RS UVS Oberösterreich 1996/02/15 VwSen-221166/7/Kl/Rd

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 15.02.1996
beobachten
merken
Rechtssatz

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadt L vom 16.3.1992, GZ, wurde die gewerbebehördliche Betriebsanlagenänderungsgenehmigung für die Erweiterung durch Errichtung einer Abfüllerei für Lacke und Lösungsmittel und eines Leergebindelagers unter Vorschreibung von Auflagen erteilt, so ua:

"30. Hinsichtlich der Abfüll- und Verpackungsmaschinen sind die Vorschriften der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie, "Sicheres Arbeiten in der Lackindustrie", ZH 1/233, einzuhalten."

Bei den genannten Vorschriften der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie handelt es sich um in Österreich nicht durch Gesetz oder Verordnung verbindlich erklärte deutsche Normen, welche aber in Deutschland verbindlich sind und Gesetzeskraft haben. Sie sind je nach Berufszweig in einem Kompendium zusammengefaßt und beschreiben Gefahrensituationen und geben Empfehlungen zur Vermeidung der Gefährdungen ab, wobei jede Vorschrift in mehrere Punkte und Unterpunkte untergliedert ist.

Wenn auch im nunmehr angefochtenen Straferkenntnis dem Bw neben der Nichteinhaltung des Punktes des obzitierten Bescheides auch der nichteingehaltene Passus der Vorschriften der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie, ZH 1/233, vorgehalten wurde, so ermangelt diesem Vorwurf aber trotzdem die Strafbarkeit. Es wurde nämlich in den Punkt 30. des Genehmigungsbescheides nicht aufgenommen, welche Untergliederung dieser Vorschrift ZH 1/233 einzuhalten wäre bzw. welche Maßnahmen zur Einhaltung dieser Vorschrift zu treffen sind. Nach der ständigen Judikatur des VwGH, zuletzt im Erkenntnis vom 23.5.1995, 95/04/0035, wird dadurch, daß beim Straftatbestand auf die in den Genehmigungsbescheiden vorgeschriebenen Auflagen und Aufträge verwiesen wird, das jeweilige, in einem solchen Bescheid enthaltene Gebot oder Verbot Teil des Straftatbestandes, was voraussetzt, daß derartige Auflagen so klar gefaßt sein müssen, daß sie dem Verpflichteten jederzeit die Grenzen seines Verhaltens und damit die Einhaltung der Auflagen zweifelsfrei erkennen lassen. Diesen Erfordernissen entspricht die im Strafbescheid angeführte Auflage schon deshalb nicht, weil hiedurch einerseits Vorschriften als bekannt vorausgesetzt werden, welche in Österreich keine Rechtsverbindlichkeit aufweisen, und aber davon abgesehen, andererseits dem Konkretisierungserfordernis nicht Rechnung getragen wurde. Wie nämlich der Bw zutreffend rügt, widerspricht es dem Erfordernis der Bestimmtheit der Auflagen, wenn dem Konsenswerber aufgetragen wird, ein Kompendium einer deutschen Norm einzuhalten, ohne die entsprechende Untergliederung anzugeben oder die konkreten zur Erzielung des Arbeitnehmerschutzes geforderten Maßnahmen vorzuschreiben. Es bleibt sohin dem Konsenswerber überlassen, welche Maßnahmen er im einzelnen für geeignet hält und ergreift. Nach der ständigen Judikatur des VwGH muß ein Bescheidspruch, durch den eine Verpflichtung auferlegt wird, so bestimmt gefaßt sein, daß eine Durchsetzung im Wege des VVG möglich ist (VwGH vom 18.9.1984, Slg. 11518A). Im übrigen erfordert bereits das Bestimmtheitsgebot nach § 59 Abs.1 AVG jene Bestimmtheit und nicht bloß Bestimmbarkeit, daß aufgrund des Bescheides ohne Dazwischentreten eines weiteren Ermittlungsverfahrens und einer neuerlicher Entscheidung eine Vollstreckungsverfügung ergehen kann (vgl. Hauer-Leukauf, Handbuch des österr. Verwaltungsverfahrens, Seite 436 f mN). Es müssen daher bescheidmäßige Gebote oder Verbote so klar gefaßt sein, daß sie zweifelsfrei die Grenzen des erlaubten Verhaltens und damit dem Unrechtsgehalt der Zuwiderhandlung erkennen lassen (VwGH 25.2.1993, 92/04/0164).

Weil durch die gegenständliche Bescheidauflage im Genehmigungsbescheid aber konkrete Maßnahmen nicht vorgeschrieben wurden und im übrigen auch nicht genau abgegrenzt wurde, welcher Teil der Bestimmungen einzuhalten ist, entbehrte daher schon das dem Strafvorwurf zugrundeliegende einzuhaltende Gebot der erforderlichen Bestimmtheit, weshalb die Nichteinhaltung dieser Auflage nicht zum Vorwurf gemacht werden kann und keine Strafbarkeit abgeleitet werden kann. Es war daher das diesbezügliche Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

Gemäß § 21 Abs.1 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, AAV, BGBl. Nr. 218/1983 idF BGBl. Nr. 220/1993 (zum Tatzeitpunkt geltende Fassung), müssen Ausgänge aus Räumen so angelegt sein, daß der zurückzulegende Weg zu einem Stiegenhaus, zu einem unmittelbar ins Freie führenden Ausgang (Endausgang) oder zu einem brandbeständig ausgeführten Gang, der ein Entfernen aus dem Gefahrenbereich leicht ermöglicht, von jedem Punkt der Baulichkeit nicht mehr als 40 m beträgt; bei brandgefährdeten Räumen ohne selbsttätig wirkende Feuerlöschanlagen darf diese Entfernung nicht mehr als 30 m und bei explosionsgefährdeten Räumen nicht mehr als 20 m betragen. Gemäß § 100 AAV sind Übertretungen dieser Verordnung nach Maßgabe des § 31 des ASchG zu ahnden.

Nach den Ergebnissen des Verfahrens erster Instanz, den Ausführungen in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses und der Nichtbestreitung in der Berufung geht als erwiesen hervor, daß der Fluchtweg von den Behältern der Halle 1 aus dem Bereich der Abfüllanlage ca. 35 m zum Tatzeitpunkt betrug. Dabei handelt es sich um einen explosionsgefährdeten Raum. Dazu gibt der Bw im Zuge seiner Rechtfertigungen im Verwaltungsstrafverfahren vor der Strafbehörde selbst an, daß der Fluchtweg von den Behältern der Halle 1 im Dezember 1993 errichtet wurde.

Da es sich bei § 21 Abs.1 AAV um eine gesetzliche Vorschrift handelt, die jederzeit bei entsprechenden Arbeiten einzuhalten ist, war eine entsprechende Vorschreibung nicht erforderlich. Es hätte daher der Bw als Arbeitgeber für die Einhaltung des gesetzlichen Arbeitnehmerschutzes Sorge tragen müssen. Es hat daher der Bw den diesbezüglichen Tatbestand objektiv erfüllt. Seine Verantwortung dahingehend, daß er durch Umbauarbeiten die Verkürzung des Fluchtweges nicht sofort nach der Beanstandung durchführen konnte, gehen hingegen ins Leere, weil der Bw ohnehin von Anfang an vor Durchführung der Arbeiten für einen entsprechenden Arbeitnehmerschutz zu sorgen hat. Allein der Umstand, daß dem AI der zu lange Fluchtweg bekannt war, berechtigt den Bw nicht, Arbeiten unter Mißachtung des gesetzlichen Arbeitnehmerschutzes durchführen zu lassen. Von einem behördlichen Konsens hingegen konnte aber insofern nicht ausgegangen werden, da eine bescheidmäßige Genehmigung nicht vorliegt und auch vom Bw nicht behauptet wird.

In gleicher Weise konnte sich der Bw auch nicht auf einen Irrtum berufen, weil von einem Arbeitgeber verlangt werden kann, daß er insbesondere die dem Arbeitnehmerschutz dienenden Vorschriften vor Aufnahme des Betriebes kennt bzw. daß er sich davon bei der zuständigen Behörde Kenntnis verschafft. Es kann daher eine diesbezügliche Rechtsunkenntnis ein Verschulden des Bw nicht ausschließen. Im übrigen wurde aber vom zuständigen AI der zu lange Fluchtweg auch beanstandet, sodaß auch diesbezüglich dem Bw die Unrechtmäßigkeit geäußert und bewußt wurde.

Im übrigen genügt gemäß § 5 Abs.1 VStG zur Strafbarkeit bereits fahrlässiges Verhalten, wobei Fahrlässigkeit bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen ist, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. Auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung ist ein Ungehorsamsdelikt, dh, daß iSd obigen Bestimmung Fahrlässigkeit ohne weiteres anzunehmen ist. Im übrigen kann einem Gewerbetreibenden und Arbeitgeber, wie es der Bw ist, zugemutet werden, daß er die für die Ausübung des Gewerbes und die für den Betrieb maßgeblichen Arbeitnehmerschutzvorschriften kennt oder sich zumindest Kenntnis darüber verschafft. Es liegt daher jedenfalls eine Sorgfaltsverletzung des Bw als Arbeitgeber vor. Weil auch - wie schon in der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses dargelegt wurde - dem Bw anläßlich der Genehmigung der Umbauten der zu lange Fluchtweg mitgeteilt und eine Verkürzung mit der Behörde besprochen wurde, eine Ausnahme von dem gesetzlich vorgeschriebenen Fluchtweg aber nicht erteilt wurde, konnte sich der Bw mit seinem Vorbringen nicht entlasten bzw. keinen Entlastungsnachweis erbringen.

Die vom Bw ins Treffen geführte Bestellung des Sicherheitsbeauftragten Ing. H kann den Bw im gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren ebenfalls nicht entlasten. Gemäß § 21 ASchG ist nämlich in jedem Betrieb, in dem regelmäßig mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigt sind, oder wo aufgrund ihrer Eigenart für die Arbeitnehmer eine besondere Gefährdung besteht, durch bescheidmäßige Anordnung ein sicherheitstechnischer Dienst einzurichten. Dieser hat den Arbeitgeber und die Arbeitnehmer bei der Durchführung des Arbeitnehmerschutzes im Betrieb zu unterstützen und zu beraten. Der Leiter des sicherheitstechnischen Dienstes ist unmittelbar dem Arbeitgeber oder dessen Bevollmächtigten zu unterstellen. Der vorhin Genannte wurde über bescheidmäßige Anordnung vom 17.6.1986 zum Sicherheitstechniker bestellt und der Behörde und dem AI namhaft gemacht. Da dieser aber nur unterstützende und beratende Funktion hat, kommt ihm eine Verantwortung zur Durchsetzung des Arbeitnehmerschutzes - wie den Arbeitgeber und dessen Bevollmächtigten trifft - nicht zu. Daß der namhaft gemachte Sicherheitstechniker aber zum Bevollmächtigten mit der entsprechenden Anordnungs- und Entscheidungsbefugnis bestellt worden ist und dieser Bestellung auch zugestimmt hat, wurde in der Berufung nicht einmal behauptet. Es kommt daher dem Sicherheitstechniker keine Bevollmächtigtenstellung iSd ASchG zu. Im übrigen sei aber auch angemerkt, daß die Bestellung eines Bevollmächtigten nach dem ASchG die Verantwortung des Bw als Arbeitgeber nicht aufhebt, sondern dieser neben dem Bevollmächtigten strafbar bleibt, wenn die Übertretung mit seinem Wissen begangen wurde oder wenn er es bei der nach den Verhältnissen möglichen Beaufsichtigung des Betriebes oder bei der Auswahl oder bei der Beaufsichtigung des Bevollmächtigten an der erforderlichen Sorgfalt fehlen läßt. Daß er aber den Sicherheitsbeauftragten entsprechend kontrolliert hätte, wurde ebenfalls nicht in der Berufung behauptet.

Schließlich wurde vom Bw auch nicht behauptet, daß er einen verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs.2 und 4 VStG bestellt hat. Dabei ist aber anzumerken, daß die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten initiativ vom verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen geltend zu machen und auch unter Beweis zu stellen ist (vgl. Hauer-Leukauf, S 770ff mN). Weil aber gerade einem geschäftsführenden Gesellschafter und nach außen vertretungsbefugten Betreiber eines Unternehmens die Kenntnis der für den Betrieb maßgeblichen Rechtsvorschriften zugemutet werden muß, kann daher der weiters vorgebrachte Irrtum über die Bestellung des Sicherheitsbeauftragten bzw. eines Bevollmächtigten nicht als unverschuldet und daher als nicht schuldausschließender Irrtum gewertet werden. Gerade weil der Bw angibt, daß er "sich nicht zu jeder Zeit und überall in seinem Betrieb Gewißheit verschaffen kann, daß die angeordneten Maßnahmen des Arbeitnehmerschutzes auch eingehalten werden", wäre es aus der Sicht eines verantwortungsvollen Arbeitgebers erforderlich gewesen, einen verantwortlichen Beauftragten oder zumindest einen Bevollmächtigten zu bestellen und diesen in einem ausreichenden Ausmaß zu kontrollieren, wobei aber stichprobenartige Kontrollen, wie sie vom Bw eingewendet werden, nicht genügen. Angesichts des mangelhaften bzw. nicht in Richtung eines Bevollmächtigungsverhältnisses geführten Vorbringens war der angebotene Beweis nicht aufzunehmen.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten