RS UVS Oberösterreich 1996/03/06 VwSen-103532/2/Bi/Fb

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Veröffentlicht am 06.03.1996
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Rechtssatz

In rechtlicher Hinsicht ist auszuführen, daß die Rechtsmittelwerberin grundsätzlich weder die Lenkereigenschaft noch die Erfüllung des Tatbestandes der ihr vorgeworfenen Verwaltungsübertretung bestritten hat. Sie hat jedoch das Vorliegen einer Notstandssituation behauptet, die im Einklang mit den Bestimmungen des § 6 VStG im Hinblick auf rechtliche Relevanz zu überprüfen war.

Gemäß § 6 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann unter Notstand iSd § 6 VStG nur ein Fall der Kollision von Rechten und Pflichten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, daß einer eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht. Als Merkmal des Notstandes hat eine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben, die Freiheit oder das Vermögen zu gelten (vgl VwGH vom 27. Mai 1987, 87/03/0112).

Zum Wesen des Notstandes gehört auch, daß die Gefahr zumutbarerweise nicht in anderer Art als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlung zu beheben ist (vgl ua VwGH vom 15. April 1983, 82/04/0169).

Nimmt der Täter irrtümlich eine Notstandssituation an, so ist er entschuldigt, sofern der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Notstandes nicht auf Fahrlässigkeit beruht, also ihm vorwerfbar ist, wobei im Fall einer Fahrlässigkeit die Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens schon im Rahmen der Fahrlässigkeit, jedenfalls im Fall unbewußter, zu prüfen ist (vgl VwGH vom 27. Juni 1984, 83/03/0321).

Auf der Grundlage des Berufungsvorbringens ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, daß die den PKW lenkende Rechtsmittelwerberin im Zuge ihrer Fahrt auf der W von ihrem Beifahrer, der "unter argem Brechreiz und Darmkoliken" litt, ersucht wurde, möglichst schnell zum nächsten Parkplatz zu fahren. Sie hat, um dorthin zu gelangen, die Geschwindigkeit des PKW sofort erhöht, weil sie darin die einzige Möglichkeit gesehen habe, dem Beifahrer die Möglichkeit zu geben, sich Erleichterung zu verschaffen. Aus dem Radarfoto geht hervor, daß die Geschwindigkeitsmessung zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, als die Rechtsmittelwerberin mit einer Geschwindigkeit von 173 km/h - nach Abzug der von den gemessenen 182 km/h abgezogenen Toleranzwerte - auf der Überholspur der W auf dem bergab führenden Teil des "S" fuhr.

Geht man davon aus, daß sich der Zeuge B tatsächlich in einem solchen körperlichen Zustand befand, daß ihm eine Fortsetzung der Fahrt unter keinen Umständen möglich war, was bei argem Brechreiz und akutem Durchfall durchaus vorstellbar ist, so vermag dies im gegenständlichen Fall die Geschwindigkeitsüberschreitung der Rechtsmittelwerberin in keinem Fall zu rechtfertigen oder gar zu entschuldigen.

Bei einem derart akuten Zustand, der im übrigen keine Gefahr für die Gesundheit darstellt, da sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der menschliche Körper in einer solchen Situation von selbst hilft, hätte für die Rechtsmittelwerberin nur die Möglichkeit bestanden, möglichst rasch ihr Fahrzeug am Pannenstreifen zum Stillstand zu bringen, um dem Beifahrer ein möglichst rasches Aussteigen zu ermöglichen.

Aus dem Radarfoto geht hervor, daß der von der Rechtsmittelwerberin gelenkte PKW zweitürig war, dh auf der Beifahrerseite nur eine Tür zur Verfügung stand, hinter die der Zeuge zum Schutz vor den Blicken der sich von hinten nähernden Fahrzeuglenker "flüchten" hätte können; abgesehen davon befinden sich neben der Autobahn Leitplanken, die denselben Zweck erfüllen hätten können. In objektiver Hinsicht ist dem Argument der Rechtsmittelwerberin nichts entgegenzusetzen, daß eine solche Vorgangsweise jeder menschlichen Würde widerspricht. Tatsache ist aber, daß gewisse biologische Vorgänge von einem Menschen nicht beeinflußt werden können und diesem in einem solchen Fall nur die Möglichkeit bleibt, möglichst schnell einen möglichst geeigneten Ort dafür zu finden. Das Argument der Erstinstanz, dem Zeugen wären auch auf dem Pannenstreifen Sträucher zur Verfügung gestanden, ist in diesem Zusammenhang nicht von der Hand zu weisen. Wenn die Rechtsmittelwerberin anführt, der Zeuge hätte sich auf dem nächstgelegenen Parkplatz sofort "in die Büsche geschlagen", so ist dem hinzuzufügen, daß auch hier nach der allgemeinen Lebenserfahrung keinerlei Sichtschutz bestanden haben kann, weil Sträucher Ende Februar keine Blätter tragen. Von der Rechtsmittelwerberin wurde weder behauptet, daß der Zeuge eine dort befindliche Toilette aufgesucht, noch sonstigen Sichtschutz gesucht hätte. Abgesehen davon ist zweifelhaft, ob es dem Zeugen in einem derart akuten Zustand überhaupt möglich gewesen wäre, weitere Strecken zu Fuß zurückzulegen.

Das Argument der Rechtsmittelwerberin, es sei unfallgefährdend, auf der Autobahn "jäh abzubremsen, um auf den Pannenstreifen abzubiegen", ist für den unabhängigen Verwaltungssenat schlicht unverständlich. Zum einen ist vorauszusetzen, daß ein PKW-Lenker nicht "jäh" abbremst und "abbiegt", sondern ist vielmehr davon auszugehen, daß dieser unter entsprechender Signalgebung (Blinker bzw Warnblinkanlage) den PKW nach rechts auf den Pannenstreifen lenkt und dort erst die Geschwindigkeit zum Stillstand vermindert. Daß bei einer solchen Fahrsituation auf nachfolgende Fahrzeuge Bedacht zu nehmen ist, braucht wohl nicht erst betont zu werden. Würde man der Auffassung der Rechtsmittelwerberin folgen, wäre allein schon der Vorgang des Abstellens des PKW auf dem Pannenstreifen derart unfallgefährdend, daß nicht nur dessen Benützung, sondern sogar dessen Daseinszweck grundsätzlich in Frage zu stellen wäre. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß der Pannenstreifen ohnedies nur für absolute Notfälle gedacht ist, wobei bei Vorliegen eines akuten Brech-Durchfalls tatsächlich von einem Notfall auszugehen ist.

Verfolgt man hingegen die der Rechtsmittelwerberin vorgeworfene und von ihr gar nicht bestrittene Verhaltensweise dergestalt, daß sie, eben um ihrem Beifahrer möglichst schnell Erleichterung zu verschaffen, unter starker Beschleunigung ihres Fahrzeuges offenbar unter Vornahme eines Fahrstreifenwechsels auf die Überholspur andere Fahrzeuge überholt hat, um möglichst schnell den nächstgelegenen Parkplatz zu erreichen, so kann dies nur bedeuten, daß die Lage, in der sich der Beifahrer befand, nicht so akut gewesen sein kann, weil er sonst die Zeit, die die Rechtsmittelwerberin für ihre Fahrt auf der Überholspur und das zweimalige Umspuren zur Parkplatzausfahrt gebraucht haben muß, nicht durchgehalten hätte.

Bedenkt man weiters, daß sich auf der W im angeführten Abschnitt in Fahrtrichtung W kurz nach der Ausfahrt S bei km ein als Pannenplatz gekennzeichneter Parkplatz befindet - Brech-Durchfall-Anfälle kommen in der Regel nicht gänzlich unvorhersehbar, sodaß ein vorsorgliches Aufsuchen des Parkplatzes möglich und angebracht gewesen wäre - und sich bei km der nächste Pannenplatz befindet - hier hätte bei der auf der Überholspur eingehaltenen Geschwindigkeit eher die Gefahr des Übersehens bestanden -, so hätte es tatsächlich nicht nur eine einzige Möglichkeit der Reaktion der Rechtsmittelwerberin auf das Ersuchen ihres Beifahreres gegeben.

Die Rechtsmittelwerberin hat aber durch die von ihr eingehaltene Geschwindigkeit, die über 40 km/h (!) über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit lag, ein ungleich höheres Unfallrisiko auf sich genommen, als durch das bloße Ausrollenlassen des PKW auf dem Pannenstreifen jemals entstehen hätte können.

Das Vorliegen einer Notstandssituation ist daher im gegenständlichen Fall schon deshalb zu verneinen, weil im Hinblick auf den Zeugen B weder eine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben oder für die Gesundheit bestand, während die Geschwindigkeitsüberschreitung der Rechtsmittelwerberin und der zum Zweck des Erreichens des Autobahnparkplatzes notwendige zweimalige Fahrstreifenwechsel mit einem Unfallrisiko verbunden war, das eine mögliche Gefährdung der Rechtsgüter Leben, Gesundheit und Vermögen sowohl der Rechtsmittelwerberin und ihres Beifahrers als auch anderer Verkehrsteilnehmer nach sich ziehen hätte können. Ein sofortiges Anhalten auf dem Pannenstreifen hätte hingegen ein vernachlässigbar geringes Unfallrisiko bedeutet, zumal die Rechtsmittelwerberin im Fahrzeug verbleiben hätte können und dem Zeugen auf der Beifahrerseite keinerlei Gefahr gedroht hätte. Ein für möglich gehaltenes Unfallrisiko stellt aber ebenfalls keine unmittelbar drohende Gefahr dar, zu deren einzig geeigneter Abwehr die Geschwindigkeitsüberschreitung erforderlich gewesen wäre. Die in diesem Zusammenhang vom rechtsfreundlichen Vertreter dargebotene Schilderung der Kindheitserlebnisse seiner Töchter ist letztlich nicht auf den gegenständlichen Fall zu übertragen, weil die Möglichkeit der Beherrschung der körperlichen Vorgänge weniger mit dem Alter der betreffenden Person als mit der jeweiligen Intensität des Brech-Durchfalls zu tun hat.

Wenn sich die Rechtsmittelwerberin darauf beruft, ihr sei die von ihr gewählte Vorgangsweise in diesem Augenblick als die günstigste erschienen, so ist dem entgegenzuhalten, daß von einem mit den rechtlichen Werten verbundenen und mit der Gabe des logischen Denkens ausgestatteten Menschen, der noch dazu im Besitz einer Lenkerberechtigung mit vorangegangener entsprechender Ausbildung ist, erwartet werden muß, die Wichtigkeit verschiedener Rechtsgüter beurteilen zu können, um letztlich die mit der geringeren Gefahr verbundene Vorgangsweise wählen zu können.

Wenn der Zeuge B, so wie von der Rechtsmittelwerberin behauptet, diese ersucht hat, auf den nächsten Parkplatz zu fahren, läßt dies einerseits den Schluß zu, daß die Situation nicht so akut war, daß eine derartige Geschwindigkeitsüberschreitung in Kauf zu nehmen gewesen wäre, und zum anderen vermag auch der Wunsch, ihrem Beifahrer zu helfen, deren - im gegenständlichen Fall wohl als vorsätzlich anzusehenden - Entschluß in keiner Weise zu rechtfertigen oder gar zu entschuldigen.

Auf dieser Grundlage gelangt der unabhängige Verwaltungssenat zu der Auffassung, daß die Rechtsmittelwerberin den ihr zur Last gelegten Tatbestand erfüllt und ihr Verhalten als Verwaltungsübertretung zu verantworten hat.

Die Voraussetzungen des § 21 Abs.1 VStG für ein Absehen von der Strafe und die Erteilung einer Ermahnung waren im gegenständlichen Fall schon deshalb nicht erfüllt, weil von einem geringfügigen Verschulden - wie bereits oben ausgeführt - nicht ausgegangen werden kann.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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