Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §32 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 21. März 1962 geborenen ZM in Wien, vertreten durch Dr. Kurt Heller, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 16, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. Mai 1999, Zl. 206.462/0-I/02/98, betreffend die §§ 6 Z 2 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger aus Bangladesh, stellte am 24. Juli 1998 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Als fluchtauslösende Gründe stellte er dar, dass er als Mitglied der Partei Jamaeti Islami (JI) mit den Anhängern der Awami-League Probleme gehabt habe, seit diese 1996 an die Macht gekommen sei. So sei er in der zweiten Märzwoche 1998 in seinem Wohnort auf dem Weg nach Hause von zehn Awami-Anhängern angegriffen worden, habe aber flüchten können. Anfang Juni 1998 hätten die Awami-Anhänger ihn in Dhaka, wo er arbeite, angegriffen, wobei er erneut hätte flüchten können. Anzeige habe er aus Furcht vor einer Verhaftung keine erstattet. Am 21. Juni 1998 sei er schließlich geflohen. Bei einer Rückkehr würde er von Awami-Anhängern umgebracht werden, er habe auch Angst vor der Polizei.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 5. November 1998 den Asylantrag gemäß § 6 Z 2 des Asylgesetzes, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG), ab und stellte gemäß § 8 leg. cit. die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Bangladesh fest.
Der Beschwerdeführer stellte wegen der Versäumung der Berufungsfrist einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und verband diesen mit der Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 26. November 1998 wurde seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG stattgegeben.
Die belangte Behörde führte mit dem Beschwerdeführer am 4. Februar, am 3. März und am 11. März 1999 eine mündliche Verhandlung durch und wies mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid die Berufung des Beschwerdeführers unter Spruchpunkt I gemäß § 6 Z 2 AsylG ab; unter Spruchpunkt II stellte sie die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Bangladesh gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 des Fremdengesetzes (FrG) fest.
Als maßgebender Sachverhalt wurde - auf Grundlage der Niederschriften und der mit dem Beschwerdeführer durchgeführten mündlichen Verhandlungen - festgestellt, der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger von Bangladesh und Moslem sei seit 1979 Mitglied der Partei Jamaat-e-Islami. Er stamme aus einer religiösen Familie, sein Onkel habe 1969 für die Nationalratswahl kandidiert, die Wahl verloren und habe mit seiner gesamten Familie nach Pakistan auswandern müssen. Seither werde die Familie des Beschwerdeführers von der Awami-League (AL) in verschiedener Art und Weise unterdrückt, belästigt und bedroht. So habe der Vater des Beschwerdeführers das Land nicht bewirtschaften dürfen, der Beschwerdeführer sei in der Schule sozial isoliert worden. Sie seien mit dem Umbringen bedroht worden, wobei ein anderer Onkel im Jahre 1989 von AL-Anhängern ermordet worden sei. Seine Familie sei jedoch nicht geflohen, da sich die elterliche Landwirtschaft als Grundlage ihrer Ernährung im Heimatort befunden habe und sie nicht in einen anderen Landesteil eines überbevölkerten Staates flüchten wollten.
Der Beschwerdeführer habe im Jahr 1979 mit seiner politischen Tätigkeit begonnen; er habe einmal in der Woche für seine Partei durch Hausbesuche geworben. Dabei sei er immer wieder von AL-Anhängern auf der Straße angehalten und aufgefordert worden, die Partei zu verlassen. In Dhaka, an seinem Zweitwohnsitz, habe er in einer pharmazeutischen Fabrik gearbeitet. Am 21. Juli 1998 habe er Bangladesch verlassen.
Die belangte Behörde traf weiters auf Grundlage diverser Länderinformationsblätter des Schweizer Bundesamtes für Flüchtlinge, Länderberichte von amnesty international und des Deutschen Auswärtigen Amtes Feststellungen über die politische Situation in Bangladesch, über die Situation der Justiz und über die Partei des Beschwerdeführers.
Die vom Beschwerdeführer als fluchtauslösend genannten Ereignisse, nämlich die Verfolgung durch AL-Anhänger im März sowie im Juni 1998 erachtete die belangte Behörde als "nicht hinreichend glaubhaft" gemacht. Im Rahmen ihrer Beweiswürdigung führte die belangte Behörde aus, die überlegten Angaben des Beschwerdeführers zum Gedankengut und der JI-Partei ließen zu Recht vermuten, dass der Beschwerdeführer tatsächlich einfaches Mitglied der JI sei und aus einer in einem Naheverhältnis zu dieser Partei stehenden Familie stamme. Der Beschwerdeführer habe einen intelligenten Eindruck vermittelt und - durch näher dargelegte Verhaltensweisen -
sehr bedacht für die Asylgewährung nützliche Angaben gemacht. Der Beschwerdeführer habe in planmäßiger durchdachter Weise den Asylbehörden eine erfundene Fluchtgeschichte erzählt, um dadurch in Österreich Asyl zu erlagen. So seien mehrere - in der Begründung des angefochtenen Bescheides näher angegebene -Aspekte der Schilderung der fluchtauslösenden Ereignisse "schwer zu glauben" und sprächen auch - näher dargestellte - widersprüchliche Angaben hinsichtlich wesentlicher Punkte seiner Fluchtgeschichte gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers. Letztendlich sei durch das gesteigerte Vorbringen des Beschwerdeführers mit zunehmender Dauer der mündlichen Verhandlungen die "ernsten Zweifel am Wahrheitsgehalt" seiner Angaben bestätigt worden. So sei der Eindruck entstanden, der Beschwerdeführer habe in der Erkenntnis, dass seine Angaben von der belangten Behörde "nicht ohne weiteres geglaubt" würden, nachträglich weitere Fluchtgründe angegeben, welche aber weitaus wesentlicher als die bisher genannten gewesen seien, sodass nicht nachvollziehbar gewesen sei, warum er diese nicht schon früher angegeben habe. So habe der Beschwerdeführer erst gegen Ende der bereits über mehrere Stunden andauernden mündlichen Verhandlung die Existenz eines gegen ihn gerichteten Haftbefehles bekannt gegeben, obwohl er eine konkrete Frage danach in einer früheren Verhandlung verneint habe. Auch hinsichtlich seiner Haftdauer lägen einander widersprechende Angaben vor.
Nach Zitierung der § 6 Z. 2 und § 3 Abs. 1 Satz 1 AsylG 1997 führte die belangte Behörde aus, es sei bereits angeführt worden, aus welchen Gründen sie "die Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Berufungswerbers absprach". Doch selbst wenn seine Fluchtgeschichte als wahr angesehen würde, habe sie "im Lichte der Judikatur keine hinreichende Relevanz für eine Asylgewährung". Der Beschwerdeführer habe als fluchtauslösende Ereignisse lediglich eine Verfolgung nicht-staatlicher Gruppen, die nicht zu einem körperlichen Kontakt, geschweige zu Verletzungen etc. führten, genannt. Es fehle bereits der ungerechtfertigte Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen, die geeignet sei, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. die Rückkehr in diesen Staat zu begründen. Selbst wenn im Rahmen einer Zukunftsprognose unterstellt werden würde, dass "weitere Verfolgungen" zu befürchten wären, so könne der Beschwerdeführer diesen offensichtlich durch Ortswechsel in Dhaka selbst oder generell in Bangladesch entgehen. Im Übrigen belegten die Berichte, dass JI-Anhänger nicht einer "systematischen" Verfolgung in dem Sinne unterlägen, dass diese ein Maß an Nachhaltigkeit und Intensität aufwiesen, die einen weiteren Verbleib des Betroffenen im Heimatland als unerträglich erscheinen ließen. Dem Beschwerdeführer stehe ein unabhängiges Gerichtswesen offen, das ihn vor ungerechtfertigten Verfolgungen schützen könne.
Die belangte Behörde komme daher zum Ergebnis, das vorliegende Asylbegehren sei als offensichtlich unbegründet abzuweisen, weil es eindeutig jeder Grundlage entbehre. Die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgungsgefahr in Bangladesch sei - ohne sonstigen Hinweis auf eine Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat - "offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründe zurückzuführen".
Spruchteil II wurde damit begründet, dass es der Beschwerdeführer nicht vermocht habe, eine Gefahr im Sinne des § 57 Abs.1 und 2 FrG glaubhaft zu machen bzw. durch Bescheinigungsmittel zu belegen. Im Übrigen bestätigten die von der belangten Behörde eingeholten Berichte, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr nach Bangladesh "aus dem Grund der Abweisung seines Asylantrags in Österreich nicht in Gefahr" laufe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 6 AsylG lautet wie folgt:
"Offensichtlich unbegründete Asylanträge
§ 6. Asylanträge gemäß § 3 sind als offensichtlich
unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist der Fall, wenn ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat
1. sich dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht oder
2. die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat nach dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zurückzuführen ist oder
3. das Vorbringen der Asylwerber zu einer Bedrohungssituation offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht oder
4. die Asylwerber an der Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes trotz Aufforderung nicht mitwirken oder
5. im Herkunftsstaat auf Grund der allgemeinen politischen Verhältnisse, der Rechtslage und der Rechtsanwendung in der Regel keine begründete Gefahr einer Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe besteht."
Bereits das Bundesasylamt hatte den Asylantrag des Beschwerdeführers nach § 6 Z 2 AsylG als offensichtlich unbegründet abgewiesen. Dies mit der Begründung, eine Verfolgung des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat "aus asylrelevanten Gründen" könne mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden; der Asylantrag entbehre eindeutig jeder Grundlage, weshalb er offensichtlich unbegründet sei. Auf Grund der Abweisung des Asylantrags wegen offensichtlicher Unbegründetheit gemäß § 6 AsylG durch die Behörde erster Instanz war Sache des Berufungsverfahrens allein die zu beurteilende Frage, ob die Auffassung des Bundesasylamtes, der Antrag der Beschwerdeführerin sei "offensichtlich unbegründet", zutrifft (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1999, Zl. 99/20/0208). Dabei sind auch die in der Berufung vorgebrachten Neuerungen im Berufungsverfahren nur daraufhin zu prüfen, ob der Asylantrag mit Rücksicht auf sie noch eindeutig jeder Grundlage entbehrt.
Die belangte Behörde hat zum einen die Unglaubwürdigkeit der Schilderung der fluchtauslösenden Ereignisse angenommen, zum anderen mit fehlender Intensität der Privatverfolgung bei gewährleistetem staatlichen Schutz und dem Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative argumentiert. Mit keiner dieser beiden Begründungslinien stellt sie aber einen tragfähigen Zusammenhang zu einem der Tatbestände des § 6 AsylG her.
§ 6 Z 2 AsylG, der in Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides ausdrücklich als einziger Abweisungsgrund angeführt wird und auf den auch die Rechtsausführungen der belangten Behörde abzielen, kommt nur dann zum Tragen, wenn die behauptete Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat offensichtlich nicht auf die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründe zurückzuführen ist. Vom Fehlen eines derartigen Zusammenhanges kann aber keinesfalls die Rede sein, stellt die belangte Behörde doch selbst die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu einer politischen Partei fest und behauptet dieser eine aus dieser Zugehörigkeit resultierende Verfolgung aus politischen Gründen. Die vom Beschwerdeführer behauptete Verfolgungsgefahr, deren Glaubwürdigkeit in diesem Zusammenhang dahinstehen kann, bezieht sich daher eindeutig auf einen der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv genannten Gründe (hier: politische Überzeugung), weshalb die Heranziehung der Z 2 des § 6 AsylG schon aus diesem Grund ausscheidet.
Aber auch die Voraussetzungen der Z 3 und Z 1 des § 6 AsylG, die als einzige Abweisungsgründe (des § 6 AsylG) unter den von der belangten Behörde herangezogenen Gesichtspunkten in Frage kämen, liegen nicht vor.
§ 6 Z 3 AsylG bezieht sich darauf, dass das Vorbringen des Asylwerbers zu einer Bedrohungssituation "offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht". Die belangte Behörde hat aber keinen Versuch unternommen, den bekämpften Bescheid auf diese Bestimmung oder das Vorliegen ihrer Voraussetzungen zu stützen. Nicht nur im Spruch des angefochtenen Bescheides fehlt eine Bezugnahme auf diese Bestimmung, auch in der Begründung wird nicht dargetan, dass eine "offensichtliche Tatsachenwidrigkeit" vorliege. Mit den Darlegungen zur (schlichten) Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers wird keine offensichtliche Tatsachenwidrigkeit i. S. des von der belangten Behörde der Entscheidung auch nicht zu Grunde gelegten § 6 Z 3 AsylG, dh. einer qualifizierten Unglaubwürdigkeit, aufgezeigt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 7. September 2000, Zl. 99/01/0273, und vom 22. Mai 2001, Zl. 2000/01/0294).
Insofern die belangte Behörde zur Begründung ihrer Subsumtion des Falles unter § 6 Z. 2 AsylG damit argumentiert, die Verfolgung sei zu wenig intensiv, sei von Privatpersonen ausgegangen, es wäre staatlicher Schutz dagegen anrufbar gewesen und eine innerstaatliche Fluchtalternative liege vor, übersieht sie, dass die letztgenannten Aspekte unter keinen der Tatbestände des § 6 AsylG fallen und daher nur unter dem Gesichtspunkt einer Prüfung gemäß § 7 AsylG Bedeutung erlangen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, m.w.N). Die von der belangten Behörde angenommene fehlende Intensität der vom Beschwerdeführer - - seinen Behauptungen zufolge - vor seiner Ausreise erfahrenen Verfolgung wäre in Verbindung mit seinem übrigen Vorbringen aber keine geeignete Grundlage für die Schlussfolgerung, schon aus seinem Vorbringen lasse sich im Sinne des § 6 Z. 1 AsylG "offensichtlich nicht die Behauptung" einer ihm im Herkunftsstaat drohenden Verfolgung entnehmen. Auch auf diesen Tatbestand des § 6 AsylG ließe sich die Entscheidung der belangten Behörde somit nicht stützen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Wien, am 7. Juni 2001
Schlagworte
Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Inhalt der BerufungsentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999200429.X00Im RIS seit
21.02.2002