Probleme gehabt hätten, weil sie am gegenständlichen Krieg nicht teilgenommen haben, ist schon deshalb nicht ausreichend, weil er den besonderen Aspekt der (behaupteten) persönlichen Aufforderung zur Teilnahme am bewaffneten Kampf der UCK nicht berücksichtigt.
Die Relevanz des dargestellten Verfahrensmangels zeigt die Beschwerde unter Verweis auf ein Gutachten des Ludwig Boltzmann-Institutes für Menschenrechte vom 30. Dezember 1999 mit dem Vorbringen auf, dass derzeit weder die KFOR noch die CIVPOL in der Lage seien, einen wirksamen und ausreichenden Schutz vor Verfolgungshandlungen sowohl durch Einzelpersonen als auch organisierte Gruppen zu bieten, und dass UNHCR als eine weitere Gruppe von Kosovo-Albanern, die nun möglicherweise Verfolgung aus den in der GFK angeführten Gründen befürchten müsse, Männer im wehrfähigen Alter, die sich geweigert hätten, an den militärischen Aktivitäten der ehemaligen UCK teilzunehmen, nenne. (Siehe dazu und im Besonderen zur näheren Darstellung des Bedrohungsszenarios für "Wehrdienstverweigerer" in den Augen der UCK im genannten Gutachten auch das hg. Erkenntnis vom 6. März 2001, Zl. 2000/01/0056). Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 22. Mai 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000010278.X00Im RIS seit
19.07.2001