Der Bf wurde in Zurechnung zum BM für Landesverteidigung vorläufig am 7.7.1995 um 9.40 Uhr bis 9.41 Uhr festgenommen. Dies stellt einen Akt der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt dar. Die Beschwerde wurde rechtzeitig eingebracht und es liegen auch die übrigen Beschwerdevoraussetzungen vor. Die Beschwerde ist zulässig, sie ist im übrigen auch begründet.
Der Bf steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund, ist Beamter der Heeresverwaltung, aber als Ausbildungsunteroffizier bei der Stabskompanie in der T-Kaserne in E diensteingeteilt.
Gemäß § 1 der Verordnung der Bundesregierung vom 9.1.1979, BGBl. Nr. 43, über die Allgemeinen Dienstvorschriften für das Bundesheer (ADV) gelten die Allgemeinen Dienstvorschriften für alle Soldaten. Für Soldaten, die dem Bundesheer aufgrund eines Dienstverhältnisses angehören (Berufsoffiziere, Offiziere auf Zeit, zeitverpflichtete Soldaten, Beamte und Vertragsbedienstete, die zur Ausübung einer Unteroffiziersfunktion herangezogen sind), gelten die Allgemeinen Dienstvorschriften jedoch nur insoweit, als in den dienstrechtlichen Vorschriften nicht anderes bestimmt ist. Gemäß § 2 Z1 ADV gilt als Soldat iSd Verordnung jeder Angehörige des Präsenzstandes des Bundesheeres (§ 1 des Wehrgesetzes 1978). Für die Beamten der Heeresverwaltung gilt das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, BGBl. Nr. 333, in vollem Umfange, für die Berufsoffiziere sowie für die Beamten, die zur Ausübung einer Unteroffiziersfunktion herangezogen sind, gilt das Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 mit Ausnahme seines 9. Abschnittes (§ 52 Abs.1 Wehrgesetz).
Nach den Allgemeinen Dienstvorschriften hat daher der Soldat mit allen seinen Kräften den Dienst zu erfüllen, und ist ua zu Disziplin und Gehorsam verpflichtet. Jeder Untergebene ist seinen Vorgesetzten gegenüber zu Gehorsam verpflichtet. Er hat die ihm erteilten Befehle nach besten Kräften vollständig, gewissenhaft und pünktlich auszuführen (§ 3 Abs.1 und 2 und § 7 Abs.1 ADV). Weiters ist der Untergebene verpflichtet, seinem Vorgesetzten alle militärisch bedeutsamen Tatsachen und sonstige für den Dienst wichtige Vorfälle, Nachrichten und Vorhaben unaufgefordert zu melden. Insbesondere sind zu melden alle die eigene Person betreffenden wichtigen Veränderungen und Vorfälle, soweit sie von dienstlichem Interesse und dem Vorgesetzten nicht bekannt sind (§ 9 Abs.1 Z3 ADV).
Gemäß § 51 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 - BDG 1979 hat der Beamte, der vom Dienst abwesend ist, ohne vom Dienst befreit oder enthoben zu sein, den Grund seiner Abwesenheit unverzüglich seinem Vorgesetzten zu melden und seine Abwesenheit zu rechtfertigen. Ist der Beamte durch Krankheit, Unfall oder Gebrechen an der Ausübung seines Dienstes verhindert, so hat er seinem Vorgesetzten eine ärztliche Bescheinigung über den Beginn der Krankheit und nach Möglichkeit über die voraussichtliche Dauer der Dienstverhinderung vorzulegen, wenn er dem Dienst länger als drei Arbeitstage fernbleibt oder der Vorgesetzte oder der Leiter der Dienststelle es verlangt. Kommt der Beamte dieser Verpflichtung nicht nach, entzieht er sich einer zumutbaren Krankenbehandlung oder verweigert er die zumutbare Mitwirkung an einer ärztlichen Untersuchung, so gilt die Abwesenheit vom Dienst nicht als gerechtfertigt. Aufgrund des festgestellten Sachverhaltes hat der Bf im Sinne des für ihn anzuwendenden BDG 1979 seine Krankheit dem Vorgesetzten unverzüglich bekanntgegeben, hat sich auch in weiterer Folge in ärztliche Behandlung begeben und eine ärztliche Bescheinigung über die Dienstverhinderung bzw. die Dauer der Dienstverhinderung beigebracht, sodaß die nachträgliche Abwesenheit vom Dienst gerechtfertigt ist.
Hinsichtlich der ärztlichen Behandlung können Soldaten, die dem Bundesheer aufgrund eines Dienstverhältnisses angehören, eine militärärztliche Behandlung nach Maßgabe der für sie geltenden besonderen Bestimmungen in Anspruch nehmen (§ 10 Abs.1 2.Satz ADV). Daraus resultiert, daß der Bf zur Konsultierung des Militärarztes nicht verpflichtet war, sondern - das Heeresgebührengesetz 1992 findet auf ihn keine Anwendung - nach Maßgabe der besonderen Bestimmungen für Bundesbeamte freie Arztwahl hat und daher einen Arzt seines Vertrauens beiziehen kann.
Dem Bf wurde befohlen, in der Kompaniekanzlei zu bleiben bzw. zu dieser zurückzukehren und den Truppenarzt (Militärarzt) aufzusuchen bzw. sich dessen Untersuchung zu unterziehen.
Der Vorgesetzte hat sich seinen Untergebenen gegenüber stets gerecht, fürsorglich und rücksichtsvoll zu verhalten und alles zu unterlassen, was ihre Menschenwürde verletzen könnte. Er hat dafür Sorge zu tragen, daß seine Untergebenen so weit wie möglich die Notwendigkeit der ihnen erteilten Befehle einsehen können. Er hat sie zur sachgerechten Erfüllung ihrer Pflichten anzuhalten und sie vor vermeidbarem Schaden zu bewahren. Jede dienstliche Maßnahme ist so zu gestalten, daß die Soldaten nach Möglichkeit den Zweck dieser Maßnahme verstehen und ihre Notwendigkeit einsehen können. Es ist auch darauf Rücksicht zu nehmen, daß durch die Gestaltung des Dienstbetriebes nicht nur die Leistungsfähigkeit, sondern die Leistungsbereitschaft aller Soldaten gefördert wird. Der Vorgesetzte darf nur solche Befehle erteilen, die im Zusammenhang mit dem Dienst stehen. Befehle, die die Menschenwürde verletzen oder deren Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würden, dürfen nicht erteilt werden (§§ 4, 5 und 6 ADV). Dem Bf wurden klare Befehle erteilt. Wenn auch grundsätzlich die Notwendigkeit der erteilten Befehle einsehbar und der Zweck verständlich sein soll, so ist aber trotz Mangelhaftigkeit der Befehl ohne Verzug zu vollziehen. Dies stellt eine Dienstpflicht dar.
Gemäß § 2 Heeresdisziplinargesetz 1994 - HDG 1994, BGBl. Nr. 522/1994, sind Soldaten disziplinär zur Verantwortung zu ziehen wegen Verletzung der ihnen im Präsenzstand auferlegten Pflichten. Disziplinär strafbar ist nur, wer schuldhaft handelt. Gemäß § 43 Abs.1 Z3 HDG 1994 ist ein Soldat, der bei einer Pflichtverletzung auf frischer Tat betreten wird, zum Zweck seiner Vorführung vor die zuständige Disziplinarbehörde vorläufig festzunehmen, wenn er trotz Abmahnung in der Fortsetzung der Pflichtverletzung verharrt oder sie zu wiederholen sucht. Als zuständige Disziplinarbehörde nach diesem Abschnitt gilt die für den Festgenommenen im Kommandantenverfahren zuständige Disziplinarbehörde erster Instanz (Einheitskommandant bzw. Disziplinarvorgesetzter nach §§ 11, 12 und 13 HDG bzw. der jeweils unmittelbar übergeordnete Vorgesetzte, wenn eines dieser Organe den Beschuldigten wegen der zugrundeliegenden Pflichtverletzung vorläufig festgenommen hat gemäß § 14 Abs.1 Z2 lit.e HDG). Die Befugnis zur vorläufigen Festnahme steht ua den Leitern von Dienststellen, die aufgrund der militärischen Organisation zumindest einem Einheitskommandanten gleichgestellt sind, zu (§ 43 Abs.2 HDG).
Im Grunde dieser Bestimmungen stand dem Einheitskommandanten und Dienstvorgesetzten Olt. J grundsätzlich die Befugnis zur vorläufigen Festnahme zu. Aufgrund der besonderen Umstände, nämlich des mehrmaligen Hinweises des Bf auf seinen Krankheitszustand und seines Verlangens, seinen Arzt des Vertrauens zuzuziehen, was letztlich auch eine Rechtfertigung für eine Dienstabwesenheit darstellte, hätten aber schon Zweifel am Vorliegen einer Pflichtverletzung infolge eines auf der Hand liegenden Rechtfertigungs- bzw. Entschuldigungs- und daher Schuldausschließungsgrundes (Krankheit) auch aus ex-ante-Sicht beim Dienstvorgesetzten auftreten müssen. Voraussetzung nach § 43 HDG ist nämlich eine begründete, dh aus ex-ante-Sicht vertretbare Annahme einer Dienstpflichtverletzung. Die Vertretbarkeit ist aber aus der gegebenen Situation zum maßgeblichen Zeitpunkt objektiv nach dem Maßstab eines Durchschnittsmenschen nicht gegeben gewesen. Dies erweist im Ergebnis der Beobachtung des beigezogenen dienstführenden Unteroffiziers, für den der Bf bei näherem Besehen tatsächlich krank erschien. Im übrigen ist eine vorläufige Festnahme zum Zweck der Fortsetzung der Dienstbesprechung sowie zum Warten bis zum Eintreffen des Truppenarztes nach der obzitierten Gesetzesstelle nicht vorgesehen, vielmehr ist Zweck der vorläufigen Festnahme die Vorführung vor die zuständige Disziplinarbehörde, hier den unmittelbar übergeordneten Vorgesetzten. Die vorläufige Festnahme ist nach dem Wortlaut des § 43 HDG aber keine Maßnahme, um sonstige Befehle durchzusetzen.
Schließlich waren auch folgende verfassungsrechtlichen Erwägungen ausschlaggebend:
Gemäß Art.1 Abs.2 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29.11.1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. Nr. 684/1988, darf niemand aus anderen als den in diesem Bundesverfassungsgesetz genannten Gründen oder auf eine andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden. Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nur gesetzlich vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist. Die persönliche Freiheit darf jeweils nur entzogen werden, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht. Dies bedeutet, daß die Maßnahme ein geeignetes Mittel zur Zweckverfolgung sein muß und auch das mildeste Mittel darstellen muß, bei dem die mit ihm verbundenen Nachteile für den Betroffenen nicht in einem Mißverhältnis zum verfolgten Zweck stehen (Grundsatz der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit). Ist auch die Eignung der gegenständlichen Befugnisausübung (vorläufige Festnahme) grundsätzlich gegeben, nämlich um die weitere Befehlserteilung zu garantieren, so ist dennoch die Erforderlichkeit der Maßnahme und sohin die Erforderlichkeit des Eingriffes in das Recht der persönlichen Freiheit in Zweifel zu ziehen. Unter den gegebenen Umständen, nämlich der mehrmaligen Ankündigung der Krankheit und der Befürchtung eines Herzinfarktes, wäre schon aus einer ex-ante-Sichtweise des eingreifenden Vorgesetzten die Sinnhaftigkeit einer weiteren Befehlserteilung in Frage zu stellen und erst Recht die Durchsetzung der Befehle durch in Rechte eingreifende Mittel bedenklich zu bewerten gewesen. Jedenfalls ist aber die Befugnisausübung unter dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit nicht gerechtfertigt. Die Ausübung einer Befugnis ist im Grundsatz immer dann unverhältnismäßig, wenn sie größeren Schaden bewirken würde, als entstehen würde, wenn die Ausübung dieser Befugnis unterbleibt. Im Grunde der Krankheit bzw. möglichen Gesundheitsgefährdung des Bf, und auch des objektiven Erscheinungsbildes des Bf, nämlich daß eine Krankheit von vornherein nicht ausgeschlossen werden konnte, hätte auch aus der Sichtweise des einschreitenden Vorgesetzten durch den weiteren Verbleib des Bf und eine weitere Befehlsentgegennahme eine größere Gesundheitsgefährdung und daher Beeinträchtigung stattfinden können als der Nachteil der Nichterteilung der weiteren Befehle ausmachen konnte. Dabei war zu berücksichtigen, daß es sich nicht um Befehle im Einsatz oder in einer Gefahrensituation handelte, diese also auch nicht unaufschiebbar waren. Dazu tritt auch der Umstand, daß der Militärarzt nach Allgemeinwissen der Offiziere nicht ständig in der Kaserne anzutreffen und tatsächlich zum Vorfallszeitpunkt nicht im Kasernengelände anwesend war, sodaß auch aus diesem Grunde die zwangsweise Durchsetzung des Abwartens auf den Militärarzt problematisch bzw. unverhältnismäßig erscheint.
Aus den angeführten Gründen ist daher der Bf durch die vorläufige Festnahme am 7.7.1995 durch seinen Vorgesetzten in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht der persönlichen Freiheit verletzt worden.
Gemäß Art.3 EMRK, welcher als Verfassungsgesetz in Geltung steht, darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Anwendung von Körperkraft kann grundsätzlich einen Verstoß gegen Art.3 MRK darstellen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes verstößt eine dem Waffengebrauchsgesetz entsprechende Zwangsausübung nie gegen Art.3 EMRK (VfSlg. 12271/1990; 9298/1981; 10250/1984 sowie 10427/1985). Das Erfassen und beim Arm und Ziehen des Armes zum Rücken zur Durchsetzung einer rechtmäßigen Festnahme (§ 2 Z3 Waffengebrauchsgesetz 1969), wenn der Festgenommene dem Ausspruch der Festnahme nicht Folge leistet, stellt keine menschenunwürdige Behandlung und daher keine Verletzung des Art.3 MRK dar. Weil aber die konkrete Festnahme unrechtmäßig war, mußte auch die Anwendung von Körperkraft zur Durchsetzung einer unrechtmäßigen Festnahme als gesetzwidrig und daher eine Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts festgestellt werden.