Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §1 Z4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des F M in Wien, geboren am 4. Juni 1974, vertreten durch Mag. Michael L. Lang, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Maria-Theresien-Straße 9, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. Oktober 2000, Zl. 211.219/0-III/12/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Nach dem übereinstimmenden Inhalt der Beschwerde und des damit vorgelegten angefochtenen Bescheides beantragte der Beschwerdeführer, nach seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, am 13. August 1998 die Gewährung von Asyl. Als Fluchtgründe habe er in seiner niederschriftlichen Einvernahme angegeben, er sei im Mai 1997 bzw. 1998 durch Regierungssoldaten verhaftet und durch Rebellen in ein Camp in der Nähe von Bo verbracht worden. Im Zuge der Einvernahme sei er auch zu Besonderheiten Sierra Leones, insbesondere zu solchen seiner angeblichen Heimatumgebung, befragt worden. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 5. Juli 1999 sei der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz abgewiesen und gemäß § 8 leg. cit. ausgesprochen worden, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei. Dies sei zusammengefasst damit begründet worden, dass der Beschwerdeführer widersprechende und unrichtige Angaben über alltägliche Angelegenheiten des Lebens in Sierra Leone gemacht habe und ihm die Grundkenntnisse zu spezifischen Eigenheiten dieses Landes fehlten, weshalb seinen Angaben kein Glaube geschenkt werde.
In seiner dagegen erhobenen Berufung habe er ausgeführt, dass die Regierung noch immer nach den Rebellen suche, um diese zu töten, und da er ein solcher sei, sein Leben weiterhin in Gefahr sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gleich der Behörde erster Instanz gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei. Dazu stellte sie nach Durchführung einer Berufungsverhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die englische Sprache sowie eines aus Sierra Leone stammenden Dolmetschers für die Sprachen Krio und Temne, der zudem als Sachverständiger für spezifische Eigenheiten von Sierra Leone bestellt worden sei, begründend fest, der Beschwerdeführer stamme nicht aus Sierra Leone. Auch ließen die Ermittlungsergebnisse des Berufungsverfahrens in ihrer Zusammenschau klar erkennen, dass der Beschwerdeführer weder in Freetown, noch sonst in Sierra Leone je gelebt habe. Der Beschwerdeführer habe zwar angegeben, der Volksgruppe Krio anzugehören, Krio und Englisch zu sprechen und seit seiner Geburt in Freetown gelebt zu haben und dort zur Schule gegangen zu sein. Er habe jedoch weder seine Adresse in Freetown noch zunächst den Namen seiner Schule, die er nach seinen Angaben sechs Jahre lang besucht habe, nennen können, die Bezeichnungen ihm genannter Stadtbezirke Freetowns nicht gekannt und ihm vorgehaltene Bilder mehrerer berühmter Bauwerke dieser Stadt sowie ein Bild des "Cotton Tree" nicht identifizieren können. Er habe weder die allen aus Sierra Leone Stammenden bekannte Nationalspeise "Plassas" noch die dort gebräuchlichen Grußworte gekannt. Obwohl er nach seinen Angaben neben Kleinwaren auch Zigaretten verkauft habe, habe er die billigsten einheimischen Zigarettenmarken nicht benennen können und die Währungseinheiten falsch angegeben. Die belangte Behörde spreche dem Beschwerdeführer daher jegliche Glaubwürdigkeit im Hinblick auf sein angegebenes Herkunftsland ab. Da somit auch die von ihm auf dieses Land bezogene Bedrohungssituation nicht zutreffe, erübrige sich eine weitere detaillierte Auseinandersetzung mit seiner vorgebrachten eigentlichen Fluchtgeschichte.
Zur Entscheidung nach § 8 Asylgesetz sei abgesehen davon, dass dem auf Sierra Leone bezogenen Vorbringen des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit versagt geblieben sei, festzuhalten, dass weder im Verfahren hervorgekommen noch bei der Behörde notorisch bekannt sei, dass im Entscheidungszeitpunkt im Hinblick auf das gesamte Staatsgebiet von Sierra Leone eine mit dem immer wieder aufflammenden Bürgerkrieg verbundene extreme Gefahrenlage mit besonders exzessiver und unkontrollierter Gewaltanwendung, vor allem gegenüber der Zivilbevölkerung, vorliege. Daher sei nicht zu erkennen, dass der Beschwerdeführer in Sierra Leone im Sinne des § 57 FrG bedroht wäre.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer wendet zunächst ein, die belangte Behörde habe lediglich eine Negativfeststellung dahingehend getroffen, dass er nicht aus Sierra Leone stamme, ohne jedoch gleichzeitig festzustellen, welche Staatsangehörigkeit er habe. Dies führe dazu, dass er "im Anwendungsbereich dieses Gesetzes als staatenlos anzusehen sei". Folglich hätte die belangte Behörde Feststellungen zu seinem letzten gewöhnlichen Aufenthaltsort treffen müssen. Da nicht feststehe, welcher Staat als Bezugspunkt für die Prüfung der Fluchtgründe in Betracht komme und eine Verfolgungsgefahr im Staat seines letzten gewöhnlichen Aufenthaltes (den er in der Beschwerde nicht benannte) nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne, werde "das Verfahren an die Erstbehörde zurückzuverweisen sein".
Mit diesen Ausführungen tritt der Beschwerdeführer weder der im angefochtenen Bescheid detailliert ausgeführten Beweiswürdigung noch dem Ermittlungsergebnis entgegen, dem zufolge er nicht aus Sierra Leone stammt. Die Beschwerde erachtet vielmehr die amtswegige Ermittlungspflicht in Bezug auf einen auch in der Beschwerde nicht genannten tatsächlichen Herkunftsstaat des Beschwerdeführers als nicht erfüllt.
Diese Rechtsansicht wird vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilt. Aus den §§ 6 und 7 AsylG ergibt sich in Verbindung mit § 3 leg. cit., dass ein Asylwerber zur Begründung seines Asylantrages konkret darzulegen hat, weshalb die für ihn asylrelevante Bedrohungssituation in welchem konkreten Staat verwirklicht sei. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 23. Juli 1999, Zl. 98/20/0464, ausgesprochen, dass es trotz amtswegiger Ermittlungspflicht der Asylbehörden gemäß § 28 AsylG, welche Bestimmung eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Pflicht zur amtswegigen Sachverhaltsermittlung und -feststellung darstellt, grundsätzlich dem Asylwerber obliegt, alles Zweckdienliche, insbesondere seine wahre Bedrohungssituation in dem seiner Auffassung nach auf ihn zutreffenden Herkunftsstaat, für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung vorzubringen.
Im Falle einer offensichtlich nicht den Tatsachen entsprechenden Behauptung, somit einer evident falschen Darstellung einer Bedrohungssituation in einem vom Asylwerber fälschlich als seinen Herkunftsstaat bezeichneten Staat, hat die Asylbehörde nach dem zitierten hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1999 ohne ein weiteres konkretes Vorbringen keine Veranlassung, Ermittlungen zur Ausforschung des (tatsächlichen) Herkunftsstaates des Asylwerbers anzustellen. Die Behörde ist nicht verhalten, in einem solchen Fall zu ermitteln, welcher allfällige Staat (der Welt) der (wahre) Herkunftsstaat des Asylwerbers sein könnte und ob er dort allenfalls im Sinne der Flüchtlingskonvention bedroht sein könnte. Der Annahme, der Asylwerber müsste bei nicht bekannt gegebenem (wahrem) Herkunftsstaat als staatenlos angesehen werden, steht schon die falsche Behauptung eines bestimmten Herkunftsstaates entgegen.
Die Beschwerde geht weiters unzutreffend davon aus, die von der belangten Behörde getroffene Negativfeststellung über die Herkunft des Beschwerdeführers lasse noch keinen Schluss darauf zu, dass eine Bedrohung seiner Person aus Gründen der Rasse, Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sozialgruppe oder auf Grund seiner politischen Gesinnung nicht vorliege. Da es nach dem Gesagten grundsätzlich dem Asylwerber obliegt, insbesondere seine wahre Bedrohungssituation in dem seiner Auffassung nach auf ihn zutreffenden Herkunftsstaat vorzubringen, ist die Angabe des Verfolgerstaates essenzieller Bestandteil der darzustellenden Bedrohungssituation. Es ist daher nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde (ohne sonstigen Hinweis für eine Verfolgung in einem tatsächlichen Herkunftsstaat) schon auf Grund der von ihr schlüssig angenommenen Unrichtigkeit der Angaben des Beschwerdeführers über seinen Herkunftsstaat sein weiteres Vorbringen zur Bedrohungssituation als nicht den Tatsachen entsprechend beurteilte, ohne ergänzend die mit der wahrheitswidrigen Behauptung eines bestimmten Herkunftsstaates verbundenen und auf diesen bezogenen "Fluchtgründe" - denen dann keine Asylrelevanz zukommen kann - zu erheben (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2001, Zl. 2000/01/0106).
Was die Entscheidung nach § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG anbelangt, ist die Behörde von der inhaltlichen Begründung der festgestellten Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nur wegen der ungeklärten Herkunft des Asylwerbers nicht entbunden. Anders als bei der Asylgewährung kommt es bei der Gewährung von Abschiebeschutz nicht darauf an, ob es sich beim Zielstaat um den (tatsächlichen) Herkunftsstaat des Betroffenen handelt. § 57 FrG stellt nämlich darauf ab, ob stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, der betreffende Fremde werde einer unmenschlichen Behandlung, Strafe oder der Todesstrafe unterworfen (Abs.1) oder der in Abs.2 leg.cit. genannten Bedrohung ausgesetzt, ohne dass diese Bestimmung einen Bezug zur Staatsangehörigkeit des Fremden herstellt (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2001).
Zur Frage, in Bezug auf welchen "Herkunftsstaat" im Sinne des § 8 AsylG bei ungeklärter Herkunft des Fremden die Voraussetzungen des § 57 FrG zu prüfen sind, hat der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0561, dargelegt, dass sich aufgrund der in dieser Bestimmung vorgenommenen Verknüpfung des Asylverfahrens mit der Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, welche gemäß § 75 FrG in Bezug auf den vom Antragsteller bezeichneten Staat zu prüfen ist, ergibt, dass gemäß § 8 AsylG keine Feststellung in Bezug auf einen unbekannten "tatsächlichen" Herkunftsstaat zu treffen ist, sondern die Gefährdungssituation in Bezug auf den Staat zu prüfen ist, hinsichtlich dessen auch die Flüchtlingseigenschaft des Asylwerbers auf Grund seines Antrages zu prüfen ist.
Zur vorliegenden Entscheidung nach § 8 AsylG wendet die Beschwerde zunächst ein, die belangte Behörde wäre bei Durchführung eines mängelfreien Verfahrens zum Schluss gekommen, es bestünden stichhaltige Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer in Sierra Leone Gefahr laufe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden. Sie zeigt aber die angeblich unterlassenen Verfahrensschritte der belangten Behörde und damit die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht auf.
Soweit die Beschwerde weiters allgemein auf die Situation für nach Sierra Leone zurückkehrende Rebellen der RUF hinweist, verhilft ihr dieser Einwand schon deshalb nicht zum Erfolg, weil die belangte Behörde auch bei ihrer Entscheidung nach § 8 AsylG davon ausgehen durfte, dass das auf seine Mitgliedschaft zur RUF bezogene Vorbringen des Beschwerdeführers nicht den Tatsachen entspricht.
Zutreffend geht der angefochtene Bescheid daher (wenngleich in knapper Form) auf die verbleibende Frage ein, inwieweit der Beschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung nach Sierra Leone - gleich der übrigen dortigen Zivilbevölkerung und unabhängig vom Wahrheitsgehalt seines Vorbringens - einer Bedrohung i.S. des § 57 FrG ausgesetzt wäre. Den dies verneinenden Ausführungen der belangten Behörde tritt die Beschwerde nicht konkret entgegen.
Da nach dem Gesagten bereits die Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht vorliegt, war sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nicht öffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 31. Mai 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2001200041.X00Im RIS seit
02.08.2001