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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1993 §17 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. W. Pesendorfer und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Thoma als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. iur. Mag. (FH) Schärf, über die Beschwerde der V I, (geboren am 29. Juni 1953), in Wien, vertreten durch Dr. Michael Kunz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 9. Dezember 1997, Zl. SD 895/97, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 9. Dezember 1997 wurde die Beschwerdeführerin, eine russische Staatsangehörige, gemäß § 17 Abs. 1 des Fremdengesetzes - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, ausgewiesen.
Die Beschwerdeführerin sei am 13. Oktober 1990 erstmals in das Bundesgebiet eingereist und habe zunächst Sichtvermerke, gültig bis 30. August 1993, erhalten. Ihre letzte Einreise sei mit einem von der österreichischen Botschaft in Moskau ausgestellten, bis 14. April 1995 gültigen Sichtvermerk erfolgt. Ihr am 16. Dezember 1994 in Moskau eingebrachter (Erst-)Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 22. August 1995 und im Instanzenzug mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. Juli 1996 wegen Vorliegens des Sichtvermerksversagungsgrundes nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG abgewiesen worden. Der Beschwerdeführerin seien nämlich eine rechtskräftige Verurteilung durch das Bezirksgericht Innere Stadt Wien vom 18. Dezember 1995 wegen der Vergehen nach § 270 Abs. 1, § 89 StGB und eine rechtskräftige Bestrafung wegen unrechtmäßigen Aufenthalts (vom 26. Juli 1994 bis 4. Oktober 1994) zur Last gelegen. Da sich die Beschwerdeführerin seit 15. April 1995 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, sei die Voraussetzung des § 17 Abs. 1 erster Halbsatz FrG erfüllt. In einem solchen Fall sei die Ausweisung zu verfügen, sofern dem nicht § 19 leg. cit. entgegenstehe.
Auf Grund der Tatsache, dass sich der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin, der pflegebedürftig sei, und deren gemeinsames Kind im Bundesgebiet aufhielten, sei von einem Eingriff in ihr Privat- und Familienleben auszugehen gewesen. Den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch die Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Diese Regelungen seien von der Beschwerdeführerin in gravierender Weise missachtet worden. Zu ihren Ungunsten falle - abgesehen von der langen Dauer ihres unrechtmäßigen Aufenthaltes in Österreich von mehr als zweieinhalb Jahren - weiters ins Gewicht, dass sie diesen Aufenthalt ungeachtet der rechtskräftigen Abweisung ihres Antrags nach dem Aufenthaltsgesetz und trotz der erfolgten Bestrafung wegen illegalen Aufenthalts (vom 30. Juli 1996 bis 11. Juni 1997) fortgesetzt habe. Die damit bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet. Dieses Abwägungsergebnis werde durch den Umstand bekräftigt, dass sie rechtens nicht in der Lage sei, ihren Aufenthalt in Österreich von hier aus zu legalisieren. Hinzu komme, dass sie nicht nur die für sie maßgeblichen fremdenpolizeilichen Vorschriften missachtet, sondern darüber hinaus gegen strafrechtliche Normen verstoßen habe, was eine zusätzliche Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Verhinderung strafbarer Handlungen zur Folge habe. Unter diesen Gesichtspunkten träten die familiären und sonstigen Bindungen der Beschwerdeführerin in den Hintergrund, zumal sie ihrer Sorgepflicht gegenüber ihrer Tochter grundsätzlich auch dadurch nachkommen könne, dass sie das Kind ins Ausland mitnehme.
Die Beschwerdeführerin lege auch nicht konkret dar, dass ihr Lebensgefährte nicht auch von anderen Personen zielführend im Inland versorgt werden könnte. Es hätte ihr bereits zum Zeitpunkt ihrer zuletzt erfolgten Einreise bewusst sein müssen, dass sie nur dann mit einem weiteren legalen Aufenthalt in Österreich rechnen dürfe, wenn sie über die dafür erforderliche behördliche Bewilligung verfüge. Sie habe zwar ihren Antrag nach dem Aufenthaltsgesetz im Ausland eingebracht, jedoch die Entscheidung darüber nicht abgewartet und sei in das Bundesgebiet eingereist. Auch nach Abweisung ihres Antrages sei sie weiterhin - unrechtmäßig - im Bundesgebiet verblieben. Es liefe dem öffentlichen Interesse an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens zuwider, könnte sich ein Fremder auf diese Weise den Aufenthalt im Bundesgebiet auf Dauer erzwingen.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zunächst ist festzuhalten, dass dem angefochtenen Bescheid auf dem Boden der insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde kein Bescheid zugrunde liegt, mit dem die Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung (§ 6 AufG) versagt oder mit dem der Verlust einer Aufenthaltsbewilligung (§ 8 AufG) verfügt wurde; die Übergangsbestimmung des § 114 Abs. 5 des Fremdengesetzes 1997, BGBl. I Nr. 75, kommt im vorliegenden Beschwerdefall daher nicht zum Tragen.
2. Diesen Feststellungen der belangten Behörde zufolge war der Beschwerdeführerin zuletzt ein bis 14. April 1995 gültiger Sichtvermerk erteilt worden und wurde ihr am 16. Dezember 1994 in Moskau gestellter (Erst-)Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung im Instanzenzug mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. Juli 1996 abgewiesen. Im Hinblick darauf hegt der Verwaltungsgerichtshof gegen die - von der Beschwerde unbekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass sich die Beschwerdeführerin unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte und demgemäß der Tatbestand des § 17 Abs. 1 erster Halbsatz FrG erfüllt sei, keine Bedenken.
3.1. Im Licht des § 19 FrG bringt die Beschwerde vor, dass die Beschwerdeführerin seit dem Jahr 1990 mit ihrem Lebensgefährten, einem österreichischen Staatsbürger, und ihrer gemeinsamen, am 21. November 1990 in Wien geborenen Tochter, die in Österreich seit ihrer Geburt aufhältig sei, seit Herbst 1997 die Volksschule besuche und äußerst gut integriert sei, zusammenlebe. Ihre Tochter sei als Angehörige eines Österreichers im Sinn des § 29 FrG gemeinschaftsrechtlich begünstigt. Da der Lebensgefährte der Beschwerdeführerin seit einem Arbeitsunfall invalid sei und sich wegen paranoider Schizophrenie in Frühpension befinde, könnte er die gemeinsame Tochter nicht versorgen, sodass diese mit ihrer Mutter Österreich verlassen müsste, was ihr nicht zuzumuten wäre. Überdies würde die Ausweisung der Beschwerdeführerin zu einer Verschlechterung des derzeit stabilisierten Krankheitsbildes ihres Lebensgefährten führen. Ferner sei ihr nicht ein zweieinhalbjähriger, sondern lediglich ein eineinhalbjähriger unrechtmäßiger Aufenthalt anzulasten und liege ihre geringfügige strafrechtliche Verurteilung schon längere Zeit zurück.
3.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.
Zutreffend hat die belangte Behörde zwar auf das große öffentliche Interesse hingewiesen, das aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch den Normadressaten zukommt (vgl. aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 9. September 1999, Zl. 96/21/0862, mwN). Wenn die Beschwerdeführerin vorbringt, dass ihr lediglich ein eineinhalbjähriger unrechtmäßiger Aufenthalt angelastet werden dürfte, so kann diese Behauptung nicht nachvollzogen werden, verfügte die Beschwerdeführerin doch zuletzt lediglich über einen bis 14. April 1995 gültigen Sichtvermerk und konnte ihr die Stellung des (Erst-)Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, der in weiterer Folge abgewiesen wurde, keine weitere Aufenthaltsberechtigung verschaffen. Ungeachtet dessen, dass die Beschwerdeführerin durch ihren unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich seit 15. April 1995, somit (bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides) in der Dauer von rund zwei Jahren und acht Monaten, in gravierender Weise gegen das vorgenannte öffentliche Interesse verstoßen hat, wozu noch kommt, dass sie unbestrittenermaßen am 18. Dezember 1995 wegen der Vergehen nach § 270 Abs. 1, § 89 StGB verurteilt wurde und sie (nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten: am 10. Oktober 1994) wegen unrechtmäßigen Aufenthalts in der Zeit vom 26. Juli 1994 bis 4. Oktober 1994 rechtskräftig bestraft wurde, hat die belangte Behörde jedoch den persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin nicht das ihnen gebührende Gewicht beigemessen. Hätte sie dies getan, so wäre sie unter Berücksichtigung des Umstands, dass sich die Beschwerdeführerin laut den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen seit ihrer erstmaligen Einreise am 13. Oktober 1990 zunächst auf Grund ihr erteilter Sichtvermerke, wobei der letzte bis 14. April 1995 gültig war, jeweils rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hatte, und im Hinblick auf ihre persönlichen Bindungen zu ihrem Lebensgefährten, der laut den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen pflegebedürftig ist, und zu deren gemeinsamen Kind, zu dem Ergebnis gelangt, ihre Ausweisung gemäß § 19 FrG nicht dringend geboten ist.
4. Vor diesem Hintergrund erweist sich der angefochtene Bescheid als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 27. Juni 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:1998180073.X00Im RIS seit
13.11.2001