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E1E;Norm
11992E005 EGV Art5;Beachte
Vorabentscheidungsverfahren:* Vorabentscheidungsantrag des VwGH oder eines anderen Tribunals:2000/16/0640 B 23. März 2001 Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):2001/16/0011Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Kail als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über den Wiedereinsetzungsantrag und in der Beschwerdesache der P in W, vertreten durch Dorda Brugger & Jordis , Rechtsanwälte GesmbH in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 12, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission Wien vom 6. September 2001, Zl. MD-VfR - S 142/2000, betreffend Getränkesteuer, den Beschluss gefasst:
Spruch
1. Die Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der Verwaltungsgerichtshof-Beschwerde wird bewilligt.
2. Das Beschwerdeverfahren wird bis zur Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, welcher zu den hg. Beschwerden Zlen. 2000/16/0640 u.a. mit Beschluss vom 23. März 2001 angerufen worden war, ausgesetzt.
Begründung
Zu 1.: Der angefochtene Bescheid wurde der Beschwerdeführerin zu Handen ihrer Vertretung in Steuersachen am 9. Oktober 2000 zugestellt und langte am 17. November 2000 bei den nunmehrigen Rechtsvertretern der Beschwerdeführerin ein; die sechswöchige Beschwerdefrist wäre am 20. November 2000 abgelaufen. Die Beschwerdeführerin verband mit ihrer am 8. Jänner 2001 beim Verwaltungsgerichtshof eingelangten Beschwerde einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie gab dazu an, dass in der Kanzlei der Beschwerdevertreter sämtliche Gerichts- und Behördentermine in einem Terminvormerkkalender, der sich an zentraler Stelle in der Kanzlei befinde, vermerkt würden. Eine speziell dafür instruierte Kanzleikraft trage die Frist nach Einlangen der jeweiligen Schriftstücke in das Fristenbuch ein und mache auf dem Schriftstück einen entsprechenden Vermerk. Der zuständige Rechtsanwalt überprüfe den Fristeneintrag.
Da die Kanzlei der Beschwerdeführerin aufgrund einer Vereinbarung mit der Wirtschaftskammer Wien und Niederösterreich mehr als 300 Unternehmen in Getränkesteuerverfahren vertrete, oblag die Eintragung sämtlicher "Getränkesteuerfristen" der speziell dafür instruierten Kanzleikraft M. B. . Diese stets verlässliche Kanzleikraft habe am 17. November 2000 übersehen, die Frist in das Kanzleifristenbuch einzutragen. Der zu bekämpfende Bescheid sei in der Folge aus einem Versehen der dafür zuständigen Kanzleibediensteten Mag. N. P. nicht der für die Beschwerdeführerin zuständigen Rechtsanwältin Dr. Th. J. unverzüglich vorgelegt worden. Dieses einmalige Missgeschick sei der Kanzleibediensteten Mag. N. P. aufgrund der Vielzahl der von den Rechtsvertretern der Beschwerdeführerin betreuten Getränkesteuerverfahren unterlaufen. Der gegenständliche Bescheid sei irrtümlich unter einem Stapel anderer Bescheide liegen geblieben, was erstmals am 29. Dezember 2000 bemerkt worden sei. Erst am letztgenannten Tag habe die Rechtsanwältin Dr. Th. J. vom Bescheid Kenntnis erlangt.
Die Rechtsanwältin habe ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt, weil sie sich bei der Eintragung der Fristen im kanzleiinternen Fristenbuch eines Hilfsapparates bediene, wobei zwei Kanzleikräfte speziell für solche Eintragungen geschult seien. Die Rechtsanwälte der Kanzlei würden sich nicht auf diese Eintragungen verlassen, sondern sie selbst kontrollieren. Diese Kanzleiroutine habe bis 29. Dezember 2000 zu keinem Fehlverhalten geführt. Gegenüber der Kanzleibediensteten Mag. N.P. habe die ausdrückliche Weisung bestanden, Bescheide unverzüglich der zuständigen Rechtsanwältin vorzulegen. Durch diese ausdrückliche Weisung sei die Rechtsanwältin Dr. Th. J. ihrer Überwachungspflicht nachgekommen. Die Nichteintragung der Frist im Fristenbuch in Verbindung mit der Nichtvorlage des Bescheides an die Rechtsanwältin stelle eine Ausnahme dar, die die Rechtsanwältin nicht habe verhindern können und die ohne Verletzung der Aufsichtspflicht passiert sei, weil die Rechtsanwältin erstmals am 29. Dezember 2000 vom Bescheid Kenntnis erlangt habe.
Im Antrag wird weiters die Verlässlichkeit und Gewissenhaftigkeit der beiden Kanzleikräfte dargetan und ausgeführt, dass die Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin Tätigkeiten der Kanzleibediensteten trotz ihrer Zuverlässigkeit und Genauigkeit immer überprüften und kontrollierten.
Über Aufforderung durch den Verwaltungsgerichtshof legte die Beschwerdeführerin eidesstättigen Erklärungen der Kanzleikräfte M. B. und Mag. N. P. sowie der Rechtsanwältin Dr. Th. J. vor. In diesen eidesstättigen Erklärungen werden die Angaben im Antrag bestätigt. Hervorzuheben ist die Darstellung der Mag. N. P., die die Übernahme des Bescheides von M. B. bestätigt, und ausführt, dass sie diesen Bescheid weisungsgemäß unverzüglich Frau Dr. Th. J. hätte vorlegen müssen, dies jedoch aufgrund eines Versehens unterblieben sei. Der Bescheid sei irrtümlich unter einem Stapel anderer Bescheide liegen geblieben, was erstmals am 29. Dezember 2000 bemerkt worden sei.
Der im Wiedereinsetzungsantrag behauptete Sachverhalt ist aufgrund der eidesstättigen Erklärungen als bescheinigt anzusehen.
§ 46 Abs. 1 VwGG lautet:
"§ 46. (1) Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt."
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. Macht ein Wiedereinsetzungswerber als Wiedereinsetzungsgrund ein Versehen eines Kanzleiangestellten seines bevollmächtigten Rechtsanwaltes geltend, so hat er durch konkrete Behauptungen im Wiedereinsetzungsantrag nicht nur darzutun, worin das Versehen bestanden hat, sondern auch darzulegen, dass es zur Fehlleistung des Kanzleibediensteten gekommen ist, obwohl die dem Rechtsanwalt obliegende Aufsichts- und Kontrollpflichten eingehalten wurden. Wohl ist eine regelmäßige Kontrolle, ob eine erfahrene und zuverlässige Kanzleikraft rein manipulative Tätigkeiten auch tatsächlich ausführt, dem Rechtsanwalt nicht zuzumuten, will man nicht seine Sorgfaltspflichten überspannen (siehe das hg. Erkenntnis vom 30. März 2000, Zl. 2000/16/0057).
Im vorliegenden Fall ist es zu zwei Fehlleistungen durch Kanzleibedienstete gekommen: Einerseits hat es die dafür zuständige Kanzleikraft unterlassen, die Eintragung ins Fristenbuch vorzunehmen, andererseits hat eine andere Kanzleikraft, die mit der Vorlage an den Rechtsanwalt befasst ist, diese Vorlage weisungswidrig nicht vorgenommen.
Die - weisungswidrige - Nichtvorlage eines fristgebundenen Schriftstückes an den Anwalt muss aber als manipulative Tätigkeit, wie etwa die Kuvertierung, Beschriftung eines Kuverts oder die Postaufgabe angesehen werden, wozu der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat, dass in solchen Fällen, sofern nicht ein eigenes Verschulden des Rechtsanwaltes hinzutritt, das Verschulden der sonst verlässlichen Kanzleiangestellten seinem Verschulden nicht gleichzusetzen ist (siehe das hg. Erkenntnis vom 27. November 2000, Zl. 99/17/0394). Entscheidend ist allein, dass der Anwalt durch klare Weisungen an ein verlässliches Kanzleipersonal dafür Sorge trägt, dass ihm die Schriftstücke tatsächlich zukommen; wird eine solche Weisung verletzt und konnte der Anwalt im Hinblick auf das bisherige dienstliche Verhalten seines Mitarbeiters mit der Befolgung dieser Weisung rechnen, so kann aus der einmaligen Missachtung einer solchen Weisung ein Verschulden des Vertreters nicht abgeleitet werden (hg. Beschluss vom 10. Oktober 1999, Zl. 91/06/0162).
Dem rechtzeitig gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher Folge zu geben; gemäß § 46 Abs. 3 letzter Satz hat die Beschwerdeführerin die versäumte Prozesshandlung gleichzeitig nachgeholt.
Zu 2.: Der Verwaltungsgerichtshof hat zu den Beschwerdeverfahren Zlen. 2000/16/0640 u.a , betreffend Rückzahlung von Getränkesteuer, dem Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaft nachstehende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
"Stehen Artikel 10 EG (ex Artikel 5 EG-Vertrag) und der Spruchpunkt 3. des Tenors des Urteiles des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 9. März 2000 in der Rechtssache C- 437/97, Evangelischer Krankenhausverein Wien/Abgabenberufungskommission Wien und Wein & Co. HandelsgesmbH, früher Ikera Warenhandelsgesellschaft mbH/Oberösterreichische Landesregierung, Slg. 2000, I-1157, wonach sich niemand auf
Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 92/12/EWG berufen kann, um Ansprüche betreffend Abgaben wie die Steuer auf alkoholische Getränke, die vor Erlass dieses Urteiles entrichtet wurden oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt, der Anwendung der mit der Novelle der Wiener Abgabenordnung (WAO) vom 2. März 2000, LGBl. Nr. 9/2000, geschaffenen, auch auf vor der Kundmachung dieser Novelle entstandene Steuerschuldverhältnisse anzuwendenden Bestimmung des § 185 Absatz 3 WAO entgegen, wonach ein Rückzahlungsanspruch insoweit nicht zusteht, als die Abgabe wirtschaftlich von einem Anderen als dem Abgabepflichtigen getragen wurde?"
Die Frage, ob innerstaatliches Landesrecht durch das Gemeinschaftsrecht verdrängt wurde, bildet auch im gegenständlichen Fall eine Vorfrage, die zufolge des Auslegungsmonopols des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften in Angelegenheiten des (primären oder sekundären) Gemeinschaftsrechts von einem anderen Gericht zu entscheiden ist und dort schon Gegenstand eines anhängig gemachten Verfahrens ist. Es liegen daher die Voraussetzungen des gemäß § 62 Abs. 1 VwGG auch vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden § 38 AVG vor, weshalb mit einer Aussetzung vorgegangen werden konnte.
Wien, am 28. Juni 2001
Gerichtsentscheidung
EuGH 61997J0437 Evangelischer Krankenhausverein Wien VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2001160010.X00Im RIS seit
03.12.2001Zuletzt aktualisiert am
11.11.2011