RS UVS Oberösterreich 1996/03/11 VwSen-420090/21/Gf/Km

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Veröffentlicht am 11.03.1996
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Rechtssatz

Gemäß § 2 Z1 und 2 des den Waffengebrauch im Rahmen der polizeilichen Zwangsbefugnisse regelnden Waffengebrauchsgesetzes, BGBl. Nr.149/1969, zuletzt geändert durch BGBl. Nr.422/1974 (im folgenden: WaffGebG), dürfen u.a. Organe der Bundespolizei insbesondere in Ausübung des Dienstes im Falle gerechter Notwehr oder zur Überwindung eines auf die Vereitelung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes von Dienstwaffen - wozu speziell auch Schußwaffen zählen - Gebrauch machen. Ein lebensgefährdender Waffengebrauch ist hingegen nach § 7 WaffGebG u. a. nur im Falle gerechter Notwehr zur Verteidigung eines Menschen oder zur Erzwingung der Festnahme bzw. der Verhinderung des Entkommens eines allgemein gefährlichen Menschen zulässig. Nach § 4 WaffGebG ist der Waffengebrauch überdies nur statthaft, wenn ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen - wie insbesondere die Aufforderung zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes, die Androhung des Waffengebrauches, die Verfolgung eines Flüchtenden, die Anwendung von Körperkraft oder verfügbare gelindere Mittel (wie insbesondere Handfesseln oder technische Sperren) - ungeeignet scheinen oder sich als wirkungslos erwiesen haben.

Stehen verschiedene Waffen zur Verfügung, so darf gemäß § 5 WaffGebG nur von der am wenigsten gefährlichen, nach der jeweiligen Lage noch geeignet scheinenden Waffe Gebrauch gemacht werden. Nach § 6 WaffGebG darf der Zweck eines Waffengebrauches gegen Menschen nur sein, diesen angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen.

Gemäß § 8 WaffGebG ist ein lebensgefährdender Waffengebrauch - von Fällen gerechter Notwehr abgesehen - ausdrücklich, zeitlich unmittelbar vorangehend und deutlich wahrnehmbar anzudrohen. Unter Notwehr ist nach § 3 Abs.1 erster Satz StGB eine angemessene Verteidigungshandlung zu verstehen, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff u. a. auf Leben, Gesundheit oder körperliche Unversehrtheit von sich oder einem anderen abzuwehren.

Vorauszuschicken ist, daß in einem Verfahren gemäß Art.129a Abs.1 Z2 B-VG lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit (vgl. § 67c Abs.4 AVG) der behördlichen Amtshandlung, nicht jedoch auch jene des Verschuldens des einschreitenden Organwalters (diese Ebene ist vom Zivilgericht - im Amtshaftungsverfahren; vgl. § 1 Abs.1 AHG - bzw. vom Strafgericht - in einem allfälligen Strafverfahren wegen § 87 Abs.2 StGB; vgl. § 4 StGB - zu klären) zu entscheiden ist. Davon ausgehend war zunächst zu beurteilen, ob sich der einschreitende Sicherheitswachebeamte bei der Abgabe des Schusses in einer Notwehr(Nothilfe)situation befand.

Zwar bestand in diesem Augenblick keine unmittelbare Gefahr für die körperliche Sicherheit der Exgattin des Beschwerdeführers und jene des zweiten Zeugen, weil sich beide zu diesem Zeitpunkt zum einen in sicherer Entfernung vom Beschwerdeführer befanden und jener zum anderen keine Angriffshandlungen (mehr) gegen jene richtete. Insoweit bedurften diese sohin keines aktuellen, sondern allenfalls (der Beschwerdeführer war ja gerade im Begriff, das Haus zu verlassen) lediglich eines potentiellen Schutzes durch den einschreitenden Sicherheitswachebeamten. Eine Nothilfelage war sohin nicht gegeben.

Andererseits hatte der Beschwerdeführer aber zuvor einen - wenngleich sein Ziel weitgehend verfehlenden - Faustschlag gegen das Gesicht des Sicherheitswachebeamten geführt, sodaß dessen seitliche Drehung unter gleichzeitigem Heben der Arme objektiv besehen durchaus als eine Angriffsaktion gegen den Beamten gewertet werden konnte. Daher war es seitens des einschreitenden Organes grundsätzlich gerechtfertigt, zur Hintanhaltung eines Eingriffes in seine körperliche Integrität Notwehr zu üben.

Da das WaffGebG den Begriff der "Notwehr" bzw. der "Notwehrüberschreitung" nicht eigenständig definiert, sondern diesen vielmehr voraussetzt, liegt es schon deshalb, weil ein Waffengebrauch durch Sicherheitsorgane regelmäßig nur im Zusammenhang mit der Vereitelung bzw. Aufklärung gerichtlich strafbarer Taten erfolgt, nahe, insoweit an die Bestimmungen des StGB anzuknüpfen.

In diesem Zusammenhang legt § 3 Abs.1 zweiter Satz StGB fest, daß die Abwehrhandlung nicht gerechtfertigt (und damit rechtswidrig) ist, wenn es offensichtlich ist, daß dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung - insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers - unangemessen ist. Damit wird das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Notwehrhandlung festgelegt, wie dieses im übrigen auch das WaffGebG insgesamt (vgl. die §§ 4, 5 und 6 WaffGebG) dominiert. Unter diesem Aspekt war im gegenständlichen Fall insbesondere zu berücksichtigen, daß zwar beide Kontrahenten die gleiche Körpergröße aufwiesen, der Sicherheitswachebeamte jedoch über einen kräftigeren Körperbau (athletischer Typ) als der Beschwerdeführer (leptosomer Typ) verfügte. Außerdem hat das Polizeiorgan im Zuge seiner Ausbildung eine Zweikampfschulung (Judo) erfahren, die seither ständig trainiert wird, während der Beschwerdeführer glaubhaft versicherte, keinerlei Zweikampftechniken zu beherrschen. Und zudem war der Beschwerdeführer offensichtlich unbewaffnet, während der Sicherheitswachebeamte außer seiner Dienstpistole noch einen Gummiknüppel sowie einen Tränengasspray zur Verfügung hatte. Im Ergebnis war der Beschwerdeführer nur insoweit im Vorteil, als dieser zum einen hochgradig erregt war und sich zum anderen - weil er auf Stufen stand - auf einer etwas höheren Position befand. In einer derartigen Situation erweist sich ein lebensgefährdender Waffengebrauch - um einen solchen handelt es sich bei der gezielten Abgabe eines Pistolenschusses auf einen in Bewegung befindlichen menschlichen Körper (tatsächlich verfehlte das Projektil die Beinhauptschlagader des Beschwerdeführers nur um 4 mm) - jedenfalls als unverhältnismäßig. Hier hätten zweifelsfrei gelindere Mittel - z. B. bloßes Ausweichen (wie beim zuvor versuchten Faustschlag) oder Zurückweichen und anschließende Verfolgung (der Beschwerdeführer bewegte sich ja in Richtung Ausgang des Hauses), Anwendung von Körperkraft, Einsatz des Gummiknüppels oder des Tränengassprays sowie schließlich die Abgabe eines Warnschusses - ausgereicht, um den unmittelbar drohenden Angriff des Beschwerdeführers auf die körperliche Integrität des Sicherheitswachebeamten zuverlässig abzuwenden bzw. hätte zunächst zumindest versucht werden müssen, diese Mittel einzusetzen, bevor mit der eingriffsintensivsten Alternative vorgegangen wird.

Insoweit liegt sohin ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip des § 3 Abs.1 zweiter Satz StGB bzw. der §§ 4 bis 6 WaffGebG vor.

Der im gegenständlichen Fall vorgenommene Waffengebrauch erweist sich damit im Ergebnis als nicht durch die Bestimmungen des WaffGebG gedeckt. Der O.ö. Verwaltungssenat hatte daher der vorliegenden Beschwerde gemäß § 67c Abs.4 AVG stattzugeben und festzustellen, daß die auf den Befehl: "Halt, oder ich schieße!" hin vorgenommene Abgabe eines gezielten Schusses auf den Körper des Beschwerdeführers rechtswidrig war.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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