RS UVS Oberösterreich 1995/05/04 VwSen-230432/6/Br/Bk

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Veröffentlicht am 04.05.1995
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Rechtssatz

Als Vorfrage war zunächst zu klären, ob einerseits eine Versammlung nach dem Versammlungsgesetz vorlag und ob diese zu untersagen war und nach den gegebenen Umständen aufgelöst werden durfte bzw. mußte (VfGH 23.9.1983, Zl. 23/09/1983).

Eine Versammlung ist unter anderem dann den Vorschriften des VersG 1953 zuwider veranstaltet, wenn sie nicht ordnungsgemäß angezeigt wurde, obgleich hiezu die Verpflichtung bestand. Wie der VfGH schon wiederholt ausgesprochen hat, ist die Zusammenkunft mehrerer Personen dann als Versammlung iS des VersG 1953 zu werten, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen (VfGH Slg.Nr. 9783/1983). Das Anbringen zahlreicher Transparente, deren eindeutiger Inhalt sich gegen den Bau eines Teilstückes der Pyhrnautobahn richtete, und der von den Teilnehmern geflogene Aktionismus (Anketten an Baufahrzeugen, Erklettern von Betonsilos udgl.) läßt an einer Assoziation der Zusammengekommenen keinen Zweifel aufkommen (VfGH 23.9.1983, B 671/80). Die Versammlung war demnach nicht bloß auf geladene Gäste beschränkt und damit nicht von der Anzeigepflicht nach § 2 Versammlungsgesetz ausgenommen. Dies ist nämlich nur dann der Fall, wenn die Teilnehmer persönlich und individuell vom Veranstalter der Versammlung zum Erscheinen geladen werden und wenn der Veranstalter Vorkehrungen trifft, durch die die Nichtzulassung Ungeladener gesichert ist (vgl. VfSlg. 7762/1976; VfGH 23.9.1983 B 671/80). Der Aufruf (auch) per Plakat zum "Actions-Camp" läßt keinen Anhaltspunkt dafür zu, daß es sich hier um eine individuelle Einladung jedes einzelnen Teilnehmers und um eine geschlossene Veranstaltung gehandelt hätte. Geschlossene Veranstaltungen können wohl auch nur auf hiefür geeigneten Veranstaltungsstätten abgeführt werden und nicht auf Baustellen, wobei die Frage der Inanspruchnahme dieser Baustelle für diesen Zweck ein hier nicht zu erörterndes Rechtsproblem darstellt. Ebenfalls kann die auf einen anderen Zweck gerichtete Verbarrikadierung der Baustelleneinfahrt nicht als Besorgung der Vermeidung des Zutrittes Ungeladener erachtet werden. Außerdem war die Baustelle auch über die Eisenbahnanlage zugänglich. Auf diesem Wege gelangte etwa der Teilnehmer H. - welcher über die Medien von der Veranstaltung erfahren hatte - nach seinen eigenen Angaben auf die Baustelle. Diese Veranstaltung wäre daher der Behörde anzuzeigen gewesen. Die Behörde darf - wie schon aus dem Wortlaut des § 13 Abs.1 VersG hervorgeht - eine gegen die Vorschriften dieses Gesetzes veranstaltete Versammlung nur "nach Umständen" auflösen (mit Hinweis auf VfSlg. 7762/1976 und VfGH 23.9.1983, B 671/80). Für eine behördliche Versammlungsauflösung muß also ein zureichender Grund vorliegen. Das im jeweiligen Fall - hier als Vorfrage vom unabhängigen Verwaltungssenat selbständig zu beurteilen - rechtmäßige Verhalten der Behörde ist wohl vor dem Hintergrund der Versammlungsfreiheit zu beurteilen.

Der staatsvertragliche (materielle) Gesetzesvorbehalt, wie er im Art.11 Abs.2 MRK umschrieben wird, gilt auch im innerstaatlichen Bereich und leitet die Vollzugsorgane an, wann sie einen zureichenden Grund für eine Versammlungsauflösung annehmen dürfen (vgl. hiezu das die Ermächtigung der Behörde, einen Verein aufzulösen, betreffende Erk. VfSlg. 8090/1977).

Die Umstände, die zur Verletzung der Anzeigepflicht hinzuzutreten haben, um eine Versammlungsauflösung zu rechtfertigen, müssen also so geartet sein, daß ohne diese Maßnahme eines der in der zitierten Konventionsnorm aufgezählten Schutzgüter gefährdet wäre. Nach der sich aus Art.11 Abs.2 MRK ergebenden Richtlinie ist dies u.a. die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung, des Schutzes der Gesundheit sowie der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (VfGH Slg. 6883/1972, sowie VfGH 23.6.1977, B 209/76). Im gegenständlichen Fall war der Eingriff der Behörde zwecks Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, ferner zum Schutz des Eigentums der Baustellenbetreiber, insbesondere aber zum gesundheitlichen Schutz der sich an Baumaschinen festgeketteten Teilnehmer selbst, berechtigt, ja gefordert. Wie oben bereits dargelegt galt es, durch die von mehreren Demonstrationsteilnehmern mittels einer ihren Hals eng umschließenden Fixierung eine nicht unerhebliche Gefahr von diesen Personen selbst abzuwenden. Ob solche Umstände vorlagen, hatte das Behördenorgan nach dem Bild zu beurteilen, das sich ihm an Ort und Stelle bot. Dies mußte der Veranstalter, der hier auch seiner Anzeigepflicht nicht nachgekommen ist, gegen sich gelten lassen; er hatte demnach auch in Kauf zu nehmen, daß kein eigentliches Ermittlungsverfahren durchgeführt werden konnte und daß es der Behörde in der Regel auch nicht mehr möglich gewesen sein wird, allenfalls erforderliche, den ungehinderten Ablauf der Versammlung sichernde Vorkehrungen zu treffen. Hier wurde obendrein ohnedies erst eingegriffen, als der Zweck der Demonstration/Manifestation weitestgehend erreicht gewesen schien.

Zum Zeitpunkt der Auflösung konnte das einschreitende Organ des Bezirkshauptmannes nach dem sich ihm bietenden Gesamtbild mit gutem Grund den Eindruck gewinnen, daß sich bei dem genommenen Verlauf der Versammlung strafgesetzwidrige Vorgänge, Beschädigungen von Baumaschinen ereignen würden, insbesondere aber die akute Selbstgefährdung von Teilnehmern gegeben war (VfGH 10.6.1985, B 567/84). Die Beurteilung des Handelns der Behörde hatte hier aus einer ex-ante Sicht zu erfolgen.

Wenn sich nun der Berufungswerber noch vor dem ausgesprochenen Verbot der Veranstaltung sich des Schlüssels für die an seinem Körper selbst angebrachte Sperrvorrichtung begeben haben sollte (was wohl nicht konkret behauptet wurde) oder er diesen nicht freiwillig aushändigte und er aus diesem Grunde der Aufforderung der Behörde nicht mehr Folge leisten konnte, ist ihm trotzdem vorsätzliche Begehungsweise vorzuwerfen. Er hatte sich selbst in eine Lage gebracht, aus welcher er nach Auflösung der Veranstaltung nicht mehr sein rechtmäßiges Verhalten disponieren konnte. Eine selbstverschuldete Zwangslage ist kein Schuldausschließungsgrund (VwGH 8.9.1969, 1708/68, 22.4.1976. 1705/75, 15.4.1983, 82/04/0169 u. v. 25.11.1986, 86/04/0116, Hauer-Leukauf, Handbuch des öst. Verwaltungsverfahrens, S. 737, RZ 5). Als Teilnehmer an einer Demonstration an deren Zuspitzung er durch sein Anketten selbst beteiligt war, mußte er auch mit einer Auflösung derselben rechnen. Durch die Begebung des Schlüssels hat er zumindest in Kauf genommen, daß er einer zu erwartenden Aufforderung, die Baustelle zu verlassen, nicht mehr befolgen werde können.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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