TE Vwgh Erkenntnis 2001/6/27 98/18/0169

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Veröffentlicht am 27.06.2001
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

FrG 1997 §38 Abs1 Z3;
StbG 1985 §10 Abs1 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Bayjones und Dr. Enzenhofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde des am 30. Juli 1973 geborenen R R, vertreten durch Dr. Gunther Gahleithner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 29. April 1998, Zl. SD 153/98, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 29. April 1998 wurde gegen den Beschwerdeführer (nach der Aktenlage: einen jugoslawischen Staatsangehörigen), gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer sei im Jahr 1985 im Lebensalter von 12 Jahren nach Österreich gekommen. Am 20. Jänner 1995 sei er vom Bezirksgericht Floridsdorf wegen "versuchten Diebstahls und Unterschlagung" zu einer Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Der Beschwerdeführer habe am 27. Juni 1994 versucht, einer wahlwerbenden politischen Partei Gegenstände im Gesamtwert von etwa S 2.000,-- zu entwenden und habe darüber hinaus eine Fundunterschlagung begangen.

Diese Verurteilung habe den Beschwerdeführer aber nicht davon abgehalten, neuerlich straffällig zu werden. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 11. Februar 1998 sei er wegen des Verbrechens nach § 28 Abs. 2 und Abs. 3 SMG sowie wegen Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung sei zu Grunde gelegen, dass der Beschwerdeführer im Juni oder Juli 1997 zur Aus- und Einfuhr von 440 g Heroin beigetragen und im Zeitraum von Juli 1997 bis 4. Oktober 1997 Heroin verkauft bzw. zum Weiterverkauf bereitgehalten habe. Er habe dabei in der Absicht gehandelt, sich dadurch eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Der Beschwerdeführer sei weiters für schuldig erkannt worden, von Mitte 1995 bis 3. Oktober 1997 Suchtgift, nämlich Kokain, Marihuana, LSD, Ecstasy und Speed erworben und besessen zu haben. Anlässlich einer Hausdurchsuchung an der Adresse des Beschwerdeführers hätten mehr als S 100.000,--, die zum Großteil aus dem Erlös von Suchtgiftgeschäften gestammt hätten, sichergestellt werden können.

Es könne kein Zweifel bestehen, dass das dieser Verurteilung zu Grunde liegenden Fehlverhalten des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit in höchstem Maß gefährde, sodass sich die Erlassung des Aufenthaltsverbotes - vorbehaltlich der Bestimmungen der §§ 37 und 38 FrG - im Grund des § 36 Abs. 1 leg. cit. als gerechtfertigt erweise.

Auf Grund des langjährigen inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers und im Hinblick darauf, dass er mit seiner gesamten Familie im Bundesgebiet lebe, liege ein mit dem Aufenthaltsverbot verbundener Eingriff in sein Privat- und Familienleben vor. Dessen ungeachtet sei die Zulässigkeit dieser Maßnahme im Grund des § 37 leg. cit. zu bejahen. Im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität sei die Erlassung des Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Ziele, hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, zum Schutz der Rechte Dritter sowie zum Schutz der Gesundheit, als dringend geboten zu erachten. Dies umso mehr, als der Beschwerdeführer wegen gewerbsmäßiger Tatbegehung verurteilt worden sei, was für sich allein eine positive Zukunftsprognose für ihn nicht zulasse.

Im Rahmen der nach § 37 Abs. 2 leg. cit. vorzunehmenden Interessenabwägung sei auf den seit dem Jahr 1985 gegebenen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet Bedacht zu nehmen gewesen. Der daraus und aus seiner Beschäftigung ableitbaren Integration komme aber insofern kein entscheidendes Gewicht zu, als die dafür erforderliche soziale Komponente durch die von ihm begangenen Straftaten erheblich gemindert werde. Auch die Bindung zu seinen Familienangehörigen werde durch den Umstand, dass der Beschwerdeführer erwachsen sei, relativiert.

Diesen - solcherart geminderten - familiären und privaten Interessen des Beschwerdeführers stehe das hoch zu veranschlagende öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität gegenüber. Unter Bedachtnahme auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Zusammenhang mit Suchtgiftdelikten auch bei ansonsten völliger sozialer Integration eines Fremden nicht rechtswidrig sei, sei die belangte Behörde bei Abwägung der genannten Interessenlagen zur Auffassung gelangt, dass die Auswirkungen der vorliegenden Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie keinesfalls schwerer wögen als die gegenläufigen öffentlichen Interessen und damit die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme.

Entgegen der offensichtlichen Rechtsansicht des Beschwerdeführers komme die von ihm ins Treffen geführte Bestimmung des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG vorliegend nicht zum Tragen. Wie oben dargelegt, sei der Beschwerdeführer bereits im Jahr 1994 straffällig und in weiterer Folge wegen Vermögensdelikten rechtskräftig verurteilt worden. Dieses Fehlverhalten hätte bereits zum damaligen Zeitpunkt - was der Beschwerdeführer im Nachhinein sehr augenfällig bestätigt habe - keine Gewähr dafür geboten, dass er zur Republik Österreich bejahend eingestellt sei und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bilde. Der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft wäre demnach die Bestimmung des § 10 Abs. 1 Z. 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 entgegengestanden. Das Aufenthaltsverbot erweise sich demnach auch im Grund des § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG als zulässig.

Was die Gültigkeitsdauer dieser Maßnahme betreffe, so erscheine die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung auch nach Ansicht der belangten Behörde gerechtfertigt. In Anbetracht des aufgezeigten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers könne ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gemäß § 38 Abs. 1 Z. 3 FrG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 (im Folgenden: StbG), verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Nach § 10 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. kann einem Fremden die Staatsbürgerschaft u.a. nur dann verliehen werden, wenn er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat.

Vor dem Hintergrund dieser Bestimmungen ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes zu prüfen, ob der Fremde vor Verwirklichung des ersten von der Behörde zulässigerweise zur Begründung eines Aufenthaltsverbotes herangezogenen Umstandes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. September 1998, Zl. 98/18/0170) mindestens zehn Jahre seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen in Österreich hatte.

2. Die belangte Behörde hat zur Begründung des Aufenthaltsverbotes - zweifellos zulässigerweise - die der festgestellten Verurteilung vom 11. Februar 1998 zu Grunde liegenden Tathandlungen herangezogen. Sie hat auch die Verurteilung des Beschwerdeführers "wegen versuchten Diebstahls und Unterschlagung" erwähnt. Die dieser Verurteilung zu Grunde liegende Straftat hat sie jedoch weder zur Begründung ihrer Ansicht, die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt, noch bei der Abwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG verwertet. Diese Straftat wurde somit von der belangten Behörde nicht zur Begründung des Aufenthaltsverbotes herangezogen.

Das der Verurteilung vom 11. Februar 1998 wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG zu Grunde liegende Fehlverhalten (Erwerb und Besitz von Suchtgift, nämlich Kokain, Marihuana, LSD, Ecstasy und Speed) wurde unstrittig bereits ab "Mitte 1995" gesetzt. Der Beschwerdeführer ist nach der unbestrittenen Feststellung im angefochtenen Bescheid "im Jahr 1985" nach Österreich gekommen und hält sich seither im Bundesgebiet auf. Mangels anderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass er in diesem Zeitraum hier auch seinen Hauptwohnsitz hatte. Diese - unpräzise - Feststellung ermöglicht jedoch keine abschließende Beurteilung, ob der Beschwerdeführer im Zeitpunkt "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" die Voraussetzung für die Verleihung der Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 StbG erfüllte.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde daher die Frage zu klären haben, ob der Beschwerdeführer im Zeitraum von zehn Jahren vor Begehung der besagten strafbaren Handlungen (ab Mitte 1995) im Bundesgebiet in der Absicht niedergelassen war, hier den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu begründen.

3. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 27. Juni 2001

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:1998180169.X00

Im RIS seit

24.01.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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