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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt; vertretbare Annahme der Berufspflichtenverletzung durch Erhebung des Vorwurfs der "Kostenschinderei" durch Anwaltskollegen betreffend eine Unterlassungsklage wegen Benützung eines Kanzleifaxgerätes für Werbung; keine Inanspruchnahme einer der Behörde nicht zukommenden Zuständigkeit durch Wahrnehmung der ihr gesetzlich eingeräumten Disziplinargewalt durch die belangte BehördeSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer war Beklagtenvertreter im Verfahren über eine vor dem Bezirksgericht Hietzing von Rechtsanwälten in eigener Sache eingebrachte Klage wegen Unterlassung der Benützung des Kanzleifaxgerätes für Werbung.
Über ausdrücklichen Auftrag seiner Mandantin brachte der Beschwerdeführer in einem Schriftsatz ua. vor:
"Es hat Anwälte gegeben, die UWG-Schutzvereine nur gründeten, um Verletzungen festzustellen und damit ihre Kanzlei zu beschäftigen; unter Berufung auf §9 RAO wird ausdrücklich durch die beklagte Partei vorgebracht, daß dies offenbar auch im gegenständlichen Fall für die Kanzlei der Kläger gilt: Sie versuchen, nicht für Klienten eine eventuelle Fax-Werbung einzuschränken, sondern den Umstand für sich selbst kostenmäßig zu nützen und einem solchen Vorgehen ist schon aus diesem Grunde der Rechtsschutz zu versagen und die Klage mangels Rechtsschutzinteresse abzuweisen."
2. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 5. Juli 1996 wurde der Beschwerdeführer im Spruchpunkt I von anderen gegen ihn erhobenen Vorwürfen und im Spruchpunkt II vom Vorwurf freigesprochen, er habe durch die vorher wiedergegebene Äußerung die gegnerischen Rechtsanwälte eines unehrenhaften und standeswidrigen Verhaltens geziehen.
Der Disziplinarrat begründete den Freispruch zu Spruchpunkt II wie folgt:
"Der DB (Disziplinarbeschuldigte) hat sich im Schriftsatz vom 31.10.1994 ... auf §9 RAO berufen. Gemäß §9 RAO ist der Rechtsanwalt befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten. Auszugehen ist davon, daß am 31.10.1994 noch keine Entscheidung zur sogenannten 'Telefax-Werbung' bekannt war. Nachdem der DB von seinen Mandanten ausdrücklich beauftragt war, das mangelnde Rechtsschutzinteresse der Kläger (und Anzeiger) zu relevieren, dies im Hinblick auf die vom Mandanten des DB als vollkommen untergeordnet erachtete Beeinträchtigung der Kläger, mußte der Kläger (gemeint: der DB) entsprechendes Vorbringen erstatten, solange er damit innerhalb des gesetzlichen Rahmens blieb. Im vorliegenden Fall brachte der DB vor, die Kläger und Anzeiger hätten den vorliegenden Prozeß nicht aus sachlichen Erwägungen, sondern aus Kostengründen angestrengt. Soferne dieses Vorbringen als richtig erwiesen worden wäre, hätte dies für die Kläger disziplinäre Folgen haben müssen.
Der vorliegende Fall ist mit 'UWG-Klagevereinen' nicht vergleichbar, da in jenem Fall aufgrund der Feststellung, die Klägerin mißbrauche das Klagerecht (der Verein übe daher keine satzungsgemäße Tätigkeit aus) die Aktivlegitimation aufgrund der §§12 RabG und 14 UWG verneint wurde. Der DB hat die Erteilung einer derartigen Information im Sinne des Erkenntnisses des OGH 10.12.1985, 4 Ob 382/85 (JBl. 1986, 251) durch seinen Klienten auch nicht behauptet. Das Vorliegen eines von der Rechtsordnung gebilligten Interesses an der Rechtsschutztätigkeit (Rechtsschutzinteresse) ist nach herrschender Rechtsprechung und Lehre - abgesehen vom Rechtsmittelverfahren - auch keine Prozeßvoraussetzung. Im Vorbringen des DB steckt jedoch der materielle Einwand der schikanösen Rechtsausübung, der möglicherweise den Klagsanspruch hätte abwehren können. Es kann offen bleiben, ob Art und Inhalt des Vorbringens aus dieser Sicht standesrechtlich vorwerfbar sind oder nicht. Selbst bei disziplinärem Fehlverhalten hat der DB über ausdrücklichen Auftrag seiner Mandantin gehandelt, hat vermeint, das Vorbringen sei durch §9 RAO gedeckt, und gab es nur geringe Folgen, sodaß der Disziplinarrat auch bei standesrechtlich vorwerfbarem Verhalten von einer Bestrafung im Hinblick auf §3 DSt abzusehen hätte."
3. Der Berufung des Kammeranwaltes gegen Spruchpunkt II dieses Bescheides gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden OBDK) mit Erkenntnis vom 17. März 1997 Folge, sprach aus, der Beschwerdeführer habe durch sein Vorbringen im Schriftsatz die Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen, und verurteilte ihn hiefür zu einer Geldbuße von S 30.000,- sowie zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens erster und zweiter Instanz.
Die OBDK begründete ihre Entscheidung im wesentlichen wie folgt:
"Die vom Disziplinarbeschuldigten in der inkriminierten Äußerung selbst zitierte und im Disziplinarverfahren wiederholt erwähnte Bestimmung des §9 RAO, auf die der Disziplinarrat den Freispruch gründete, besagt, daß der Rechtsanwalt befugt ist, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten.
Der Rechtsanwalt ist daher verpflichtet, sein Verhalten bei der Vertretung eines Klienten, demnach auch sein Vorbringen, dahin zu überprüfen und zu gestalten, daß es weder dem Auftrag noch seinem Gewissen und nicht den Gesetzen widerstreitet.
Wenn der Klient ein Vorbringen wünscht, welches dieser Überprüfung nicht standhält, hat es der Rechtsanwalt zu unterlassen, selbst wenn es dadurch seitens des Klienten oder seinerseits zu einer Lösung des Vollmachtsverhältnisses kommen kann.
Wie im angefochtenen Erkenntnis an sich zutreffend ausgeführt wird, war das Vorbringen des Disziplinarbeschuldigten rechtlich verfehlt, weil das von ihm geltend gemachte Rechtsschutzinteresse im Verfahren erster Instanz nicht Prozeßvoraussetzung ist, daher selbst bei Zutreffen der Ausführungen diese rechtsunwirksam bleiben mußten. Die Erwägung des Disziplinarrates aber, daß in dem Vorbringen vielleicht die Einwendung der schikanösen Rechtsausübung gelegen sein hätte können, hat unbeachtlich zu bleiben, denn der Rechtsanwalt ist danach zu beurteilen, was er vorbringt, nicht aber nach dem, was er hätte gemeint haben können.
Abgesehen davon ergibt sich aus der Klage, auf welche der Disziplinarbeschuldigte erwiderte, nicht der geringste Hinweis, auf den das inkriminierte Vorbringen gerechtfertigt werden könnte:
Die beiden Kläger bilden eine Kanzleigemeinschaft, von einem Verein ist keine Rede, sie begehrten mit ihrer Klage die Abstellung einer ihre Kanzlei arbeits- und kostenmäßig belastenden Belästigung, dies mit dem Streitwert von S 20.000,--, welcher bei den hiefür vorgesehenen Tarifsätzen keinesfalls als gewinnbringend, ja kaum als kostendeckend angesehen werden kann. Auch in der weiteren Prozeßentwicklung ergab sich nichts, was auch nur ein Indiz für das inkriminierte Vorbringen hätte bilden können.
Daraus folgt, daß das inkriminierte Vorbringen vom Disziplinarbeschuldigten auch als seinem Gewissen widerstreitend abgelehnt hätte werden müssen.
Der Vorwurf gegen Kollegen, einen Prozeß in eigener Sache nur aus Kostengründen, somit zur Gewinnerzielung, zu führen, kann keineswegs als geringfügiges Verschulden des Rechtsanwaltes gewertet werden; es ist auch unrichtig, daß sein Verhalten nur geringe (gemeint wohl: unbedeutende) Folgen hatte, denn es haben sich immerhin Gerichte zweier Instanzen meritorisch auch damit auseinandergesetzt. Die Voraussetzungen für die Anwendung des §3 DSt 1990 sind daher nicht gegeben.
Daß dem Disziplinarbeschuldigten die Bedenklichkeit seiner Vorgangsweise bewußt war, zeigt die Zitierung des §9 RAO im Schriftsatz und seine geäußerte Ansicht, daß der Klientenauftrag alles decke.
Dem ist zu entgegnen, daß §9 RAO kein Freibrief für einen Rechtsanwalt ist, unter Hinweis auf einen ausdrücklichen Auftrag seiner Mandantschaft ein Vorbringen zu erstatten, das einen Kollegen - unbegründet - der 'Kostenschinderei', sohin eines standeswidrigen Verhaltens bezichtigt. Denn auch Standesregeln eines Rechtsanwaltes sind Normen und demnach Gesetze iS des §9
RAO.
Da §9 RAO eine Berufspflicht des Rechtsanwaltes normiert, fällt dem Disziplinarbeschuldigten das Disziplinarvergehen der Verletzung von Berufspflichten zu(r) Last.
Darüber hinaus stellt sein Vorbringen auch eine Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes dar, weil der Disziplinarbeschuldigte in einem öffentlichen Gerichtsverfahren den gegnerischen Kollegen Kostenschinderei vorgeworfen hat."
4. Gegen diesen Bescheid wendet sich die vorliegende, der Sache nach auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Unverletzlichkeit des Eigentums, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf "Freiheit der Berufsausübung" und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
4.1. Der Beschwerdeführer bringt hiezu im wesentlichen vor:
"Die Stellung der Rechtsanwälte als Teil der Rechtspflege ist anerkannt und die vornehmste Berufspflicht des RA (siehe §10 Richtlinien für die Berufsausübung) ist die Treue zur Partei und die Interessenwahrung des Klienten und Absichten auf Kollegen haben zurückzutreten. §9 RAO normiert für das Prozeßvorbringen die Rechtmäßigkeit im Rahmen der Information und im Rahmen der Rechtslage und das Vorbringen muß 'in abstracto prozessdienlich sein': Evidenzblatt EvBl. 1970/70, Anwaltsblatt ANW 1985, 309. Der RA hat - strenger als der Staatsanwalt - mehr Befugnisse zur Vertretung seiner Partei, er hat alles vorzubringen, was er - der RA - für zweckmässig erachtet und die Sprache und das Vorbringen kann direkt und unumwunden sein."
4.2. Weiters führt der Beschwerdeführer aus, im Ergebnis sei die OBDK eine wirkliche Begründung schuldig geblieben und seien seine Verurteilung und die gegebene Begründung als reine Willkür zu qualifizieren. Das Vorbringen im Schriftsatz sei durch §9 RAO gedeckt und die Ehre und das Ansehen des Standes in keiner Weise dadurch beeinträchtigt, daß im Rahmen eines Prozesses auch die Frage des Kostenvorteiles eines Rechtsanwaltes erörtert und bewertet werde.
Jedes Erkenntnis habe auch Bedeutung über den Anlaßfall hinaus. Lege man die Rechtsgrundsätze des angefochtenen Erkenntnisses "auf den allgemeinen Sachverhalt" um, würde dies heißen, daß der Anwalt nicht mehr in der Lage sei, seinen Berufspflichten nachzukommen und das nötige Vorbringen zu Sach- und Rechtsfragen zu erstatten, da die OBDK den Rechtsanwalt ausdrücklich verpflichte, den vorgebrachten Sachverhalt vorerst zu überprüfen, was - da dies praktisch unmöglich sei - einem Verbot gleichkäme, Vorbringen zu einem Sachverhalt überhaupt zu erstatten.
4.3. Die OBDK habe den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten gemäß Art1 StGG 1862 sowie Art83 Abs2 B-VG verletzt, indem sie eine Strafbefugnis in Anspruch genommen habe, die ihr nach dem Disziplinarstatut und den "einschlägigen RA-Gesetzen" nicht zukomme. Sie habe absolut die Grenzen ihrer Zuständigkeit überschritten, indem "sie Pflichtenverletzungen oder Verletzung der Ehre und der Ansehung des Standes als solche qualifiziert, obwohl es solche nicht sind".
4.4. Durch die Verhängung einer Geldstrafe erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem Recht auf Eigentum nach Art5 StGG verletzt, zumal die Verurteilung zu einer Geldstrafe - wie bereits zuvor dargetan - in verfassungswidriger Weise erfolgt sei.
4.5. Letztlich führt die Beschwerde noch aus:
"Die Freiheit des Rechtsanwaltes ist auch durch Art6 Abs1 StGG und der dort normierten freien Erwerbstätigkeit gegeben; Disziplinarerkenntnisse der gegenständlichen Art schränken die Berufstätigkeit des Rechtsanwaltes ganz wesentlich ein, wenn der Rechtsanwalt verpflichtet wird, nur das vorzubringen, was er selbst überprüft und als richtig feststellt. Dem Rechtsanwalt wird auf diese Weise die Tätigkeit der Polizei und des späteren Gerichtsurteiles aufgebürdet und zur Verpflichtung gemacht - und dies widerspricht die Grundregeln freier Erwerbstätigkeit und der Tätigkeit des Rechtsanwaltes als Interessenwahrer seiner Klientel."
5. Die OBDK als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Beschwerdeführer bringt gegen die Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften keine Bedenken vor. Auch beim Verfassungsgerichtshof sind solche aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden. Der Beschwerdeführer wurde somit nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.
2. Der Beschwerdeführer behauptet jedoch eine Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, und zwar in den Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Unversehrtheit des Eigentums und auf Freiheit der Erwerbsausübung.
2.1. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, den Gleichheitssatz verletzt zu haben, indem sie Willkür geübt habe. Sie habe nämlich verkannt, daß sein Vorbringen durch §9 RAO gedeckt und auch zur Wahrung der Interessen seines Klienten notwendig gewesen sei und daß im übrigen die Erörterung und Bewertung des Kostenvorteils eines Rechtsanwaltes im Prozeß die Ehre und das Ansehen des Standes in keiner Weise beeinträchtige.
Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde ua. dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985, 11436/1987).
Gemäß §9 Abs1 zweiter Satz RAO ist der Rechtsanwalt befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten. Nach §1 Abs1 DSt 1990 begeht ein Rechtsanwalt ein Disziplinarvergehen, der schuldhaft die Pflichten seines Berufes verletzt oder inner- oder außerhalb seines Berufes durch sein Verhalten die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt.
Wenn die belangte Behörde das Gesetz dahin versteht, daß der Vorwurf standeswidrigen Verhaltens, für das jeder Anhaltspunkt fehlt, den Anordnungen des §9 RAO widerspreche, so wird damit weder dem Gesetz ein verfassungswidriger Inhalt unterstellt noch Willkür geübt, sondern von einer vertretbaren Rechtsansicht ausgegangen (vgl. VfSlg. 13787/1994, 14007/1995). Ebenso beruht es auf einer vertretbaren Rechtsansicht, im Vorwurf, die Kläger hätten ausschließlich aus Kostengründen gehandelt ("Kostenschinderei"), den eines standeswidrigen Verhaltens zu sehen (insoweit vergleichbar VfSlg. 13606/1993).
Der Disziplinarrat hatte den Beschwerdeführer vom Vorwurf freigesprochen, er habe die gegnerischen Rechtsanwälte eines unehrenhaften und standeswidrigen Verhaltens geziehen; in der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides heißt es ua., im Vorbringen des Beschwerdeführers stecke der materielle Einwand der schikanösen Rechtsausübung. Diese Erwägung des Disziplinarrates hält die OBDK für unbeachtlich, weil der Rechtsanwalt danach zu beurteilen sei, was er vorbringe, nicht aber danach, was er hätte gemeint haben können. Damit verweigert die belangte Behörde die Auseinandersetzung mit den Überlegungen der Behörde erster Instanz; die Begründung, die sie dafür gibt, ist verfehlt. Denn es liegt auf der Hand, daß weder ein Rechtsanwalt noch sonst jemand stets und immer - wie dies die Formulierung im angefochtenen Bescheid im Ergebnis behauptet - nur danach zu beurteilen ist, was er gesagt hat, nicht aber uU danach, was er gemeint hat. Die Sinnbedeutung einer schriftlichen Äußerung ist ebenso wie die einer mündlichen auch unter Berücksichtigung der Absicht des Autors und mit Einbeziehung der Möglichkeit eines erkennbaren Wortüberschwanges sowie unter Bedachtnahme auf alle sonst wesentlichen (Begleit-)Umstände zu ermitteln (VfSlg. 12022/1989). Die juristische Methodenlehre bietet Beispiele dafür, daß selbst der Gesetzgeber mitunter nicht nach dem Gesetzestext, sondern nach dem von ihm Gemeinten beurteilt wird. Wo seine Absicht erkennbar über den von ihm gewählten Ausdruck hinausgeht, ist der Inhalt der Vorschrift gemäß seinem Willen auszulegen (VfSlg. 5863/1968; vgl. VfSlg. 9748/1983). Die Begründung des angefochtenen Bescheides wäre daher willkürlich, würde sie sich auf dieses Argument als tragendes Element stützen.
Dies ist jedoch nicht der Fall, denn die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer ua. auch vorgeworfen, daß sich aus der Klage, die auf die Abstellung einer die Kanzlei der Kläger arbeits- und kostenmäßig belastenden Vorgangsweise abzielte, nicht der geringste Hinweis darauf ergeben hat, daß sie (so der Vorwurf des Beschwerdeführers) ausschließlich aus Kostengründen erhoben worden wäre. Dem Beschwerdeführer mußte klar sein, daß die Werbung per Fax durch seine Mandantin die Kanzlei der Kläger mit den Kosten des Papierverbrauchs belastete und Arbeit verursachte sowie das Faxgerät der Kläger zeitweise blockierte. Dieser Effekt lag auf der Hand, sodaß es keiner weiteren Nachprüfungen durch den Beschwerdeführer bedurfte.
Soweit sich die Begründung des angefochtenen Bescheides auf diese Umstände bezieht, ist sie - aus dem Blickwinkel der vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmenden Rechtsverletzungen - zutreffend, und es bedarf daher keiner Auseinandersetzung mit der weiteren Begründung des Bescheides, so auch nicht mit der - mit den vorgelegten Akten nicht in Einklang zu bringenden - Sachverhaltsannahme, der Beschwerdeführer habe das Rechtsschutzinteresse als Prozeßvoraussetzung gewertet; denn er begehrte nicht die Zurück-, sondern die Abweisung der Klage mangels Rechtsschutzinteresses (s. oben I.1.).
Da der Sachverhalt zwischen den Parteien des verfassungsgerichtlichen Verfahrens nicht strittig ist und die tragende Begründung des angefochtenen Bescheides - daß nämlich die Klage ganz offensichtlich darauf zielte, eine Belästigung abzustellen - verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, vermag der Verfassungsgerichtshof der belangten Behörde unter dem von ihm anzuwendenden Prüfungsmaßstab nicht entgegenzutreten, wenn sie das Vorbringen des Beschwerdeführers im Schriftsatz als Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes qualifiziert hat. Die behauptete Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt somit nicht vor.
2.2. Der Beschwerdeführer behauptet weiters, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt zu sein; die belangte Behörde habe die Grenzen ihrer Zuständigkeit überschritten, da sie ein Verhalten als Pflichtenverletzung qualifiziert habe, das keine sei, ebenso als Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes.
Dieses Grundrecht kann durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde nur dann verletzt sein, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987, 13280/1992).
Der Vorwurf der Beschwerde würde aber, träfe er zu, nur bedeuten, daß die belangte Behörde inhaltlich falsch entschieden hätte; wenn die Beschwerde meint, die Behörde habe damit eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen, so ist das Vorbringen schon vom Ansatz her verfehlt. Die belangte Behörde hat Vorschriften angewandt, die ihr Disziplinargewalt verleihen. Sie hat daher nicht eine Disziplinargewalt in Anspruch genommen, für die im Gesetz jegliche Grundlage gefehlt hätte (vgl. zur Strafbefugnis VfSlg. 5498/1967, 10137/1984). Ob sie das Gesetz materiell richtig angewandt hat, ist nicht unter dem Gesichtspunkt des Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter zu beurteilen (VfSlg. 10137/1984).
Der Beschwerdeführer wurde daher auch nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
2.3. Der Beschwerdeführer erachtet sich durch die Verhängung einer Geldstrafe in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.
Der angefochtene Bescheid verhängt eine Geldbuße und greift somit in das Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10356/1985, 10482/1985, 11650/1988) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewandt hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.
Angesichts der Unbedenklichkeit der dem Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften und da der Bescheid auf einer vertretbaren Rechtsansicht beruht (oben Pkt. II.1. und II.2.1.), liegt dies alles nicht vor. Der Beschwerdeführer wurde sohin auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.
2.4. Der Beschwerdeführer erachtet sich weiters durch den Schuldspruch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf "Freiheit der Berufsausübung" verletzt, weil es ihm überlassen bleiben müsse, wie er die Interessen seiner Klienten wahre.
Ausgehend von der Unbedenklichkeit der angewandten Rechtsgrundlagen könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung nur dann verletzt sein, wenn die belangte Behörde das Gesetz denkunmöglich angewandt hätte.
Dieser Vorwurf kann, wie bereits unter II.2.4. ausgeführt, der belangten Behörde jedoch nicht gemacht werden. Der Beschwerdeführer wurde sohin auch nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Erwerbsausübung verletzt.
2.5. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10659/1985, 12915/1991, 13419/1993 und 14408/1996).
2.6. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
3. Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Erwerbsausübungsfreiheit, Berufsausübungsfreiheit, Rechtsanwälte DisziplinarrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1998:B1261.1997Dokumentnummer
JFT_10019072_97B01261_00