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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1997 §35 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Bauernfeind, über die Beschwerde des A in L, geboren am 17. August 1969, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, Saalbaugasse 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 3. Februar 1999, Zl. Fr-4250a-222/98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Bundesrepublik Jugoslawien, gemäß § 36 Abs. 1 iVm den §§ 37 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein auf sechs Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Diese Maßnahme begründete sie im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 11. September 1998 für schuldig befunden worden sei, dass er eine namentlich genannte Person mit dem Tod bedroht habe, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, und zwar Ende Juli 1998 durch Ansetzen eines Messers am Hals und der Ankündigung, sie umzubringen, und am 23. August 1998, indem er zum Ausdruck gebracht habe, dass er ihr den Kopf abschneiden werde und ein Messer vor das Gesicht gehalten habe. Weiters habe er am 23. August 1998 dieselbe Person durch die telefonische Aufforderung, die gegen ihn erstattete Strafanzeige wieder zurückzuziehen, andernfalls er mit ihr nach der Haftentlassung abrechnen müsse, sohin durch gefährliche Drohung zumindest mit einer Verletzung am Körper zu einer Handlung zu nötigen versucht. Letztlich habe er dieselbe Person am 9. August 1998 durch Zufügen eines unverschobenen Nasenspitzenbruches, einer Platzwunde an den Lippen sowie von Prellungen im Gesicht, und am 23. August 1998 durch Zufügen einer Gehirnerschütterung sowie von Hämatomen an den Oberarmen und am Rücken verletzt. Wegen dieser Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 2 StGB, der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB sei er zu einer Geldstrafe von 300 Tagessätzen verurteilt worden. Auch wenn sich das damalige Opfer mit dem Beschwerdeführer versöhnt habe, ändere dies nichts an dem Umstand, dass er ein äußerst aggressives Verhalten gesetzt habe. Insbesondere die Verwendung eines Küchenmessers lasse auf ein besonderes Gefährlichkeitspotential schließen. Sein Verhalten lasse die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde. Diese Annahme werde dadurch verstärkt, dass der Beschwerdeführer in einem Zeitraum von lediglich drei Jahren insgesamt 16 Mal verwaltungsrechtlich rechtskräftig bestraft worden sei. Besonders hervorzuheben seien die Bestrafungen wegen Lenkens eines Kraftfahrzeugs in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand, wegen einer Übertretung nach dem Führerscheingesetz sowie einer Übertretung nach dem Waffengesetz.
Der Beschwerdeführer sei im Juni 1989 sichtvermerksfrei in das österreichische Bundesgebiet eingereist und habe erstmals am 23. Juli 1990 einen Sichtvermerk erhalten. Bis 22. März 1993 habe er mit kurzfristigen Unterbrechungen über "Aufenthaltsbewilligungen" verfügt; seit dem 9. April 1993 halte er sich durchgehend rechtmäßig im österreichischen Bundesgebiet auf. Eine Aufenthaltsverfestigung liege beim Beschwerdeführer nicht vor. Die fremdenpolizeiliche Maßnahme stelle einen gravierenden Eingriff in sein Privat- und Familienleben dar, weil er eine Lebensgemeinschaft führe, seine Eltern und Geschwister in Österreich aufhältig seien und er seit Oktober 1998 wieder zur Zufriedenheit seines Arbeitgebers im Arbeitsprozess integriert sei. Der Eingriff sei jedoch zulässig, weil der Beschwerdeführer trotz mehrmaliger Geldstrafen nicht habe veranlasst werden können, sich in weiterer Folge gesetzeskonform zu verhalten. Nach "bloßen" Verwaltungsübertretungen sei er sogar gerichtlich verurteilt worden, was auf ein zunehmendes kriminelles Verhalten schließen lasse. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei somit dringend geboten, um ihn von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten und ihm den Unrechtsgehalt seines Verhaltens vor Augen zu führen. Das Gesamtbild des Beschwerdeführers lasse auch für die Zukunft nicht erwarten, dass er sich freiwillig an die österreichischen Vorschriften halten werde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Die Beschwerde verweist im Wesentlichen darauf, dass es sich großteils um geringfügige Verwaltungsübertretungen gehandelt habe, der Beschwerdeführer sein Alkoholproblem in den Griff bekommen habe und seine privaten Interessen am Aufenthalt in Österreich mehr Gewicht hätten als die öffentlichen Interessen am Aufenthaltsverbot. Der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei unter Bedachtnahme auf Art. 8 Abs. 2 EMRK nicht statthaft.
Der Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, es begegne keinen Bedenken, ein Aufenthaltsverbot ausschließlich auf § 36 Abs. 1 FrG zu stützen, wenn triftige Gründe vorlägen, die zwar nicht die Voraussetzungen der in § 36 Abs. 2 FrG angeführten Fälle aufwiesen, wohl aber in ihrer Gesamtheit die in § 36 Abs. 1 leg. cit. umschriebene Annahme rechtfertigten (vgl. etwa das Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 98/18/0375).
Es kann dahingestellt bleiben, ob das strafbare Verhalten des Beschwerdeführers - das wie erwähnt lediglich zur Verhängung einer Geldstrafe geführt hat - die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme zu rechtfertigen vermag, weil das Aufenthaltsverbot im Lichte des § 37 FrG nicht zulässig ist. Dem Fehlverhalten des Beschwerdeführers, das zwar nicht verharmlost werden soll, aber doch die in § 36 Abs. 2 FrG vorgesehene Intensität nicht erreicht hat, steht nämlich eine starke Integration im Inland gegenüber. Aus dem angefochtenen Bescheid geht iVm dem erstinstanzlichen Bescheid hervor, dass der Beschwerdeführer im Juni 1989 (somit im Alter von etwa 20 Jahren) sichtvermerksfrei in das österreichische Bundesgebiet eingereist ist und von seinem Vater im Mai 1990 ein Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerks gestellt wurde. Ab Juli 1990 verfügte der Beschwerdeführer mit vier Unterbrechungen in der Dauer von jeweils etwa drei bis zwölf Wochen über Aufenthaltsberechtigungen. Er führt in Österreich eine Lebensgemeinschaft und ist seit Oktober 1998 wieder im Arbeitsprozess integriert, nachdem er ab August 1998 arbeitslos war. In Österreich halten sich seine Eltern und Geschwister auf. Dieser Integration kommt ein so starkes Gewicht zu, dass das öffentliche Interesse an der Erlassung eines durch keinen der Tatbestände des § 36 Abs. 2 FrG gestützten Aufenthaltsverbotes zurückgedrängt wird. Dazu kommt, dass im Beschwerdefall der Aufenthaltsverfestigungstatbestand des § 38 Abs. 1 Z. 2 iVm § 35 Abs. 3 FrG beinahe erfüllt ist. Gemäß dieser Bestimmung dürfen Fremde, die bereits zehn Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet auf Dauer niedergelassen waren, nur dann ausgewiesen bzw. mit einem Aufenthaltsverbot bedacht werden, wenn sie unter näher genannten Voraussetzungen zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr oder wegen einer Vorsatztat, die auf derselben schädlichen Neigung wie eine andere strafbare Handlung beruht, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden sind. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides hielt sich der Beschwerdeführer fast zehn Jahre im Bundesgebiet auf, verfügte mit den aufgezeigten Ausnahmen über eine Aufenthaltsberechtigung und wurde zu einer Strafe verurteilt, die weit unter der in § 35 Abs. 3 FrG gezogenen Grenze liegt.
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass gemessen an den aus § 36 Abs. 2 FrG einerseits und § 38 FrG andererseits abzuleitenden Intentionen des Gesetzgebers die belangte Behörde bei Anwendung des § 37 FrG die Rechtslage verkannt hat. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 22. Juni 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1999210116.X00Im RIS seit
05.11.2001