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E000 EU- Recht allgemein;Norm
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art13;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. Ludwig Riemer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Graben 27, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 3. August 1995, Zl. MA 15-II-C 9/94, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Ausstellung eines Formulars E 101 (mitbeteiligte Partei: Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Josefstädter Straße 80, 1081 Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben..
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe
von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger
Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist gemäß § 1 Abs. 1 Z. 7 B-KUVG bei der mitbeteiligten Versicherungsanstalt als Pensionist krankenversichert. Er ist fallweise künstlerisch tätig. In der Zeit vom 1. Jänner 1994 bis 2. Februar 1994 übte er eine solche Tätigkeit (unselbständig) an der Opera Bastille in Paris aus.
Die mitbeteiligte Versicherungsanstalt stellte dem Beschwerdeführer zunächst im Hinblick auf diese Tätigkeit zur Vorlage bei den zuständigen französischen Behörden eine Bescheinigung (Formular E 101) aus. Darin wurde bestätigt, dass der Beschwerdeführer in Österreich den "Rechtsvorschriften gemäß Art. 13 (2) d" der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (in der Folge: Wanderarbeitnehmer-Verordnung) unterliege. Nach der genannten Bestimmung unterliegen Beamte und ihnen gleichgestellte Personen grundsätzlich den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in dessen Behörde sie beschäftigt sind.
Die "Securite Sociale de Travailleurs Migrants" in Frankreich zog aus der ihr vorgelegten Bestätigung den Schluss, dass der Beschwerdeführer - wie viele Beamte, die von ihrem Land in ein anderes entsandt würden - für die Dauer des Auftrages weiterhin direkt von der öffentlichen Anstalt, die ihn beschäftige, für seinen Auftritt in Paris bezahlt worden sei. Da der Beschwerdeführer jedoch nach den vorgelegten Unterlagen von der Pariser Oper bezahlt worden sei, fehlte es der "Securite Sociale" an den nötigen Anhaltspunkten, ob der Beschwerdeführer etwa Angestellter einer in Österreich ansässigen Firma sei oder eine selbstständige Tätigkeit ausübe. "Rentner" hätten nach Auffassung der "Securite Sociale" auf Grund der Regelung der Wanderarbeiter-Verordnung kein Anrecht auf eine Erstattung der Sozialabgaben. Die Anstalt verlangte entweder ein neues Formular, in dem Punkt 4.1. ausgefüllt sei, oder aber eine schriftliche Erklärung der mitbeteiligten Versicherungsanstalt über die Lage des Beschwerdeführers.
Mit Schreiben vom 29. Juni 1994 ersuchte der Beschwerdeführer die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt um Ausstellung eines neuen Formulars E 101. Sollte dies nicht möglich sein, so möge sein Antrag bescheidmäßig abgelehnt werden, damit er dagegen in geeigneter Form vorgehen könne. Gleichzeitig verwies der Beschwerdeführer auf eine von ihm im Monat Februar 1994 ausgestellte Honorarnote in Höhe von S 8.280,-- für eine (als Selbstständiger ausgeübte) Synchronisationstätigkeit.
Mit Bescheid vom 4. Oktober 1994 wies die mitbeteiligte Versicherungsanstalt den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung eines Formulars E 101 hinsichtlich seiner Tätigkeit an der Opera Bastille/Paris in der Zeit von 1. Jänner 1994 bis 2. Februar 1994 zurück.
Nach der Begründung enthielten die Wanderarbeitnehmer-Verordnung und die Wanderarbeitnehmer-Durchführungsverordnung keinerlei Verfahrensrecht für die betroffenen Sozialversicherungsträger. Bei der Umsetzung der Verordnungen sei in verfahrensrechtlicher Hinsicht allein das inländische Recht maßgeblich. Im vorliegenden Fall seien daher gemäß § 129 B-KUVG die Bestimmungen über das Verfahren in Verwaltungssachen vor dem Sozialversicherungsträger (§§ 357 ff, 409 ff ASVG) anzuwenden. Eine Bestimmung über das Ausfolgen von Formularen zur Geltendmachung von Ansprüchen aus der Sozialversicherung sei in diesen Vorschriften nicht vorgesehen. Der Antrag des Beschwerdeführers sei daher zurückzuweisen.
Der Beschwerdeführer erhob Einspruch. Er brachte im Wesentlichen vor, die mitbeteiligte Versicherungsanstalt habe ein "in Punkt 4.1. (14b.1.) unrichtig bzw. unvollständig ausgefülltes Formular E 101 ausgestellt". Es fehlte lediglich "ein Kreuzchen". Durch diesen Fehler erhalte er in Frankreich geleistete Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von FFr. 10.263,50 nicht zurückerstattet.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Einspruch keine Folge gegeben und die Entscheidung der Behörde erster Instanz bestätigt.
Begründend vertrat die belangte Behörde im Wesentlichen die Auffassung, wenn das Gesetz nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck bringe, ob die Erledigung einer bestimmten Angelegenheit mit Bescheid erfolgen solle, die Behörde zu entscheiden habe, ob das Interesse des Beteiligten in dieser Angelegenheit schutzwürdig und daher nach der (vermuteten) Absicht des Gesetzgebers geschützt sei, sohin ein die Parteistellung begründendes rechtliches Interesse anzuerkennen sei. Im gegenständlichen Fall solle das Formular E 101 als Beweismittel im Verfahren vor der "Securite Sociale" dienen. Dabei seien auch andere Beweismittel zulässig. Die belangte Behörde könne daher kein rechtliches Interesse des Beschwerdeführers feststellen, das eine bescheidmäßige Erledigung seines Antrages rechtfertigen könne.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Auch die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt hat eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der Beschwerde beantragt wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Wanderarbeitnehmer-Verordnung regelt die Koordination der Sozialrechte der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, die Verordnung (EWG) Nr. 574//72 des Rates über die Durchführung dieser Verordnung (Wanderarbeitnehmer-Durchführungsverordnung) die sich bei Durchführung der erstgenannten Verordnung stellenden Rechtsfragen (vgl. dazu Eichenhofer, Sozialrecht als Gegenstand des Gemeinschaftsrechts, in: Oetker/Preis (Hrsg.), Europäisches Arbeits- und Sozialrecht (1996)).
Nach Art. 13 ff der Wanderarbeitnehmer-Verordnung wird durch Kollisionsnormen bestimmt, welche nationale Rechtsordnung - zusammen mit dem Gemeinschaftsrecht - auf einen Konfliktsfall anwendbar ist. Grundsätzlich ist man den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates unterworfen, in dem man beschäftigt ist und nicht in dem man wohnt (vgl. etwa Egger, Das Arbeits- und Sozialrecht der EG und die österreichische Rechtsordnung (1998) 188).
Von diesen Grundsätzen sehen eine Reihe von Artikeln der Wanderarbeitnehmer-Verordnung Sonderregelungen vor.
Die belangte Behörde hat die Zurückweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf Ausstellung des Formulars E 101 durch die mitbeteiligte Versicherungsanstalt bestätigt. Dies im Wesentlichen mit der Begründung, es fehle an einem rechtlichen Interesse des Beschwerdeführers auf bescheidmäßige Erledigung seines Antrages, da auch andere Beweismittel dem französischen Versicherungsträger vorgelegt werden könnten. Auch sei eine Bestimmung über die Ausfolgung von Formularen in den innerstaatlichen Regelungen nicht vorhanden.
Diese Auffassung erweist sich aus folgenden Überlegungen als verfehlt:
Das Formular E 101 bescheinigt, den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften welchen Staates eine Person unterworfen ist. Arbeitet etwa eine Person in Österreich, wird aber vom österreichischen Arbeitgeber zur Arbeit in einen anderen Mitgliedsstaat der EU entsendet, so unterliegt sie weiterhin den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften Österreichs (vgl. Art. 14 Abs. 1 lit. a der Wanderarbeitnehmer-Verordnung). Der zuständige österreichische Versicherungsträger bzw. die in der Wanderarbeitnehmer-Durchführungsverordnung genannte Stelle stellt dem Versicherten zur Vorlage im anderen Staat ein Formular E 101 aus, woraus sich ergibt, dass der Versicherte weiterhin den österreichischem Rechtsvorschriften unterliegt.
Es besteht ein gemeinschaftsrechtlich begründeter Rechtsanspruch auf Ausstellung des genannten Formulars, da nach der Wanderarbeitnehmer-Durchführungsverordnung die dort genannten Sozialversicherungsträger und Stellen "auf Antrag" des Versicherten über die Geltung der Rechtsvorschriften "eine
Bescheinigung ... aus(stellen)" (vgl. etwa die Art. 11 und 11a der
genannten Verordnung). Die Wanderarbeitnehmer-Durchführungsverordnung ist - ebenso wie die Wanderarbeitnehmer-Verordnung selbst - in all ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Die innerstaatlichen Behörden sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes verpflichtet, gemeinschaftsrechtlichen Ansprüchen mit dem für solche Ansprüche mit rein innerstaatlichem Bezug vorgesehenen (innerstaatlichen) Verfahrensrecht zum Durchbruch zu verhelfen (vgl. z.B. EuGH vom 16. Dezember 1976, Rs 45/76, Comet, Slg. 1976, 2043, und vom 7. Juli 1981, Rs 158/80, Rewe, Slg. 1981, 1805). Die
Wendung "... aus diesem Gesetz ergebende Rechte und Pflichten..."
in § 410 Abs. 1 Z. 7 ASVG ist danach gemeinschaftskonform auszulegen und auch auf gemeinschaftsrechtliche Ansprüche anzuwenden.
Sollte die belangte Behörde der Auffassung sein, der Beschwerdeführer sei weder als Pensionist (vgl. Art 17a der Wanderarbeitnehmer-Verordnung) noch als Künstler einer für die Ausstellung des Formulars E 101 relevanten österreichischen Versicherung zugehörig, so wäre sein Antrag mit Bescheid abzuweisen und nicht zurückzuweisen.
Da die belangte Behörde die Zurückweisung des Antrages des Beschwerdeführers vom 29. Juni 1994 durch die mitbeteiligte Versicherungsanstalt bestätigt hat, verletzte sie den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Sachentscheidung. Sie belastete daher den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 30. Mai 2001
Gerichtsentscheidung
EuGH 61980J0158 Rewe Butterfahrten VORABSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2Gemeinschaftsrecht Verordnung unmittelbare Anwendung EURallg5/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1995080279.X00Im RIS seit
15.11.2001Zuletzt aktualisiert am
07.12.2011