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90/02 Kraftfahrgesetz;Norm
KFG 1967 §67 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Graf, Dr. Gall, Dr. Pallitsch und Dr. Schick als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des H in I, vertreten durch Dr. Günter Tews, Rechtsanwalt in 4015 Linz, Volksfeststraße 32, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark vom 6. Mai 1999, Zl. 11-39-88/98-8, betreffend Entziehung der Lenkerberechtigung, Aufforderung, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, sowie Anordnung einer Nachschulung,zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Am 22. April 1996 wurde der Beschwerdeführer laut einer Anzeige des Gendarmeriepostens Liezen (vom 23. Mai 1996) und laut einer Strafanzeige des Landesgendarmeriekommandos für Steiermark (vom 4. Juli 1996) innerhalb einer Stunde bei insgesamt 50 Übertretungen der StVO 1960 und einer Übertretung des KFG 1967 betreten. Dabei handelte es sich um 31 Geschwindigkeitsübertretungen, 7 Missachtungen eines Haltezeichens, 3 nicht angezeigte Fahrbahnwechsel, 2 Überholungen eines Pkws auf einer unübersichtlichen Fahrbahnkuppe, 2 Missachtungen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung, 2 Behinderungen eines Einsatzfahrzeuges sowie je einer Übertretung nach den §§ 52 lit. a Z. 1 (Missachtung des Verkehrszeichens "Fahrverbot - ausgenommen landwirtschaftliche Fahrzeuge"), 9 Abs. 1 und 16 Abs. 2 lit. a (Missachtung des Überholverbotes und Überfahren einer dort doppelt angebrachten Sperrlinie), 15 Abs. 1 und 46 Abs. 4 lit. d (Missachtung des Verbotes, den Pannenstreifen zu befahren) StVO 1960 und nach § 106 Abs. 1b KFG 1967 (der Beschwerdeführer habe während der Fahrt seinen zweieinhalbjährigen Sohn auf der hinteren Sitzbank, ohne ihn durch eine Rückhaltevorrichtung zu sichern, mitgeführt).
Mit Bescheid vom 3. Dezember 1996 entzog die Bezirkshauptmannschaft Liezen dem Beschwerdeführer wegen der oben angeführten Verwaltungsübertretungen gemäß den §§ 74 Abs. 1 und 123 Abs. 1 KFG 1967 die für die Gruppen A, B, C, D, E, F und D erteilte Lenkerberechtigung für die Dauer von neun Monaten "ab dem Tag der Rechtskraft dieses Bescheides". Der Beschwerdeführer wurde weiters aufgefordert, sich gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967 zwei Monate vor Ablauf der Entziehungszeit vom Amtsarzt zwecks Feststellung der körperlichen und geistigen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen untersuchen zu lassen. Zusätzlich wurde eine Nachschulung gemäß § 73 Abs. 2a KFG 1967 angeordnet.
Die dagegen erhobene Berufung wies der Landeshauptmann von Steiermark mit Bescheid vom 6. Mai 1999 ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Berufungsbehörde habe die ärztliche Amtssachverständige bei der Fachabteilung für das Gesundheitswesen ersucht, eine ärztliche Stellungnahme hinsichtlich der Frage zu erstatten, ob beim Beschwerdeführer der Verdacht auf mangelnde Verkehrsanpassung gegeben sei und daher die Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung gerechtfertigt erscheine. Aus der Stellungnahme von Dr. R. vom 17. Juni 1997 gehe Folgendes schlüssig und nachvollziehbar hervor:
"Auf Grund des Vorliegens der großen Anzahl von Verwaltungsübertretungen und der Art und Weise, wie sie begangen wurden, hohe Geschwindigkeitsüberschreitungen an besonders gefährlichen Stellen, riskante Überholmanöver, Fahren ohne Rücksichtnahme auf andere Verkehrsteilnehmer und auf die Sicherheit seines mitfahrenden Kindes, ist der Verdacht auf mangelnde Verkehrsanpassung gegeben und die Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung gerechtfertigt. In diesem Zusammenhang wird jedoch hingewiesen, dass laut Verwaltungsgerichtshoferkenntnis vom 30.4.1991, Zl. 90/11/0153, bei der Beurteilung der nötigen Bereitschaft zur Verkehrsanpassung das Hauptgewicht beim verkehrspsychologischen Befund liegt. Laut gerichtspsychiatrischem Gutachten vom 27.10.1996 exacerbierte im gegenständlichen Geschehen eine chronische Belastungssituation akut. Weiters wird ausgeführt, dass die deutlich verminderte psychische Belastbarkeit von Herrn H. seit dem Jahre 1994 durch bestehende Konfliktsituation im Betrieb und in der Familie chronisch verstärkt wurde und es so zu häufigeren Affektausbrüchen kam. Laut diesem Gutachten reagiert er seine Spannungen unbewusst aggressiv am Gashebel ab. Die Anordnung der amtsärztlichen Untersuchung zum Ausschluss des Vorliegens einer seelischen Störung, die eine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens erwarten ließe, ist daher zusammenfassend gerechtfertigt."
Auf Grund des Verfahrensganges sei die ärztliche Amtssachverständige mit Schreiben vom 16. Dezember 1998 nochmals ersucht worden, eine ärztliche Stellungnahme abzugeben. Aus dieser Stellungnahme gehe ebenfalls schlüssig und nachvollziehbar Folgendes hervor:
"Wie bereits in der Stellungnahme der ärztlichen Amtssachverständigen Frau Dr. R. vom Juni 1997 ausgeführt, ist die Anordnung einer amtsärztlichen Untersuchung wegen Verdachtes auf mangelnde Verkehrsanpassung gerechtfertigt.
Auch nach Einsicht in die Vorstrafen-Anfrage, worin seit 1996, dem Jahr des Anlassfalles, keine Vorfälle mehr aufscheinen, ist aus ha. fachlicher Sicht, eine amtsärztliche Untersuchung notwendig, um zu beurteilen, ob zwischenzeitig nach Abklingen der akuten Belastungssituation eine psychische Stabilisierung eingetreten ist.
Auf Grund des demonstrierten Verhaltens und der auch neuropsychiatrisch aufgezeigten Persönlichkeitskonstellation des Berufungswerbers, besteht bei ihm eine Neigung, persönliche Probleme beim Autofahren abzureagieren, wodurch Verkehrssituationen mit besonders gefährlichen Verhältnissen herbeigeführt werden können. Nur eine ausreichende psychische Stabilität, Selbstkontrolle sowie eine ausreichende Fähigkeit, Emotionen vom Autofahren zu trennen, können die gesetzlich geforderte Bereitschaft zur Verkehrsanpassung garantieren.
Zur objektiven Beurteilung dieser Fähigkeit ist eine verkehrspsychologische Untersuchung oder eine psychiatrische fachärztliche Stellungnahme mit Beurteilung der psychophysischen Leistungsfunktionen heranzuziehen."
Für die Feststellung der Verkehrszuverlässigkeit, die ja für die Dauer von neun Monaten ausgeschlossen war, sei eine amtsärztliche Untersuchung nicht notwendig, da diese von der Behörde selbst zu beurteilen sei. Eine Aufforderung gemäß § 75 Abs. 2 KFG 1967, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, sei bereits dann gerechtfertigt, wenn "Verdachtsgründe" vorliegen. Sinn und Zweck einer solchen Untersuchung sei es nämlich festzustellen, ob tatsächlich von einem gesicherten Vorliegen der geistigen und körperlichen Eignung eines Kraftfahrzeuglenkers auszugehen sei. Wenn auch das Verwaltungsstrafverfahren hinsichtlich der vorgeworfenen Delikte eingestellt worden sei, so dürfe nicht übersehen werden, dass eine rechtskräftige Verurteilung seitens des Landesgerichtes Leoben vorliege. Obwohl eine psychische Ausnahmesituation vorgelegen sei, werde gerade in der ärztlichen Stellungnahme vom 17. Juni 1997 darauf hingewiesen, dass sich auch aus den gerichtspsychiatrischen Gutachten ergebe, dass eine chronische Belastungssituation akut geworden sei. Auch habe die ärztliche Amtssachverständige "integriert", dass der Beschwerdeführer seine Spannungen unbewusst aggressiv am Gashebel abreagiere.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag auf kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des KFG 1967
lauten (auszugsweise):
"§ 66.
...
(3) Für die Wertung der im Abs. 1 angeführten Tatsachen sind bei strafbaren Handlungen ihre Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend;
...
...
§ 73. (1) Besitzern einer Lenkerberechtigung, die nicht mehr im Sinne des § 66 verkehrszuverlässig ... sind, ..., ist die Lenkerberechtigung entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit ganz oder nur hinsichtlich bestimmter Gruppen zu entziehen oder durch Befristungen, Auflagen oder zeitliche, örtliche oder sachliche Beschränkungen der Gültigkeit einzuschränken; ... .
(2) Bei der Entziehung ist auch auszusprechen, für welche Zeit keine neue Lenkerberechtigung erteilt werden darf. Diese Zeit ist auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens festzusetzen und darf bei Personen, die nicht verkehrszuverlässig sind, unbeschadet des Abs. 3 nicht kürzer als drei Monate sein. ... .
(2a) Bei der Entziehung kann die Behörde auch begleitende Maßnahmen (Nachschulung und dgl.) anordnen.
...
§ 75. (1) Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung noch gegeben sind (§ 64 Abs. 2), so ist unverzüglich ein Ermittlungsverfahren einzuleiten.
(2) Vor der Entziehung der Lenkerberechtigung wegen mangelnder geistiger oder körperlicher Eignung ist ein neuerliches ärztliches Gutachten gemäß § 67 Abs. 2, vor der Entziehung wegen mangelnder fachlicher Befähigung ein Gutachten über die fachliche Befähigung gemäß § 67 Abs. 3 einzuholen. ...
..."
Die Beschwerde ist vor dem Hintergrund der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes begründet.
Der Beschwerdeführer beging die strafbaren Handlungen unbestritten am 22. April 1996. Die seit damals verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit fallen im Rahmen der gemäß § 66 Abs. 3 KFG 1967 vorzunehmenden Wertung zu Gunsten des Beschwerdeführers entscheidend ins Gewicht. Da die Erstbehörde einer allfälligen Berufung gegen ihren Bescheid nicht gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung aberkannt hat, war der Beschwerdeführer bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides - somit mehr als drei Jahre seit Begehung der strafbaren Handlungen - im Besitz der Lenkerberechtigung, in welcher Zeit er sich - ausgehend vom Inhalt des angefochtenen Bescheides - wohlverhalten hat. Das dem Beschwerdeführer zur Last liegende Fehlverhalten rechtfertigte allenfalls noch im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides vom 3. Dezember 1996 die Annahme, der Beschwerdeführer sei verkehrsunzuverlässig und werde die Verkehrszuverlässigkeit nicht vor Ablauf von drei Monaten wieder erlangen. Die dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegende Annahme, der Beschwerdeführer sei darüber hinaus im Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides immer noch, und zwar noch für neun Monate, verkehrsunzuverlässig, ist jedoch rechtswidrig (vgl. das die belangte Behörde betreffende hg. Erkenntnis vom 20. Jänner 1998, Zl. 97/11/0288).
Der Ausspruch der belangten Behörde betreffend die Notwendigkeit einer amtsärztlichen Untersuchung des Beschwerdeführers ist schon deswegen rechtswidrig, weil es nach dem vom Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung hervorgehobenen, dem KFG 1967 zu entnehmenden Grundsatz der Einheit des Entziehungsverfahrens unzulässig ist, einerseits das Entziehungsverfahren wegen Fehlens einer Erteilungsvoraussetzung (hier: der Verkehrszuverlässigkeit) mit einem Entziehungsbescheid abzuschließen, es aber andererseits wegen des Verdachtes der mangelnden gesundheitlichen Eignung durch Erlassung eines Aufforderungsbescheides (oder durch andere Ermittlungsschritte) weiterzuführen, damit allenfalls ein weiterer Entziehungsausspruch angeschlossen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 1990, Zl. 89/11/0224).
Im Übrigen ist die belangte Behörde aber darauf hinzuweisen, dass Voraussetzung für die Erlassung eines Aufforderungsbescheides nach § 75 Abs. 2 KFG ist, dass begründete Bedenken in der Richtung bestehen, die Voraussetzungen für die Erteilung der Lenkerberechtigung würden nicht mehr gegeben sein (§ 75 Abs. 1 KFG). Im gegenständlichen Zusammenhang kommen die Voraussetzungen der geistigen und körperlichen Eignung der betreffenden Person (sowie deren fachlichen Befähigung) in Betracht. Der von den ärztlichen Amtssachverständigen in ihren Stellungnahmen vom 17. Juni 1997 und 1. März 1999 dargelegte vermutete Mangel der Verkehrszuverlässigkeit kann hingegen nicht ein Grund für die Erlassung eines Aufforderungsbescheides sein, weil diese Beurteilung keine Sachverständigenfrage berührt, sondern von der Behörde selbst als Rechtsfrage zu lösen ist (siehe dazu die ebenfalls die belangte Behörde betreffenden hg. Erkenntnisse vom 28. September 1993, Zl. 93/11/0078, und vom 21. April 1998, Zl. 97/11/0388). Wie bereits oben dargelegt, lag das Verhalten des Beschwerdeführers im Straßenverkehr vom 22. April 1996 bei Erlassung des angefochtenen Bescheides schon über drei Jahre zurück, ohne dass der Beschwerdeführer nach der Aktenlage abermals eine Verhaltensweise an den Tag gelegt hätte, die den Verdacht auf mangelnde Bereitschaft zur Verkehrsanpassung zu begründen vermochte. Die belangte Behörde hatte die Frage, ob begründete Bedenken in diese Richtung in Ansehung des Beschwerdeführers (noch) bestehen, nach der Sachlage im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides zu beurteilen. Dass der Beschwerdeführer vor mehr als drei Jahren ein Verhalten gesetzt hat, das damals einschlägige Bedenken zu begründen geeignet war, sich aber in der Folgezeit nicht mehr auffällig verhalten hat, bietet nach Verstreichen dieser Zeit keine geeignete Grundlage für gleichartige Bedenken mehr (vgl. das schon oben angeführte hg. Erkenntnis vom 28. September 1993).
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid, soweit damit die Entziehung der Lenkerberechtigung und die Aufforderung, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen, bestätigt wurden, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die mit dem angefochtenen Bescheid ebenfalls bestätigte Anordnung einer Nachschulung des Beschwerdeführers hat in Bezug auf die Entziehung der Lenkerberechtigung akzessorischen Charakter (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 20. Jänner 1998, Zl. 97/11/0069, vom 30. Juni 1998, Zl. 98/11/0078, und vom 12. April 1999, Zl. 98/11/0289). Da durch die Aufhebung der Entziehung der Lenkerberechtigung die Rechtssache gemäß § 42 Abs. 3 VwGG in die Lage zurücktritt, in der sie sich vor Erlassung der Nachschulungsanordnung befunden hat, war infolge Fehlens einer rechtskräftigen Entziehung der Lenkerberechtigung der angefochtene Bescheid auch hinsichtlich der Nachschulungsanordnung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem Ersatz des pauschalierten Schriftsatzaufwandes ein weiterer Kostenersatz unter dem Titel von Umsatzsteuer nicht stattfindet.
Wien, am 30. Mai 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999110195.X00Im RIS seit
09.08.2001