TE Vwgh Erkenntnis 2001/5/31 99/20/0004

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Veröffentlicht am 31.05.2001
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AVG §67d;
EGVG Art2 Abs2 D Z43a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 14. November 1958 geborenen MA in Wien, vertreten durch Dr. Gabriele Buder-Steinhoff, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lerchenfelderstraße 94, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. Oktober 1998, Zl. 201.306/5-II/06/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,---- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Pakistan, reiste nach seinen Angaben am 1. März 1996 von Ungarn kommend unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet ein und stellte einen am 6. März 1996 beim Bundesasylamt eingelangten (schriftlichen) Antrag auf Gewährung von Asyl. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18. April 1996 wurde dieser Asylantrag gestützt auf § 2 Abs. 2 Z 3 des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, mit der Begründung abgewiesen, der Beschwerdeführer wäre bereits in einem anderen Staat (Ungarn) vor Verfolgung sicher gewesen.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung bestritt der Beschwerdeführer die angenommene Verfolgungssicherheit in Ungarn mit dieser Annahme entgegenstehenden Tatsachenbehauptungen. Zu seinen Fluchtgründen brachte er nun erstmals - im Verfahren vor dem Bundesasylamt wurde der Beschwerdeführer hiezu aus für das weitere Verfahren nicht mehr relevanten Gründen nicht einvernommen - vor, er sei als Aktivist der von der Regierung verfolgten Muslim Liga bereits zweimal (insgesamt fünf Monate lang) inhaftiert gewesen und habe sein Heimatland verlassen, weil ein neuerlicher Haftbefehl, der sich auf seinen politischen Aktivismus gründe, erlassen worden sei.

Mit "Verfahrensanordnungen" vom 20. Juli 1998 und vom 11. September 1998 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde unter Fristsetzung schriftlich aufgefordert, sein Berufungsvorbringen konkret zu belegen und (wie von ihm in der Berufung angekündigt) entsprechendes Beweismaterial (den Haftbefehl) vorzulegen sowie die behauptete zweimalige Inhaftierung zu konkretisieren und auch dazu Beweismaterial zu übermitteln.

Auf die zweite Aufforderung reagierte der Beschwerdeführer mit einem Schreiben vom 22. September 1998, in dem er um eine Fristverlängerung um sechs Wochen ersuchte; in dieser Zeit wäre es ihm möglich, das Beweismaterial vorzulegen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997, BGBl. I Nr.  76 (AsylG), ab. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, bei Zutreffen seiner Angaben in der Berufung wäre es dem Beschwerdeführer jedenfalls innerhalb der mit den angeführten Verfahrensanordnungen gewährten Frist möglich gewesen, die gestellten Fragen konkret zu beantworten und damit dem behördlichen Auftrag zu entsprechen. Dann wäre es allenfalls Sache der belangten Behörde gewesen, ergänzende Fragen zu stellen oder den Asylwerber zur Beibringung von anderen Beweismitteln aufzufordern. Da der Asylwerber innerhalb der zweimal gewährten Frist keinerlei konkretes Vorbringen erstattet habe, sei es der belangten Behörde unmöglich, dieses Verhalten des Beschwerdeführers anders zu deuten, als dass es ihm nicht gelungen sei, "iSd §§ 37, 39 Abs. 2 AVG iVm § 7 AsylG glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung drohe". Für die belangte Behörde sei es daher nicht glaubhaft, dass in Ansehung des Asylwerbers die tatbestandsmäßigen Voraussetzung des § 7 AsylG vorlägen. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG unterbleiben können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Nach dem (von der belangten Behörde zitierten) Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG ist auch auf das behördliche Verfahren des unabhängigen Bundesasylsenates das AVG anzuwenden, § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Das ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann der Fall, wenn der Sachverhalt nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und nach schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu in konkreter Weise behauptet wird. Wird im Berufungsverfahren ein konkreter, neuer Sachverhalt behauptet, so ist es dem unabhängigen Bundesasylsenat verwehrt, durch Würdigung der Berufungsangaben als unglaubwürdig den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen als geklärt anzusehen. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Wichtigkeit des persönlichen Eindruckes des entscheidenden Organes für die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers (vgl. etwa jüngst das hg. Erkenntnis vom 15. Februar 2001, Zl. 99/20/0031, mit dem Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0411).

Die belangte Behörde hat die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides, wonach für den Beschwerdeführer in Ungarn Verfolgungssicherheit im Sinne des § 2 Abs. 2 Z 3 des Asylgesetzes 1991 bestanden habe, in Anbetracht der inzwischen geänderten Rechtslage nicht übernommen und darauf die Abweisung der Berufung nicht gestützt. Vielmehr erachtete sie das in der Berufung erstmals erstattete Vorbringen zu den Fluchtgründen aus den oben (zusammengefasst) wiedergegebenen Erwägungen als nicht glaubwürdig, ohne jedoch eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen und den Beschwerdeführer einzuvernehmen. Die nicht näher begründete Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung widerspricht bei der gegebenen Verfahrenslage jedoch der dargestellten Auslegung des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG durch die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Es liegt daher insoweit jedenfalls ein Verfahrensmangel vor, den die Beschwerde im Ergebnis mit dem Hinweis auf die Verletzung der Ermittlungspflicht durch die belangte Behörde auch ausreichend geltend gemacht hat.

Hätte die belangte Behörde mit dem Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung durchgeführt, diesen vernommen und einen persönlichen Eindruck von ihm gewonnen, so ist aber nicht auszuschließen, dass sie sein Vorbringen für glaubwürdig erachtet hätte und zu einem anderen Verfahrensergebnis gelangt wäre. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 31. Mai 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999200004.X00

Im RIS seit

02.08.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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