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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des NM in W, geboren am 30. April 1963, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. November 1999, Zl. 203.573/2-XII/36/99, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Demokratischen Republik Kongo, reiste am 9. Dezember 1991 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 10. Dezember 1991 die Gewährung von Asyl.
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 24. November 1999 wies der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) diesen Asylantrag gemäß § 7 AsylG ab. Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen wie folgt: Der Beschwerdeführer habe am 9. August 1991 als gewählter Studentenvertreter und Mitglied der von Mobutu gegründeten Studentenorganisation JMPR an einer nicht genehmigten Studentendemonstration teilgenommen. Aus Anlass verschiedener Preiserhöhungen hätten die Studenten vor dem Unterrichtsministerium in Kinshasa demonstriert und der damaligen Regierung unter Mobutu u.a. Korruption und Tribalismus vorgeworfen. Der Beschwerdeführer sei in der Folge verhaftet und ohne Haftbefehl in einem Militärlager festgehalten worden. Bei einem Verhör habe man ihm zwei Zähne ausgeschlagen. Mit Hilfe eines befreundeten Generals sei ihm schließlich in der Nacht vom
23. zum 24. September 1991 die Flucht gelungen.
In Österreich habe der Beschwerdeführer am 13. Juni 1997 an einer gegen das Regime des Staatspräsidenten Kabila und die internationale Unterstützung dieses Regimes gerichteten Demonstration teilgenommen. Die Demonstration, an der ca. 30 bis 40 Personen teilgenommen hätten, habe vor der US-amerikanischen Botschaft in der Boltzmanngasse stattgefunden. Der Beschwerdeführer habe eine Tafel getragen und "das Protokoll geführt".
Vor kurzem sei der Beschwerdeführer der Oppositionspartei UDPS beigetreten. Zum Zweck der Ausstellung eines Mitgliedsausweises habe er Lichtbilder an ein in Belgien befindliches Büro dieser Partei gesandt. Es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer nach seiner Flucht "sonstige politische Aktivitäten gesetzt hat oder aus irgendwelchen sonstigen Gründen der nunmehrigen Regierung seines Heimatlandes als Regimegegner bekannt sein könnte". Im Falle seiner Rückkehr in sein Heimatland fürchte der Beschwerdeführer Verfolgung, weil er in Österreich an Demonstrationen teilgenommen habe.
Zur allgemeinen Situation im Heimatland des Beschwerdeführers sowie zur Verfolgung von Mitgliedern der UDPS traf die belangte Behörde folgende Feststellungen:
"Am 17.5.1997 konnte der nunmehrige Staatschef Laurent Desire Kabila mit seinen als AFDL bezeichneten Streitkräften die Hauptstadt Kinshasa einnehmen. Am 22.5.1997 wurde Kabila als Staatspräsident angelobt. Alle Gegner des früheren Staatspräsidenten Mobutu Sese Seko wurden zur Rückkehr und Mitarbeit an einer demokratischen Reformregierung eingeladen. Die für das Jahr 1999 angekündigten Parlamentswahlen wurden jedoch auf unbestimmte Zeit verschoben und ist kein Wahltermin in Aussicht genommen. Am 26.5.1997, sohin wenige Tage nach seinem Amtsantritt wurden von Staatspräsident Kabila alle politischen Aktivitäten mit Ausnahme jener seiner Regierungspartei 'suspendiert' und wurden Demonstrationen generell verboten. Die politische Situation in der DR Kongo ist - in dem von der Staatsregierung unter Kabila beherrschten Landesteil - dadurch gekennzeichnet, dass die Macht in den Händen Kabilas und der Staatspartei AFDL konzentriert ist und politische Aktivitäten der Oppositionsparteien zur Gänze verboten sind. Es kam zu Verhaftungen und Misshandlungen von Regimegegnern, Menschenrechtsaktivisten und Journalisten, die es wagten, offen gegen die Menschenrechtsverletzungen durch die Regierung Stellung zu beziehen. Weiters wurden Oppositionsführer einschließlich führender Mitglieder der UDPS und ihres Anführers Etienne Tshisekedi, die darauf bestanden, ihr Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit zum Ausdruck zu bringen, verhaftet und als Gefangene festgehalten, teilweise auch geschlagen und misshandelt."
Weiters stellte die belangte Behörde betreffend die Verfolgung von Personen, die im Exil politische Aktivitäten gesetzt haben oder einer Oppositionspartei angehören, Folgendes fest:
"Eine Gefährdung bei Rückkehr in die Demokratische Republik Kongo kann für solche Personen nicht ausgeschlossen werden, die sich im Ausland aktiv an einer exilpolitischen Betätigung gegen die Regierung von Präsident Kabila beteiligt haben. Entscheidend dürfte im Einzelfall die Gefährlichkeit der jeweiligen Einzelperson aus der Sicht der Machthaber sein, mit deutlicher Konzentration auf Personen, die über erheblichen, dem Regime aktuell oder potenziell abträglichen Einfluss verfügen. Was Mitglieder der Exil-UDPS betrifft, so ist zu prüfen, ob die Aktivitäten den kongolesischen Sicherheitsbehörden bekannt geworden sind und als ernst zu nehmender Versuch gewertet werden, das aktuelle Regime unter Präsident Kabila zu diskreditieren. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Asylbewerber, die etwa in Deutschland als Oppositionelle gegen die Regierung von Präsident Kabila öffentlich in Erscheinung getreten und den staatlichen Institutionen in der DR Kongo dahingehend bekannt sind, bei einer Rückkehr in die DR Kongo staatlichen Repressionsmaßnahmen unterliegen. Im Falle einfacher Mitgliedschaft beispielsweise bei einem Regionalverband der UDPS in Deutschland sowie im Fall der bloßen Teilnahme an gegen die Regierung Kabila gerichteten Kundgebungen in deutschen Großstädten ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass die betreffende Person allein schon deshalb ins Blickfeld der für Staatssicherheit zuständigen kongolesischen Behörden gerät."
Bei diesen Feststellungen ging die belangte Behörde einerseits von den Angaben des Beschwerdeführers - seine persönlichen Umstände betreffend - aus, andererseits stützte sie sich auf in der mündlichen Verhandlung erörtertes Berichtsmaterial. Hiezu erläuterte die belangte Behörde näher, dass sich auch aus den vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers vorgelegten Urkunden nicht schlüssig ableiten lasse, dass jedes Mitglied der Exil-UDPS bzw. jeder Teilnehmer an einer in Westeuropa abgehaltenen, gegen das Regime Kabilas gerichteten Demonstration im Falle einer Rückkehr Verfolgung zu befürchten hätte. Vielmehr ergebe sich daraus, dass lediglich die einfache Mitgliedschaft bei einem Regionalverband der UDPS und die bloße Teilnahme an einer gegen die Regierung Kabila gerichteten Kundgebung in der Regel nicht dazu führten, dass die betreffende Person allein schon deshalb ins Blickfeld der für die Staatssicherheit zuständigen kongolesischen Behörden gerate. Dass nicht jede exilpolitische Aktivität - ebenso wenig wie die Mitgliedschaft bei der UDPS - Verfolgung nach sich ziehe, ergebe sich weiters aus dem Bericht des Deutschen Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom Juni 1999. Demnach sei auf den Einzelfall bezogen zu prüfen, ob die betreffenden Aktivitäten den kongolesischen Sicherheitsbehörden bekannt geworden sein und als ernst zu nehmender Versuch gewertet werden könnten, das aktuelle Regime zu diskreditieren.
Rechtlich folge aus dem festgestellten Sachverhalt - so die belangte Behörde abschließend -, dass kein hinreichender Anhaltspunkt dafür vorliege, dass der Beschwerdeführer im Entscheidungszeitpunkt eine Verfolgung wegen seiner politischen Gesinnung zu befürchten habe. Hinsichtlich der vom Beschwerdeführer ursprünglich vorgebrachten Fluchtgründe sei auf den im Jahre 1997 erfolgten grundlegenden politischen Umsturz hinzuweisen, sodass ehemalige Regimegegner wegen der früher gegen Mobutu gesetzten Aktionen keine Verfolgung zu befürchten hätten. Es sei daher davon auszugehen, dass die seinerzeitigen Fluchtgründe weggefallen seien und der Beschwerdeführer wieder den Schutz seines Heimatlandes in Anspruch nehmen könne (Art. 1 Abschnitt C Z 5 Genfer Flüchtlingskonvention).
Aus den vom Beschwerdeführer vorgebrachten Nachfluchtgründen (Mitgliedschaft bei der UDPS sowie Teilnahme an einer Demonstration im Jahr 1997) lasse sich keine hinreichende Furcht vor Verfolgung aus Gründen der politischen Gesinnung ableiten; nach den Feststellungen führten weder eine Mitgliedschaft bei der Exil-UDPS noch eine einmalige Teilnahme an einer Demonstration "automatisch" dazu, dass im Falle der Rückkehr Verfolgung zu befürchten sei. Eine Prüfung "im Einzelfall" ergebe, dass die vom Beschwerdeführer besuchte Demonstration ca. 2 Jahre zurück liege und sehr schwach besucht gewesen sei (ca. 30 bis 40 Teilnehmer). Aus der Teilnahme an dieser einmaligen Kundgebung könne vernünftigerweise nicht abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer eine ernst zu nehmende Gefahr für das Regime des Staatspräsidenten Kabila darstellen könnte. In der Exil-UDPS habe der Beschwerdeführer nach seinem eigenen Vorbringen noch keine politischen Aktivitäten gesetzt, sodass seine exilpolitischen Aktivitäten nicht ein solches Ausmaß erreicht hätten, das eine Verfolgung durch die Behörden des Heimatstaates wahrscheinlich erscheinen lasse.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der Beschwerdeführer tritt der Auffassung der belangten Behörde entgegen, dass er im Sinn des Art. 1 Abschnitt C Z 5 der Genfer Flüchtlingskonvention wiederum den Schutz seines Heimatlandes in Anspruch nehmen könne und dass seine exilpolitischen Aktivitäten nicht ein solches Ausmaß erreicht hätten, das eine Verfolgung durch die Behörden seines Heimatstaates wahrscheinlich erscheinen lasse. Einerseits habe er schon vor seiner Flucht 1992 (richtig: 1991) als regimekritisch eingestellt Behördenbekanntheit erlangt, andererseits hätte die belangte Behörde die Situation in Deutschland - diese bzw. darauf Bezug nehmendes Berichtsmaterial liegt den behördlichen Feststellungen zu Grunde - nicht 1:1 auf "hiesige Verhältnisse" umlegen dürfen. Schließlich werde im bekämpften Bescheid übersehen, dass er (der Beschwerdeführer) eben nicht bloß als "einfacher" Demonstrant, sondern in durchaus hervorgehobener Stellung als "Protokollführer" an der Kundgebung vom 17. Juni 1997 (gemeint: 13. Juni 1997) teilgenommen habe.
Mit diesem Vorbringen ist der Beschwerdeführer im Ergebnis im Recht.
Ausgehend von den oben wiedergegebenen behördlichen Feststellungen zur Gefährdungssituation von "Rückkehrern" kommt es entscheidend darauf an, ob der Beschwerdeführer infolge seiner exilpolitischen Tätigkeit ins Blickfeld der für die Staatssicherheit zuständigen kongolesischen Behörden geraten konnte. Bei Beurteilung dieser Frage sind zwei Gesichtspunkte auseinander zu halten. Zunächst geht es darum, ob der Beschwerdeführer so in Erscheinung getreten ist, dass er als auffällig "regimekritisch" identifizierbar war. Untersucht man dahingehend das Auftreten des Beschwerdeführers bei der Demonstration am 13. Juni 1997, so kann hieran kein Zweifel bestehen. Einerseits hat er, wie von der Beschwerde zutreffend erwähnt, an dieser Kundgebung nicht "bloß teilgenommen", sondern insofern eine prominentere Stellung innegehabt, als er eine Tafel trug und "das Protokoll führte". Zum anderen war er aber unabhängig davon allein schon deshalb als aktiv exilpolitisch identifizierbar, weil ihm als Teilnehmer an einer Demonstration von bloß 30 bis 40 Personen schon per se entsprechender Auffälligkeitswert zukommen musste, vorausgesetzt die Kundgebung wurde wahrgenommen. Das leitet zur zweiten Frage über, ob die kongolesischen Behörden in irgendeiner Form von dem regimekritischen Auftreten des Beschwerdeführers Notiz genommen haben. Dies scheint die belangte Behörde zu verneinen, wenn sie damit argumentiert, dass der Beschwerdeführer bloß einmal an einer schwach besuchten Kundgebung teilgenommen habe. Ob diese Ansicht zutrifft, ist jedoch davon abhängig, ob entsprechende Informationen an die kongolesischen Behörden gelangen konnten. In diesem Sinn hat der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme im Zuge der mündlichen Verhandlung vorgebracht, dass es "Informanten" gebe. Zwar hat er das nicht näher begründet, dennoch wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, diesem Aspekt - etwa durch eine Anfrage bei der Staatspolizei, ob diesbezügliche Aktivitäten im Inland bekannt seien - näher nachzugehen. In diesem Zusammenhang wäre auch zu klären gewesen, ob die Demonstration vom 13. Juni 1997 in den Medien Niederschlag gefunden hat und wer für die vom Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung erwähnten Filmaufnahmen verantwortlich war.
Die nach dem eben Gesagten erforderliche Klarstellung bezüglich der Informationsmöglichkeiten der kongolesischen Behörden kann nicht etwa deshalb unterbleiben, weil der Beschwerdeführer - quasi objektiv betrachtet - aus der Sicht dieser Behörden keine ernst zu nehmende Gefahr für das Regime des Staatspräsidenten Kabila darstellen könne. Eine derartige subjektive Einschätzung kann nämlich nicht ohne weiteres extern vorweg genommen werden, zumal in diesem Zusammenhang nicht außer Acht gelassen werden darf, dass der Beschwerdeführer 1991 als Studentenvertreter - und seinem Vorbringen zufolge als Organisator der Demonstration vom August 1991 - schon in seinem Heimatland politisch tätig gewesen ist.
Im Hinblick auf die obigen Ausführungen bedarf der Sachverhalt noch einer Ergänzung. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 22. Mai 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000010076.X00Im RIS seit
02.08.2001