RS UVS Oberösterreich 1996/10/21 VwSen-103133/15/Weg/Ri

JUSLINE Rechtssatz

Veröffentlicht am 21.10.1996
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Rechtssatz

Unstrittig ist, daß sich der Berufungswerber am 19. April 1994 von L (nach Deutschland) polizeilich abgemeldet hat, nachdem er zuvor ca. 10 Jahre unter der Adresse L, N-zeile, gemeldet war. Anschließend war der Berufungswerber nach den Meldedaten wiederum vom 21.7.1994 bis zum 11.10.1994 in L, N-zeile mit ordentlichem Wohnsitz gemeldet. Unstrittig ist auch, daß der Berufungswerber seit 2.5.1994 bis 25.1.1995 in E gemeldet war. Der Beschuldigte hat in Deutschland die Führerscheinprüfung mit Erfolg abgelegt und ihm wurde vom Landratsamt E am 7.6.1994 unter der Nummer X ein deutscher Führerschein ausgestellt, nach welchem die Berechtigung zum Lenken von Kraftfahrzeugen der Klassen 3, 4 und 5 besteht. Innerhalb eines Zeitraumes von ca. einem Jahr nach dem Führerscheinerwerb wurde der Berufungswerber zumindest 20 Mal anläßlich einer Lenkerkontrolle beanstandet und wurde ihm dabei zum Vorwurf gemacht, daß keine Berechtigung bestünde, mit dem deutschen Führerschein in Österreich PKW's zu lenken. Dies wurde als Lenken eines PKW's ohne gültige Lenkerberechtigung zur Anzeige gebracht und wurden die entsprechenden Verwaltungsstrafverfahren durchgeführt und mit einer Unzahl von Straferkenntnissen, gegen welche berufen wurde, abgeschlossen.

Es steht desweiteren fest, daß ein Administrativverfahren im Sinne des § 86 Abs.1a KFG 1967, nämlich das Recht abzuerkennen, von einem ausländischen Führerschein Gebrauch zu machen, nicht durchgeführt wurde. Offenbar, weil die im § 73 KFG 1967 angeführten Gründe nicht als vorliegend angesehen wurden. Dies bedeutet, daß der Berufungswerber als iSd § 66 KFG 1967 verkehrszuverlässig bewertet und geistig sowie körperlich aber auch fachlich befähigt angesehen wurde, ein Kraftfahrzeug zu lenken. Eine mögliche andere administrative Maßnahme, nämlich die Erlassung eines Feststellungsbescheides über das Fehlen der Berechtigung zum Lenken von Kraftfahrzeugen auf Grund einer ausländischen Lenkerberechtigung, wurde ebenfalls nicht gesetzt. Auch ein Verwaltungsstrafverfahren wegen Verletzung des Meldegesetzes (Vorfrage) wurde nicht durchgeführt bzw. mit keiner Strafverfügung oder einem Straferkenntnis beendet. Die Erstbehörde hat zur Lösung des gegenständlichen Rechtsproblemes vielmehr eine Vielzahl von Verwaltungsstrafverfahren wegen der Verwaltungsübertretung nach § 134 Abs.1 iVm § 64 Abs.1 KFG 1967 durchgeführt.

Fest steht desweiteren, daß der Berufungswerber noch heute mit der im Jahre 1994 erworbenen deutschen Lenkerberechtigung in Österreich Kraftfahrzeuge lenkt und daß er seinen Umschreibungsantrag auf einen österreichischen Führerschein im Hinblick auf die ihm seitens der Bundespolizeidirektion L eröffnete Rechtslage (daß nämlich seit dem 1.7.1996 EU-Führerscheine ohne weitere Umschreibung auch länger als ein Jahr Gültigkeit haben) zurückgezogen hat.

Vorweg sei noch zur österreichischen Rechtslage festgestellt, daß das KFG 1967 drei Möglichkeiten eröffnet, mit einer ausländischen Lenkerberechtigung in Österreich Kraftfahrzeuge zu lenken. Es sind dies die Bestimmungen des § 64 Abs.5, des § 84 Abs.1 und des § 79 Abs.3, jeweils KFG 1967. Die Möglichkeiten des § 79 Abs.3 und des § 84 Abs.1 KFG 1967 hat die Erstbehörde offenbar nicht ins Auge gefaßt, was hinsichtlich des § 79 Abs.3 KFG 1967 in Ermangelung einer Doppelwohnsitzbestätigung verständlich ist, aber im Hinblick auf die Behauptung des Berufungswerbers, er habe während des Tatzeitraumes in der BRD seinen Wohnsitz gehabt, eines erläuternden Hinweises zumindest in der Begründung bedurft hätte. Die Strafbehörde hat ihrem Spruch lediglich das Nichtvorliegen der Ausnahmebestimmung nach § 64 Abs.5 KFG 1967 zugrundegelegt und ist auf die Ausnahmebestimmung des § 84 Abs.1 KFG 1967 weder im Spruch noch in der Begründung des Straferkenntnisses eingegangen. Zur Rechtslage muß ferner noch angemerkt werden, daß die Erste Richtlinie 80/1263/EWG des Rates vom 4.12.1980 zur Einführung eines EG-Führerscheines durch den EU-Beitritt am 1.1.1995 Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung geworden ist (acquis communautaire) und diese Richtlinie, wenn sie schon nicht eine direkt anwendbare Vollzugsnorm darstellt (was auch schon zweifelhaft erscheint), so doch jedenfalls als eine den gegenständlichen Fall bestimmende Auslegungsrichtlinie anzusehen ist (siehe dazu unten). Der unabhängige Verwaltungssenat hat vor allem zum Problem des ordentlichen Wohnsitzes umfangreiche Ermittlungen angestellt. So fand eine öffentliche mündliche Verhandlung am 29.4.1996 statt, welche am 27.9.1996 fortgesetzt wurde. Es wurden Erhebungen bei der Polizeiinspektion E gepflogen, letztlich wurde vom Berufungswerber am 11.10.1996 noch eine Bestätigung des J K hinsichtlich der Wohnsitzbegründung des Beschuldigten in E, Hstraße, vorgelegt. Es geht - zumindest und vordergründig nach der österreichischen Rechtslage - darum, ob der Beschuldigte (wenn auch nicht über ein ganzes Jahr oder noch länger) irgendwann seinen ordentlichen Wohnsitz in Deutschland begründet hat, wobei im Hinblick auf die Aktenlage, daß der Beschuldigte zwischen Mai und September 1994 in Österreich nicht (wie ab Oktober) gesichtet wurde, auf diesen Zeitraum oder einen Teil davon abzustellen war.

Dem sind rechtliche Erwägungen voranzustellen. Der Begriff "ordentlicher Wohnsitz" ist im Kraftfahrgesetz nicht näher definiert. Aus der Rechtsprechung der Höchstgerichte entwickelte sich eine einheitliche Auslegung, nach welcher nachstehende Kriterien entscheidend sind:

Es ist ein tatsächliches Moment (Niederlassung einer Person an einem Ort) und ein psychisches Moment (Absicht, diesen Ort bis auf weiteres zum Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu gestalten) als wohnsitzbegründend anzusehen. Dabei ist es hinsichtlich des psychischen Elementes unerheblich, ob die Absicht darauf gerichtet war, für immer an diesem Ort zu bleiben. Selbst ein von vornherein zu einem bestimmten Anlaß oder Zweck zeitlich beschränkter Aufenthalt steht der Annahme eines ordentlichen Wohnsitzes nicht entgegen. So wäre es unstatthaft, etwa einen Studienort oder Beschäftigungsort von vornherein als ordentlichen Wohnsitz abzulehnen. Zur psychischen Komponente ist noch anzumerken, daß diese - weil eben vom Willen des Betroffenen getragen - schwer erforschbar ist. Zum tatsächlichen Element, welches ebenfalls vorliegen muß, gehört die Niederlassung an einem Ort, wobei dieser (wenn auch nur vorübergehend) der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen sein muß. Dabei müssen die Lebensbeziehungen über jene hinausgehen, wie sie zum Beispiel von sogenannten Pendlern unterhalten werden. Insgesamt ist die Frage nach dem Mittelpunkt der Lebensbeziehungen anhand der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht der Person zu beurteilen.

Folgt man der eben anskizzierten Judikatur, so wäre es auf den konkreten Fall bezogen durchaus denkbar, daß der Beschuldigte zumindest für einige Monate den ordentlichen Wohnsitz in E begründet hat. Indizien hiefür sind die polizeiliche Abmeldung in L und die polizeiliche Anmeldung in E; desweiteren der Besuch einer Fahrschule was im Normalfall (unter Berücksichtigung der Entfernung zu dem von der Bundespolizeidirektion L angenommenen Wohnsitz in L nach den Erfahrungen des täglichen Lebens) eine durchgehende Präsenz in E zumindest während dieses Zeitraumes erfordert. Hinzu tritt, daß offenbar auch das Landratsamt E von einem Wohnsitz in E ausgegangen ist, hätte es doch sonst keine Lenkerberechtigung erteilt. Letztlich liegt eine Zeugenaussage der Mutter des Beschuldigten vor, wonach ihr Sohn etwa ab Ende April von zu Hause ausgezogen und nach dessen Angaben nach Deutschland verzogen sei, um dort zu arbeiten. Er sei in der Folge zumindest 3 bis 4 Monate nicht nach Hause gekommen.

Eine von J K, jener Person, bei der der Berufungswerber angeblich gewohnt hat, am 9.10.1996 unterfertigte Bestätigung, die entsprechend der Behauptung des J K richtig und vollständig sei und notfalls auch beeidet werden könnte, bringt sinngemäß zum Ausdruck, daß er (K) den Beschuldigten im Jänner 1994 zufällig kennengelernt habe. Es hätten weitere Treffen stattgefunden und es sei bei einem dieser Zusammenkünfte in L ua die Möglichkeit einer Arbeitsstelle für den Beschuldigten in der BRD besprochen worden. Im April 1994 sei der Beschuldigte schließlich wegen einer Arbeitsstelle nach E gekommen und sei in dessen Wohnung in E eingezogen. Dabei habe sich der Beschuldigte in E angemeldet. In der Folge - weil beruflich notwendig - habe der Beschuldigte eine Fahrschule besucht und die Lenkerprüfung absolviert. Nach Meinung des J K habe der Beschuldigte mit dem Zeitpunkt des Bewohnens seiner Wohnung den gesamten Lebensbereich nach E verlagert. Der Beschuldigte hätte sich, wahrscheinlich insbesondere auch wegen des Fahrschulbesuches, in der Folge laufend in E aufgehalten. Einige Zeit nach dem Erwerb der Lenkerberechtigung hätte der Beschuldigte von dessen Mutter ein Fahrzeug zur Verfügung gestellt bekommen. Bis zu diesem Zeitpunkt seien naturgemäß Reisen nach Österreich, die mit der Bahn durchgeführt hätten werden müssen, praktisch nicht möglich gewesen. Nach dem Besitz des Fahrzeuges habe der Beschuldigte, insbesondere aus familiären Gründen, immer wieder Österreich besucht, wobei aber dessen Aufenthalt in E weiterhin aufrecht geblieben sei. Seine (Ks) vor der Polizeiinspektion E gemachte Aussage, der Beschuldigte hätte sich nicht immer in E aufgehalten, sei nur zum Teil richtig und beträfe diese Aussage keinesfalls die ersten Monate nach der Wohnsitzbegründung.

Das von der Polizeiinspektion E beschriebene und auch fotografierte Haus Hstraße Nr. ist ein Dreifamilienhaus, in welchem auch K eine Wohnung gemietet hat. Wenn nun im erstbehördlichen Akt von einem Haus die Rede ist, in welchem 13 Parteien wohnen, so ist dies in dieser Form nicht zutreffend, aber die Annahme der Erstbehörde insofern erklärbar, als nach einem Bericht des Landratsamtes E unter der Adresse Hstraße etwa ab Mitte 1995 tatsächlich eine größere Anzahl von österreichischen Staatsbürgern gemeldet war. Auf den Zeitraum nach der Anmeldung des Beschuldigten in E bezogen ist kein Hinweis im Akt, daß in der Wohnung des K bzw im Haus Hstraße weitere Österreicher angemeldet gewesen seien.

Es sprechen aber auch Indizien gegen eine tatsächliche Wohnsitzbegründung. So konnte etwa die Mutter des Beschuldigten zwar bestätigen, daß ihr Sohn mehrere Monate nicht zu Hause und nach dessen Angaben in Deutschland aufhältig gewesen sei, umgekehrt widerspricht diese Aussage den Erfahrungen des täglichen Lebens, weil sie damals keine Adresse ihres Sohnes und auch keine Telefonnummer wußte. Auch die vom Berufungswerber anläßlich der mündlichen Verhandlung angefertigte Skizze jener Wohnung, wo er gewohnt haben will, stimmt nicht mit jener Skizze überein, die von der Polizeiinspektion E angefertigt wurde. Vielleicht ist dies damit erklärbar, daß der Berufungswerber in der Anfertigung von Skizzen ungeübt ist oder auch wegen des Zeitablaufes Erinnerungslücken hatte, insgesamt verbleiben jedoch zumindest Zweifel. Diese Zweifel werden noch dadurch bestärkt, daß der Berufungswerber nicht glaubhaft dartun konnte, in E einer Beschäftigung nachgegangen zu sein. Von einem aufrechten Arbeitsverhältnis in der ersten Zeit nach dem 2.5.1994 liegt allerdings auch keine eindeutige Behauptung vor, vielmehr ist für diesen Zeitraum von der Notwendigkeit einer Lenkerberechtigung für offenbar künftige Tätigkeiten die Rede.

Die letztlich behauptete Ummeldung nach D und die Aufnahme einer Beschäftigung dortselbst ist unglaubwürdig, hat aber bei der rechtlichen Beurteilung der gegenständlichen Angelegenheit deshalb keine Bedeutung, weil diese behauptete Wohnsitzbegründung in D später erfolgt ist. Die Unglaubwürdigkeit betreffend Wohnsitzbegründung in D ergibt sich ua daraus, daß die von H B ausgestellte Bestätigung einen J Ka und nicht J Ker betrifft. Insgesamt wird daher zur Wohnsitzbegründung in Deutschland nach Gegenüberstellung der Pro - und Kontraindizien als erwiesen anzunehmen sein, daß der Berufungswerber zumindest im Zeitraum des Fahrschulkurses in E aufhältig war und hinsichtlich dieses Zeitraumes auch die Absicht darauf gerichtet war, E zum Mittelpunkt der Lebensbeziehungen zu wählen. Ob dies für die Begründung eines ordentlichen Wohnsitzes ausreichend ist, muß bezweifelt werden. Nachdem jedoch in einem Verwaltungsstrafverfahren auch die für den Beschuldigten günstigen Sachverhaltselemente in Betracht zu ziehen sind und nach der von der Erstbehörde ermittelten Aktenlage von einem zumindest überwiegenden Aufenthalt in Österreich erst ab Oktober 1994 ausgegangen werden kann, muß im Zweifelsfall der überwiegend ständige Aufenthalt in E nach der Führerscheinprüfung bis etwa Oktober 1994 angenommen werden. Selbst unter dieser Annahme ist es noch strittig, ob diesfalls von einer Verlagerung der Lebensinteressen nach Deutschland und somit von einer Begründung des ordentlichen Wohnsitzes auszugehen ist. Ein durchgeführtes Verwaltungsstrafverfahren nach dem Meldegesetz zur Beantwortung dieser Frage wäre hilfreich gewesen.

Die vom Verwaltungsgerichtshof vorgegebene Judikatur, nämlich bei der Beurteilung der Wohnsitzfrage einen strengen Maßstab anzulegen, nennt als Hintergrund die Verhinderung einer mißbräuchlichen Ausnützung einer Begünstigung. Eine derartige Begünstigung läge etwa (auf die gegenständliche Rechtsproblematik allgemein abgestellt) darin, wenn jemand beispielsweise in Mexiko oder in Thailand einen Führerschein (möglicherweise käuflich) erwirbt, um dann mit diesem Führerschein in Österreich Kraftfahrzeuge zu lenken. Eine mißbräuchliche Ausnützung der gesetzlichen Begünstigung, mit einem ausländischen Führerschein auch in Österreich Kraftfahrzeuge lenken zu dürfen, wird jedoch im Erwerb einer Lenkerberechtigung in Deutschland nicht erblickt. Insgesamt wird nämlich der Erwerb der deutschen Lenkerberechtigung einerseits nicht käuflich und andererseits hinsichtlich des Schwierigkeitsgrades mit dem Erwerb der österreichischen Lenkerberechtigung vergleichbar sein. Warum sich also der Beschuldigte nach Deutschland begab, um dort die Lenkerprüfung abzulegen, läßt sich mit der mißbräuchlichen Ausnützung einer Begünstigung nicht begründen, zumal - wie schon erwähnt - vor allem die Verkehrszuverlässigkeit gegeben gewesen sein dürfte und nach Aussagen von Vertretern der belangten Behörde eine Zulassung zur Lenkerprüfung in Österreich wahrscheinlich möglich gewesen wäre. Der vom Verwaltungsgerichtshof vorgegebene strenge Maßstab bei der Beurteilung der Wohnsitzfrage muß auch in diesem Licht gesehen werden und würde der Verwaltungsgerichtshof möglicherweise in einem vergleichbaren Fall (Österreich - Deutschland) nicht so restriktiv erkennen, um dem seit 1.1.1995 von Österreich übernommenen EU-Recht nicht entgegenzuwirken.

Im Lichte der Harmonisierung der Lenkerberechtigungsvorschriften innerhalb der EU-Länder scheint es für die Berufungsbehörde klargestellt, daß die bisher gehandhabte restriktive Rechtsprechung zumindest in Bezug auf die EU-Staaten nicht mehr aufrecht erhalten werden kann.

Die Richtlinie des Rates vom 29.7.1991 über den Führerschein (91/439/EWG), die ab 1.7.1996 in das innerstaatliche Recht umzusetzen gewesen wäre und welche - so weit eine ausreichend konkrete Formulierung vorliegt - auch ohne gesetzgeberische Umsetzung zu vollziehen ist, kommt in der gegenständlichen Verwaltungsstrafsache nicht in Betracht, weil einerseits der Tatzeitraum und andererseits die Fällung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses vor 1.7.1996 lag. Wie schon ausgeführt hat diese Richtlinie jedoch Auswirkungen auf die Zeit nach dem 1.7.1996 und wird offenbar auch von der Erstbehörde jener deutsche Führerschein, der zuerst nicht als für Österreich gültig anerkannt wurde, nunmehr doch anerkannt.

Auch schon zur Tatzeit in die österreichische Rechtsordnung transformiert war jedoch die Richtlinie 80/1263/EWG des Rates vom 4.12.1980, die - wie angeführt - zumindest als Auslegungsrichtlinie des innerstaatlichen Rechts anzusehen ist. Dabei ist auch auf Art.52 EG-V und auf die hiezu ergangene Rechtsprechung jüngsten Datums zu verweisen. So hat der EUGH mit 29.2.1996, RsC-193/94 folgendes ausgesprochen:

Art.52 EG-V verbietet es in Anbetracht der Folgen, wie sie in der betreffenden nationalen Rechtsordnung (diesfalls BRD) eintreten können, daß das Führen eines Kraftfahrzeuges durch eine Person, die durch Umtausch gegen die von einem anderen Mitgliedstaat (diesfalls Griechenland) ausgestellte Fahrerlaubnis eine Fahrerlaubnis des Aufnahmestaats hätte erhalten können, diesen Umtausch jedoch nicht innerhalb der vorgesehenen Frist vorgenommen hat, dem Fahren ohne Fahrerlaubnis gleichgestellt und deshalb mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft wird. Vergleichbar mit dieser Entscheidung ist die gegenständliche Verwaltungsstrafangelegenheit, sieht doch das KFG 1967 und in Befolgung dieser innerstaatlichen Rechtsordnung auch die Bundespolizeidirektion L, darin, daß der Berufungswerber mit einem gültigen deutschen Führerschein in Österreich Kraftfahrzeuge gelenkt hat, ein Lenken ohne gültige Lenkerberechtigung, was mit Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bedroht ist und auch bestraft wurde.

Der zitierten Entscheidung des EUGH liegt kein identischer, aber doch ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Die Vergleichbarkeit ist durch folgenden Parallel- bzw. Größenschluß evident:

Wenn der EUGH in der Verwendung eines gültigen nationalen (griechischen) Führerscheines wegen Versäumnis der Umschreibfrist in Deutschland, welche die Ungültigkeit dieser griechischen Lenkerberechtigung in Deutschland bewirkt, keine mit einer Freiheits- oder Geldstrafe bedrohte Übertretung erblicken kann, so kann im Lenken eines Kraftfahrzeuges auf Grund einer gültigen nationalen (deutschen) Lenkerberechtigung (die auf Grund der österreichischen Rechtslage nach den Ausnahmetatbeständen insbesondere der §§ 64 Abs.5 bzw. 84 Abs.1 KFG 1967 Gültigkeit in Österreich hätte) ebenfalls keine mit Geld- oder Freiheitsstrafe bedrohte strafbare Handlung erblickt werden, vor allem dann nicht, wenn zur Aberkennung des Lenkrechts in Österreich administrative Maßnahmen möglich gewesen wären bzw. die hier maßgebliche Vorfrage des ordentlichen Wohnsitzes von der zuständigen Meldebehörde als Hauptfrage entschieden hätte werden können.

Die zitierte Entscheidung des EUGH ist eine Vorabentscheidung, welche auf Grund eines Antrages des Amtsgerichtes Tiergarten in Berlin ergangen ist und die ausdrücklich auf die Erste Richtlinie 80/1263/EWG Bezug nimmt. In dieser Richtlinie waren die Führerscheine Gegenstand einer ersten Harmonisierung. Nach Artikel 8 Abs.1 dieser Richtlinie bleibt, wenn der Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten gültigen einzelstaatlichen Führerscheines oder eines Führerscheines nach dem EG-Modell in einem anderen Mitgliedstaat einen ordentlichen Wohnsitz erwirbt, sein Führerschein dort längstens ein Jahr nach Erwerb des Wohnsitzes gültig. Diese Formulierung deckt sich im wesentlichen auch mit der Bestimmung des § 64 Abs.5 KFG 1967. Der Unterschied besteht nur darin, daß die Frage des ordentlichen Wohnsitzes in den einzelnen nationalen Staaten offenbar nicht einheitlich interpretiert wird. Die deutsche Behörde hat - ansonsten sie ja keine Lenkerberechtigung erteilt hätte (weil auch dort der Wohnsitz eine Voraussetzung für die Erteilung der Lenkerberechtigung ist) - den ordentlichen Wohnsitz des Beschuldigten als gegeben angenommen, während die Erstbehörde - ohne diese Angelegenheit durch die Meldebehörde oder allenfalls durch ein Administrativverfahren abgeklärt zu haben - die ordentliche Wohnsitzbegründung in Deutschland (quasi als Vorfrage) verneint hat.

Es steht nach Meinung der Berufungsbehörde einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft nicht zu, einen Hoheitsakt eines anderen Mitgliedstaates zu revidieren, auch dann nicht, wenn aus diesem Hoheitsakt eines anderen Mitgliedstaates Rechte in Österreich abzuleiten wären. Sollte die hoheitliche Entscheidung dieses Mitgliedstaates fehlerhaft gewesen sein, so steht (auf den konkreten Fall bezogen) die Behebung eines allfälligen Fehlers nur diesem Mitgliedstaat zu.

Im Endergebnis bedeutet dies, daß zwar der Berufungswerber keine von einer österreichischen Behörde erteilte Lenkerberechtigung besaß, daß er aber nach dem oben anskizzierten Auslegungsmodell berechtigt war, entweder im Sinne der Ausnahmebestimmung des § 64 Abs.5 KFG 1967 oder aber nach der Ausnahmebestimmung des § 84 Abs.1 KFG 1967 auf den Tatzeitraum bezogen berechtigt war, auf Grund der gültigen deutschen Lenkerberechtigung in Österreich Kraftfahrzeuge zu lenken. Zur ev. vorliegenden Ausnahmebestimmung nach § 84 Abs.1 KFG 1967 wird allerdings bemerkt, daß - wie oben angedeutet - dem behaupteten Wohnsitz in D nicht beigetreten wird, wobei von der Berufungsbehörde nicht verschwiegen wird, daß diesbezüglich Ermittlungen, die einem Verwaltungsstrafverfahren gerecht werden, nicht angestellt wurden.

Am Rande sei noch darauf hingewiesen, daß offenbar auch die Erstbehörde nunmehr (möglicherweise im Sinne des EU-Rechtes) nicht mehr von der Strafbarkeit des Lenkens eines Kraftfahrzeuges in Österreich auf Grund einer gültigen deutschen Lenkerberechtigung ausgeht, hätte sie doch ansonsten in ihrem Straferkenntnis vom 6.9.1996 einen vergleichbaren Vorfall vom 27.5.1995 ebenfalls als Verwaltungsübertretung nach § 134 Abs.1 iVm § 64 Abs.1 KFG 1967 bestraft. In diesem Straferkenntnis wurde der nunmehrige Berufungswerber lediglich einer Verwaltungsübertretung nach § 24 Abs.1 lit. d StVO 1960 schuldig erkannt.

Da also zumindest eine der Ausnahmebestimmungen (§ 64 Abs.1, eventuell sogar § 84 Abs.1 KFG 1967) als vorliegend angesehen wird, war im Rahmen der gegenständlichen Entscheidung nicht mehr darauf einzugehen, ob der Spruch der Erstbehörde einerseits in Richtung der jeweiligen Ausnahmebestimmung und andererseits in Richtung Subsumierbarkeit des Sachverhaltes unter die angeblich verletzte Norm des § 64 Abs.1 KFG 1967 letztlich iSd § 44a Z1 VStG ausreichend (und somit die Verteidigungsmöglichkeiten nicht einschränkend) konkretisiert ist.

Durch das Lenken eines PKW's auf Straßen mit öffentlichem Verkehr in Österreich mit einer gültigen deutschen Lenkerberechtigung zum Tatzeitpunkt hat der Berufungswerber keine Verwaltungsübertretung iSd § 134 Abs.1 iVm § 64 Abs.1 KFG 1967 gesetzt, weshalb in Befolgung des § 45 Abs.1 Z1 VStG von der Fortführung des Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen war.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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