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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Meinl und die Hofräte Dr. Steiner und Dr. Höfinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Valenta, über die Beschwerde der Landeshauptstadt Linz gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 17. Oktober 2000, Zl. Gem-523022/1-2000-Sto/Shz, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (in einer Getränkesteuerangelegenheit) und Getränkesteuer (mitbeteiligte Partei: B AG in L, vertreten durch Dr. Hans Oberndorfer u.a., Rechtsanwälte in Linz, Landstraße 9), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Schriftsatzaufwand in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit zwei im gemeindebehördlichen Instanzenzug ergangenen Berufungsentscheidungen vom 1. März 2000 hat die zuständige Abgabenberufungsbehörde der Beschwerdeführerin den von der mitbeteiligten Partei gegen zwei Bescheide des Magistrates Linz, Finanzrechts- und Steueramt vom 30. September 1999 erhobenen Berufungen keine Folge gegeben, Getränkesteuer für die Zeiträume vom 1. Jänner 1994 bis 31. Dezember 1997 bzw. vom 1. Jänner 1998 bis 31. Dezember 1998 (betreffend die Betriebsstätte 4020 Linz, Poschacherstraße 35) im Betrag von S 13,212.473,-- bzw. S 3,617.939,-- festgesetzt und die Anträge auf Rückzahlung als unbegründet abgewiesen.
Die beiden Berufungsbescheide enthielten jeweils folgende Rechtsmittelbelehrungen:
"Gegen diesen Bescheid ist gemäß § 64 Abs. 2 des Statutes für die Landeshauptstadt Linz das Rechtsmittel der Berufung nicht zulässig. Es kann jedoch gemäß § 74 leg.cit. die Vorstellung an die Aufsichtsbehörde eingebracht werden. Die Vorstellung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung dieses Bescheides schriftlich oder telegrafisch beim Magistrat Linz einzubringen. Sie hat den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie gerichtet ist, und einen begründeten Antrag zu enthalten. Aufschiebende Wirkung kommt ihr keine zu."
Die beiden Berufungsbescheide wurden der mitbeteiligten Partei am 3. März 2000 zugestellt. Die Vorstellungsfrist endete daher am 17. März 2000.
Am 7. April 2000 langten beim Magistrat Linz zwei mit 5. April 2000 datierte Vorstellungen zusammen mit einem gesonderten Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Vorstellungsfrist ein.
Darin wurde folgendes Vorbringen erstattet:
"Mit Post vom 6.3.2000 langten bei unserer Mandantschaft 2 Bescheide des Stadtsenates der Landeshauptstadt Linz, beide mit Datum 1.3.2000, ein. Die zuständige Sekretärin Frau K nahm die RSB-Briefe entgegen.
Bescheide bzw. andere behördliche Schriftstücke, bei denen eine Frist für ein Rechtsmittel gegeben ist, werden durch sie in die Fristenliste eingetragen. Frau K hat dies in der Vergangenheit immer zuverlässig erfüllt.
Auf Grund der großen Arbeitsbelastung auf Grund der Erstellung des Jahresabschlusses übersah die Sekretärin irrtümlich, dass es sich um Entscheidungen der Berufungsinstanz (Stadtsenat) der Landeshauptstadt Linz handelt und ging von Bescheiden aus, die einer 'normalen' Berufungsfrist von 4 Wochen unterliegen. Vorstellungen an die Aufsichtsbehörde unterliegen jedoch einer Frist von 2 Wochen. Frau K hat letztendlich eine Frist von 4 Wochen (Termin 6.April 2000) in die Fristenliste eingetragen. Dieser Fehler kam bei der zuständigen Mitarbeiterin erstmalig vor.
Alle RSB-Briefe werden nach Erfassung in der Fristenliste an die zuständige Sachbearbeiterin Frau Mag. G weitergeleitet. Sie überprüft die Eintragung der Bescheide in der Liste bzw. ob das richtige Datum eingetragen wird. Diese Überprüfung wird von Frau Mag. G regelmäßig, jedoch nicht lückenlos vorgenommen. Bezüglich der gegenständlichen Bescheide des Magistrates der Landeshauptstadt Linz wurde diese Überprüfung nicht vorgenommen.
Bei Ablauf einer Frist erinnert Frau K die zuständige Sachbearbeiterin Mag. G etwa 3 bis 5 Tage im Vorhinein, dass eine Frist abläuft.
Festzuhalten ist, dass sich sowohl Frau K als auch Frau Mag. G sich stets als zuverlässige Mitarbeiterinnen der B AG erwiesen haben. Festzuhalten ist weiters, dass die beiden genannten Mitarbeiterinnen stets jegliche Weisung ihres Arbeitgebers lückenlos und konsequent befolgt haben. Lediglich im konkreten Fall haben die beiden Mitarbeiterinnen übersehen, dass es sich um Bescheide der Berufungsinstanz handelt und dabei lediglich eine Vorstellungsfrist von 2 Wochen und nicht wie irrtümlich angenommen, eine Berufungsfrist von 4 Wochen besteht. Diese Irrtümer wurden am Montag, den 3.4.2000, aufgedeckt, da an diesem Tag das vermeintlich fristgerechte Rechtsmittel erhoben werden sollte.
Die Überwachung der Fristenverwaltung von der Sekretärin Frau K sowie die Überwachung der Arbeit von Frau Mag. G erfolgt durch die Abteilungsleiterin Frau Prok. Mag. U. Sie überprüft stichprobenartig die Eingangspost sowie die Eintragung von behördlichen Schriftstücken mit Rechtsmitteln in der Fristenliste. Weiters überprüft sie stichprobenartig, ob die Frist richtig in der Fristenliste eingetragen ist.
Auf Grund der einmaligen Unachtsamkeit der zuverlässigen Kanzleikraft Frau K sowie der zuverlässigen Sachbearbeiterin Mag. G liegt ein unvorhergesehenes unabwendbares Ereignis iSd §§ 71 f AVG vor. Diese Unachtsamkeit führte dazu, dass die betreffenden Bescheide nicht in der Fristenliste erfasst wurden und daher die 2-wöchige Frist zur Einbringung der Vorstellung an das Land Oberösterreich, die mit Zustellung dieser Bescheide an unsere Mandantschaft am 6.3.2000 in Gang gesetzt wurde, versäumt wurde."
Dem Wiedereinsetzungsantrag angeschlossen war unter anderem eine eidesstättige Erklärung der Mag. G vom 5. April 2000, die folgenden Inhalt hat:
"Hiermit erkläre ich, Frau Mag. G, an Eides statt, dass ich am 6.3.2000 zwei Bescheide des Stadtsenats der Landeshauptstadt Linz von Frau K entgegengenommen habe. Der 6.3.2000 war auf Grund der Jahresabschlusserstellung ein sehr intensiver Arbeitstag. Ich überprüfe regelmäßig, ob behördliche Schriftstücke mit einer Rechtsmittelfrist in der Fristenliste eingetragen sind sowie ob diese Frist auch richtig eingetragen ist. Die beiden genannten Bescheide habe ich nicht überprüft. Eine solche Überprüfung findet regelmäßig, jedoch nicht lückenlos statt."
Die belangte Behörde gab dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit der Begründung statt, das der Sekretärin unterlaufene Missgeschick stelle nur einen minderen Grad des Versehens dar. Sie hob weiters die angefochtenen Berufungsbescheide unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-437/97 auf und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Beschwerdeführerin zurück.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Bescheidbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Die beschwerdeführende Stadt erachtet sich - aus dem Beschwerdeinhalt immerhin erkennbar - in ihrem Recht auf Fortbestand der aufgehobenen Berufungsentscheidungen verletzt.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor; sie und die mitbeteiligte Partei erstatteten Gegenschriften, in denen die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet begehrt wird. Die Beschwerdeführerin replizierte darauf.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 71 AVG lautet auszugsweise:
"(1) Gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn:
1. die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder
..."
Gemäß § 72 Abs. 4 zweiter Satz AVG ist gegen die Bewilligung der Wiedereinsetzung kein Rechtsmittel zulässig, woraus folgt, dass die Bewilligung der Wiedereinsetzung unmittelbar mit Bescheidbeschwerde vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechtes bekämpfbar ist (vgl. dazu Walter/Thienel, MSA Verwaltungsverfahren13 Anm 4 zu § 72 AVG bzw. das bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens5 unter E 6 referierte hg. Erkenntnis vom 15. September 1983, Zl. 82/06/0067, in dem ausdrücklich anerkannt wurde, dass die durch eine von der Aufsichtsbehörde bewilligte Wiedereinsetzung in ihren Rechten verletzte Gemeinde zur Erhebung der Verwaltungsgerichtshofbeschwerde berechtigt ist).
Zu prüfen ist im vorliegenden Fall, ob die belangte Behörde frei von Rechtswidrigkeit das Vorliegen des Wiedereinsetzungstatbestandes gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG annehmen durfte.
Diese Frage ist im Beschwerdefall schon deshalb zu verneinen, weil die mitbeteiligte Partei als Wiedereinsetzungswerberin in ihrem Antrag nach Schilderung des Fehlverhaltens ihrer Sekretärin K betreffend die Kontrolle der Eintragung in das Fristenbuch durch die dafür zuständige Sachbearbeiterin Mag. G ausdrücklich vorgebracht hat: "Bezüglich der gegenständlichen Bescheide des Magistrats der Landeshauptstadt Linz wurde diese Überprüfung nicht vorgenommen." Warum dies der Fall war, insbesondere ob das Unterbleiben der an sich regelmäßig erfolgten Kontrolle Folge eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses war, wird mit keinem Wort gesagt! Der Umstand, dass die einer Sekretärin überlassene Fristeneintragung nicht von einer dazu qualifizierten Kraft lückenlos kontrolliert wird, begründet einen erheblichen Organisationsmangel im Kontrollsystem.
Bereits dadurch, dass die belangte Behörde auf diesen Umstand im angefochtenen Bescheid gar nicht Bedacht genommen hat, hat sie ihn mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.
Dazu kommt, dass die behauptete Arbeitsüberlastung der Sekretärin K nach der hg. Judikatur keinen Wiedereinsetzungsgrund darstellt (vgl. z.B. die bei Ritz, BAO-Kommentar2 Rz 12 zu § 308 BAO referierte Entscheidung vom 25. September 1991, Zl. 91/16/0046, bzw. die zur "Hektik des letzten Arbeitstages vor dem Urlaub" bei H. Mayer, MKK B-VG2 704 angeführte Entscheidung vom 12. Juli 1989, Zl. 89/01/0225; weiters die hg. Beschlüsse vom 26. Juni 1997, Zlen. 97/16/0166, 0167, und vom 2. Oktober 1996, Zl. 96/21/0225, ua).
Schließlich ist auch die Tatsache, dass drei mit der Fristenvormerkung und Kontrolle befasste Kräfte der mitbeteiligten Partei (wovon zwei mit einem akademischen Grad bezeichnet werden) die ausdrücklich auf die 2-wöchige Vorstellungsfrist verweisende Rechtsmittelbelehrung nicht beachtet haben, nicht mehr als minderer Grad des Versehens zu werten.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, wobei zufolge der als rechtswidrig aufzuhebenden Bewilligung der Wiedereinsetzung auch der Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides der Aufhebung unterfallen musste, weil nur ein erfolgreicher Wiedereinsetzungsantrag einen Rechtsbehelf im Sinne des Urteiles des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-437/97 darzustellen vermag.
Mit Rücksicht auf die zitierte hg. Rechtsprechung konnte die vorstehende Entscheidung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat getroffen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 28. Juni 2001
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2001:2000160777.X00Im RIS seit
29.11.2001