RS UVS Oberösterreich 1996/12/05 VwSen-104178/2/Br

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Veröffentlicht am 05.12.1996
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Rechtssatz

Nachdem der Berufungswerber das Blaulicht nicht montiert hatte, kam ihm der Status des "bevorzugten Straßenbenützers" nicht zu. Er war daher grundsätzlich an die gesetzlichen Geschwindigkeitsbeschränkungen gebunden.

Seiner Rechtfertigung kommt aber trotzdem weitgehend Recht zu. Der Berufungswerber handelte hier nicht im privaten Interesse, sondern im öffentlichen Interesse. Er hatte eine Abwägung zwischen zwei Rechtsgütern vorzunehmen. Einerseits jenem der Einhaltung der straßenverkehrsrechtlichen Bestimmungen, andererseits mußte er - ex ante besehen - ein seiner Dienstpflicht (als Tierarzt) obliegendes Rechtsgut schützen. Die hier vorliegende Situation in Form eines in seiner Gesundheit ernsthaft gefährdeten Hundes stellt auch h. Sicht wohl keine Notstandssituation dar, welche die Verletzung eines anderen (höherwertigen) Rechtsgutes gerechtfertigt hat (hier die Mißachtung von Verkehrsvorschriften), jedoch stellte diese Situation den Betroffenen vor einen Wertungskonflikt und ist einer Notstandssituation im Ergebnis zumindest als nahekommend zu qualifizieren. Dem Berufungswerber stellte sich hier das Problem einer Pflichtenkollision, wobei er der Dienstpflicht als Tierarzt den Vorzug gab.

Zur Notstandsproblematik sei allgemein angemerkt, daß die Rechtfertigung einer an sich gesetzwidrigen Verhaltensweise voraussetzt, daß der Eingriff in das fremde Rechtsgut (hier die Verletzung von Verkehrsvorschriften) das einzige Mittel zur Abwehr des drohenden Nachteils ist, dieser mithin nicht anders abgewendet werden kann; in der aus der ex-ante-Sicht zur beurteilenden Situation war ein möglichst schnelles Einschreiten indiziert. Nicht der 'nächstmögliche Ausweg ist zu wählen, sondern der einzig mögliche'. Es darf somit kein anderer, schonenderer Weg zur Rettung des bedrohten Guts offenstehen (ÖJZ-LSK 1975/198). Rechtfertigung setzt aber weiters (und vor allem) voraus, daß das gerettete Rechtsgut gegenüber dem beeinträchtigten höherwertig ist; ist es dem beeinträchtigten gleichwertig oder gar geringerwertig, scheidet rechtfertigender Notstand aus. Die Höherwertigkeit muß eindeutig und zweifellos sein. Diese Höherwertigkeit kann hier im Verhältnis der Einhaltung von Verkehrssicherheitsvorschriften zum möglichst raschen Einschreiten zur Rettung eines wertvollen Tieres und der möglichst raschen Befreiung desselben von unnötigem Leiden, wohl nicht zu Gunsten des Tieres gesehen werden. Nur unter solchen Voraussetzungen könnte (rechtlich besehen) davon gesprochen werden, daß die Rechtsordnung den eigenmächtigen Eingriff in fremde Rechtsgüter billigt, mithin für rechtmäßig hält; andernfalls kann sie "den Straftäter" zwar uU (nur) für entschuldigt ansehen, sein Verhalten aber nicht für rechtmäßig erklären (Leukauf-Steininger, Das österreichische Strafgesetzbuch, 3.A., S 138ff). Schließlich wird gefordert, daß die Rettungshandlung das angemessene Mittel zur Rettung des bedrohten Rechtsguts ist (vgl Burgstaller 154; Kienapfel 165 und ÖJZ 1975, 429 und AT 212 Rz 24; Triffterer AT 233). Durch dieses Angemessenheitskorrektiv sollen bei bestimmten Fallgruppen notwendige Korrekturen anhand oberster Wertmaßstäbe ermöglicht werden; rechtfertigender Notstand kommt danach nicht in Betracht, wenn die Tat, bezogen auf die obersten Prinzipien und Wertbegriffe der Rechtsordnung, nicht als das angemessene Mittel erscheint (Kienapfel ÖJZ 1975, 431, 429), oder ein rechtfertigender Notstand setzt voraus, daß es sachgemäß, billigenswert und im Interesse der Gerechtigkeit erlaubt ist, die Notstandslage durch "Beeinträchtigung des kollidierenden Interesses zu überwinden."

Derselbe Grundgedanke liegt schließlich auch der bei derartigen Fallgestaltungen in Betracht zu ziehenden "sozialen Adäquanz" zugrunde, dem sog. sozialadäquaten Verhalten. Auch dabei wird davon ausgegangen, daß ein gesetzliches Gebot zu einem bestimmten Handeln, welches jedoch aus widrigen Umständen (dem Berufungswerber kam mangels der momentanen Verfügbarkeit des Blaulichtes nicht der Status nach § 26 StVO zu) nicht in einer vorgeschriebenen Form bewirkt werden konnte, trotzdem zu erfolgen hatte.

Zur rechtfertigenden Pflichtenkollision ist es weiter herrschende Lehrauffassung, daß eine Kollision von zwei oder mehreren rechtlich bedeutsamen Pflichten vorliegt, wenn die betreffende Person nach den konkreten Umständen nur eine dieser Pflichten erfüllen kann. Häufig sind derartige Konfliktssituationen über den rechtfertigenden Notstand zu lösen. Soweit dies nicht möglich ist, muß es aber über eine andere dogmatische Konstruktion erlaubt (dh rechtmäßig) sein, eine dieser Pflichten zu verletzen, weil die betreffende Person sich sonst überhaupt nicht rechtmäßig verhalten könnte (Otto Triffterer, Österreichisches Strafrecht, S 237ff und die dort zit. Literaturhinweise).

Mit diesen Ausführungen sollte der rechtsdogmatische Hintergrund kurz beleuchtet werden.

Eine in dieser Richtung rechtlich vergleichbare Situation lag gegenständlichem Fall zugrunde. Aufgrund der spezifischen Sachzwänge ist einerseits das Verschulden des Berufungswerbers als äußerst gering zu erachten und reduziert sich hier im Ergebnis auf die Nichtverfügbarkeit des Blaulichtes und der nicht vollinhaltlich zutreffenden Beurteilung des Einsatzes als Notstandssituation. Es war daher hier in geradezu klassischer Weise nach § 21 VStG vorzugehen und von der Verhängung einer Strafe abzusehen. Nach dieser Bestimmung kann die Behörde ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind.

Es bedarf nämlich nicht einmal einer Ermahnung, um damit den Berufungswerber auf sein wohl rechtswidriges Verhalten, aber aus achtenswerten Gründen, zum Schutz eines Rechtsgutes (hier (auch) im öffentlichen Interesse und in Erfüllung von Dienstpflichten gelegen) begangen, hinzuweisen.

Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
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