Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ASVG §4 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde 1.) der S und 2.) des A, beide in L und vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 25. November 1994, Zl. 123.124/1-7/94, betreffend Wiederaufnahme des mit Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 13. November 1992 abgeschlossenen Verfahrens (mitbeteiligte Partei:
Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, Gruberstraße 77, 4021 Linz), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführer haben dem Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hinsichtlich der Darstellung des Sachverhaltes auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. April 1993, Zl. 93/08/0007, und den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Oktober 1994, Zl. 94/08/0163, verwiesen.
Mit dem genannten Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof die Beschwerde der beschwerdeführenden Parteien gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 13. November 1992 betreffend Verneinung der Versicherungspflicht der Erstbeschwerdeführerin nach dem ASVG und AlVG hinsichtlich der gemeldeten Tätigkeit beim Zweitbeschwerdeführer vom 1. Oktober 1986 bis 31. Dezember 1986 und vom 2. Mai 1988 bis laufend (November 1992) als unbegründet abgewiesen. Die Feststellungen der belangten Behörde über die fehlende Entgeltlichkeit der von der Erstbeschwerdeführerin erbrachten Dienstleistungen beim Zweitbeschwerdeführer seien nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu beanstanden gewesen.
Mit dem genannten Beschluss vom 25. Oktober 1994 gab der Verwaltungsgerichtshof dem Antrag der Beschwerdeführer auf Wiederaufnahme des mit Erkenntnis vom 27. April 1993, Zl. 93/08/0007, abgeschlossenen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht statt. In der Begründung führte der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführer hätten vorgebracht, die im zur Zl. 93/08/0007 protokollierten Beschwerdeverfahren entscheidungswesentliche Vorfrage, dass kein Dienstverhältnis der Erstbeschwerdeführerin zum Zweitbeschwerdeführer im Sinne des ASVG vorgelegen sei, sei nunmehr vom zuständigen Gericht (Landesgericht Linz als Arbeits- und Sozialgericht) in einem arbeitsrechtlichen Verfahren dahingehend anders beurteilt worden, als das Gericht vom aufrechten Bestand eines Dienstverhältnisses ausgegangen sei und den Zweitbeschwerdeführer dazu verurteilt habe, an die Erstbeschwerdeführerin für das streitgegenständliche Dienstverhältnis an Gehaltsforderungen einen Betrag von S 62.389,--
netto zu bezahlen, worüber am 6. Juni 1994 ein Zahlungsbefehl ergangen sei. Da vom zuständigen Gericht eine Vorfrage anders beurteilt worden sei als vom Verwaltungsgerichtshof, liege ein Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 45 VwGG vor.
Der Verwaltungsgerichtshof teilte diese Auffassung jedoch nicht, da seiner Ansicht nach ein im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 VwGG zulässiger Wiederaufnahmegrund gar nicht geltend gemacht worden sei: Der Wiederaufnahmegrund der anders lautenden Vorfragenbeurteilung gelte zwar im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG im Verwaltungsverfahren, gemäß § 45 Abs. 4 VwGG sei diese Bestimmung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren jedoch nur dann anzuwenden, wenn der Verwaltungsgerichtshof über eine Säumnisbeschwerde in der Sache selbst entschieden habe. In dem zur Zl. 93/08/0007 protokollierten Beschwerdeverfahren sei jedoch über eine Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 13. November 1992 entschieden worden.
Mit dem im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführer auf Wiederaufnahme des mit Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 13. November 1992 abgeschlossenen Verfahrens von der belangten Behörde gemäß § 69 Abs. 1 AVG wegen Nichtvorliegen von Wiederaufnahmegründen abgelehnt.
Nach der Begründung hätten die Beschwerdeführer vorgebracht, die Behörden seien im Verwaltungsverfahren davon ausgegangen, dass die Erstbeschwerdeführerin beim Zweitbeschwerdeführer unentgeltlich tätig gewesen sei, zumal eine freundschaftliche Beziehung bestehe und überdies in der Buchhaltung des Zweitbeschwerdeführers die Entgeltzahlungen für das behauptete Dienstverhältnis nicht nachvollziehbar seien. Die Beschwerdeführer hätten nunmehr den (bereits oben erwähnten) rechtskräftigen Zahlungsbefehl des Arbeits- und Sozialgerichtes vom 6. Juni 1994, zugestellt am 8. Juli 1994, erwirkt. Daher sei die entscheidungswesentliche Vorfrage für das Bestehen eines Dienstverhältnisses von dem hiefür zuständigen Gericht anders beurteilt worden als von den im Verwaltungsverfahren eingeschrittenen Behörden. Es liege somit der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG vor. Die Entscheidung des Arbeits- und Sozialgerichtes stelle im Übrigen als neue Tatsache und Beweismittel auch einen Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG dar.
Die belangte Behörde vertrat zu diesem Vorbringen unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Dezember 1984, Zl. 83/08/0252, - zusammengefasst - die Auffassung, es bestehe keine Bindung an arbeitsgerichtliche Urteile, da zwischen dem zivilrechtlichen und dem sozialversicherungsrechtlichen Begriff des Dienstverhältnisses große Unterschiede bestünden. Aus diesem Grund sei eine Wiederaufnahme gemäß § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG ausgeschlossen.
Der Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG sei schon deshalb nicht gegeben, da es sich bei dem Zahlungsbefehl nicht um neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel handle, die bereits zur Zeit des Verfahrens bestanden hätten, aber erst später bekannt geworden seien.
Im Bescheid der belangten Behörde vom 13. November 1992 sei die Berufung der Beschwerdeführer gegen die Verneinung des Vorliegens einer Formalversicherung mangels Zuständigkeit zurückgewiesen worden. Eine Formalversicherung gemäß § 21 ASVG bestehe nur dann, wenn auf Grund einer nicht vorsätzlich unrichtigen Anmeldung Beiträge drei Monate hindurch vom Sozialversicherungsträger unbeanstandet entgegengenommen worden seien. Aus dem (allfälligen) Bestehen eines Entgeltanspruches oder eines Dienstvertrages könne für die Frage, ob eine nicht vorsätzlich unrichtige Meldung erfolgt sei, allerdings nichts gewonnen werden. Der Antrag auf Wiederaufnahme sei auch diesbezüglich abzulehnen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen; sie beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Die mitbeteiligte Oberösterreichische Gebietskrankenkasse hat eine Gegenschrift erstattet, in der beantragt wird, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
In der Beschwerde wird zunächst im Wesentlichen vorgebracht, im Verwaltungsverfahren sei die Vorfrage streitgegenständlich gewesen, ob zwischen der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweitbeschwerdeführer ein aufrechtes Dienstverhältnis bestanden habe. Die Verwaltungsbehörden hätten diese Frage nach Durchführung eines Beweisverfahrens verneint. Nunmehr sei vom hiefür ausschließlich zuständigen Arbeits- und Sozialgericht rechtsverbindlich festgestellt worden, dass im fraglichen Zeitraum ein Dienstverhältnis bestanden habe. Vom Gericht sei somit eine im Verwaltungsverfahren präjudizielle Vorfrage rechtskräftig anders entschieden worden als von der Verwaltungsbehörde. Es liege somit der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 lit. c (gemeint: Z. 3) AVG vor. Die Verwaltungsbehörden seien an rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen gebunden. Auch ein Zahlungsbefehl stelle eine gerichtliche Entscheidung dar und entfalte die entsprechende Bindungswirkung für die Verwaltungsbehörde. Auch aus dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Oktober 1994, Zl. 94/08/0163, könne abgeleitet werden, dass der Verwaltungsgerichtshof in der arbeitsgerichtlichen Entscheidung den Wiederaufnahmegrund der anders lautenden Vorfragenbeurteilung als gegeben angenommen habe. Im Übrigen liege auch der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG vor.
Gemäß § 69 Abs. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:
1.
...., (nicht entscheidungsrelevant)
2.
neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder
3. der Bescheid gemäß § 38 von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde.
Was die Behauptung des Vorliegens des Wiederaufnahmegrundes des § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG anlangt, so ist zunächst darauf zu verweisen, dass die Frage der Entgeltlichkeit eines Beschäftigungsverhältnisses im Verwaltungsverfahren keine "Vorfrage" im Sinne des § 38 AVG darstellt, die von den Verwaltungsbehörden bloß zu beurteilen wäre. Ob eine Person gemäß § 4 Abs. 2 ASVG in einem Verhältnis persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegen Entgelt beschäftigt wird, ist von den Verwaltungsbehörden vielmehr auf Grund ihrer Ermittlungsergebnisse als Hauptfrage zu entscheiden (festzustellen).
Die Frage der Entgeltlichkeit der Beschäftigung der Erstbeschwerdeführerin beim Zweitbeschwerdeführer wurde vom Arbeits- und Sozialgericht im erwähnten Mandatsverfahren auch nicht als Hauptfrage entschieden, sondern dem Zweitbeschwerdeführer (als beklagter Partei) lediglich aufgetragen, der Erstbeschwerdeführerin (als Klägerin) die aus dem Titel von Gehaltsforderungen für die Kalenderjahre 1988 und 1989 eingeklagte Forderung von S 62.389,-- samt Kosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen. Die Besonderheit des Mandatsverfahrens nach der ZPO besteht darin, dass auf Grund eines mit der Klage verbundenen Antrages auf Erlassung eines Zahlungsauftrages ein "summarisches Verfahren mit eingeschränkter Sachprüfung (bloß anhand der vorgelegten Urkunden)" eingeleitet wird. Werden gegen den daraufhin erlassenen Zahlungsauftrag (Mandat) nicht (rechtzeitig) Einwendungen erhoben, so wird dieser rechtskräftig und bildet einen Exekutionstitel (vgl. z.B. Rechberger/Simotta, Grundriss des österreichischen Zivilprozessrechts, 5. Aufl., Rz 926 ff).
Die belangte Behörde hat daher zu Recht im Zahlungsbefehl des Arbeits- und Sozialgerichtes vom 6. Juni 1994 keinen Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z. 3 AVG erblickt.
Gegenteiliges ist auch dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Oktober 1994, Zl. 94/08/0163, nicht zu entnehmen. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Beschluss vielmehr die Auffassung vertreten, dass es einer Erörterung der Frage, ob der von den Beschwerdeführern geltend gemachte Sachverhalt als Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 69 AVG tauglich wäre, unter den gegebenen Umständen gar nicht bedurfte.
Auf das Vorbringen der Beschwerdeführer, der Zahlungsbefehl stelle auch einen Wiederaufnahmegrund im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG dar, ist Folgendes zu erwidern:
Der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z. 2 AVG kann nur auf solche Tatsachen und Beweismittel gestützt werden, die erst nach Abschluss eines Verfahrens hervorgekommen sind und deshalb von der Partei ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten. Es muss sich also um Tatsachen und Beweismittel handeln, die beim Abschluss des wieder aufzunehmenden Verfahrens schon vorhanden waren, deren Verwertung der Partei aber ohne ihr Verschulden erst nachträglich möglich wurde, nicht aber, wenn es sich um erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verfahrens neu entstandene Tatsachen und Beweismittel handelt (vgl. dazu etwa die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Aufl., zu § 69 AVG wiedergegebene ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere E 123 ff ). Der gegenständliche Zahlungsbefehl vom 6. Juni 1994 ist allerdings erst nach Abschluss des seinerzeitigen Verwaltungsverfahrens neu entstanden.
Den Beschwerdeführern ist auch nicht zu folgen, wenn sie die Auffassung vertreten, der Zahlungsbefehl hätte zu der Beurteilung führen müssen, dass zumindest die gesetzlichen Kriterien für das Vorliegen einer Formalversicherung gegeben seien:
In Angelegenheiten der Formalversicherung ist eine Berufung im Sinne des § 415 ASVG an den Bundesminister nicht zulässig (vgl. etwa das Erkenntnis vom 13. September 1985, Zl. 82/08/0071). Die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Landeshauptmannes wurde daher mit dem Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 3. November 1992 wegen Unzuständigkeit zurückgewiesen. Inwiefern diesbezüglich durch den mehrfach genannten Zahlungsbefehl die Wiederaufnahmegründe des § 69 Abs. 1 Z. 2 und 3 AVG vorliegen sollten, ist nicht ersichtlich.
Die vorliegende Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 20. Juni 2001
Schlagworte
Dienstnehmer Begriff Künstlerische TätigkeitDienstnehmer Begriff Beschäftigung gegen EntgeltNeu hervorgekommene entstandene Beweise und Tatsachen nova reperta nova productaDienstnehmer Begriff Wirtschaftliche AbhängigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1995080036.X00Im RIS seit
22.11.2001Zuletzt aktualisiert am
11.10.2010