TE Vwgh Erkenntnis 2001/6/22 99/21/0134

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Veröffentlicht am 22.06.2001
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des N in der Türkei, geboren am 5. Mai 1955, vertreten durch Dr. Andreas Brandtner, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Drevesstraße 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 16. März 1999, Zl. Fr-4250a-197/98, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm den §§ 37 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot.

Dieser Maßnahme liegt nach den in der Beschwerde unbestritten gebliebenen behördlichen Feststellungen folgender Sachverhalt zu Grunde:

Der Beschwerdeführer reiste im Jahr 1973 erstmals nach Österreich ein und hielt sich bis zum 8. April 1975 im Bundesgebiet auf. Nach einem Aufenthalt in Österreich vom 2. April 1977 bis zum 15. Juli 1978 hält er sich nunmehr seit August 1978 ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Dornbirn vom 12. Februar 1990 wurde er wegen des Vergehens des Diebstahls nach § 127 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen und mit einem weiteren Urteil dieses Gerichts vom 21. August 1991 wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt.

Eine weitere Verurteilung desselben Gerichts erfolgte am 9. März 1994 wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen.

Dem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 5. Mai 1998 wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen lag zu Grunde, dass der Beschwerdeführer bei Abwehr eines Angriffes das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritt, indem er einer namentlich genannten Person das rechte Ohrläppchen abgebissen hat; am 8. Februar 1998 hat er seinen Sohn durch Versetzen von Schlägen mit einem Teigausroller gegen beide Oberschenkel und auf den Rücken vorsätzlich am Körper verletzt.

Bis Juni 1998 lebte der Beschwerdeführer im gemeinsamen Haushalt mit seiner Ehefrau und seinen beiden Kindern; seine Ehefrau hat die Scheidungsklage eingebracht und dem Beschwerdeführer wurde mit einstweiliger Verfügung aufgetragen, die Ehewohnung zu verlassen. Im Februar 1998 hatte er seine Ehefrau durch Versetzen von Schlägen mit dem Nudelholz sowie durch Fußtritte verletzt und sie durch Drohung mit dem Umbringen zur Abstandnahme der Mitteilung der Herkunft ihrer Verletzungen im Krankenhaus genötigt. Anfang März 1998 und am 23. Mai 1998 drohte er, sie umzubringen. Anfang März 1998 verletzte er sie durch Faustschläge gegen beide Arme und Oberschenkel. Am 22. Mai 1998 führte er ein Messer gegen sie, wodurch sie oberflächliche Schnittverletzungen an den Händen erlitt. Dieselbe Tat führte er auch einen Tag später durch. Am 29. Mai 1998 verletzte er sie durch Faustschläge gegen die Innenseite des Oberarms. Am 1. Juli 1998 drohte er mit dem Umbringen, um sie zur Rückkehr in die eheliche Wohnung zu nötigen. Wegen dieses Verbrechens der teils vollendeten, teils versuchten schweren Nötigung, des Vergehens der gefährlichen Drohung und des Vergehens der Körperverletzung wurde er zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt.

Der Beschwerdeführer - so die Bescheidbegründung - wurde mehr als ein Mal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt, wodurch die Voraussetzungen des Tatbestandes des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG vorlägen und die Annahme gerechtfertigt sei, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde sowie anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe. Durch die wiederholten und schwer wiegenden gleichgelagerten Straftaten und der daraus ersichtlichen Unbelehrbarkeit müsse auch weiterhin mit derartigen Delikten gerechnet werden. Die körperlichen Attacken des Beschwerdeführers seien nicht "nur" gegen seine Ehefrau gerichtet gewesen und es hätten ihn auch mehrfache Geldstrafen nicht zu einem gesetzeskonformen Verhalten veranlassen können. Die Dringlichkeit des Aufenthaltsverbotes ergebe sich aus der in den Straftaten zum Ausdruck kommenden krassen Missachtung der körperlichen Unversehrtheit anderer Menschen. Auch wenn der Beschwerdeführer als "assoziationsintegriert" anzusehen wäre, stünde dies dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen, weil dieses nicht auf die Verurteilungen als solche, sondern auf das dahinter stehende Verhalten gestützt werde. Der Beschwerdeführer stelle eine tatsächliche Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit dar. Da er seit dem Jahr 1990 permanent auf Grund seiner besonderen Gewalttätigkeit in Erscheinung getreten sei, müsse auf einen hohen Grad krimineller Energie und Gewaltbereitschaft geschlossen werden. Eine positive Zukunftsprognose sei wegen der wiederholten Straffälligkeit nicht möglich.

Der Beschwerdeführer sei zwar langjährig im Bundesgebiet aufhältig, weshalb das Aufenthaltsverbot einen gravierenden Eingriff in sein Privatleben darstelle, allerdings werde die soziale Komponente seiner Integration durch die schweren und wiederholten Gesetzesverstöße erheblich beeinträchtigt. Das in hohem Maß bestehende öffentliche Interesse an dem Aufenthaltsverbot dränge das private Interesse des Beschwerdeführers in der Hintergrund.

Für das Aufenthaltsverbot seien die Urteile der Jahre 1994 und 1998 maßgeblich. Eine Aufenthaltsverfestigung sei vor diesem Zeitraum nicht eingetreten, weil er im Sinn des § 35 Abs. 3 Z. 2 FrG vor der Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten gleichfalls wegen Körperverletzungsdelikten verurteilt worden sei und diese Verurteilungen noch nicht getilgt gewesen seien. Weiters hätte dem Beschwerdeführer nicht im Sinn des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG die Staatsbürgerschaft verliehen werden können, weil er bereits im Jahr 1990 wegen Diebstahls und im Jahr 1991 wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die Auffassung der belangten Behörde, dass im Hinblick auf die gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt sei, wird in der Beschwerde nicht bestritten und begegnet keinen Bedenken. Ebenso wenig bestehen Bedenken gegen die weitere Rechtsansicht der belangten Behörde, dass auf Grund des diesen Verurteilungen zu Grunde liegenden Fehlverhaltens die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei.

Die Beschwerde gesteht zu, dass wegen des Ausnahmetatbestandes des § 35 Abs. 3 Z. 2 FrG die in diesem Absatz genannte Aufenthaltsverfestigung nicht erfüllt ist. Sie meint aber, dass das Aufenthaltsverbot auf Grund des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG unzulässig sei, weil dem Beschwerdeführer vor Verwirklichung des maßgebenden Sachverhalts die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 hätte verliehen werden können. Damit zeigt sie eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Der Beschwerdeführer irrt zwar, wenn er meint, dass die Zehnjahresfrist des § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 ab seinem Aufenthalt in Österreich zu rechnen sei. Nach ständiger hg. Rechtsprechung (vgl. etwa das Erkenntnis vom 20. Februar 2001, Zl. 2000/18/0003) ist nämlich bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes im Grund des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG zu prüfen, ob der Fremde vor Verwirklichung des ersten der von der Behörde zulässigerweise zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogenen Umstände, die in ihrer Gesamtheit die Maßnahme tragen, die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG erfüllte. Die belangte Behörde zog als maßgeblichen Sachverhalt für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes die Verurteilungen aus den Jahren 1994 und 1998 heran. Vorher wurde der Beschwerdeführer - wie dargelegt - wegen Diebstahls und fahrlässiger Körperverletzung zu Geldstrafen von 40 bzw. 50 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt. Abgesehen davon, dass die belangte Behörde in rechtsirriger Weise nur die Verurteilungen des Beschwerdeführers und nicht das zu Grunde liegende Fehlverhalten und das sich daraus ergebende Charakterbild des Beschwerdeführers für ihre Beurteilung herangezogen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 1999, Zl. 98/01/0654), durfte sie allein aus diesen geringfügigen Delikten nicht darauf schließen, dass der Beschwerdeführer zur Republik Österreich nicht bejahend eingestellt sei oder eine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle. Dem angefochtenen Aufenthaltsverbot steht somit die Aufenthaltsverfestigung des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG entgegen.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 22. Juni 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1999210134.X00

Im RIS seit

05.11.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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