TE Vfgh Erkenntnis 1998/9/28 B2482/97

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Veröffentlicht am 28.09.1998
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62 Arbeitsmarktverwaltung
62/01 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Anlaßfallwirkung der Feststellung der Gesetzwidrigkeit von Bestimmungen zweier Erlässe des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 28.08.96 und vom 31.10.96 sowie des Leitfadens für die Anwendung des Assoziationsratsbeschlusses EWG-Türkei Nr 1/80 mit E v 16.06.98, V6-8/98.

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales) ist schuldig, der beschwerdeführenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Die Beschwerdeführerin beantragte beim Arbeitsmarktservice Jugendliche die Feststellung, daß sie gemäß Art7 Abs1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation freien Zugang zu jeder von ihr gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis habe.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 Abs1 B-VG bekämpften Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien wurde dieser Antrag abgewiesen, weil vor Ablauf der fünfjährigen Frist die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung versagt worden sei.

Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, verletzt und beantragt dessen kostenpflichtige Aufhebung, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt; von der Erstattung einer Gegenschrift wurde Abstand genommen.

II. Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet.

1. Der Verfassungsgerichtshof hat aus Anlaß eines anderen Beschwerdeverfahrens mit Erkenntnis vom 16. Juni 1998, V6-8/98, ausgesprochen, daß der letzte Absatz des Punktes 1 und der erste Absatz des Punktes 3 des Erlasses des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 28.8.1996, Z35.402/24-A/96, weiters die Z5 und 6 des Erlasses des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 31.10.1996, Z35.402/36-7/96, sowie der - einen integrierenden Bestandteil des erstgenannten Erlasses bildende - "Leitfaden für die Anwendung" des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG-Türkei vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (Stand März 1997) zur Gänze gesetzwidrig waren.

Gemäß Art139 Abs6 B-VG wirkt die Aufhebung einer Verordnung auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als gesetzwidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde liegenden Tatbestands nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art139 Abs6 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Verordnungsprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Verordnungsprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (vgl. VfSlg. 10616/1985, 10736/1985, 10954/1986).

Die nichtöffentliche Beratung im Verordnungsprüfungsverfahren V6-8/98 hat am 15. Juni 1998 begonnen. Die Beschwerde ist am 31. Dezember 1997 beim Verfassungsgerichtshof eingelangt; sie war also zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig. Der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Beurteilung der Anforderungen des Begriffs des ordentlichen Wohnsitzes - wie die Formulierung des Bescheides zeigt (vgl. den 8. Absatz auf Seite 3 iVm Anm. 3 zu Art7 des Leitfadens) - eine Bestimmung der nunmehr als gesetzwidrig aufgehobenen Verordnung an. Es ist nach Lage des Falles nicht von vornherein ausgeschlossen, daß dadurch die Rechtssphäre der beschwerdeführenden Partei nachteilig beeinflußt wurde (vgl. VwGH 97/09/0152 vom 18.12.1997). Die Beschwerdeführerin wurde somit wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt.

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

2. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG abgesehen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von 3.000 S enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:B2482.1997

Dokumentnummer

JFT_10019072_97B02482_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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