Gemäß § 5 Abs.6 StVO 1960 (Verfassungsbestimmung) ist an Personen, die nach Abs.5 Z2 zu einem Arzt gebracht werden und die verdächtig sind, sich in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand zu befinden, eine Blutabnahme zum Zweck der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes vorzunehmen; die Betroffenen haben diese Blutabnahme vornehmen zu lassen.
Dem bloßen Wortlaut nach könnte diese Verfassungsbestimmung dahingehend ausgelegt werden, daß die betroffene Person die Blutabnahme bereits dann zu dulden hätte, wenn lediglich Organe der Straßenaufsicht einen Verdacht auf Alkoholbeeinträchtigung haben. Unter der Prämisse, daß die zwangsweise Abnahme von Blut zum Zwecke der Alkoholprobe - wenn auch verfassungsgesetzlich grundsätzlich zulässig - einen Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Integrität darstellt, ist jedoch eine einschränkende Auslegung dieser Ermächtigung geboten.
Die StVO 1960 unterscheidet zwischen Vermutung einer Alkoholbeeinträchtigung einerseits (vgl § 5 Abs.2, 4 und 5) bzw. einem Verdacht auf Alkoholbeeinträchtigung andererseits (vgl § 5 Abs.6). Der wesentliche Unterschied zwischen diesen beiden Tatbestandsmerkmalen liegt darin, daß von einer Vermutung schon bei bloß laienhaft erkennbaren Symptomen die Rede sein kann, während ein Verdacht immer nur auf Grund einer Schlußfolgerung aus Tatsachen entstehen kann. Im Hinblick auf ihre Ausbildung bzw. durch die Praxis erworbenen Sachkenntnisse wird Organen der Straßenaufsicht dem Grunde nach wohl zugestehen zu sein, daß diese im Falle einer Feststellung von Alkoholisierungssymptomen im Zusammenhang mit weiteren Fakten, etwa wenn die betreffende Person zugegeben hat, etwas getrunken zu haben, in der Lage sind, entsprechende Schlußfolgerungen zu ziehen. Im Regelfalle bedarf es jedoch - gerade im Hinblick auf den bloß ausnahmsweise zulässigen Eingriff in ein verfassungsgesetzlich geschütztes Grundrecht - beim ggstl. Sachverhalt der Beurteilung durch eine medizinisch sachverständige Person.
Dementsprechend wurden durch die 19. StVO-Novelle die Organe der Straßenaufsicht nur mehr für jene Fälle ausdrücklich zur Anordnung von Maßnahmen ermächtigt, in denen eine Vermutung einer Alkoholbeeinträchtigung gegeben ist. In § 5 Abs.6 StVO 1960 ist eine ausdrückliche Ermächtigung für die Organe der Straßenaufsicht nicht enthalten. Sie sind lediglich berechtigt, die betroffene Person zum diensthabenden Arzt einer öffentlichen Krankenanstalt zu bringen (§ 5 Abs.7). Bei der gebotenen restriktiven Auslegung dieser Gesetzesbestimmung ist daher der Schluß naheliegend, daß die Organe der Straßenaufsicht nicht ermächtigt sind, ohne vorherige Beurteilung des Sachverhaltes durch eine (medizinisch) sachverständige Person einen für die betreffende Person rechtsverbindlichen Eingriff in ein verfassungsgesetzlich geschütztes Grundrecht anzuordnen.
Die dargelegte Auslegung wird offensichtlich auch durch namhafte Autoren vertreten. Sowohl Stolzlechner (ZVR 1994, S.356) als auch Messiner (Straßenverkehrsordnung, 9. Auflage, Anm. 23 zu § 5, Seite 169) vertreten die Auffassung, daß an der betreffenden Person die Blutabnahme zum Zwecke der Alkoholbestimmung dann durchzuführen ist, wenn die ursprüngliche Vermutung infolge der amtsärztlichen Untersuchung nach Abs.5 Z2 zu einem Verdacht erhärtet wird bzw. die Verpflichtung des vom Arzt gemäß § 5 Abs.5 Z2 Untersuchten, der Aufforderung zur Vorführung vor einen diensthabenden Arzt einer öffentlichen Krankenanstalt zum Zwecke der Bestimmung des Blutalkoholgehaltes Folge zu leisten, nur dann besteht, wenn sich durch die amtsärztliche Untersuchung die ursprüngliche Vermutung der Alkoholbeeinträchtigung zu einem Verdacht erhärtet hat. Inwieweit nun die Beurteilung eines Sachverhaltes in bezug auf den Verdacht einer Alkoholbeeinträchtigung tatsächlich ausschließlich eines Amtsarztes bedarf kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, da nicht erwiesen werden kann, daß die mit dem Fall befaßten Organe der Straßenaufsicht vor der Aufforderung zur Blutabnahme diesbezüglich einen Arzt befragt haben. Diese Vorgangsweise wäre jedoch in Anbetracht der oben dargelegten Rechtslage nicht zulässig gewesen.
Nachdem nicht erwiesen werden kann, daß im vorliegenden Falle sämtliche Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Aufforderung zur Blutabnahme gegeben waren, war in dubio pro reo der Berufung Folge zu geben und das Verwaltungsstrafverfahren gegen die Berufungswerberin einzustellen.
Lediglich der Ordnung halber wird im ggstl. Zusammenhang darauf hingewiesen, daß das Tatbestandsmerkmal des Verdachtes im Sinne des § 5 Abs.6 auch in der Verfolgungshandlung bzw im Spruch des Straferkenntnisses vorgeworfen werden müßte.