RS UVS Oberösterreich 1995/06/01 VwSen-230420/8/Br

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Veröffentlicht am 01.06.1995
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Rechtssatz

Als Vorfrage war zunächst zu klären, ob einerseits eine Versammlung nach dem Versammlungsgesetz vorlag und ob diese zu untersagen war und nach den gegebenen Umständen aufgelöst werden durfte bzw. mußte (VfGH 23.9.1983, Zl. 23/09/1983).

Eine Versammlung ist unter anderem dann den Vorschriften des VersG 1953 zuwider veranstaltet, wenn sie nicht ordnungsgemäß angezeigt wurde, obgleich hiezu die Verpflichtung bestand. Wie der VfGH schon wiederholt ausgesprochen hat, ist die Zusammenkunft mehrerer Personen dann als Versammlung iS des VersG 1953 zu werten, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen (VfGH Slg.Nr. 9783/1983). Durch das Anbringen zahlreicher Transparente deren eindeutiger Inhalt sich gegen den Bau eines Teilstückes der Pyhrnautobahn richtete und der von den Teilnehmern geflogene Aktionismus (Anketten an Baufahrzeugen, Erklettern von Betonsilos udgl.) läßt an einer Assoziation der Zusammengekommenen keinen Zweifel aufkommen (VfGH 23.9.1983, B 671/80). Die Versammlung war demnach nicht bloß auf geladene Gäste beschränkt und damit nicht von der Anzeigepflicht nach § 2 Versammlungsgesetz ausgenommen. Dies ist nämlich nur dann der Fall, wenn die Teilnehmer persönlich und individuell vom Veranstalter der Versammlung zum Erscheinen geladen werden und wenn der Veranstalter Vorkehrungen trifft, durch die die Nichtzulassung Ungeladener gesichert ist (vgl. VfSlg. 7762/1976; VfGH 23.9.1983 B 671/80). Der Aufruf (auch) per Plakat zum "Actions-Camp" läßt keinen Anhaltspunkt dafür zu, daß es sich hier um eine individuelle Einladung jedes einzelnen Teilnehmers und um eine geschlossene Veranstaltung gehandelt hätte. Geschlossene Veranstaltungen können wohl auch nur auf hiefür geeigneten Veranstaltungsstätten abgeführt werden und nicht auf Baustellen, wobei die Frage der Inanspruchnahme dieser Baustelle für diesen Zweck ein hier nicht zu erörterndes Rechtsproblem darstellt. Ebenfalls kann die auf einen anderen Zweck gerichtete Verbarrikadierung der Baustelleneinfahrt nicht als Besorgung der Vermeidung des Zutrittes Ungeladener erachtet werden.

Außerdem war die Baustelle auch über die Eisenbahnanlage zugänglich. Auf diesem Wege gelangte etwa der Teilnehmer H - welcher über die Medien von der Veranstaltung erfahren hatte - nach seinen eigenen Angaben auf die Baustelle. Diese Veranstaltung wäre daher der Behörde anzuzeigen gewesen.

Die Behörde darf - wie schon aus dem Wortlaut des § 13 Abs.1 VersG hervorgeht - eine gegen die Vorschriften dieses Gesetzes veranstaltete Versammlung nur "nach Umständen" auflösen (mit Hinweis auf VfSlg. 7762/1976 und VfGH 23.9.1983, B 671/80). Für eine behördliche Versammlungsauflösung muß also ein zureichender Grund vorliegen. Das im jeweiligen Fall - hier als Vorfrage vom unabhängigen Verwaltungssenat selbständig zu beurteilen - rechtmäßige Verhalten der Behörde ist wohl vor dem Hintergrund der Versammlungsfreiheit zu beurteilen.

Der staatsvertragliche (materielle) Gesetzesvorbehalt, wie er im Art.11 Abs.2 MRK umschrieben wird, gilt auch im innerstaatlichen Bereich und leitet die Vollzugsorgane an, wenn sie einen zureichenden Grund für eine Versammlungsauflösung annehmen dürfen (vgl. hiezu das die Ermächtigung der Behörde, einen Verein aufzulösen, betreffende Erk. VfSlg. 8090/1977).

Die Umstände, die zur Verletzung der Anzeigepflicht hinzuzutreten haben, um eine Versammlungsauflösung zu rechtfertigen, müssen also so geartet sein, daß ohne diese Maßnahme eines der in der zitierten Konventionsnorm aufgezählten Schutzgüter gefährdet wäre. Nach der sich aus Art.11 Abs.2 MRK ergebenden Richtlinie ist dies u.a. die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung, des Schutzes der Gesundheit sowie der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (VfGH Slg. 6883/1972, sowie VfGH 23.6.1977, B 209/76). Im gegenständlichen Fall war der Eingriff der Behörde zwecks Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, ferner zum Schutz des Eigentums der Baustellenbetreiber, insbesondere aber zum gesundheitlichen Schutz der sich an Baumaschinen festgeketteten Teilnehmer selbst, berechtigt, ja gefordert.

Wie oben bereits dargelegt galt es, durch die von mehreren Demonstrationsteilnehmern mittels einer ihren Hals eng umschließende Bügel vorgenommenen Fixierung, eine nicht unerhebliche Gefahr von diesen Personen selbst abzuwenden. Ob solche Umstände vorlagen, hatte das Behördenorgan nach dem Bild zu beurteilen, das sich ihm an Ort und Stelle bot. Dies mußte der Veranstalter, der hier auch seiner Anzeigepflicht nicht nachgekommen ist, gegen sich gelten lassen; er hatte demnach auch in Kauf zu nehmen, daß kein eigentliches Ermittlungsverfahren durchgeführt werden konnte und daß es der Behörde in der Regel auch nicht mehr möglich gewesen sein wird, allenfalls erforderliche, den ungehinderten Ablauf der Versammlung sichernde Vorkehrungen zu treffen. Hier wurde obendrein ohnedies erst eingegriffen als der Zweck der Demonstration/Manifestation weitestgehend erreicht gewesen schien.

Zum Zeitpunkt der Auflösung konnte das einschreitende Organ des Bezirkshauptmannes nach dem sich ihm bietenden Gesamtbild mit gutem Grund den Eindruck gewinnen, daß sich bei dem genommenen Verlauf der Versammlung strafgesetzwidrige Vorgänge, Beschädigungen von Baumaschinen ereignen würden, insbesondere aber die akute Selbstgefährdung von Teilnehmern gegeben war (VfGH 10.6.1985, B 567/84). Die Beurteilung des Handelns der Behörde hatte hier aus einer ex-ante Sicht zu erfolgen.

Wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, genügt zur Strafbarkeit schon fahrlässiges Verhalten (§ 5 Abs.1 VStG erster Satz). Das VStG gibt bezüglich der Schuldform Vorsatz und Fahrlässigkeit keine Definition. Wenngleich das VStG (abgesehen vom § 19) nicht auf das StGB verweist, wird dennoch den Begriffsbestimmungen dieses Gesetzes Bedeutung zukommen. Hinsichtlich der Fahrlässigkeit definiert § 6 StGB, wobei zwischen bewußter und unbewußter Fahrlässigkeit unterschieden wird, daß bewußt fahrlässig derjenige handelt, der zwar daran denkt, daß sein Verhalten ein tatbildmäßiges Unrecht verwirklichen könne, dieses jedoch nicht herbeiführen will, wenngleich er es für möglich hält. Im Falle der unbewußten Fahrlässigkeit verkennt der Täter zufolge Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt, daß er einen tatbildmäßigen Erfolg verwirklichen könnte.

Hier ist jedoch von der Schuldform des Vorsatzes auszugehen. Vorsätzlich handelt, wer zumindest in Kauf nimmt (Eventualvorsatz), daß er mit seinem Handeln ein gesetzliches Tatbild (hier Verweilen auf dem Versammlungsort nach deren Auflösung) verwirklicht. Wenn sich nun die Berufungswerberin noch vor dem ausgesprochenen Verbot der Veranstaltung sich des Schlüssels für die an ihrem Körper selbst angebrachte Sperrvorrichtung begeben gehabt haben sollte (was nicht endgültig geklärt werden konnte) oder sie diesen nicht freiwillig aushändigte und sie aus diesem Grunde der Aufforderung der Behörde nicht mehr Folge leisten konnte, ist ihr trotzdem vorsätzliche Begehungsweise vorzuwerfen. Sie hatte sich selbst in eine Lage gebracht, nach welcher sie nach Auflösung der Veranstaltung nicht mehr ihr rechtmäßiges Verhalten disponieren konnte. Eine selbstverschuldete Zwangslage ist kein Schuldausschließungsgrund (VwGH 8.9.1969, 1708/68, 22.4.1976. 1705/75, 15.4.1983, 82/04/0169 u. v. 25.11.1986, 86/04/0116, Hauer-Leukauf, Handbuch des öst. Verwaltungsverfahrens, S. 737, RZ 5). Als Teilnehmer(in) an einer Demonstration an deren Zuspitzung sie durch ihr Anketten selbst beteiligt war, mußte sie auch mit einer Auflösung derselben rechnen. Durch die Begebung des Schlüssels hat sie zumindest in Kauf genommen, daß sie einer zu erwartenden Aufforderung die Baustelle zu verlassen nicht mehr befolgen werde könne.

Mit der hier von der Berufungswerberin geübten Verhaltensweise wurde gesetzlich geschützten Interessen wohl in massiver Weise zuwidergehandelt. Es wurden durch die Unterbrechungen der Bauarbeiten und Blockierung der Baumaschinen, neben dem Anspruch des Gemeinwesens auf Ruhe und Ordnung auch private und wirtschaftliche Interessen empfindlich beeinträchtigt. Dieser Interessensschädigung mußte mit einem großen Einsatz der Exekutive entgegengetreten werden, welcher letztlich wiederum vom Steuerzahler finanziert werden mußte. Daran ändert auf der objektiven Tatebene auch nichts die Tatsache, daß die Berufungswerberin aus Überzeugung für höchste - globale - Werte einzutreten versuchte und dies mit ihrer nachdrücklichen Form des Verbleibens an der Baustelle zu unterstreichen suchte. Auf der subjektiven Ebene ist dies aber sehr wohl ein Schuldmilderungs-, jedoch keinesfalls ein Schuldausschließungsgrund. Auch höchste Ziele, welche aus persönlicher Überzeugung globale Dimension haben mögen und wohl auch haben, müssen hinter (der rechtsstaatliche Bau wurde im Verfahren bewilligt) Staatszielen, selbst wenn diese mit einem bestimmten Ideal nicht zuträglich scheinen mögen, zurücktreten. Dies rechtfertigt nicht einen Gesetzesbruch. Jede andere Sicht würde mit den Grundsätzen eines Rechtsstaates nicht vereinbar sein.

Unter weiterer Berücksichtigung der bisherigen verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit der Berufungswerberin, welche von der Erstbehörde unzutreffend nicht als strafmildernd gewertet wurde und dem Umstand, daß die Erstbehörde auch von einem überhöhten Einkommen ausgegangen ist, war die Strafe entsprechend zu ermäßigen. Als weiterer Milderungsgrund kommt nun noch die im Rahmen des Berufungsverfahrens zum Ausdruck gebrachte Einsichtigkeit hinzu. Unzutreffend wurde schließlich noch als straferschwerend gewertet, daß die Baustelle trotz Aufforderung nicht verlassen worden sei. Dies kommt einer unzulässigen Doppelverwertung gleich, weil dies das tatbestandsmäßige Verhalten beinhaltet und damit das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, somit das von der Strafe umfaßte Verhalten eben ist. Sohin scheint auch dieses Strafausmaß neben dem Zweck der Generalprävention auch aus dem Gesichtspunkt der Spezialprävention angemessen und geeeignet die Berufungswerberin künftighin von derartigen Übertretungen abzuhalten.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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