Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
ASVG §412 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Dr. Werner Posch, Rechtsanwalt in 2640 Gloggnitz, Hauptstraße 37, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 8. Jänner 1996, Zl. VII/2-6057/11-1996, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei:
Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 2100 St. Pölten, Dr. Karl Renner-Promenade 14-16), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit Bescheid vom 5. Oktober 1994 verpflichtete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Dienstgeber von J.M. zur Zahlung von S 102.173,59,-
- an Beiträgen. Begründend führte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, J.M. sei im Transport- und Autobusunternehmen des Beschwerdeführers als Autobuschauffeur tätig gewesen. Im Zuge einer Beitragsprüfung beim Beschwerdeführer seien die gemeldeten Beitragsgrundlagen unter Zugrundelegung der Arbeitszeitaufstellungen und nach Auswertung von Tachographenscheiben auf das laut Kollektivvertrag für Dienstnehmer in den privaten Autobusbetrieben zustehende Entgelt (inklusive Überstunden) berichtigt worden.
Im Bescheid sind in der Folge für Zeiträume zwischen Juni 1989 bis Juni 1992 zwei Lohnstufen einander gegenübergestellt. Aus der Differenz zur jeweils niedrigeren Lohnstufe resultiere die Beitragsnachforderung. Der Beschwerdeführer habe durch seine Einwände, J.M. habe auch private Fahrten unternommen und bei längeren Busfahrten hätten zwei bis drei Chauffeure eine Tachographenscheibe benützt, die Beitragsnachverrechnung nicht zur Kenntnis genommen und eine bescheidmäßige Erledigung verlangt. Rechtlich wertete die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse den Sachverhalt zusammengefasst dahin, dass bei der Beitragsvorschreibung jener Lohn heranzuziehen sei, auf dessen Zahlung bei Fälligkeit des Beitrages ein Rechtsanspruch bestehe. Bleibe das tatsächlich gezahlte Entgelt dahinter zurück, sei der Beitragsvorschreibung der gebührende Lohn zu Grunde zu legen. Bei der Berechnung der für J.M. in Betracht kommenden Beitragsgrundlagen sei der Kollektivvertrag für Dienstnehmer in den privaten Autobusbetrieben anzuwenden gewesen, wobei J.M. hinsichtlich der Entlohnung in die Arbeitskategorien "Kraftfahrer im 1. Betriebszugehörigkeitsjahr" bzw. "Kraftfahrer vom 2. bis 10. Betriebszugehörigkeitsjahr" einzustufen gewesen sei. Auf Grund der vollständigen Vorlage der Arbeitszeitaufstellungen (Tachographenscheiben, Fahrtenbuch) sei eine lückenlose Ermittlung der Normalarbeitsstunden, der Überstunden mit 50 % Zuschlag sowie der Überstunden mit 100 % Zuschlag möglich gewesen. Anhand dieser Feststellungen sowie unter Hinzurechnung der laut anzuwendendem Kollektivvertrag gebührenden Erschwerniszulage habe somit der nach den kollektivvertraglichen Bestimmungen zustehende Anspruchslohn errechnet werden können. Zudem hätten auch noch die an J.M. geleisteten Trinkgelder (Durchschnittsberechnung) entsprechende Berücksichtigung gefunden. Die Privatfahrten von J.M. hätten sich im Minimalbereich gehalten. Die Benützung derselben Tachographenscheibe durch mehrere Chauffeure sei bei der Auswertung berücksichtigt worden. Im anzuwendenden Kollektivvertrag sei vorgesehen, dass Wartezeiten täglich zusammengezählt und bis zu sechs Stunden als volle Arbeitszeit bezahlt würden. Die über sechs Stunden hinausgehende Wartezeit werde nach Abzug einer Pause von einer Stunde mit 50 % des normalen Arbeitslohnes vergütet. Die Vorschreibung der Beiträge erfolge nach Lohnstufen; für die Einreihung in die Lohnstufen sei der auf den Kalendertag entfallende Arbeitsverdienst maßgebend, wobei der Monat zu 30, die Woche zu sieben Kalendertagen anzusetzen sei. Die Beitragsgrundlage werde durch Vervielfachung des Tageswertes mit der Zahl der in den Beitragszeitraum fallenden Kalendertage ermittelt. Als Tageswert gelte in jeder Lohnstufe der Mittelwert der durch die Lohnstufe erfassten Arbeitsverdienste, somit die Mitte zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Satz der Lohnstufe. Die so ermittelten Beiträge seien längst fällig.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Einspruch, in dem er auf eine mit J.M. getroffene Vereinbarung verwies. Danach habe dieser anlässlich der Beendigung seiner Beschäftigung im Unternehmen des Beschwerdeführers auf allfällige Ansprüche aus dem Beschäftigungsverhältnis verzichtet. Dies habe zur Folge, dass vom derart erloschenen Anspruch auch keine Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten seien. Mit diesem Vorbringen habe sich die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse nicht auseinander gesetzt. Der Bescheidinhalt lasse auch nicht erkennen, wie die Lohnstufen ermittelt worden seien. Es fehlten für jeden einzelnen Beschäftigungstag Beginn und Ende der Lenkzeiten, Wartezeiten usw.; nur daraus hätte man ableiten können, wie viel als Normalarbeitszeit bzw. als Überstundenleistung mit 50 % oder 100 % Zuschlag zu entlohnen gewesen wäre. Solche Feststellungen fehlten, sodass das Bescheidergebnis nicht überprüft werden könne. Auch sei im Prüfungsverfahren nie vorgehalten worden, welche täglichen Einsatz-, Warte- und Ruhezeiten als erwiesen angenommen würden. Auch sei die Einsicht in die Tachographenscheiben und die angeblichen Arbeitszeitaufzeichnungen verweigert worden.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde dem Einspruch keine Folge und verwies in der Begründung zunächst darauf, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Vereinbarung über den Entgeltverzicht irrelevant sei, weil es nur auf den Anspruch ankomme. Ein rückwirkender Verzicht bringe den Entgeltcharakter nicht zu Fall. Im Rahmen der Beitragsprüfung sei das festgestellte Prüfungsergebnis mit dem Beschwerdeführer im Detail erörtert worden und auch die einzelnen Berechnungsgrundlagen eingehend dargestellt worden. Gegen die daraufhin erstellte Nachtragsrechnung habe der Beschwerdeführer lediglich eingewandt, dass der Lenker auch private Fahrten unternommen habe und mehrere Chauffeure bei längeren Busfahrten lediglich eine Tachographenscheibe benutzt hätten. Eine detaillierte Darstellung der Arbeitszeit sei schon deshalb entbehrlich, weil dieser Umstand mit dem Beschwerdeführer ohnehin detailliert abgesprochen worden sei. Die Arbeitszeit lasse sich anhand der Tachographenscheiben und der Fahrtenbuchauszüge lückenlos nachvollziehen. Dementsprechend habe das nach dem anzuwendenden Kollektivvertrag zustehende Entgelt präzise ermittelt werden können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die erkennbar Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und ebenso wie die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Der Beschwerdeführer rügt das Unterbleiben von Feststellungen zu den tatsächlichen Gegebenheiten der Beitragsberechnung, die nicht nachvollzogen werden könne. Auch fehlten Feststellungen zu dem von der belangten Behörde herangezogenen Kollektivvertrag.
Schon mit diesen Argumenten ist der Beschwerdeführer im Recht:
Gemäß § 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen oder Anträge von Beteiligten abgesprochen wird. Nach § 60 leg. cit. sind in der Begründung des Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.
Demnach muss die Behörde in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dartun, welcher (für die Erledigung der Verwaltungssache) maßgebende Sachverhalt mit den hiebei als feststehend angenommenen Tatsachen der Entscheidung zugrundegelegt wurde, aus welchen Erwägungen sie zur Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtete. Mit dem Ausmaß dieser Begründungspflicht der Gebietskrankenkasse und der Einspruchsbehörde im Fall der Beitragsnachverrechnung hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25. Jänner 1994, 93/08/0027, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, in Auseinandersetzung mit der Vorjudikatur ausführlich befasst. Unter Bedachtnahme auf die darin entwickelten Grundsätze entspricht die (im Wesentlichen dem Vorlagebericht der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse entnommene) Begründung des angefochtenen Bescheides nicht den geschilderten gesetzlichen Anforderungen. In Verbindung mit der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides ergibt sich daraus zwar, dass ausgehend von einer jeweils bestimmten Lohnstufe bestimmte Beiträge vorzuschreiben seien; es ist aber nicht erkennbar, welche konkreten tatsächlichen Gegebenheiten der Beitragsberechnung im Einzelnen zugrundegelegt wurden.
So rügt der Beschwerdeführer ausdrücklich, dass die Ermittlung der ziffernmäßig angeführten Lohnstufen nicht nachvollzogen werden könne. Dafür hätte die belangte Behörde zunächst konkrete Feststellungen über den Inhalt des von ihr angewendeten Kollektivvertrages zur Klärung der Frage zu treffen gehabt, aus welchen Gründen in den einzelnen Zeiträumen die Einordnung in eine bestimmte Lohnstufe zu erfolgen hat bzw. welche Tätigkeit einer solchen Einordnung zu Grunde zu liegen hat (vgl. zu den erforderlichen Feststellungen über den Inhalt eines Kollektivvertrages das Erkenntnis vom 30. September 1997, 95/08/0170). Die festgestellten Einstufungskriterien in die Lohnstufen des angewendeten Kollektivvertrages wären der vom Beschwerdeführer vorgenommenen Einstufung gegenüberzustellen; nur wenn danach J.M. tatsächlich in die im erstinstanzlichen Bescheid genannten Lohnstufen einzureihen wäre, käme den Entgeltsätzen dieser Gruppen die Eigenschaft eines kollektivvertraglichen Mindestentgeltes zu. Solche Feststellungen können aber nicht durch einen Hinweis auf eine bei der Beitragsprüfung gegebene detaillierte Darstellung ersetzt werden.
Die belangte Behörde ist ihrer Begründungspflicht aber auch insofern nicht nachgekommen, als sich nicht ergibt, wie viele Normalarbeitsstunden und Überstunden mit 50 % bzw. 100 % Zuschlag sie ihrer Berechnung zu Grunde legte. Zu der "laut anzuwendendem Kollektivvertrag gebührenden Erschwerniszulage" bleibt die belangte Behörde Feststellungen ebenso schuldig wie zu den von ihr angeblich berücksichtigten Trinkgeldern.
Beruft sich die belangte Behörde in Beantwortung des Vorbringens im Einspruch, die Lohnstufen seien nicht nachvollziehbar, darauf, dass das festgestellte Prüfungsergebnis im Rahmen der Beitragsprüfung mit dem Beschwerdeführer im Detail erörtert und die einzelnen Berechnungsgrundlagen eingehend dargelegt worden seien, sowie dass die Einwendungen gegen die Nachtragsrechnung nur die privaten Fahrten des Lenkers und die Nutzung der Tachographenscheibe durch mehrere Lenker betroffen hätten, wäre sie von ihrer Begründungspflicht auch dann nicht befreit, wenn die Beitragsnachrechnung vollinhaltlich anerkannt worden wäre (vgl. das schon genannte Erkenntnisse vom 25. Jänner 1994, 93/08/0027). Solche Erklärungen können nämlich jederzeit widerrufen oder eingeschränkt werden. Spätestens nach der Einspruchserhebung musste die belangte Behörde davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer die Schlüssigkeit und Vollständigkeit des Bescheides der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse in Frage stellt.
Eine Verletzung seiner Mitwirkungspflicht (vgl. das Erkenntnis vom 12. April 1994, 92/08/0140) wird dem Beschwerdeführer selbst in den Gegenschriften nicht vorgeworfen; eine solche die Begründungspflicht der belangten Behörde einschränkende Unterlassung der entsprechenden Mitwirkung des Beschwerdeführers ist auch aus der Aktenlage nicht erkennbar.
Schon die aufgezeigten Begründungsmängel hindern den Verwaltungsgerichtshof, seiner Rechtskontrollaufgabe gemäß § 41 Abs. 1 VwGG zu entsprechen. Der angefochtene Bescheid lässt keine inhaltliche Überprüfung zu, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Auf Grund der sachlichen Abgabenfreiheit (vgl. § 110 ASVG) waren die entrichteten Stempelgebühren nicht zu ersetzen.
Von der Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 20. Juni 2001
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1996080040.X00Im RIS seit
20.11.2001