TE Vwgh Erkenntnis 2001/6/28 2000/16/0603

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Veröffentlicht am 28.06.2001
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E6J;
L34007 Abgabenordnung Tirol;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

61997CJ0126 Eco Swiss VORAB;
61997CJ0437 Evangelischer Krankenhausverein Wien VORAB;
BAO §299;
BAO §301;
EURallg;
LAO Tir 1984 §222;
LAO Tir 1984 §224;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde der A in U, vertreten durch die Treuhand-Union, WP/StB Dr. Pircher - WP/StB Mag. Wolfgang Reitschuler Wirtschafttreuhand KEG in 6020 Innsbruck, Neuhauserstraße 7, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 3. Juli 2000, Zl. Ib-8251/15, betreffend Getränkesteuer (mitbeteiligte Partei: Gemeinde U, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Tirol Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde schrieb der Beschwerdeführerin mit Bescheid vom 7. April 1997 die Getränke- und Speiseeissteuer für die Jahre 1992 bis 1996 vor.

Mit den im Instanzenzug ergangenen Bescheiden des Gemeindevorstandes vom 27. Jänner 1999 wurde nach durchgeführten Prüfungen der Berufung der Beschwerdeführerin stattgegeben, der Bescheid des Bürgermeisters vom 7. April 1997 behoben und die Getränke- und Speiseeissteuer für die Zeiträume 1992 bis 1996 neu festgesetzt. Diese Bescheide blieben unangefochten und wurden rechtskräftig.

Mit Schreiben vom 7. Oktober 1999 stellte die Beschwerdeführerin den "Antrag auf Aufhebung der Getränkesteuerbescheide 1995 und 1996" nach § 222 TLAO. Sie brachte vor, der Nachweis der Unrichtigkeit des "Prüfungsergebnisses", das der Abgabenvorschreibung zu Grunde liege, sei erbracht und vom Prüfer bestätigt worden. In einem "Urgenzschreiben" vom 22. März 2000 wies die Beschwerdeführerin auf das Urteil des EuGH in der Getränkesteuerangelegenheit vom 9. März 2000, Rs C-437/97, hin.

Mit Bescheiden vom 9. Mai 2000 versagte der Gemeindevorstand der mitbeteiligten Gemeinde die beantragte Aufhebung der Bescheide. Da weder in der Sach- noch in der Rechtslage Änderungen eingetreten seien, müssten die Anträge auf Aufhebung der Getränke- und Speiseeissteuerbescheide vom 27. Jänner 1999 zurückgewiesen werden. Die Abgabenbehörde gehe nicht mehr in eine neuerliche Prüfung der Sachfrage ein.

In ihren dagegen erhobenen Vorstellungen brachte die Beschwerdeführerin vor, es werde ihren vorgebrachten Einwendungen zum wiederholten Male aus dem Weg gegangen. Die durch ihre Fristversäumnis eingetretene Rechtskraft der Bescheide betreffend Getränkesteuer für die Jahre 1992 bis 1996 ändere nichts an der Unrichtigkeit der Prüfungsergebnisse bei der Wiederholungsprüfung. Ferner wurde unzureichende Würdigung des Einwendungen, Begründungsmängel und Verletzung des Parteiengehörs geltend gemacht.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die gegen diese Bescheide erhobenen Vorstellungen als unbegründet ab. Die belangte Behörde vertrat die Ansicht, das auf Behebung der Bescheide nach § 222 TLAO eingebrachte Anbringen vermittle nicht nur keinen Anspruch auf Sacherledigung, sondern auch keinen Anspruch auf eine förmliche Erledigung überhaupt. Die Rechtsprechung gehe davon aus, dass die den Oberbehörden eingeräumte Aufsichtsgewalt nicht dem Schutz subjektiver Rechte der Parteien, sondern der Wahrung öffentlicher Interessen diene. Die Entscheidung der Ausübung dieser Befugnis oder deren Unterbleiben sei daher der Ingerenz der Parteien entzogen. Die Beschwerdeführerin könne daher in ihren Rechten gar nicht verletzt werden.

Dagegen richtet sich die Beschwerde, mit der die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf gewissenhafte Ermessenskontrolle durch die Tiroler Landesregierung verletzt.

Die belangte Behörde legte den Verwaltungsakt vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Beschwerdeführerin "beantragte" eine Behebung der Bescheide nach § 222 TLAO.

Auf die Ausübung der nach den §§ 222 und 223 der Behörde zustehenden Rechte steht nach § 224 TLAO niemandem ein Recht zu.

Die zuständige Oberbehörde ist, sofern sie auf Grund einer Parteianregung keinen Anlass findet, von ihrem Behebungsrecht Gebrauch zu machen, gemäß der - mit § 301 BAO insoweit vergleichbaren - Bestimmung des § 224 TLAO nicht verpflichtet ist, einen (ablehnenden) Bescheid zu erlassen. Es steht ihr frei, den Einschreiter hievon durch eine formlose Mitteilung in Kenntnis zu setzen. Im Hinblick auf diese Bestimmung kann ein verletztes subjektives Recht nicht gegeben sein, sodass die Anrufung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts bei Verweigerung aufsichtsbehördlicher Maßnahmen ausgeschlossen ist (vgl. Stoll, BAO-Kommentar, 2902).

Die Abgabenbehörde zweiter Instanz setzte die Beschwerdeführerin nicht durch eine bloß formlose Mitteilung von der Ablehnung der angeregten Bescheidbehebung in Kenntnis, sondern versagte mit den mit Vorstellung bekämpfbaren Bescheiden eine solche Maßnahme. Die belangte Behörde hatte daher auf Grund der gegen diese Bescheide erhobenen Vorstellungen über die Rechtmäßigkeit dieser Bescheide abzusprechen.

Die Beschwerdeführerin stützte ihre Anregung auf Bescheidbehebung allein auf die nicht näher konkretisierte Behauptung, es sei der Nachweis der Unrichtigkeit der Prüfungsergebnisse erbracht worden, und wies in dem Urgenzschreiben vom 22. März 2000 auch noch auf das Urteil des EuGH vom 9. März 2000, Rs C-437/97, hin.

Bei einem solchen Vorbringen war die Abgabenbehörde zweiter Instanz in ihrer Ermessensentscheidung nicht verhalten, die rechtskräftig gewordenen Abgabenbescheide nach § 222 TLAO aufzuheben.

Mit dem angefochtenen Bescheid konnte die belangte Behörde daher deswegen auch im Ergebnis mit Recht die Vorstellungen abweisen.

Die Beschwerdeführerin hat im Übrigen auch keinen Rechtsbehelf im Sinn des Urteiles des EuGH vom 9. März 2000, Rs C- 437/97, eingebracht. Zunächst ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin erstmals in ihrem Schreiben vom 22. März 2000 die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Getränkesteuer geltend gemacht hat. Nach Spruchpunkt 3. dieses Urteils kann sich niemand auf Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 92/12 berufen, um Ansprüche betreffend Abgaben wie die Steuer auf alkoholische Getränke, die vor Erlass dieses Urteils entrichtet wurden oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt. Selbst wenn die Anregung zur Bescheidbehebung als "Rechtsbehelf" angesehen werden könnte, hätte damit im Beschwerdefall die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Getränkesteuer mit einer Eingabe vom 22. März 2000 nicht mehr geltend gemacht werden können. Ferner ist zu beachten, dass nationale Verfahrensvorschriften, die die Möglichkeit der Aufhebung von Bescheiden nach Ablauf einer Rechtsmittelfrist beschränken, durch grundlegende Prinzipien des nationalen Rechtssystems, wie der Rechtssicherheit und der daraus abgeleiteten Rechtskraft, nach der Rechtsprechung des EuGH gerechtfertigt sind (vgl. etwa das Urteil des EuGH vom 1. Juni 1999, Eco Swiss China Time Ltd gegen Benetton International NV, Rs C-126/97, Rz 46, 1999, I-3055). Der EuGH versteht unter "Rechtsbehelf", dass seitens der Parteien "rechtzeitig Schritte zur Wahrung ihrer Rechte unternommen werden" (vgl. die im hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2000, Zl. 2000/16/0296, zitierte Rechtsprechung des EuGH). Mit einem Antrag auf ein Vorgehen gemäß § 222 TLAO wird kein Recht geltend gemacht, weil ein solches gemäß § 224 TLAO gar nicht besteht. Wird die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Getränkesteuer nach Ergehen eines Bescheides nicht innerhalb der Berufungsfrist geltend gemacht, sondern erstmals in einem Schreiben, in welchem die Aufhebung des rechtskräftigen Bescheides durch die Oberbehörde angeregt wird, so handelt es sich auch dann nicht um einen "Rechtsbehelf" im Sinn des Spruchpunktes 3. des EuGH-Urteils vom 9. März 2000, Rs C-437/97, wenn eine solche Anregung noch vor dem 9. März 2000 an die zuständige Behörde herangetragen worden wäre, weil im Fall der Vorschreibung der Getränkesteuer mit Bescheid der "Rechtsbehelf" im Sinn der zitierten Rechtsprechung keinesfalls die Anregung auf Behebung eines rechtskräftigen Bescheides im Aufsichtsweg durch die Oberbehörde ist.

Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 28. Juni 2001

Gerichtsentscheidung

EuGH 61997J0437 Evangelischer Krankenhausverein Wien VORAB
EuGH 61997J0126 Eco Swiss VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Terminologie Definition von Begriffen EURallg8 Rechtsbehelf keinDefinition von Begriffen mit allgemeiner Bedeutung VwRallg7 Rechtsbehelf keinIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3KEINRECHTSBEHELF

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2001:2000160603.X00

Im RIS seit

13.12.2001

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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